Prototypensport
Die Technik des Nissan-ZEOD-Motors

Inhalt von

Magersucht im Rennmotorenbau: Der Nissan-LMP ZEOD für Le Mans kommt mit gerade einmal drei Zylindern und 1,5 Liter Hubraum aus. Arnaud Martin von RML hat das Kompaktkunstwerk gebaut.

Nissan ZEOD RC
Foto: Nissan

Der Le-Mans-Veranstalter ACO hat in seiner Geschichte schon immer einen großen Faible für ausgefallene Technikkonzepte gepflegt. Im Jahr 2011 institutionalisierten die Franzosen den Anspruch, bahnbrechenden Fahrzeugen mit innovativer Technologie außerhalb des Klassensystems eine Bühne zu bieten: ein zusätzlicher 56. Startplatz wurde geschaffen.

Nissan ZEOD RC mit einem Winzling im Heck

2012 erhielt der Delta Wing aus den USA erstmals diese Einladung – und witzigerweise bekam Nissan mit einem optisch sehr ähnlichen Konzept des gleichen Designers – Ben Bowlby – nun den Zuschlag für das 24h-Rennen in Le Mans 2014. Im Hintergrund tobt dazu übrigens noch ein Rechtsstreit zwischen Nissan und dem Delta-Wing-Initiator Don Panoz über das geistige Eigentumsrecht an diesem ganz speziellen Fahrzeugdesign.

Unsere Highlights

Nissan setzt seine Pläne trotz der ungeklärten Rechtslage unbeirrt fort: Das Team des Briten Ray Mallock (RML), das für den Aufbau und Einsatz des Nissan ZEOD RC (Zero Emissions on Demand Racing Car) verantwortlich ist, ließ sport auto einen ersten exklusiven Blick auf den Motor werfen. Der Winzling im Heck, der inhouse bei RML in Wellingborough gebaut wird, verfügt über drei Zylinder, 1,5 Liter Hubraum, Turboaufladung und Direkteinspritzung.

Noch beeindruckender sind die Gewichtsdaten: nur 40 Kilo wiegt das Federgewichts- Triebwerk, mit Turbolader und Abgasanlage kommen noch einmal sechs Kilo dazu. Zum Vergleich: das Vierzylinder-Triebwerk des ursprünglichen Delta-Wing-Prototypen von 2012 wog 90 Kilogramm! Der Gewichtsabbau machte vor nichts halt: Kurbelgehäuse, Motorblock, Kurbelwelle, Zylinderkopf sowie Kolben und Pleuel wurden auf Diät gesetzt und sogar die Ausrüster für die elektronischen Baugruppen wurden primär danach ausgewählt, wie leicht ihre Komponenten ausfallen.

Wenig Gewicht heißt übrigens nicht wenig Leistung: satte 400 PS soll das mit 1,2 bar aufgeladene Triebwerk des Nissan ZEOD RC leisten, das maximale Drehmoment von 380 Nm liegt bei 7.500 Umdrehungen an. Der Clou: Der ACO fordert, dass der Nissan ZEOD 13 Runden mit Motorkraft fährt, die 14. Runde aber rein elektrisch bestreiten soll. Um das zu schaffen, wird über Bremsrekuperation und den Verbrennungsmotor Energie in den Batterien gespeichert. In der Praxis wird sich der Motor für knapp vier Minuten vollständig abschalten – und der Nissan ZEOD soll obendrein auch rein elektrisch in die Boxengasse zum Tankstopp abbiegen.

Ausgeklügelte Strategie gefragt

Die Kniffe liegen im Detail, zum Beispiel bei der Kühlung: "Bei rein elektrischer Fahrt sollte die Wassertemperatur nicht über 50 Grad liegen, beim Einsatz des Verbrennungsmotors liegt das Ziel bei 80 Grad", so Arnaud Martin, der bei RML für die Antriebstechnik zuständig ist. Das erfordert ausgeklügelte Anwärm- und Abkühlstrategien, die sich beim Umschalten der Fahrbetriebe auch noch kreuzen: "Der Motor muss ja noch weiter gekühlt werden, wenn schon auf den elektrischen Antrieb umgeschaltet wurde", erklärt Martin. "Umgekehrt muss der Motor nach einer Runde mit elektrischer Fahrt wieder angewärmt werden, bevor er zugeschaltet werden kann."

Der gemeinsame Kühlkreislauf ist mit zwei Kühlern beaufschlagt: Die rechte Kühlerseite senkt die Temperaturen der Batterien und des Ladeluftkühlers, die linke Seite ist für die Elektromotoren, den Verbrennungsmotor und die Getriebekühlung zuständig. Das ganze System kommt mit extrem wenig Kühlmittel aus – was das Gewicht niedrig hält.

Zwar scheint das breite Nissan ZEOD-Heck auf den ersten Blick viel Platz fürs Packaging zu bieten, doch der Eindruck täuscht: Der Bauraum für Motor, Getriebe, Hinterachse, Batterien und Kühlung ist in Wahrheit supereng. Der quer eingebaute Motor ist um fünf Grad nach hinten gekippt, um den zentralen Luftsammler überhaupt unterzubringen – und trotzdem beträgt der Abstand von Schottwand zu Luftsammler gerade mal vier Millimeter.

Nissan ZEOD RC mit leichter Kurbelwelle

"Das neue Motorkonzept hat gar nichts mit dem alten Delta-Wing-Auto gemein", so Martin. "Wir wussten, dass der Erfolg dieses radikalen Konzepts am Gewicht hängt, daher galt es auch beim Motor mit jedem Gramm zu knausern." Heraus kamen clevere und radikale Lösungen: Die Kurbelwelle kommt ohne zusätzlichen Flansch fürs Schwungrad aus. Und sie weist mittige Löcher auf, um Gewicht zu sparen. Diese werden mit Aluminiumstöpseln wieder verschlossen, um die Ölversorgung nicht zu beeinträchtigen. Die Kurbelwelle des Dreizylinders ist mit 5,8 Kilogramm fast exakt 2,5 Kilo leichter als beim alten Delta Wing.

"Natürlich ist die Kurbelwelle eines Dreizylinders kürzer als beim Vierzylinder, aber ein simpler Umbau würde nur eine Gewichtsersparnis von rund 17 Prozent bringen. Mit unserem Kurbelwellenkonzept haben wir jedoch 30 Prozent eingespart", so Martin.

Das Gewichtsvorgabe diktierte jeden Schritt beim Motorenbau: "Ein Mechaniker hat allein drei Tage damit verbracht, den Zylinderkopf so zu bearbeiten, dass er weniger als sieben Kilo auf die Waage bringt", erklärt Martin stolz. Das größte Problem beim Nissan ZEOD-Dreizylindermotor sind die Virbrationen. "Da das Gesamtgewicht des Motors so gering ist, fallen die Vibrationen umso brutaler aus", so Martin. Daher mussten zum Beispiel die Batterien einer aufwendigen und flexibel gestalteten Vibrationsisolation unterzogen werden.

Ein weiteres Problem erzeugt das extreme Packaging – nämlich Hitze: Der Turbolader sitzt zwischen Differenzial und den beiden Elektromotoren, was die Entwicklung eines speziellen Hitzeschildes erforderlich machte. Die gesamte Steuerelektronik erfolgt über eine zentrale ECU, deren Hardware von MoTec stammt. Die entsprechende Software wurde von einem RML-Spezialisten geschrieben, sie kontrolliert DRS-System, Differenzial, Motor, die Elektromaschinen sowie die automatische Bremskraftverteilung.

Brake-by-Wire-System im Nissan ZEOD RC

Diese automatische Bremskraftverteilung wird wegen des KERS-Systems an der Hinterachse verwendet: "Beim Bremsen mit KERS kann es passieren, dass die Batterien voll geladen sind oder dass der Druck entsprechend dem Fahrerwunsch reduziert werden muss", so Arnaud Martin. "Dieses Problem lösen wir durch die automatische Balanceverteilung, die über ein Brake-by-Wire-System den Bremsdruck an der Hinterachse automatisch anpasst, ohne dass sich für den Fahrer das Pedalgefühl dramatisch verändert."

"Die elektronische Steuerung der Systeme ist sehr aufwendig und komplex", gibt Martin zu, "und es wird nicht einfacher dadurch, dass der Nissan ZEOD eine volle Runde in Le Mans mit einer Streckenlänge von 13,6 Kilometer rein elektrisch bestreiten muss."

Dementsprechend schwierig gestalteten sich die ersten Testfahrten mit dem ZEOD. "Die Kinderkrankheiten sind noch nicht vollständig behoben, aber wir sind jetzt in einer Testphase, wo wir gute Fortschritte machen." Eine solche Aussage könnte jedoch auch von Ingenieuren der LMP1-Werksteams von Audi, Porsche oder Toyota stammen ...

Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten

Live
GP China