Trophy Truck im Tracktest
Wie ein Powerboot durch stürmische See

Die Wüste bebt: wenn ein 800-PS-Truck durch die Einöde der Baja California geprügelt wird, bleibt kein Auge trocken. Ein Selbstversuch im Grenzbereich.

Trophy Truck, Seitenansicht, Flugeinlage
Foto: Art Eugenio

Es ist nicht zu fassen. Die Western-Kulisse fliegt so irre rasant vorbei, als hätte jemand am DVD-Spieler auf den Knopf für den schnellen Vorlauf gedrückt. 80 Meilen pro Stunde, also 130 km/h, zeigt das Navigationssystem an, manchmal auch ein bisschen mehr. Armin Schwarz bleibt bei dem Höllentempo ganz locker. 130 km/h auf einer Piste, die in Europa nicht mal als Feldweg klassifiziert werden würde, das betrachtet er ganz offensichtlich als Wellness-Speed.
Schwarz sitzt in einem Prerunner, einem skurrilen viersitzigen Buggy. Diese Trainings-autos für die Wüstenrennen auf der mexikanischen Halbinsel Baja California sehen aus wie Schnellboote mit vier Rädern. Der Motor hängt weit hinter der Hinterachse – der 510 PS starke V8 als Außenborder.

Im Trophy Truck trägt man Jet-Helme

„Alles klar?“ krächzt es aus den Kopfhörern. Die drei Passagiere nicken eifrig. Es ist aber nicht ganz klar, ob dies als Zeichen der Zustimmung zu werten ist, oder ob es schlicht an den massiven Schlaglöchern und den grimmigen Bodenwellen liegt. Trotz 50 Zentimeter Federweg wird man im 510-PS-Prerunner durchgerüttelt wie die Eiswürfel in einem Cocktail-Shaker von „Harrys New York Bar“. Einen Helm zu tragen gilt im Prerunner als uncool. Es sei doch schön, die frische Luft zu genießen, und der Speed ist ja recht moderat, meint Schwarz. Wir gehen hinüber zum Trophy Truck. Jetzt gilt eine seriöse Kleiderordnung: feuerfester Rennoverall statt T-Shirt, ordentliche Schuhe statt Flip-Flops, Vollvisierhelm statt Baseballkappe und Skibrille. Die Helme der Baja-Rennfahrer wirken wie ein Abfallprodukt der Raumfahrt: Durch einen Schlauch wird Frischluft unter den Knitterfreien gepustet. Unten dran hängt ein Kragen aus feuerfestem Stoff. Das sieht nach Sabberlätzchen aus, ist aber nützlich, wenn man dem Vordermann auf die Pelle rückt. „Bei der letzten Baja 1000 bin ich 140 Meilen im dichten Staub hinter einem Gegner festgehangen“, sagt Schwarz. „Immer hart dran an seiner Stoßstange, damit ich überholen kann, wenn er einen Fehler macht. Hat er aber nicht. Wir haben viel Staub geschluckt.“

BMW X6 mit V8 und 800 PS

Die Karosse des Trophy Truck ist dem BMW X6 nachempfunden. Allerdings in einem größeren Maßstab. Im direkten Vergleich wirkt der sonst so autoritär auftretende Serien-wagen wie ein Micro-SUV. Der mattschwarze Trophy Truck aber ist ein Kraftwagen im wörtlichen Sinne: zweieinhalb Meter breit, zwei Meter hoch, gut zwei Tonnen schwer, gesegnet mit einem 800 PS leistenden Motor, der seine gewaltige Power an eine starre Hinterachse weiterreicht. Und vor allem mit einem gigantischen Federweg von fast einem Meter. Die Amplitude der Räder ist fast vier Mal so groß wie bei den Spitzenautos der Rallye-WM oder der Rallye Dakar. „Bei den Baja-Rennen mit seinen vielen langen Geraden ist in erster Linie Speed gefragt“, sagt Schwarz. „Auf Handling in den Kurven legen wir weniger Wert.“ Und auch Traktion sei nicht das große Thema, ergänzt er. Das Reglement gestattet zwar Allradantrieb. „Dann müssten wir aber an der Vorderachse konstruktionsbedingt auf die Hälfte des Federwegs, also 50 Zentimeter, verzichten.“

Durch das Fenster kraxelt er auf den Copilotensitz. Der auto motor und sport-Mann klemmt sich hinter das Lenkrad. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Die Rennschale hat die Backen fest umklammert. Der V8 grummelt mit dumpfem Bass und sägendem Leerlauf vor sich hin, bedrohlich wie die Musikuntermalung in einem Horrorfilm, kurz bevor der Schlitzer um die Ecke schleicht. „So“, meldet sich Schwarz aus der Gegensprechanlage. „Los gehts.“ Hierbei kann der Gast im Cockpit nichts falsch machen – der Automatik sei Dank. Der Drehmomentwandler stammt übrigens, ebenso wie viele Fahrwerks-Komponenten, etwa Uniballgelenke und Lager, aus der fränkischen Heimat von Armin Schwarz. Die Firma Schaeffler, ein Großer in der Liga der Automobilzulieferer, kümmert sich als Entwicklungspartner mit Elan und Knowhow darum, dass die Standfestigkeit des wüsten Renners immer besser wird. Der Truck röhrt nun im zweiten Gang auf die Testpiste. Er gibt einem schnell ein gutes Gefühl. „Aha“, denkt man. „Die Wellen sind ja gar nicht so wild.“

Im Trophy Truck drehen bei 120 km/h noch die Räder durch

Rasche Ausweichmanöver sind nur nötig, wenn die im Weg liegenden Felsbrocken deutlich größer sind als eine Bierkiste. Dann reagiert der mächtige Truck viel flinker als befürchtet. Bloß die Traktion ist ein leidiges Thema. Egal welcher Gang und bei welcher Drehzahl: Die Hinterräder drehen einfach immer durch. Auch jenseits von 120 km/h. Da hilft nur ein disziplinierter Gasfuß. Trotz der gigantischen Federwege ist der Trophy Truck kein Schaukelpferd. Eher kann man ihn mit einem Powerboot vergleichen, das sich auf hoher See durch die Wellen kämpft. „Alles Dämpfersache“, erklärt Schwarz. „Sie sind das A und O.“

Platztausch. Jetzt sitzt Armin Schwarz links. Nun wird der Grenzbereich anvisiert. Und der liegt selbst für rallyeerfahrende Neulinge weit hinter dem Horizont der Vorstellungskraft. „Als ich vor sechs Jahren in der Wüste angefangen habe, musste ich mich auch überwinden“, tröstet Schwarz. Der Digitaltacho zeigt dreistellige Werte an, in mph. Bei 112 Meilen pro Stunde, sprich 180 km/h, glaubt man als Beifahrer, das Tor zur Hölle sehen zu können. Verzagte Frage: „Was passiert, wenn man in voller Fahrt einen dieser drei oder vier Meter hohen Kakteen trifft?“. „Nix“, sagt Schwarz. „Der zerbröselt einfach.“ Aha. „Gefährlich wird es nur, wenn du zu heftig gegenlenkst und einen Konter bekommst.“ Solche groben Schnitzer unterlaufen dem Profi natürlich nicht. Selbst dann nicht, wenn er durch die Wüste jagt wie einst Sheriff Wyatt Earp bei der Verfolgung von Billy the Kid. „Die größere Gefahr liegt darin, dass du doch einmal ein Loch oder eine üble Welle unterschätzt. Wenn die Federn auf Block gehen, schießt es dich hoch“, sagt Schwarz. „G-Out nennen das die Amis. Dann wirds ernst.“

Leber, Milz und Nieren könnten Plätze tauschen

Kann sein, dass man dann Sternchen sieht. Aber auch ohne G-Out bangt man als Passagier um seine Gesundheit. Manchmal kommen sehr derbe Stöße durch. So derb, dass man fürchtet, Leber, Milz und Nieren könnten ihre Plätze tauschen. Nach dieser beeindruckenden Expedition in die Stratosphäre der Fahrkunst kommt das Gespräch im Camp aufs Geschäftliche. „Wir vermieten schnelle Autos für die Baja-Rennen“, sagt Schwarz-Partner Martin Christensen. „Für 74.000 Dollar bekommst du bei uns ein Auto, das gut ist für die Top Ten bei der Baja 1000.“ Kurze Kunstpause. „Äh, sofern du keinen Fehler machst.“ Der auto motor und sport-Mann schluckt, atmet tief durch, sammelt sich und denkt: „Mensch Martin, du hast echt Nerven. Keinen Fehler! Auf 1.000 Meilen! Wie soll das gehen?“