Tourenwagen-WM
Einsame Spitze

Inhalt von

Neue Autos, neue Hersteller, neue Regeln - die TW-WM hat sich neu erfunden. Doch jetzt dominiert Citroën brutal, die Action auf der Strecke hat nachgelassen. Warum?

WTCC 2014, Slowakei, Siegerehrung, Sebastien Loeb
Foto: xpb

Fünf Siege und zwölf Podestplätze nach drei WM-Veranstaltungen und sechs Rennen – Citroën hat als neuer Machthaber im Tourenwagensport gleich mal auf dem Thron Platz genommen. Eine bis eineinhalb Sekunden pro Runde schenken die weiß-grauen französischen Werkswagen den TC1-Gegnern von Honda, Lada und Chevrolet in den Rennen ein – Spannung sieht gewiss anders aus.

Dazu ist das Feld auf unter 20 Fahrzeuge geschrumpft, die alte Privatfahrerklasse – einst Garant hoher Starterzahlen – ist auf drei steinalte Seat und BMW zusammengeschmolzen, denen auf die Topzeiten von Citroën übrigens schlanke sechs Sekunden pro Runde fehlen.

Unsere Highlights

Schon diese oberflächliche Bestandsaufnahme bietet Grund zur Sorge, doch die Tourenwagen-WM hat noch weitere Probleme. Die Einführung der neuen TC1-Klasse scheint auch den Action-Gehalt auf der Rennstrecke zu verändern, besser: zu reduzieren. Denn die neuen Wagen, die optisch mit breiteren Rädern, größeren Bremsen, ausgestellten Kotflügeln, Frontsplitter, großem Heckflügel und einem Power-Anstieg auf 380 PS daherkommen, biegen zwar deutlich maskuliner ums Eck, aber sie sind aufgrund des gestiegenen Abtriebsniveaus auch aerodynamisch anfälliger. Sobald die Piloten zu dicht auf den Vordermann auffahren, verlieren sie erst Abtrieb und wenig später offenbar auch Reifenhaftung an der Vorderachse.

Vor genau diesen Trends hatten Experten gewarnt, denn das Alleinstellungsmerkmal der Tourenwagen-WM bestand in der Vergangenheit darin, dass die knackig-kurzen Renndistanzen von beinharten und wilden Überholmanövern geprägt waren. Im WM-Fahrerlager grassiert die Befürchtung, dass die Rennen zu langweiligen Prozessionen verkommen könnten. Wo also steht die Tourenwagen-WM nach drei Veranstaltungen?

Die Dominanz von Citroën

Die Franzosen hatten die Macher der TWWM gehörig unter Druck gesetzt: Ja, man würde gerne mit dem C-Elysée in die WM einsteigen, sogar mit dem neunfachen Rallye- Weltmeister Sébastien Loeb als Zugpferd, aber im Gegenzug müsse die WM die Einführung des neuen TC1-Reglements von 2015 auf 2014 vorziehen. Honda und Lada stimmten zu, obwohl sie eben erst neue Rennwagen homologiert hatten, nur um zwölf Monate später schon wieder ein Redesign auf Kiel zu legen.

Das britische RML-Team sprang in letzter Sekunde auf den Zug auf und modelte mit Zustimmung von Chevrolet das bewährte Cruze-Modell auf den neuen Stand um. Der Gewinner beim Timing war Citroën – denn dort wurde in den letzten 18 Monaten nur am TC1-Auto gewerkelt, im November 2013 begann die Testarbeit auf der Rennstrecke.
Citroën präsentierte sich beim Saisonauftakt in Marrakesch bestens sortiert, während die Gegner ihre Fahrzeuge teilweise erst an der Rennstrecke auf den letzten Drücker fertigstellen konnten. Da die ersten vier WM-Rennen binnen fünf Wochen stattfinden, was den Gegnern kaum Zeit für Weiterentwicklung bietet, steht zu erwarten, dass Citroën bereits nach dem ersten Saisondrittel punktemäßig weit enteilt sein dürfte.

Zwar arbeiten Honda, Lada und Chevrolet mit Hochdruck an Performance-Updates, um die Lücke zu Citroën zu schließen, aber die Verbesserungen kommen erst nach dem Rennen in Spa Ende Juni an die Autos – zu spät, um den Citroën-Durchmarsch noch zu stoppen. Chevrolet und Lada kamen fast ohne Testvorbereitung nach Marrakesch, Honda hinkte dem Entwicklungsprogramm so stark hinterher, dass man noch in Marrakesch an Details der neuen Servolenkung tüftelte.

"Wir sind mit allem massiv hintendran", bekennt Lada-Werkspilot Rob Huff. "Citroën hat angeblich über 10.000 Testkilometer mit 2.000 Reifen abgespult, auch Honda testet schon seit einiger Zeit. Wir dagegen haben null Anhaltspunkte beim Set-up, wir kamen komplett blind nach Marrakesch und haben das Auto eigentlich erst dort kennengelernt."

Das nächste Problem: Die neue Fahrzeuggeneration ist deutlich teurer geworden. Während die alten WM-Autos im Bereich von 250.000 Euro gehandelt wurden, ruft RML für den Cruze TC1 450.000 Euro auf. Das treibt auch die Ersatzteilkosten für die in den harten WM-Zweikämpfen hoch beanspruchten Bauteile wie Stoßstangen, Radhäuser oder Seitenschürzen nach oben.

Weniger Überholmanöver?

Die höheren Fahrzeugkosten verändern auch den Sport auf der Strecke, denn einige Piloten glauben, dass man in Zukunft eher mal zurücksteckt, bevor man sein Auto bei einem Überholmanöver mutwillig beschädigt. "Ich mache mir schon Sorgen, dass die Zweikampfhärte in der WM nachlassen könnte", so Honda-Werkspilot Gabriele Tarquini, der beim zweiten Lauf in Le Castellet sein 200. WM-Rennen bestritt. "Einerseits sind die Ersatzteile teurer, andererseits hat die Aero-Empfindlichkeit deutlich zugenommen."

"Wenn man den Gegnern nicht mehr dicht folgen kann, weil man Abtrieb verliert, wird die Zahl der Überholmanöver abnehmen. Um aber hier eine endgültige Einschätzung treffen zu können, sollte man fünf oder sechs Rennen abwarten." Rob Huff stimmt zu: "Der Einfluss der Aerodynamik hat massiv zugenommen. Wir können jetzt dank des höheren Abtriebs später bremsen, aber im Windschatten des Vordermanns verliert man spürbar Abtrieb. Die neuen Autos rollen weniger stark und sind steifer, die Federhärten sind deutlich angestiegen, gleichzeitig haben wir alle den Radsturz reduziert. Die Autos fühlen sich insgesamt eher wie kleine GT3-Rennwagen an."

Der neue WM-Chef FranCois Ribeiro lässt keinen Zweifel daran, dass, wenn die Spannung und die Show auf der Rennstrecke durch das neue Reglement leiden sollten, unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden: "Bei einem solchen Szenario müssten sich FIA und Hersteller ganz schnell an einen Tisch setzen, um eine konstruktive, umsetzbare Lösung zu entwickeln. Im Zentrum der Aufgabe steht, dass wir unseren Fans eine gute Show bieten."

Steigende WM-Budgets

Citroën verschiebt mit dem Einstieg die Budget-Obergrenze für WM-Werksteams. Bisher markierte Honda mit einem mittleren einstelligen Millionenbetrag die Spitze – das Budget von Citroën liegt angeblich im Bereich des Doppelten. "Citroën ist der erste Hersteller, der in der TW-WM auf diesem extrem hohen Niveau agiert", sagt Ex-Champion Tarquini.

"Ich kann im Moment nicht erkennen", so Taquini weiter, "dass ein anderer Hersteller mit einem ähnlichen Commitment dagegenhalten wird, aber das Szenario ist riskant, denn so ein starker Hersteller wie Citroën könnte die Meisterschaft zerstören – oder er hilft, sie auf das nächsthöhere Niveau zu bringen. In den letzten Jahren hat die Balance in der WM halbwegs gepasst, die Bedeutung der Werke war leicht gesunken, jetzt steigt sie wieder extrem rasant an."

FranÇois Ribeiro, der Nachfolger von Marcello Lotti im WM-Chefsessel, stellt die positiven Elemente in den Vordergrund: "Wir haben festgestellt, dass Hersteller Interesse an der WM zeigen, die sich bisher nicht für den Tourenwagensport interessierten, was wir als positives Zeichen werten. Ob das letztlich dazu führt, dass weitere Werke in die WM einsteigen werden, ist aber eine andere Frage."

Die schon früher diskutierte Ergänzung des Reglements um Hybridtechnik, die die Kosten des Sports weiter nach oben treiben könnte, lehnt Ribeiro mittlerweile offen ab: "Wir sind Tourenwagensport, und kein Technologie-Schaufenster. Kosteneffizienz ist Teil unserer DNA, und im Vergleich zum Return of Investment in der Sportwagen-WM oder der Rallye-WM sind wir gut aufgestellt. Wir promoten Rennwagen, die eine direkte Verbindung zur Straßentechnologie aufweisen und einen hohen Unterhaltungswert für TV-Zuschauer und für die Fans vor Ort bieten – und diesen Weg wollen wir weitergehen."

Die Hybrid-Frage

FIA-Präsident Jean Todt, der den Saisonauftakt in Marrakesch besuchte, plädiert jedoch weiter für die Integration von Hybrid-Technologien, offenbar auch in der Tourenwagen- WM: "Auf dem Genfer Auto-Salon im März haben alle großen Hersteller ihre Zukunftstechnologien ins Schaufenster gestellt, also Hybrid- oder Elektro- und Wasserstoffantrieb, dazu das Downsizing bei den Motoren. Meiner Meinung nach muss der Motorsport eine konkrete Verbindung zu diesen Technologien herstellen."

"Es gibt sehr unterschiedliche Formen des Motorsports, vom Rundstreckensport über den Rallye-Sport bis hin zum historischen Motorsport", so Todt, "und man muss genau abwägen, welche Technologien man wo einsetzt. Aber für mich ist die Krux, dass Motorsport mit aktueller Technologie stattfindet."

Todts Äußerungen machen klar, dass hier offenbar ein Dissens vorliegt: Während die WM-Macher bestrebt sind, die durch die Einführung des neuen Reglements ohnehin schon galoppierenden Kosten wieder einzudämmen oder zumindest nicht weiter steigen zu lassen, pocht Jean Todt auf die schnelle Einführung relevanter Zukunftstechnologien – hier lauert das nächste große Konfliktpotenzial für die Tourenwagen-Weltmeisterschaft.

Ist Kundensport passé?

Die Idee des Ex-WM-Bosses Marcello Lotti, eine kostengünstigere Klasse für die Privatfahrer auf der Basis von Kundensportrennwagen beispielsweise der Hersteller BMW und Mercedes einzuführen, wird aktuell gar nicht mehr diskutiert, womit langfristig ein Problem bei den Starterzahlen vorprogrammiert zu sein scheint. "Es ist unser Bestreben, dass 2015 nur noch die aktuellen TC1-Rennwagen am Start stehen", so der neue WM-Chef FranÇois Ribeiro. Ob sich aber die Privatfahrer, die bisher das Stützkorsett des WM-Starterfelds bildeten, die gebrauchten TC1-Jahreswagen überhaupt leisten können, steht auf einem völlig anderen Blatt.

Das alte und nun abgelöste Super2000-Reglement konnte zumindest zeitweise für sich in Anspruch nehmen, eine globale und relativ kostengünstige Plattform für nationale Tourenwagenserien zu bilden. Auch dieser Ansatz ist mittlerweile zerbröselt, ein Neuaufbau in diese Richtung wird prinzipiell angestrebt, ist aber weit von einer konkreten Realisierung entfernt.

"2014 wird ein schwieriges Übergangsjahr für die Tourenwagen-WM", das sagt sogar der neue WM-Boss Ribeiro. Vor wenigen Jahren galten drei Werksteams und eine illustre Schar von Privatfahrern als Garanten für den Erfolg. Offenbar erkennen nun auch die Macher, dass der Neubeginn in der Saison 2014 nicht nur Chancen birgt – sondern auch Risiken.

Die Zukunft der Zukunft

Die Tourenwagen-WM hat mit dem Reglementswechsel für 2014 zwar spektakulärere Autos bekommen, aber zwei Defizite bleiben: Die Privatfahrer können sich die neuen TC1-Wagen weder in der Anschaffung noch im Unterhalt dauerhaft leisten, wie das stark geschrumpfte Teilnehmerfeld deutlich macht. Und zweitens ist der globale Ansatz des alten Super2000-Reglements den Bach hinuntergegangen: Die nationalen Tourenwagen-Serien stricken sich mittlerweile ihre eigenen Reglements, womit gleichzeitig der Business Case für jede Form von Kundensport entfällt.

Alan Gow, Promoter der Britischen TW-Meisterschaft und Chef der FIA-TW-Kommission, stellt fest: "Die neuen TC1-WM-Wagen sind für die nationalen Meisterschaften einfach viel zu teuer." Gow hat daher von Jean Todt den Arbeitsauftrag erhalten, aus FIA-Sicht ein oder zwei zusätzliche TW-Reglements zu erarbeiten, die in den nationalen Meisterschaften und eventuell auch als Nachwuchsserie im Rahmenprogramm der TW-WM zum Einsatz kommen könnten. "Wir wollen den Promotern der nationalen Meisterschaften rund um den Globus weitere Optionen anbieten. Ob sie diese Angebote annehmen oder nicht, bleibt aber letztlich ihnen überlassen. Die Vorstellung ist ja ein wenig naiv, dass ein Reglement für alle Regionen und Kontinente auf der Welt passen könnte." Gow gibt zu, dass die Arbeit an diesen Entwürfen noch nicht einmal angefangen hat: "Wir haben überhaupt erst kürzlich mit einer Grobplanung begonnen."

Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten