Toyotas Hypercar für Le Mans
Die Technik-Details des GR010 Hybrid

Toyota hat am Freitag in Japan das neue Hypercar GR010 Hybrid für die Sportwagen-WM vorgestellt. Wir haben die technischen Details zusammengetragen – und zeigen den Le Mans-Rennwagen aus allen Perspektiven.

Toyota GR010 Hybrid - Hypercar - Rennwagen - WEC - Sportwagen-WM
Foto: Toyota

Die LMP1-Hybrid-Epoche ist vorüber. In der Sportwagen-WM debütieren die Hypercar-Nachfolger. Dazu kommen 2023 noch die LMDh-Autos aus Amerika. Toyota zeigte am Freitag (15.1.2021) in Japan als erster Hersteller sein neues Hypercar, von dem es auch ein Straßenpendant gleichen Namens geben wird.

Der japanische Autobauer wird mit diesem Auto mindestens bis 2025 in der Sportwagen-WM und in Le Mans an den Start gehen, vermutlich sogar noch länger. Toyota-Boss Akio Toyoda hat ein großes Herz für den Motorsport: Toyota ist die einzige Marke weltweit, die werksseitig in zwei Weltmeisterschaften antritt – da kann man als Fan nur kräftig applaudieren.

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Der neue Le Mans-Flitzer von Toyota ist länger, breiter, schwerer und weniger leistungsstark als der erfolgreiche Vorgänger TS050 Hybrid. Das klingt zunächst nach Rückschritt, ist aber dem neuen Reglement geschuldet, bei dem die Reduzierung der Entwicklungs- und Einsatzkosten eine zentrale Rolle spielte.

Abrüstung als Zielvorgabe

Das spürt man an allen Ecken: Der neue Toyota darf zum Beispiel nur noch maximal 500 kW (680 PS) Systemleistung (Motor und Hybrid) an die Räder bringen – das sind 33 Prozent weniger Leistung im Vergleich zum Vorgänger. Zusammen mit dem höheren Gewicht werden die Rundenzeiten in Le Mans um circa 10 Sekunden ansteigen. Für die Hypercars ist nur noch ein Rekuperationssystem erlaubt, der GR010 nutzt nur noch die kinetische Energierückgewinnung an den vorderen Bremsen.

Die hydraulische Verbindung der beiden Fahrzeugachsen (FRIC-System) zum Ausgleich von Wank- und Nickbewegungen ist mittlerweile ebenfalls verboten. Das neue Hypercar-Reglement sorgt also für zahlreiche Abrüstungsmaßnahmen, aber auch für Verwirrung: Mittlerweile sind Prototypen mit und ohne Hybrid ebenso wie modifizierte Straßenfahrzeuge mit und ohne Hybrid zugelassen, dazu kommen als fünfte Kategorie 2023 noch die LMDh-Wagen aus Amerika. Die neue Königsklasse des Langstreckensports ist also ein ziemliches Sammelsurium.

Um die unterschiedlichen Fahrzeugkonzeptionen gleichberechtigt gegeneinander fahren lassen zu können, ist ein BoP-System (Balance of Performance) unausweichlich. Die BoP dient auch dazu, Weiterentwicklungen durch die Hersteller zu unterbinden. In Zukunft ist nur noch ein Technik-Update im Rahmen der auf fünf Jahre ausgelegten Fahrzeughomologation erlaubt – das soll ebenfalls Kosten sparen.

Gewicht und Leichtbau sind bekanntlich ein weiterer großer Kostentreiber im Topmotorsport, folglich zieht das Reglement hier harte Grenzen ein: Für die großen Baugruppen Monocoque, Getriebe und Motor sind Grenzwerte bei Gewicht und bei der Schwerpunktlage vordefiniert. Auch die Aerodynamik muss aus Kostengründen Federn lassen: Ab 2021 ist nur noch ein Aero-Paket für alle Rennstrecken zugelassen.

Toyota GR010 Hybrid - Hypercar - Rennwagen - WEC - Sportwagen-WM
Toyota
Das Hypercar kommt mit V6-Turbo und Hybridsystem auf eine Systemleistung von 680 PS.

V6-Biturbo mit 3,5 Litern

Auf der Antriebsseite hat Toyota hubraummäßig allerdings sogar aufgestockt: Es bleibt zwar beim V6-Biturbomotor, doch der Hubraum stieg im Vergleich zum Vorgänger von 2,4 auf 3,5 Liter an. Aus mehreren Gründen: Der neue Motor muss mehr Kilometer pro Revision schaffen, dazu stiegen die Rahmendaten bei Gewicht und Schwerpunkt. Außerdem muss sich der Antrieb des Rennwagens technisch im Einklang mit dem entsprechenden Hypercar-Straßensportler von Toyota befinden.

Die Systemleistung aus Motor und Hybrid darf 500 kW nicht überschreiten, die maximale Leistung des Hybridsystems ist auf 200 kW limitiert. Im Vergleich zur alten LMP1 muss der Verbrennungsmotor also mehr Power liefern – noch ein Grund für die Hubraumerhöhung.

"Im Prinzip hat sich beim neuen Regelwerk der Fokus vom Hybridsystem wieder zum Verbrennungsmotor verschoben", erklärt Toyota-Technikchef Pascal Vasselon. "Der Motor muss nun über weite Strecken die maximalen 680 PS abliefern, dazu muss er mehr Laufleistung schaffen. So war es logisch, die Reserven über den Hubraum zu erhöhen, zumal wir an dieser Stelle auch mehr Gewichtsspielraum hatten."

Andere Motorenkonzepte standen laut Vasselon nicht zur Debatte. Zwar ist der Radstand nun etwas länger, dafür wanderte das Cockpit gleichzeitig weiter nach hinten. Weil die Batterien jetzt hinter dem Fahrer platziert sind, gab es keinen Spielraum für einen noch größeren Motor.

Die größte Herausforderung bei den neuen Hypercars besteht darin, die erlaubte Obergrenze von 500 kW einzuhalten, die von der FIA über die Daten der Drehmomentsensoren an den vier Antriebswellen kontrolliert wird. Die Kunst besteht darin, die Hybridpower einzusetzen und parallel die Motorleistung zurückzufahren, ohne die erwähnten Limits zu überschreiten.

Die Hypercars boosten ihre Hybridleistung an der Vorderachse, jedoch im Trockenen erst ab 120 km/h, um für die ebenfalls erlaubten Hecktriebler keinen zu großen Nachteil zu kreieren. Im Nassen soll der Grenzwert bei 140 km/h liegen.

Toyota GR010 Hybrid (2021) - Rennwagen
Toyota
Das Hypercar ist langsamer, leistungsschwächer und schwerer als der TS050 Hybrid. Die Regeln verlangen es so.

Freiheit bei Boost-Strategie

"In der alten LMP1-Klasse kam der Boost vom Hybridsystem simpel gesagt einfach obendrauf zur Motorleistung", erklärt Vasselon. "Das ist beim neuen Reglement völlig anders. Man muss den Hybridanteil hoch- und parallel die Motorleistung zurückfahren. Wenn wir den maximalen Hybridboost von 200 kW ausschöpfen, darf der Verbrenner nur noch 300 kW abgeben."

Auch das Hybridsystem hat sich im Vergleich zum Vorgängermodell wegen der reduzierten Boostleistung und dem Fokus auf nur noch eine Rekuperationsquelle (MGU-K) deutlich verändert. "In der LMP1 mussten die Batterien viel mehr Leistung aufnehmen und abgeben. Die Größe der Batterie bemisst sich dabei an der Energieaufnahme bei der Rekuperation, aber auch die hat sich beim neuen Reglement stark reduziert", so Vasselon. "Früher haben wir phasenweise 500 bis 600 kW Energie aufgenommen – das gibt es jetzt nicht mehr."

Trotzdem bereiten die neuen Hybridbestimmungen den Ingenieuren viel Freude, denn es gibt kaum Fesseln bei der Boost-Strategie. "Wir können theoretisch die ganze elektrische Leistung von 200 kW auf einen Schlag boosten, aber natürlich erst oberhalb von 120 km/h und für maximal fünf Sekunden. Oder wir speisen sie über eine Runde hinweg kontinuierlich an verschiedenen Wegpunkten ein, je nachdem, wie man die Rundenzeit optimieren will", sagt Vasselon.

GR010 wiegt 1.040 Kilo

Eine Möglichkeit, beim Limit von 500 kW zu schummeln, gibt es laut Vasselon nicht: "Ich wüsste nicht, wie das gehen sollte. Wir haben Drehmoment-Sensoren rundum und Telemetrie in Echtzeit, das System kann man nicht austricksen. Mehr Leistung könnte man auch über Sektorzeiten oder die Beschleunigung nachweisen. Das BoP-System wird bei den unterschiedlichen Fahrzeugkonzepten zum einen mit Voraussagen operieren, zum anderen auf die gezeigte Performance reagieren – dieser Zweischritt sollte nach unserer Einschätzung auch funktionieren."

Das neue Hypercar-Reglement hat auch beim Chassis die Uhren auf null gestellt, so musste Toyota erstmals seit 2016 ein komplett neues Monocoque entwerfen. Und in der Rückkoppelung spielte natürlich auch die Entwicklung des Hypercar-Straßenautos bei der Homologation eine wichtige Nebenrolle.

Das Chassis trägt den ver- änderten Rahmenbedingungen Rechnung, das Gesamtgewicht des neuen Fahrzeuges liegt mit 1.040 Kilo 162 Kilo über dem des Vorgängerautos TS050 Hybrid. 162 Kilo? "Zuerst ist mal das Getriebe deutlich schwerer als bisher, denn da gibt es Vorgaben beim Mindestgewicht und beim Schwerpunkt", sagt der GR010-Projektleiter John Litjens. "Dazu gibt es ähnliche Vorgaben beim Monocoque sowie beim Motor. Der restliche Gewichtszuwachs resultiert aus Maßnahmen für die Verbesserung der Zuverlässigkeit sowie der Standfestigkeit im Falle von Unfällen. Dazu haben wir die regulären Lastziele für die einzelnen Baugruppen über neue Sicherheitsmargen im Vergleich zum Vorgänger noch einmal deutlich erhöht."

Toyota GR010 Hybrid (2021) - Rennwagen
Toyota
Vom Rennwagen wird auch ein Ableger für die Straße kommen.

Aero-Trimmung im Heck

Deutlich mehr Freiheiten hatten die Ingenieure bei der Gestaltung der Aerodynamik, wenn man davon absieht, dass die Fahrzeuge die Vorgaben bei den sogenannten Performance-Fenstern einhalten müssen. "Die Freiheitsgrade waren hier sehr hoch", hält Litjens fest. "Und die Vorgaben wie Abtrieb versus Luftwiderstand sind relativ einfach zu erfüllen. Das gab uns die Freiheit, das Design des Rennautos eng mit dem des Hypercar-Straßenautos zu verzahnen."

Ein zentraler Fokus bestand darin, den vom Reglement bestimmten freien Raum zwischen dem Frontsplitter und der Bodenplatte des Monocoques nicht mit Fahrwerksteilen, Antriebswellen oder Baugruppen des vorne sitzenden E-Motors zu verbauen, um einen sauberen Luftstrom zu gewährleisten.

"Die Position der Aufhängungspunkte und der Antriebswellen ergibt sich konzeptbedingt aus der Option, einen Allradantrieb für die Hybridleistung zu nutzen", erklärt Litjens. Beim Thema Platz und Packaging spielen auch die Drehmomentsensoren eine Rolle, die nicht eben klein ausfallen und dazu frei zugänglich sein müssen.

Verstellbarer Heckflügel am Toyota

Das neue Regelwerk reduziert die Anzahl der Bodykit-Bauteile, dazu darf pro Fahrzeug nur ein verstellbares aerodynamisches Bauteil verwendet werden, um die Aero-Balance zu trimmen. Die Hersteller haben die Wahl zwischen Flaps am hinteren Ende des Frontdiffusors oder einem verstellbaren Heckflügel – Toyota entschied sich relativ spät für den verstellbaren Heckflügel.

Laut John Litjens gab die Konstanz den Ausschlag: "Das größte Problem in allen Prototypenklassen ist die Konstanz der aerodynamischen Wirkung. Die Funktion von Flaps, Winglets oder Turning Vanes wird im Rennbetrieb maßgeblich von Verschmutzungen über den Reifenabrieb negativ beeinflusst, weshalb das Abtriebsniveau im Rennverlauf oft deutlich absinkt. Daher haben wir uns gegen einstellbare Flaps am Frontdiffusor entschieden. Wir trimmen die Aero-Balance zwischen vorne und hinten also über den Heckflügel."

Wie auf den Bildern deutlich zu erkennen, blieb Toyota dem Konzept der hohen Frontnase treu, um viel saubere Luft um das zentrale Monocoque herumströmen zu lassen, was die virtuelle Stirnfläche reduziert. Diese Luft füttert auch die seitlich verbauten Kühler, das hintere Monocoque verjüngt sich in der heute üblichen Colaflaschen-Form.

Pascal Vasselon - Toyota
Toyota
"Der Fokus hat sich beim Reglement vom Hybridsystem wieder stärker zum Verbrennungsmotor verschoben – deshalb haben wir den Hubraum erhöht."(Technikchef Pascal Vasselon)

Viel Luft für viel Kühlung

Litjens erklärt: "Wir führen keine Luft direkt durch das Auto hindurch, im Sinne einer Durchströmung. Aber wir leiten viel Luft links und rechts eng anliegend am Monocoque vorbei, in Richtung der Colaflaschen-Verjüngung am Heck und des Unterbodens." Das erklärt dann auch den ultragroßen offenen Schlund am Fahrzeugheck des GR010.

Eine neue Herausforderung besteht 2021 darin, das Auto mit einem einzigen Aero-Kit an unterschiedliche Temperaturbedingungen anzupassen. Bei kalten Temperaturen dürfen Zuluftführungen wie für die Bremsen abgedeckt werden – das ist die einzige erlaubte Veränderung am Bodywork. Das andere Extrem, also große Hitze, muss mit den vorhandenen Luftöffnungen abgebildet werden – auch das erklärt die hohe Nase mit dem großen Lufteinlass an der Front.

Weitere Auffälligkeiten: Der Lufteinlass für den Motor setzt deutlich weiter hinten an als bisher. "In der LMP1-Klasse war vom Reglement vorgeschrieben, dass der Lufteinlass für den Motor wenige Millimeter hinter der Windschutzscheibe beginnen muss. Diese Regel gibt es nicht mehr, da hat man mehr Freiheiten", so Litjens. Die Öffnung füttert nicht nur den Motor mit Frischluft, sondern auch den Getriebeölkühler. Dazu leitet der Luftstrom Wärme vom Auspuff ab.

Auch die Finne auf der Motor-abdeckung sieht jetzt völlig anders aus als beim Vorgängermodell TS050. "Die Finne ist laut Reglement gar nicht mehr vorgeschrieben", erklärt John Litjens. Sie wurde eingeführt, um das Auto beim Eindrehen bei hohen Geschwindigkeiten, beispielsweise nach einem Reifenschaden, möglichst schnell unter die theoretische Abhebegeschwindigkeit abzubremsen.

Bei den Hypercars gibt es ein sogenanntes virtuelles Referenzauto, dessen Werte das reale Hypercar-Rennauto übertreffen muss. Zwar kann man die Werte auch ohne Finne erfüllen, Toyota entschied sich im Laufe der Entwicklung dann trotzdem dafür, wenngleich die Finne deutlich kleiner und kürzer ausfällt als früher. "Die Finne verbessert das Abbremsmoment, wenn sich das Auto bei hohen Geschwindig-keiten querstellt", bestätigt Litjens. "Daher haben wir uns aus Gründen der Sicherheit umentschieden und am Ende doch eine Finne verwendet."

John Litjens - Toyota
Toyota
"Die Finne ist laut Reglement gar nicht mehr vorgeschrieben, aber wir verwenden sie aus Sicherheitsgründen trotzdem." (GR010-Projektleiter John Litjens)

Neues Bremssystem

Zu guter Letzt verbietet das Reglement auf der Fahrwerksseite die Verwendung einer hydraulischen Wirkverbindung zwischen Vorder- und Hinterachse, auch bekannt als FRIC-System, die maßgeblichen Anteil daran hatte, die Aero-Plattform des Autos unter allen Fahrzuständen stabil zu halten. Daher wechselte Toyotabeim GR010 auf eine traditionelle Fahrwerksauslegung mit einer Pushrod-Einzelradaufhängung zurück.

Auch beim Bremssystem gab es Reglement-bedingt gravierende Änderungen. Bisher nutzte Toyota ein Brake-by-Wire-System für die Vorder- und Hinterachse, weil beim TS050 an beiden Achsen kinetische Energie rekuperiert wurde. Beim GR010 wird nur noch vorne rekuperiert, folglich wird der hintere Bremskreislauf jetzt über eine Hydraulik gesteuert. Dieser Technikmix macht es für die Ingenieure nicht eben leicht, den Piloten ein gutes Bremsgefühl zu vermitteln, denn der Bremsdruck schwankt je nachdem deutlich, ob an der Vorderachse Energie rekuperiert wird oder nicht, nämlich zum Beispiel dann, wenn die Batterie bereits voll geladen ist.

Toyota ist als einziger Hersteller seit Einführung der Sportwagen-Weltmeisterschaft (WEC) im Jahr 2012 durchgehend in der Topklasse vertreten. Die Ziele für die Zukunft haben die Japaner bereits 2019 in Le Mans ganz offen kommuniziert: Sie wollen mit Siegen in Le Mans und vielen WM-Titeln in der Sportwagen-WM eine Epoche der Dominanz begründen. TMG in Köln hat in den letzten Jahren genug Erfahrung gesammelt, um ein Auto zu bauen, dass diesen hohen Ansprüchen gerecht wird.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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