Reportage F1 Clienti
Die Hobby-Schumis bei Ferrari

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Wenn Ferrari-Herzen mit einem Puls von 19.000 Umdrehungen schlagen, und wenn aus großen Jungs jenseits von 4g Querbeschleunigung wieder kleine Kinder werden, dann ist die F1 Clienti los. Zu Besuch im Epizentrum der Formel 1-Privatkunden von Ferrari oder: Ein Tag im Leben von Hobby-Schumi Kevin Weeda.

F1 Clienti, Ferrari, Boxengasse
Foto: Rossen Gargolov

Draußen über den Grünflächen abseits der Curbs steigt dampfend der Frühnebel auf, als würden die Maulwürfe unter der Grasnarbe gerade ihren ersten Espresso kochen. Drinnen sirrt es ohrenbetäubend, als hätte sich eine Horde Grillen gemeinsam mit einem Bienenschwarm zu einem Orchester versammelt. Ein Geräusch der Umwälzpumpen, die Wasser und Öl zirkulieren - das Startprozedere bringt Grand Prix-Hightech auf Betriebstemperatur. Die Formel 1-Übertragung beginnt heute nicht mit dem Tastendruck auf der Fernbedienung, sondern live in der Boxengasse jener Rennpiste, auf der ein gewisser Herr namens Enzo Ferrari im Jahre 1920 mit einem Isotta Fraschini erstmals ein Rennen in Mugello fuhr, bevor er neun Jahre später seinen eigenen Rennstall, die Scuderia Ferrari, gründete.

Unsere Highlights

Kindergeburtstag mit Ferrari-Spielzeugen

7.59 Uhr, L‘Autodromo Internazionale del Mugello, das Haar sitzt, der maßgeschneiderte Rennoverall ebenfalls. Das strahlend weiße Lächeln könnte Models aus der Zahnpasta-Werbung arbeitslos machen. Kevin ist überglücklich. „Das ist jedes Mal wie ein Kindergeburtstag“, mehr bringt er nicht hinaus, während er in Schumis ehemaligen Arbeitsplatz klettert, um danach die unzähligen Knöpfe des F1-Lenkrades zu justieren wie ein kleiner Bub, der mit seinem ferngesteuerten Modellauto spielt. Für mehrere Wimpernschläge fehlen Kevin Weeda, rein optisch eine Mischung aus Steve McQueen, George Clooney und Michael Douglas, die Worte. Und das will etwas heißen: Obwohl wir in bella italia sind, wird es am Ende des Tages der smarte Kalifornier sein, der am meisten gescherzt, gelacht und geredet hat.

Kein McLaren, kein Red Bull und auch kein Mercedes GP - die Startaufstellung ist heute einseitig. F2007, F2004, F2002 und je zwei F2003-GA und F300 - sieben Ferrari-GP-Legenden der Jahrgänge 1998 bis 2007 stehen nochmal im Rampenlicht. Die Dompteure heißen nicht Schumacher, Barrichello oder Räikkönen, sondern Mazzara, Bukhtoyarov oder eben jener Kevin, der sich nach der ersten Sitzprobe hastig aus der Sitzschale schält: „Jungs, jetzt seid ihr dran.“

Schön, wenn man solche Freunde hat

Gemeint sind seine beiden auch in feuerfestem Rot gekleideten Kumpels, die ebenfalls mit kindlicher Freude im Gesicht um die Startnummer 1 herumpilgern, als ob sie nie live vor einem Rennwagen gestanden hätten. Und dass, obwohl sie im Feld der Hobby-Schumis die einzigen beiden Profirennfahrer sind. Ex-Champ Car-Vizemeister Adrián Fernández und sein Teamkollege Harold Primat, mit dem er 2011 im LMP1-Aston Martin beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans gestartet ist, haben F1-Besitzer Weeda beim Kartfahren kennengelernt. „Da hat der Kevin dann irgendwann den Hammer ausgepackt und gefragt, ob wir nicht mal Lust auf einen Formel 1 hätten. Schön, wenn man solche Freunde hat“, sagt Fernández lächelnd, während er mit seinem iPhone scheinbar das tausendste Bild fürs Privatalbum schießt.

50 GP-Ferraris in einer Halle

8:35 Uhr, Drivers Briefing: Der Testtag der Freizeit-Fahrer ist perfekt organisiert. Seit 2003 kümmert sich Ferrari mit der Abteilung F1 Clienti um Ferrari-Kunden, die ins Cockpit eines ausgemusterten Boliden der Königsklasse klettern wollen. Unter dem Dach der Corse Clienti erweist sich die F1-Sparte als bestens sprudelnde Einnahmequelle. Wer nur einen Hauch Neidgefühl in sich trägt, der sollte gar nicht weiterlesen. Alle anderen dürfen mit uns träumen und genießen. Ein kurzer Gedankensprung von Mugello ins 140 Kilometer entfernte Fiorano. In einer Hangar-ähnlichen Halle am Rande der Ferrari-Teststrecke parken rund 50 GP-Helden der Baujahre 1970 bis 2009 im Zentimeterabstand nebeneinander. Zwei Jahre nach der Pensionierung bleiben die F1 bei Ferrari in Quarantäne, um ja keine Technikvorsprünge womöglich über Dritte an die Konkurrenz zu verlieren. Erst danach stehen die WM-Renner zum Verkauf. Nur ein Drittel der Kundschaft nimmt das Traumauto dann mit in die eigene Garage.

Ferrari-Virus ist Voraussetzung

8.50 Uhr, die Fahrerbesprechung ist vorbei. Vergnügt pfeifend legt Kevin Helm, Hans und Rennhandschuhe auf den Seitenkasten seines Ferrari F2004, mit dem Michael Schumacher und Rubens Barrichello 15 von 18 Rennen 2004 gewannen. „Ich hatte schon mal einen F2002, bevor ich den 04er gekauft habe“, erzählt der 53-Jährige, der in den USA auch mit einem Radical SR8 Rennen fährt. Vor allem die roten Göttinnen von Michael Schumacher stehen hoch im Kurs. Zwischen 1,5 und fast drei Millionen Euro werden die Ex-Arbeitsgeräte des Rekordweltmeisters gehandelt. „Ein Barrichello-Auto oder ein ehemaliges T-Car sind deutlich günstiger“, verrät Antonello Coletta, Leiter von Ferrari Classiche und Corse Clienti.

Dass alle teilnehmenden Ferrari-Jünger hier finanziell tief entspannt sind, ist klar. Wer es auf welche Weise in die Forbes-Milliardärsliste geschafft hat, oder auch noch nicht, interessiert an diesem Tag überhaupt nicht. Einziges Tagesthema: Benzin im Blut. Ein Schatz auf dem Bankkonto reicht zudem auch nicht aus. Für Ferrari zählen nicht nur Dollarzeichen, sondern auch die Menschen dahinter. Die solventen Käufer müssen sich erst in Maranello vorstellen. Wer nicht wirklich mit dem Ferrari-Virus infiziert ist, fällt bei der Privataudienz durch. Strenge Regeln sorgen dafür, dass die rollende Formel 1-Historie im Detail erhalten bleibt. Umlackieren oder neu bekleben sind ein absolutes Tabu - lediglich die Namensschriftzüge der neuen Piloten dürfen den F1-Renner zieren.

Hobby-Racer sind Teil der Ferrari-Familie

Rund 30 Fahrer sind dauerhaft in der Clienti eingeschrieben und nehmen regelmäßig an den acht Veranstaltungen auf internationalen Rennpisten wie Suzuka, Laguna Seca, Spa-Francorchamps oder Silverstone teil. Anders als in der ehemaligen EuroBoss Series oder der aktuellen Boss GP-Meisterschaft für ausgediente F1-Boliden, treten die Clienti-Piloten nicht in Rennen gegeneinander an, sondern bewegen ihre Ferraris in mehreren 25-minütigen Trainings pro Veranstaltungstag. Für Lager-, Transport- und Supportkosten müssen die Hobby-Racer noch einmal den Gegenwert einer Formel 3-Saison von rund 300.000 Euro jährlich berappen. Doch dafür gibt’s nicht nur ein First-Class-Rundumpaket inklusive der Gefühlswelt, ein echter Formel 1-Profi zu sein. Die exklusiven Kunden behandelt der italienische Sportwagenhersteller als Teil der Ferrari-Familie. Regelmäßig schauen Alonso, Massa oder auch Montezemolo vorbei.

Profi-Mechaniker kümmern sich um die Hobby-Piloten

9.40 Uhr, typische F1-Vorstart-Melodie hallt durch die Boxen: Schlagschrauber rattern, Motorverkleidungen rasten klackend ein, Heizdecken werden von den Slicks gerissen. Wie fleißige Ameisen wuseln die Helfer in roter Werkstracht um die Monoposti. „Rund 35 bis 40 Mechaniker betreuen unsere Kunden“, erklärt Clienti-Leiter Coletta. Dass bei Ferrari nicht irgendwelche Mechaniker am Mythos Ferrari schrauben ist klar. Damit bei der F1 Clienti aber nicht irgendwelche Ferrari-Mechaniker an der sensiblen Formel 1-Technik schrauben, stammen 15 Crewmitglieder direkt aus der echten Formel 1-Mannschaft der Scuderia. „Die restlichen Mechaniker lernen bei uns, bevor sie ins richtige F1-Team aufsteigen“, beschreibt Coletta die Clienti-Strukturen.

Barrichello hält Rundenzeit-Rekord in Mugello

9.50 Uhr, die Boxenampel schaltet auf Grün: Feuer frei, im Vier-Sekunden-Takt rauscht das Scuderia-Geschwader mit gänsehauterregender Drehzahl-Symphonie aus der Pitlane. Vorneweg ein Ferrari F2003-GA mit der Chassisnummer 231. Es ist genau der Wagen, mit dem Michael Schumacher 2003 am Nürburgring nach einem Zweikampf mit Juan Pablo Montoya zunächst im Kies der Dunlop-Kehre steckenblieb. Nach bangen Minuten schoben vier Streckenposten den Weltmeister an, und er konnte sein Rennen fortsetzen - eine WM-entscheidende Szene, die dem Kerpener mit den sechsten Titel sicherte. Dass der Champion gerade nicht hinter dem Steuer des nur 600 Kilo schweren 900-PS-Projektils sitzt, lässt sich fast nur am Helmdesgin des neuen Besitzers erkennen.

Während einige Formel 1-Legenden unter der Grobmotorik ihrer Besitzer wie humpelnde Sprintläufer aus der Box stolpern, jagen andere furchtlos dem Grenzbereich entgegen. Ferrari-Testfahrer und F1 Clienti-Instruktor Marc Gené fasst die Leistungen seiner Schützlinge zusammen: „Einige umrunden den Kurs von Mugello in gemütlichen zwei Minuten, andere kratzen an der 1.27er-Marke.“ Zum Vergleich: Mit 1.18,704 Minuten brannte Rubens Barrichello 2004 die bis heute gültige Rekordrunde in den Asphalt von Mugello.

Hightech-Triebwerke werden geschont

Doch ein ernsthafter Zeitenvergleich fällt schwer. Während die Ferrari-V10-Aggregate der 2000er Jahre im echten F1-Leben bis rund 19.000 Touren drehen durften, reduziert die Clienti-Organisation die Maximaldrehzahl auf 17.000 Kurbelwellenrotationen, um die Hightech-Triebwerke zu schonen. Statt der von 1998 bis 2009 verwendeten Rillenreifen kommen profillose Slicks aus der GP2-Serie zum Einsatz. „Mit den GP2-Reifen sind die Autos etwas schneller als mit den damaligen Rillenreifen. Außerdem halten die Slicks aus der GP2 die Temperatur etwas besser, wenn die Fahrer mal etwas langsamer fahren“, erklärt Gené. Nicht alle Hobby-Fahrer schaffen es, die Temperatur der vorgeheizten Slicks zu halten.

„Der F2004 ist das kompletteste Auto mit viel Downforce. Dank elektronischer Traktionskontrolle können Fahrzeuge aus dieser Zeit auch von einem ambitionierten Amateur recht schnell bewegt werden“, erzählt Ferrari-Tester Gené, der mit den Teilzeit-Rennpiloten vorab in einem Fiat Doblo-Hochdachkombi die neuralgischen Streckenpunkte abfährt und bei der Datenanalyse sowie moderaten Abstimmungsarbeiten hilft. Bei frühen Renngeräten wie Bergers feuerspeiendem Turbomonster F1-87/88C steht die Amateur-Welt dann wieder vor ganz anderen Anforderungen. Doch die echten Feuerstühle der GP-Historie sind heute nicht am Start.

Der Kindergeburtstag kann weitergehen

12.40 Uhr, während sich einige Piloten nach den ersten Trainingssitzungen an einem der 19 Laptops in den Boxen über Querkräfte von 4,2 g in Arrabbiata 1, der Highspeed-Rechts nach Start-Ziel, freuen, herrscht im Lager von Kevin Ernüchterung. „Die Temperatur ist plötzlich hochgegangen“, erzählt Weeda mit ernster Miene. „Keine Panik, wir tauschen gerade den Kühler“, beruhigt Andrea Galletti, Technischer Leiter der F1 Clienti, und zwischen 1990 und 2002 ehemaliger Renningenieur von Ferrari-Helden wie Mansell, Alesi, Berger, Irvine, Barrichello und Schumacher. Und schon ist es wieder da, das sympathische Zahnpasta-Werbe-Lächeln des US-Sunnyboys Weeda: „Der Kindergeburtstag kann weitergehen.“ Neben Weeda kommen jetzt doch noch seine beiden Rennfahrer-Kumpels zu ihrem lang ersehnten Einsatz.

Reparaturkosten spielen bei F1-Rennwagen keine Rolle

Manch anderem wäre das Lächeln eingefroren, angesichts der Reparaturkosten im Wert einer durchschnittlichen Jahresmiete einer deutschen Großstadtwohnung. Doch ob für den Ferrari ein Kühler jetzt 10.000 Euro, ein Satz Bremsen 20.000 Euro und was ein F1-Herz mit wahlweise acht, zehn oder zwölf Zylindern im Schadensfall kostet, ist zweitrangig. Viel interessanter ist es, wie ein gestandener Profi wie Ex-Champ Car-Mann Adrián Fernández nach seinem F1-Debüt ergriffen aus der Kohlefaser-Rakete klettert: „Das erinnert mich an meine Champ Car-Zeit, aber die Bremsen sind viel unglaublicher - danke Kevin!“, sagt der Mexikaner mit glänzenden Augen und klopft seinem F1-Freund auf die Schulter.
„Egal ob Amateur oder Profi. In einem Formel 1 ist in den ersten fünf Runden immer ein Wow-Faktor mit an Bord“, bringt Marc Gené die Faszination Formel 1 abschließend auf den Punkt. Zu guter Letzt ein kleiner Hinweis in eigener Sache: Der Autor dieser Geschichte spielt seit dem F1 Clienti-Besuch regelmäßig Lotto.

Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten