sport auto-24h-Porsche 2012
Im Renn-Porsche auf der Autobahn zum Ring

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Mit einem Porsche-Rennwagen über die Autobahn zum Nürburgring fahren? Geht nicht? Geht doch. sport auto-Testredakteur Christian Gebhardt startet beim 24h-Rennen auf einem Porsche 911 GT3 Cup von Dörr Motorsport und fuhr das Renngerät auf Achse von Frankfurt zum Nürburgring.

24h-Rennen Nürburgring 2012, Porsche 911 GT3 Cup
Foto: Christian Gebhardt

Mittwochnacht, 3.12 Uhr, Frankfurt am Main: Er brüllt, er schreit und ist extrem bissig. Wie ein Raubtier zwischen einem Haufen zahmer Haustiere, streunt ein weißer Porsche 911 GT3 Cup mit martialischen Rennaufklebern über die Hanauer Landstraße. Zwischen Fast Food-Restaurants, Autohäusern und Co. fällt mitten im Großstadtdschungel von Frankfurt der Startschuss für unser 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring. Normalerweise ist der reinrassige Renn-Elfer mit Schalensitz, Überrollkäfig und Heckflügel im Biertheken-Format von einer Straßenzulassung so weit weg, wie die Eifel vom Grand Canyon. Doch dank Rotem Nummernschild darf der Cup-Porsche ausnahmsweise aus seinem Revier auf der Rennstrecke ausbrechen und Stadtluft schnuppern.

Unsere Highlights

Keine Stammtischwette, sondern zum Einfahren mit dem Rennauto auf die Autobahn

Kein Guiness-Weltrekord und auch keine verlorene Stammtischwette sind für den verrückten Ausflug verantwortlich: „Wir haben neue Antriebswellen und müssen diese unbedingt vor dem Rennen einfahren“, erklärt Renntechniker Uwe Retzbach, der nun mit einem VW Transporter samt Ersatzteilen dem Cup-Porsche vorrausfährt. Der Entschluss stand binnen Sekunden fest: 185 Kilometer liegen zwischen der Werkstatt von Dörr Motorsport in der Frankfurter Klassikstadt und dem Nürburgring. Eine ideale Einlaufdistanz. „Aber schön gleichmäßig rollen lassen, das ist wichtig“, bremste Simon Betscher, unser zweiter Renningenieur im Bunde, gleich lächelnd. Er kennt seinen Kutscher und das Gerät nur zu gut. Für die nächsten Stunden lautet das Motto nicht: Wir wollen Gas, wir wollen Spaß, sondern höchste Disziplin.

FIA-Gefühle gegen STVO-Regeln: 911 GT3 Cup im Frankfurter Großstadtdschungel

Auf geht’s durch die Stadt zur Autobahn: Rote Ampel, das Mercedes E-Klasse-Taxi neben mir steht ein gefühltes Stockwerk höher. Der Renn-Elfer kauert dicht über dem Asphalt. Zwischen Straße und Frontflügel passt nicht mal mehr eine Zigarettenschachtel. Während die Taxigäste drüben mit ihren Smartphones fleißig das Spektakel festhalten, unterbricht ein lautes Klacken die nächtliche Stille. Klack, mit der Sanftheit einer Abrissbirne rastet der erste Gang des sequenziellen Sechsgang-Renngetriebes ein. Mit bissiger Gasannahme spurt das Rennbiest zackig los. Langsam anfahren ist mit dem Cup-Porsche im Stadtverkehr fast nicht möglich, sonst bockt die Kiste wie ein aufgedrehtes Wildpferd, das in eine Einzimmerwohnung gesperrt wurde.

Kein Wunder, die Welt des Renn-Elfers spielt sich sonst in anderen Geschwindigkeitsstratosphären ab. Normalerweise schreit der Drehzahlheld auf der Rennstrecke fast permanent in Extase bei 8.500 Touren. In der Stadt muss aber auch der Porsche 911 GT3 Cup mit Pirelli-Rennstreifen bei Tempo 50 schleichen, sonst besteht akute Führerschein-Verlustgefahr. Fragen über Fragen gehen durch den Kopf: Welchen Gang nehme ich am besten bei diesem Bummeltempo? Bekommt die Rennkiste auch genügend Kühlung? Ein Kampf von FIA-Gefühlen gegen STVO-Regeln.

Lauter als ACDC Live-Konzert: Mit Ohrenschützern im Renn-Cockpit an der Ampel

Endlich auf die Autobahn: 80, 100, 120 km/h. Selbst im unteren Drehzahlbereich schreit der Rennwagen im Vergleich zu den 40-Tonnern auf der rechten Spur, als wenn ACDC in einem Seniorenheim plötzlich mit einem Live-Konzert loshämmern würde. Drinnen im leergeräumten Cup-Cockpit fräst der Elfer so laut, wie die Kreissägen von einem Stoßtrupp Baumfeller. Ohne Ohrenschützer und Helm gibt’s einen Tinitus für den Piloten frei Haus ohne Rezept.

Petrus hilft und würzt das einmalige Schauspiel mit einer mächtigen Portion Platzregen. Erster Check: Scheibenwischer und Lüftung funktionieren. Während die Sturzwerte jenseits von 3,5 Grad zwar für den Nahkampf auf der Nordschleife perfekt sind, schlägt der GT3 Cup bei Spurrillen auf der Autobahn Haken, wie ein Hase auf der Flucht vor dem Kochtopf. Für den Ritt auf der Straße mussten die Pirelli-Slicks ihren Platz räumen und ein Reifenhändler in der Hanauer Landstraße zog straßenzugelassene P Zero mit Profil auf die Felgen. „Ich hab ja schon viel Verrücktes hier gesehen, aber solche Reifen hatten wir hier noch nie. Ist von einem Formel 1, oder?“, hatte der Monteur beim örtlichen Reifenhändler ungläubig gefragt. Nein, viel emotionaler und spannender – das 24h-Rennen auf dem Nürburgring steht vor der Tür.

Schneefall am Nürburgring: Willkommen in der Eifel im Wonnemonat Mai

4.03 Uhr, Autobahntankstelle, Wiesbaden-Medenbach: Erster Boxenstopp auf der A3. Während Mechaniker und Pilot mehrere Dosen Energy-Drinks gegen die Müdigkeit vernichten, schlürft der Porsche 911 GT3 Cup genüsslich 45,64 Liter V-Power Racing Kraftstoff. Der Name des hochoktanigen Sprits scheint heute zwar mehr denn je Programm zu sein, eine Extrawurst in Sachen Kraftstoff nimmt sich aber auch das Rennauto nicht. Der 3,8 Liter-Sechszylinder-Boxer im Heck basiert auf dem Straßensportler Porsche 911 GT3 RS der Baureihe 997, wurde aber speziell für den Einsatz im Motorsport überarbeitet.

Weiter geht’s: Bad Camberg, Limburg, Montabaur. Es kitzelt im Gasfuß, doch Vollgas und Hochdrehzahl verhindern Einlaufprozedere sowie zwei Zentimeter Wasser auf dem Asphalt. Wasser, das auf der Landstraße Richtung Nürburgring, Adenau, Kempenich in Schneefall übergeht. 6.20 Uhr, willkommen am Nürburgring im Wonnemonat Mai: Der Porsche 911 GT3 Cup von Dörr Motorsport hat die Feuertaufe der ungewöhnlichen Art bestanden. Endlich, das 24-Stunden-Rennen 2012 kann kommen.

Weitere Informationen finden Sie im sport auto-Spezial zum 24h-Rennen auf dem Nürburgring.

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Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten