Porträt Johannes Scheid
Der Herr des Eifel-Rings

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Nicht nur sport auto hat 40 Jahre zu feiern, auch das Nürburgring-Urgestein Johannes Scheid blickt auf 40 Jahre Motorsport zurück. Von einem Mann, der seinen Sport mit ganzem Herzen lebt.

Porträt Johannes Scheid
Foto: BR-Foto

Johannes Scheid ist einer von denen, die immer wieder aufstehen. Aufstehen, um etwas zu sagen, aufstehen, um weiterzumachen und aufstehen, um einen Traum zu leben. Für Scheid ist der Motorsport dieser Traum. Und gleichzeitig ist es genau dieser Sport, der ihn immer wieder dazu bringt, überhaupt erst aufstehen zu müssen.

So wie im Oktober 2009 am Saisonende der BFGoodrich Langstreckenmeisterschaft. Mit einem dunkelblauen BMW-Pullover sitzt er an der Box. Der Dreck unter seinen Fingernägeln erzählt noch von seiner letzten Nachtschicht. Er hat in seinem Hobbyraum - wie er seine Werkstatt liebevoll nennt - geschuftet. So lange, bis der BMW M3 mit dem Spitznamen Eifelblitz nach dem schweren Unfall im freien Training zu Lauf acht fertig war. So, wie er eine Sache immer durchzieht. Auch wenn er sich danach fühlt, als sei das gesamte Starterfeld der Langstreckenmeisterschaft über ihn gerollt.

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Vergebens. Der Herr des Eifelblitzes verfolgt das Rennen nicht von seiner angestammten Box Nummer 6, sondern sitzt in der Lounge von Manthey Racing. Trotz der Lesebrille auf der Nase und seinem I-Phone in der Hand wirkt er zwischen den VIP-Gästen und dem flauschigen Teppichboden wie ein Rennmechaniker mit ölverschmiertem Gesicht in der Edel-Disco P1. Eigentlich sollte er jetzt mit der Stoppuhr an der Boxenmauer stehen. Doch obwohl Scheid den M3 in letzter Minute vom Schrotthaufen zum einsatzfähigen Rennauto verwandelt hat, muss er zuschauen. Seine Fahrer hatten nicht damit gerechnet, dass er das Unmögliche möglich macht - und haben ihr Wochenende ohne den Eifelblitz geplant. "Jeder fragt was los ist, ich könnte mir ein Schild umhängen", scherzt Scheid in fröhlichem Eifler Dialekt.

Scheid ist am Ring bekannt wie ein bunter Hund

Am Ring kennt den 60-Jährigen jeder. Selbst wenn er nicht starten kann, zieht es ihn immer wieder an die Nordschleife. Wenn ihn die Sehnsucht nach seiner zweiten Liebe neben Ehefrau Heidi überkommt, blickt er einfach aus seinem Wohnzimmerfenster in Kottenborn rüber zum Schwedenkreuz. Der Nürburgring und Scheid sind so was wie Susi und Strolch, Bonnie und Clyde oder Batman und Robin. Sie sind nicht zu trennen. Bereits mit 15 Jahren sog der damalige KfZ-Lehrling die Kurven der Nordschleife ein, wie andere in seinem Alter Zigaretten.

Schon damals träumte er noch als kleiner Steppke davon, sich als Rennfahrer auf dieser sagenumwobenen Strecke feiern zu lassen. Scheid nahm seinen Traum selbst in die Hand. Wenn auch über Umwege. "Wir hatten am Anfang ja keine Ahnung von Motorsport", erzählt Scheid und lacht laut. Zunächst sammelte er Erfahrung als Rennleiter im Slalomsport. Dann hatte er genug davon, nur neben der Strecke zu stehen. Er wollte selbst Rennen fahren. Angefangen hat alles mit einem NSU TT im Jahr 1969. Damals nahm Scheid an Slaloms und Orientierungsfahrten teil. Seinen ersten großen Erfolg feierte er mit einem Klassensieg auf einem Opel Ascona beim populären 36-Stunden-Rennen im Jahr 1971.

Das 36-Stunden-Rennen bleibt Scheid noch lange im Gedächtnis

Auch das 36-Stunden-Rennen, das kurz nach der Ölkrise zum 7-Stunden-Rennen umfunktioniert wurde, wird er wohl nie mehr vergessen. Am Streckenabschnitt Wippermann fuhr ein Käfer vor Scheids BMW 2002 ti im Training die Böschung hoch. Er schleuderte zurück und traf Scheid am Dach. "Ich hatte mit dem nicht mehr gerechnet", amüsiert sich der Eifler heute. Wenige Meter weiter steigt er aus dem Auto. "Ich dachte da hätte eine Granate eingeschlagen." Der BMW 2002 ti ist schwer beschädigt, doch das Team richtet das Auto zum Rennen wieder her. "Die haben es alle Banane genannt, so krumm war das Ding."

Aber auch Scheid hat bei dem Unfall etwas abbekommen. Sein Gesicht schmücken Glasscherben. Scheid fuhr trotzdem. Mit gebrochenen Rippen. Das Resultat: Klassensieg. Aber nicht der süße Moment des Triumphs, sondern die Fürsorge der anderen Fahrer, wie sie heute nur noch selten zu finden ist, war die Krönung. "Das Fenster war ja kaputt. Da kamen gleich mehrere Fahrer zu mir und boten mir ihren Vollvisierhelm an, weil ich nur einen Jet-Helm hatte. Das hätte ja richtig gezogen. Das war wirklich eine schöne Geste."

Scheid ist Mitbegründer der Langstreckenmeisterschaft

Scheids weitere Karriere wird vor allem von der Gründung der Langstreckenmeisterschaft im Jahr 1977 geprägt, an der er selbst beteiligt war. Er startet für Autobianchi und Willi Martini, wechselt zwischendurch auf einen Fiat 127, fährt Bergrennen, und landet dann bei BMW. Ab 1990 setzt er einen BMW M3 E30 ein und gewinnt damit die Langstreckenmeisterschaft in den Jahren 1994 und 1995 und das 24 Stunden Rennen im Jahr 1996. Ein Jahr später ist er wieder nicht zu schlagen; mit Sabine Schmitz, Peter Zakowski und Hans Jürgen Tiemann überquert er nach 24 Stunden mit einem BMW M3 E36 als Erster die Ziellinie. Im Jahr darauf gewinnt er noch mal gemeinsam mit Schmitz den Langstreckenpokal.

Seit 2001 gehört der BMW M3 E46 GTS zum Inventar im Hobbyraum. Wie der BMW M3 ein fester Bestandteil im Hobbyraum ist, so gehört Johannes Scheid zum Inventar seines Heimatorts Kottenborn und des Nürburgrings. Längst stört es niemanden mehr, wenn Scheid mal wieder mitten in der Nacht knatternd durch die Straßen fegt, um etwas zu testen. Auch als Scheid vor 40 Jahren mit einer Unterschriftenliste durchs Dorf zog und Stimmen für die Gründung des Motorsportclubs Adenau sammelte, waren alle auf seiner Seite. Hat sich Scheid einmal etwas in den Kopf gesetzt, verwirklicht er es - mit all seinem Eifler Charme.

Scheid setzt sich in der BFGoodrich Langstreckenemeisterschaft als Fahrervertreter ein

Der kommt ihm oft auch in seiner Rolle als Fahrervertreter in der Langstreckenmeisterschaft zu Gute. "Ich sage immer offen und ehrlich meine Meinung und manchmal ecke ich damit auch an", meint Scheid. "Aber mir geht es immer um die Allgemeinheit." Ein Vorteil: Er kennt sie alle. Ein Spaziergang mit ihm durch die Boxengasse würde wohl Stunden dauern. Ob Hans-Joachim Stuck oder Sabine Schmitz - die Namen, die schon auf seinem Auto klebten, sind zahlreich. Seit vergangenem Jahr fährt er nicht mehr selbst, sondern ist Teamchef. Seine Schultern und Arme zickten immer mehr. "Aber ich würde nicht ausschließen, dass ich noch mal fahre", fügt Scheid mit seinem breitesten Grinsen zu.

Seine Frau Heidi wird sich hingegen freuen, dass sie nun weniger zu waschen hat. Denn Scheid beharrte stets auf einem schneeweißen Fahreranzug. Er dachte aber nie an die Dramen in der Waschküche seiner Frau, wenn er damit schraubte. Als Teamchef liegt der Mann mit dem Schnauzer nicht nur unterm Auto, sondern sucht auch Sponsoren und bereitet den BMW M3 vor - ein echter Alleskönner. Selbst beim 24h-Rennen ertappt man ihn nur in ganz schwachen Momenten beim Gähnen. Er ist der einzige im Team, der 24 Stunden wach bleibt. "Da kommen die Jungen schon mal an und sagen, wie hältst du das denn nur aus", erzählt Scheid stolz.

Der Eifelblitz ist der Liebling der Fans

Aber nicht nur die Bewunderung seiner Teammitglieder ist ihm sicher. Es sind die Fans, die den BMW zu etwas Besonderem machen. Sie verehren das Auto mit dem Spitznamen Eifelblitz, der durch eine Zeichnung von Sabine Schmitz entstand. Kaum ein anderer besitzt in der Langstreckenmeisterschaft so viel Kultstatus. "Es kam schon vor, dass abends plötzlich zwei Kisten Bier vor der Werkstatt standen, weil ein Fan unbedingt helfen wollte", sagt Scheid. "Da kommen einem auch mal die Tränen." Manchmal schütteln sie ihm auch einfach die Hand. Danach befindet sich darin ein 10 Euro Schein.

Die meiste Ehre erweist diesem nüchtern betrachtet blauen Haufen Blech wohl Familie Scheid selbst. Als das Arbeitstier Scheid vor ein paar Jahren in der Weihnachtszeit dem Duft von Plätzchen und Kaffee wieder einmal erfolgreich widerstehen konnte und Tag und Nacht in seinem Hobbyraum verbrachte, bekam der Eifelblitz kurzerhand einen eigenen Weihnachtsbaum von der Familie aufs Dach gestellt. Tochter Daniela und Frau Heidi unterstützen Scheid seit seinen Anfängen im Motorsport. Wie es sich für ein echtes Familienteam gehört, packen vor einem Rennwochenende alle mit an. Die Begriffe Catering oder Lounge gibt’s im Scheidschen Motorsportkosmos nicht. "Nur nach dem Rennen will ich in die Pistenklause und dort mein Steak haben", erzählt das Familienoberhaupt.

Scheid will weitermachen bis zum bitteren Ende

An der Rennstrecke verpflegt Mama Heidi die ganze Mannschaft mit ihren Leckereien. Sie hat den seltenen Beruf "Köchinbotinablassventil" erlernt. Denn wenn es mal wieder brennt, fährt sie mal eben nach München, um fehlende Teile zu besorgen. "Und wo lässt man die Luft ab, wenn es mal nicht so läuft?", fragt Scheid. "Bei ihr." Seit mittlerweile 40 Jahren geht das nun so. Und Johannes Scheid ist sich sicher, dass es auch "bis zum bitteren Ende" so weitergehen wird. Wahrscheinlich so lange, bis er einfach nicht mehr kann. Selbst dann wird er nicht sitzen bleiben. Sondern vielleicht als Zuschauer im Fahrerlager seines heißgeliebten Nürburgrings herumschwirren und andere daran erinnern, wie das mit dem Aufstehen für einen Traum funktioniert.

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Sport Auto 03 / 2022
Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten