Swamp Buggy World Championships
Voll versumpft in Florida

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Sie haben schon alles im Motorsport gesehen? Sicher nicht! Die Sumpfrennwagen fahren in Florida ihre eigene Weltmeisterschaft aus. Motorsport kann herrlich absurd sein.

Swamp Buggy WC, KO-Runde
Foto: John Thawley

Krokodile haben keine natürlichen Feinde, das weiß jedes Kind. Auch dann nicht, wenn sie Alligatoren heißen, wie in Florida. Nur ein Meteoriteneinschlag könnte diese Archosauger hinwegraffen. Oder natürlich die Swamp Buggies, die Sumpfrennwagen aus Florida.

Wenn die sechs Meter langen Schlamm-Ungeheuer der V8-Pro-Modified-Klasse mit 900 PS die Wasserstraßen Floridas zerfurchen, besteht höchste Lebensgefahr für die Panzerechsen. Die schnell drehenden Vollgummireifen mit den martialischen Schaufeln hätten auch als Tötungs-Requisiten in Filmen wie Mad Max für Furore gesorgt.

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Swamp Buggies für den Motorsport

Doch primär geht es bei den Swamp Buggies um Motorsport. Swamp heißt Sumpf - das Wort „buggy” bedeutet übersetzt nichts anderes als fehlerhaft oder verrückt, womit wir uns pfeilschnell in die Realität vorarbeiten. Im Kfz-Jargon ist ein Buggy ein kleines, geländegängiges Automobil, doch das käme hier wohl eher einer krassen Verniedlichung gleich.

Zu Wasser, zu Lande und in der Luft

Swamp Buggies fahren irgendwie dreidimensional - zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Die Wettbewerbsfahrzeuge entstammen eindeutig dem, was wir Fahrzeug nennen. Aber sie fahren auf dem Wasser, ganz ähnlich wie ein Boot. Wenn die 900 PS schieben, verbringen die Swamp Buggies einen guten Teil der Zeit auch gerne weiter oben, an der frischen Luft. Und wenn mal was schiefgeht, fahren sie auch unter Wasser.
 
Solch theoretische Überlegungen werden beim Ortsbesuch in Naples, Florida, einfach weggespült: Bis zu 70 Sumpf-Buggies bestreiten dort bei drei Rennen im Januar, März und November die Budweiser Swamp Buggy World Championships. Der Amerikaner geht ja großzügig mit dem Wort Weltmeisterschaft um, denn Amerika ist die Welt - und ergo ist jede Meisterschaft eine Weltmeisterschaft.
 
Dieses Selbstverständnis bedingt auch, dass man sich mit anderen Weltmeisterschaften nicht zu messen pflegt. Auf die nahe liegende Frage, ob er sich denn wie der Michael Schumacher der Sumpf-Buggies fühle, antwortet WM-Pilot John Bungard ganz ehrlich: „Formula One, Michael Schumacher - never f****** heard about it!”

Tradition wird groß geschrieben

Gibt es neben der Tatsache, dass die Südstaatler in Florida gerne viel Büchsenbier trinken, eine weitere Einflussgröße, die half, diesen Sport zu ersinnen? Man mag es kaum glauben, aber ja: „Um die Swamp Buggies zu begreifen, muss man die Kultur Floridas kennen”, so Allan Barfield, Teambesitzer aus Clewiston, der zwei 900-PS-Pro-Modified-Buggies einsetzt.
 
„Der Südwesten von Florida besteht aus riesigen Sumpflandschaften. Schon unsere Vorfahren sind hier mit motorisierten Buggies zur Jagd gefahren.” Er toppt sein Everglade-Einmaleins mit der allgemein gültigen Feststellung: „Und wann immer Männer mit Autos spielen, streiten sie sich, wer das Schnellste hat.” Damit wäre die Herkunft geklärt, aber noch nicht die fortdauernde Herrlichkeit.
 
Denn die Naples Swamp Buggy Races gibt es seit 60 Jahren, sogar der Schauspieler Gary Cooper ist schon mitgefahren. Leider hat man vor mehreren Jahrzehnten einen lukrativen Fernsehvertrag mit ABC eingebüßt - doch ein Ende des Sumpf-Krawalls ist nicht in Sicht.

Familien-Dynastien beherrschen die Bestenlisten

Swamp Buggies haben Tradition, wie in anderen amerikanischen Sportarten führen Familien-Dynastien die Bestenlisten an: Die Chessers, Thorntons und Walsh bestimmen das Geschehen, Väter, Söhne und - man mag es kaum glauben - auch Töchter. 2008 siegte Amy Chesser als erstes Mädel beim Feature Race. Ihr Bruder, Eddie Chesser, holte neun WM-Titel, ihr Vater Leonard schaffte 24 Siege in 30 Jahren und gilt als Gottvater des Swamp-Buggy-Sports. Da fragt man sich wirklich: „Who the f*** is Michael Schumacher?”

Der Spuk begann in den 30er Jahren, als sich Männer der Region vor der Jagdsaison zum „Technikworkshop” trafen, um ihre Jagd-Wagen zu tunen. Es wurde getüftelt, geschraubt, zur Probe auf Holzkrokodile geschossen und gallonenweise getrunken, bevorzugt Selbst-Gebrautes. Schnell brachte man es zu lokaler Berühmtheit: Beim ersten Rennen am 12. November 1949 waren alle Läden in Naples geschlossen, es war ein Feiertag, und man arrangierte eine eigene Parade. Der Siegerpreis: eine Schrotflinte.

Bei Swamp Buggies zählt die Leistung

Die kuriose Optik der Swamp Buggies ist eine Ableitung aus den alten Jagdwagen der Sumpfbewohner. Sie haben sich vom Urbild etwa so weit entfernt wie die Formel 1 vom Straßenauto. Gar nicht veraltet ist die Technik. Wer durchs Fahrerlager schlendert, stellt fest: Es sind Autos. Sie haben ein Lenkrad, sie haben ein Gaspedal. Aber kein Bremspedal, denn Geschwindigkeitsreduzierung wird vollumfänglich durch das Schließen der Drosselklappen erzielt.
 
Auch Federn und Dämpfer erkennt der erfahrene Automobilist an den 1.500-Kilo-Rössern. Vortrieb wird durch schnöde Reifen erreicht, doch die haben es in sich: 1,88 Meter Umfang messen die angetriebenen, 12 Zentimeter breiten Gummiwürste, die gespickt sind mit großen Schaufeln, um die Urgewalt der V8-Motoren in meterhohe Wasserfontänen und Vortrieb umsetzen.
 
Dass Swamp-Buggy-Racing keine Trendsportart ist, zeigt sich daran, dass die Reifen nicht mehr produziert werden, was einer weiteren Expansion des Sports minimal im Wege steht. Denn nun kaufen die Teilnehmer weltweit alle noch existierenden Reifen auf, sogar in China. Zwar ist der Verschleiß vernachlässigbar, was mit dem geringen Reibwert von Wasser zu tun hat, jedoch hält der Gummi nur drei Jahre, bevor er so hart wird, dass man ihn in die Tonne klopfen kann.

Auch der Sumpfrennwagensport kennt technische Innovation. Vergleichbar der Erfindung des Abtriebs in der Formel 1 startete Leonard Chesser mit der Einführung von Gleitschaufeln an der Vorderachse, den sogenannten Skiern, eine neue Zeitrechnung: Die Schaufeln sind direkt mit der Lenkung verbunden, erhöhen den Auftrieb und die Gleitfähigkeit an der Vorderachse einerseits und die Manövrierfähigkeit andererseits. Wie im restlichen Motorsport ist Untersteuern die größte Pein für Swamp-Buggy-Piloten.
 
Hier jedoch ist die Kurve an sich ein Feind der Fortbewegung, was bei einer Fahrzeuglänge von sechs Metern im Verbund mit Acht-Liter-Motoren rein physikalisch kaum verwundern kann. Was zählt im Sumpf des Motorsports sind Motorleistung, das Feintuning von Skiern und Vorderachsgeometrie sowie die Reifen.

Ein simpler Jeep taugt als Swamp Buggy

Man muss nicht unbedingt mit Kanonen auf Spatzen schießen: Auch ein simpler Jeep taugt als Swamp Buggy, doch so wird man nie berühmt. Man darf auch mit wassergekühlten Motoren antreten, aber der Käfer ist lange tot und alte Porsche-Motoren sind verpönt, seit vor 20 Jahren die schwäbischen Kraftwerke sämtliche Gegner ungespitzt in den Sumpf rammten. Woraufhin nicht nur die Motoren verschwanden, sondern der Legende nach auch der Pilot gleich mit ...
 
Allradantrieb ist erlaubt, sogar Sechszylinder und Vierzylinder - der Beitrag Floridas zum Downsizing. Die Musik spielt in den V8-Kategorien, besonders in der Pro-Modified-Klasse, wo ausrangierte NASCAR-Triebwerke die Gehörmuscheln der bierseligen, grillfesten Zuschauer malträtieren. Auch für die gibt es festgelegte Spielregeln: Gotteslästerung ist ebenso verboten wie Waffen oder sexistische Sprüche.
 
Andererseits gibt es die Institution der Swamp Buggy Queen - eine holde Maid, die nach Rennende ins Schlammbecken getunkt wird. Sozusagen der Wet-T-Shirt-Contest der Buggy-Community - bigottes Amerika! Andererseits fließen alle Erlöse des Sports seit Menschengedenken in einen Wohltätigkeitsfond - braves Amerika!
 
Ansonsten ist bei den Swamp Buggies alles so wie im restlichen Motorsport auch: Der Schnellste gewinnt. Und auch die Krokodile durften aufatmen, seit die Rednecks dazu übergingen, künstliche Rundkurse auszugraben und zu bewässern. So hatten die Aligatoren keine unnatürlichen Feinde mehr.

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Erscheinungsdatum 04.02.2022

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