Rallye-DM 14. Wikinger-Rallye 2012
Der Neuanfang im deutschen Rallyesport

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So ist lange kein Schwerkranker mehr aus dem Bett gesprungen. Nach dem desaströsen Vorjahr präsentiert sich die Deutsche Rallyemeisterschaft im Frühjahr 2012 mit verblüffender Stärke.

Porsche GT3, Olaf Dobberkau
Foto: OK-Foto

Die Halbinsel Angeln in Schleswig-Holstein ist nicht gerade das, was man einen Ballungsraum nennt. Die meisten sind weggezogen - schon vor 1.700 Jahren. Und die 3.000-Seelen-Gemeinde Süderbrarup ist im Rest der Republik allenfalls Hardcore-Fans des Comic-Films Werner durch ein denkwürdiges Fußballspiel gegen Holzbein Kiel ein Begriff.

Wikinger kamen wie vor über 1.000 Jahren

Aber an einem Donnerstag im späten März 2012 vollzog sich an der Ostseeküste eine neue Völkerwanderung. Wie schon vor über 1.000 Jahren kamen die Wikinger aus dem nahen Jütland, und wie einst, als sie im nahen Haithabu die größte Siedlung außerhalb Skandinaviens errichteten, kamen sie mehr oder weniger friedlich. Anlass der Reise war der zweite Lauf zur Deutschen Rallyemeisterschaft - natürlich mit dem passenden Namen Wikinger-Rallye.

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Die Veranstaltung im hohen Norden zählt auch zum dänischen Championat, und mit vereinten Kräften brachten beide Nationen 98 Autos auf die Startrampe. Feiern konnten die Nordmänner immer schon, so errichteten sie auf dem Marktplatz von Süderbrarup ein großes Festzelt. An der Würstchenbude wurde schon früh die selbstgemachte Currysoße verknappt. Mehr Rummel kriegt auch ein gut besuchter Mittelaltermarkt nicht zustande, nur die Ritter sind halt heute feuerfest.

Clan der Wallenweins am Start

Und was für Edle Rösser sie gebracht haben: vier Peugeot 207 S2000 und einen Fiat Punto. So viele Allrad-Topautos hat die Deutsche Meisterschaft noch nie gesehen. Und als wäre es noch nicht genug, fanden sich auch ohne Beteiligung eines Herstellers zwei weitere aus Deutschland. Dank eines rallyeverrückten Spediteurs aus Luxemburg und viel Eigeninitiative steht der jüngste aus dem Clan der Wallenweins auch nach dem Ausscheiden bei Skoda mit einem Fabia S2000 am Start. Wie beim großen Bruder, Titelverteidiger Sandro Wallenwein, heißt das Motto: Die Meisterschaft bleibt gefälligst in der Familie.

Felix Herbold hatte im Vorjahr einen sehr konkurrenzfähigen Ford Fiesta S2000 und große Ambitionen - nur die Meisterschaft gab es nicht mehr, als das Team Robot-Racing losschlagen wollte. Blättern wir in den Chroniken ein wenig zurück: Im Jahre des Herrn 2006 spaltete der Anführer der mächtigsten Auto-Streitmacht ADAC die finanziell und organisatorisch darbende Rallyenation mit der Abschaffung der DRM und der Ausschreibung des ADAC-Masters.

Spaltung im deutschen Rallye-Sport

Das kleine, aber sehr bewegliche Heer des AvD machte blitzschnell mobil und gründete die Deutsche Rallye Serie DRS, in der die im Masters verbotenen WRC-Autos weiter antreten durften. Die DRM wurde zwar im Folgejahr wieder reanimiert, doch es gelang bis heute nicht, die Nation zu befrieden. Ende 2011 machte der AvD ein Friedensangebot: Man würde die DRS zu Grabe tragen und eine neutrale zweite Rallye-Liga gründen - als Heimat für die DRS-Läufe. Aber der Hickhack endete nicht, denn der ADAC-Häuptling Hermann Tomczyk wollte auf den Namen seines Clubs im Masters nicht verzichten.

Die Spaltung war so tief wie zu Beginn, und außer dem einzigen Werksteam Skoda Deutschland, das in die IRC abwanderte, kehrten auch manch andere DRM-Stammkräfte der Meisterschaft den Rücken, womit wir zurück bei Felix Herbold wären. Sein Team entschied, lieber ein Mischprogramm zu fahren, das aber nach zwei Auftaktsiegen in der DRM und nach diversen technischen Pannen bei internationalen Einsätzen ohne greifbares Ergebnis im Sande verlief. Von einem Fehler will Herbold dennoch nicht reden: „Man sieht ja am Beispiel Christian Riedemann, dass man im internationalen Geschäft sehr viel lernt.“

Besagter war zwei Jahre durch die europäischen Lande getourt, um sich in der inoffiziellen Junioren-WM WRC Academy seine Sporen zu verdienen. Gasteinsätze im VW-Werksteam, fehlende Schotter-Erfahrung und regelmäßige Defekte sorgten aber für den Stimmungswandel. Riedemann erwarb wie Herbold einen DS3, mit dem er die Klasse beim Saisonauftakt und in Schleswig-Holstein gewann.


Platzhirsch Carsten Mohe freut sich über die jugendliche Konkurrenz, muss jedoch eingestehen, dass er trotz des leichteren DS3 mit sequenzieller Schaltung, Antilag-System und 200 Kilo weniger nicht wirklich eine Erklärung hat, wie Riedemann es schafft, mit seinem Frontkratzer zeitweilig drittschnellste Gesamtzeiten gegen die Allrader zu fahren. „Das kennen wir doch aus anderen Meisterschaften“, winkt Thomas Wallenwein ab. Der DS3 sei ja quasi ein kleines World Rally Car und somit auf Asphalt einem 1,5-Tonner der Gruppe N wie dem eigenen Subaru Impreza klar überlegen.

Porsche-Fraktion sorgt für Spaß

Ach ist das schön, auf dem Service-Platz wieder die Klagen über die Bevorteilung des Gegners zu hören. Streiten sich die Kinder, sind sie gesund. Die Wallenweins stöhnten, es gehe im hohen Norden praktisch nur geradeaus, ein klarer Vorteil für die ebenfalls zurückgekehrte Porsche-Fraktion. Die stimmte ein Wehklagen an, dass die längste Gerade in Angeln gerade 250 Meter lang sei, der Winterdreck noch auf den Pisten liege, und das ständige Geschlängel über Kuppen und Senken pures Gift für den Elfer sei. Im Titelkampf ist die Porsche-Fraktion durch die Rückkehr der geschotterten Lausitz-Rallye in den Kalender chancenlos, doch man tritt trotzdem an, zur eigenen Gaudi und der der Fans.

Denen wird harter Wettbewerb und lange nicht gesehene Fahrkunst geboten. Auch wenn das Geld beim Robot-Team nicht locker sitzt, wiederholte Felix Herbold seinen Vorjahressieg und tritt auch in Hessen mit dem Fiesta an. Mit zwei zweiten Rängen hält Mark Wallenwein die Tabellenführung. Die Dänen mussten sich bei der 14. Wikinger-Rallye zum achten Mal geschlagen geben, stürmten aber bei der Siegerehrung zügig die Zapfhähne, um das Klima im zugigen Zelt zu kaschieren.

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Erscheinungsdatum 04.02.2022

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