VLN-Analyse der GT3-Topteams
Die GT3-Heuler am Nürburgring

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Der letzte Aufgalopp vor dem 24h-Rennen am Nürburgring spülte der VLN Langstreckenmeisterschaft 219 Nennungen in die Ring-Arena. Die GT3-Haubitzen lieferten sich beim dritten Lauf eine grandiose Schlacht - von Schutzengeln und Pechvögeln, von Zauberbuden und Mauerblümchen.

Fahrzeuggruppe, DöttingerHöhe, VLN Langstreckenmeisterschaft Nürburgring 28-4-2012
Foto: SB-Medien

Im Himmelsgewölbe des Motorsports muss es so etwas wie eine schnelle Eingreiftruppe der Schutzengel geben. Anders lässt sich nicht erklären, dass ein schwerer Unfall so folgenlos blieb wie beim dritten Lauf zur VLN Langstreckenmeisterschaft am Nürburgring Ende April. Was war passiert? In Runde 27 lag Dirk Müller im Schubert-BMW Z4 auf Platz zwei hinter dem führenden Manthey-911 von Jochen Krumbach und Marc Lieb. Die hatten gerade die Box angelaufen, für ihren letzten Splash&Dash. Müller hatte seinen letzten Stopp schon absolviert. Wer würde wohl gleich vorne liegen?

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Crash zwischen BMW Z4 und Ginetta G50

Die Antwort wurde uns nicht mehr gegeben: Müller wechselte am Ende der Döttinger Höhe, just vor dem Vollgas-Linksknick an der Antoniusbuche, auf die linke Spur, um einen Ginetta G50 zu überholen - als dessen Pilot ebenfalls rüberzog. „Vermutlich hat er mich nicht gesehen“, glaubt Müller. Der Brite Clive Richards erwischte ihn am rechten Hinterrad, der Z4 jagte mit 268 km/h ins Verderben. Elf Jahre zuvor verunglückte bei einem ähnlichen Unfall an gleicher Stelle der Porsche-Pilot Ulli Richter tödlich. Diesmal waren die Schutzengel schneller.

Durch den Kontakt wurden beide Fahrzeuge auf die rechte Seite katapultiert. Müllers Z4 schlug seitlich in die Leitplanken ein und trudelte in Richtung Hohenrain-Schikane aus. Geschüttelt, aber nicht gerührt, entstieg er dem Totalschaden. Der Ginetta prallte frontal in die Leitschiene, wurde wie von einem Katapult im hohen Bogen zurück über die Strecke gefeuert, ein paar Loopings inklusive. Dann atomisierte der Ginetta an der linken Leitschiene, der Fahrer entstieg dem Wrack fast ohne Blessuren - Schwein gehabt.

Statt einer roten hätte das dritte VLN-Rennen eine karierte Flagge verdient gehabt: Porsche, BMW, Audi und Mercedes balgten sich vier Stunden auf Augenhöhe. Nuancen machten den Unterschied. Auch wenn das Porsche-Werk dem Nürburgring die kalte Schulter zeigt, bleibt der 911 GT3 R ein bockstarkes Gerät, wie der zweite Sieg des Manthey-Teams im dritten Rennen bewies.

Verbrauch macht den Unterschied

Die Trumpfkarte war auch der Verbrauch: Schon beim ersten Stopp tankte das Manthey-Team knapp 10 Liter weniger Sprit nach als der direkte Verfolger BMW. Der kleinste Motor im Feld ist top bei der Effizienz, doch ein Vergleich der Performance-Daten der GT3-Autos (siehe Kasten) ergibt, dass Porsche auch beim Speed zu den Schnellsten zählt.

Der Schnitt der 20 schnellsten Rennrunden weist aus, dass BMW, Porsche und Audi in einem extrem schmalen Korridor von nur 1,3 Sekunden liegen. Mercedes AMG liegt mit dem SLS zwar nur auf Platz vier der Markenwertung - doch der Abstand des Heico-SLS mit Hankook-Reifen betrug im Mittel auch nur 3,2 Sekunden.

Der Befund steht im Kontrast zum Gemotze über die sogenannte Balance of Performance. Fakt ist: In der 35-jährigen Geschichte der Ring-Serie hat es niemals spannendere Rennen gegeben. Von der Markenvielfalt an der Spitze gar nicht zu reden. Das Lob gebührt der Technikkommission und ihrem Chef, Norbert Kreyer.

Ohne GT2-Renner und Hybridautos

Sein Job ist 2012 leichter als in den Vorjahren: Die GT2-Autos fallen ebenso aus der Gleichung wie die Hybrid-Heuler. Die Kristallkugel ist nur auf die GT3-Klasse fokussiert. Die Autos sind seit Jahren bekannt, trotz der jetzt üblichen Technik-Updates. Alle Top-Teams treten auch in der VLN mit den Entwicklungsreifen von Michelin, Dunlop, Falken, Yokohama und Hankook an. Dazu haben alle GT3-Autos nahezu dasselbe Gewicht: BMW und Porsche fahren mit 1.300 Kilo, Mercedes, Audi sowie Aston Martin, Corvette und McLaren mit 1.335 Kilo. Die Motorleistungen wurden in ein Korsett von 500 bis 540 PS gepresst. In Zehnerschritten kann nachjustiert werden, was pro Runde bis zu drei Sekunden bringen kann.

Wenn ein Feld so dramatisch zusammenflackt, werden Peanuts zu Genickbrechern - oder Wunderwaffen. Zum Beispiel der Verbrauch: Porsche hat die Nase vorne, Audi schien mit einem Auto trotz des höheren Verbrauchs des V10-Motors ebenbürtig - denn Mehrverbrauch wird am Ring letztlich über die Tankgröße kompensiert.

Sorgen dagegen für BMW: Wenn die Bleifuß-Artisten am Werk sind, schafft der BMW Z4 GT3 schon bei der im Vergleich zum 24h-Rennen kürzeren Streckenvariante nur acht Runden, während Porsche neun Runden fährt. Oder das Thema Boxenstopps: Bezogen auf die Outlaps nach dem Boxenstopp bilden das Manthey-Team (Porsche) und Phoenix Racing (Audi) die Messlatte. Bei den ersten beiden Stopps waren sie um eine Sekunde getrennt, das Schubert-BMW-Team verlor bei den Outlaps acht Sekunden. „Obwohl unsere Stopps toll geklappt haben“, staunte Schubert-Teammanager Stefan Wendl.

Es wird spannend sein zu sehen, wie es beim 24h-Rennen um das Thema Zuverlässigkeit bestellt ist: BMW brannte auf alle mechanischen Komponenten mehr Laufzeit als üblich - die Gegner werden es kaum anders machen. Schäden werden traditionell nicht kommuniziert, aber kleinen Kummer gibt es überall: Bei BMW schied das Bartels-Team zwei Mal wegen Überspannungen in der Bordelektrik aus. Das Schubert-Team beklagte Software-Probleme beim Hochschalten, die aber abgestellt sind. Beim dritten Lauf strandete der zweite Schubert-Z4, weil sich die Fixierstifte der Radbefestigung gelöst hatten. Wer über den Winter viel modifiziert hat wie BMW, darf sich auch vor Hitzerennen fürchten: Dann gelten Antriebsstrang und Antriebswellen als Knackpunkte.

BMW gegen Porsche

Als Hauptgegner haben die Bayern Porsche ausgemacht: Der GT3 R scheint bei der Standfestigkeit gereift zu sein. Dazu haben die Schwaben zwei Vorteile im Köcher: Die gute Verbrauchseffizienz und den dank kleiner Stirnfläche guten Topspeed. Der bringt bei der Rundenzeit bis zu 3 Sekunden und erlaubt das aktive Überholen der GT3-Gegner. Audi und BMW verfügen über mehr Abtrieb, in den kurvenreichen Abschnitten gewinnen sie so bis zu 6 Sekunden. Doch im Verkehr verdampft der Vorteil schnell - während die Trumpfkarte Topspeed fast immer sticht.

Ein wenig diffus das Bild bei Audi

Die Fahrer beklagen die Janusköpfigkeit des R8 LMS Ultra. Auf freier Runde schwelgen sie im Lob, doch im Verkehr oder bei glitschigen Mischbedingungen legt der R8 seinen Gentleman-Charakter gerne ab. Beim dritten Lauf brachte Phoenix versuchshalber sogar eine nicht homologierte GT3-Version an den Start.

Christopher Mies und Markus Winkelhock pilotierten einen R8 mit sogenanntem Bananen-Heckflügel, der 150 Millimeter über das Fahrzeugende hinausragt. Die FIA hatte dieser Version die Homologation eigentlich verweigert. Offenbar ereigneten sich aber zwei der drei R8-Abflüge beim zweiten Lauf unter Mischbedingungen auf Kuppen - wegen durchdrehender Räder. Aus Sicherheitsgründen gab die Technikkommission grünes Licht für einen Testlauf mit dem Bananenflügel - um Daten zu sammeln.

Die fulminante Anfangsphase beim dritten VLN-Rennen, als zwei SLS AMG GT3 der Teams Heico und Rowe an die Spitze stürmten, belegte, dass Mercedes dran ist. Ein zählbares Resultat sprang nicht heraus: Zwei Top-SLS blieben im Verkehr kleben, der Heico-Wagen von Bernd Schneider, Lance David Arnold und Alex Margaritis beendete das Rennen nur auf Position 14, weil dem Team eine Runde wegen Missachtung von Flaggensignalen aufgebrummt wurde.

Doch der Speed war gut, wie das Mittel der 20 schnellsten Rennrunden belegt. Die Fahrer wissen jedoch nicht, wo sie stehen: Drei verschiedene Reifenhersteller (Yokohama, Dunlop und Hankook) verwirren das Bild. Welche Mischung bei welchen Bedingungen funktioniert, und welche Reifen über einen Stint konstant halten - das sind im Moment noch ungelegte Eier.

Gleichstand bei den deutschen Herstellern

BMW, Porsche, Audi und Mercedes sind am Nürburgring wie aneinandergekettet, die GT3-Konkurrenz bestaunt das Treiben mit dem Fernglas. Weder Aston Martin mit dem V12 Vantage GT3 noch McLaren mit dem MP4-12C GT3 sind derzeit in der Lage, den Speed mitzugehen.

Der Aston ist noch zu jung und frisch, als dass er schon angriffsbereit wäre. McLaren fährt zwar seit Saisonbeginn auf der Nordschleife, doch die Probleme nehmen eher zu denn ab: Der Ausfederweg ist viel zu gering, das Abtriebsniveau liegt nicht auf dem Level der GT3-Sause. Dazu säuft der Brit-Bomber wie ein Seemann auf Landgang. Das notorische Untersteuern sowie zahllose Unfälle haben die Testphase stark behindert, die Ersatzteillage ist nun angespannt.

Es geht auch anders, wie das Renn-Debüt der Corvette Z06.R GT3 beim dritten Lauf demonstrierte. Das von Haribo Racing eingesetzte Fahrzeug mit den GM-Werksfahrern Jan Magnussen und Tommy Milner sowie Daniel Keilwitz schlug sich beachtlich: Beim Speed lag man sofort vor Aston Martin und Mc-Laren, die Boxenstopps waren vorzüglich. Zwar schmierten die Reifen stärker als noch beim Test im März, dennoch waren die Piloten zufrieden: „Wir sind noch in der Frühphase der Abstimmung“, erklärte Milner, „aber dafür funktioniert die Corvette auf der Nordschleife schon prächtig.“

Andere wären froh, wenn sie so etwas behaupten könnten. Der Ferrari P4/5 des US-Milliardärs James Glickenhaus sollte beim dritten Rennen zeigen, was er drauf hat. Zwar chauffierte Manuel Lauck den Hybrid-Ferrari in die Top-Ten, doch die Freude war von kurzer Dauer. Drei Runden später kehrte Nicola Larini an die Box zurück - das Chassis war in der Mitte auseinandergebrochen. Ein Teammitglied ätzte: „Kein Wunder: Das ist ja auch das letzte Bauteil, das von Ferrari stammt.“

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