VLN-Projekt 2010: Vom Serien-Ford Focus RS zum Rennwagen
Ford-Bewegung von der Straße auf den Ring

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Die in der Langstreckenmeisterschaft am Nürburgring traditionell unterbesetzte Klasse der Turbo-Fahrzeuge bis 2,6 Liter Hubraum erhält 2010 Verstärkung: sport auto und das Team FH Köln Motorsport schicken unterstützt von Ford, TRW, DEKRA, Heggemann sowie KW competition einen Ford Focus RS ins Rennen.

Ford Focus RS, VLN-Langstreckenmeisterschaft-Projekt 2010

Er hat es so gewollt - der Ford Focus RS -, ist quasi selbst dran schuld. Wer als Serienauto mit einer überdurchschnittlichen Performance Begehrlichkeiten weckt, muss sich nicht wundern, wenn diese in außergewöhnlichen Ideen münden. (Hier finden Sie den Supertest Ford Focus RS) Einer wie dieser zum Beispiel. Man nehme einen Focus RS vom Band und gebe ihn jungen Menschen mit einer ordentlichen Portion Enthusiasmus und nicht minder großem Sachverstand in die Hand. Zudem gebe man jenen das hehre Ziel mit auf den im doppelten Sinne eiligen Weg, daraus binnen kürzester Zeit einen veritablen Rennwagen zu bauen. Seriennah zwar, aber sicher und ausreichend flott, um in der Langstreckenmeisterschaft am Nürburgring für Aufmerksamkeit zu sorgen.

Unsere Highlights

Ideenreichtum von 20 angehenden Ingenieuren der Fahrzeugtechnik

Sicher - einfach ist das nicht, auch wenn es sich so anhören mag. Das Temperament und den Ideenreichtum von 20 angehenden Ingenieuren der Fahrzeugtechnik mit den gegebenen Rahmenbedingungen abzugleichen, erweist sich als durchaus anspruchsvolles Unterfangen. Türen, Heckpartie und Fronthaube aus ultraleichtem Karbon, Titanabgas- und Lufthebeanlage sowie eine aufwendige Aerodynamik nebst weit nach hinten rausragendem Heckflügel für maximalen Anpressdruck? Das alles wäre sicher mehr als wünschenswert. Aber zum einen ist die üppig sprudelnde Quelle, die das Geld dafür ausspuckt, vorerst noch nicht gefunden. Zum anderen birgt ein derart massiver Umbau auch erhebliche Risiken.

Grundgedanken eines seriennahen Rennautos auf Ford Focus RS-Basis
 
Profis wissen, dass allein das Implantieren der von den Junioren ebenfalls angedachten Waagebalken-Bremse gut und gern 14 Tage verschlingen kann. Zeit, die wenige Wochen vor Beginn der neuen VLN-Saison - der erste Lauf startet am 27. März 2010 -, schlicht nicht zur Verfügung steht. Allzu extrovertierte oder ambitionierte Pläne muten vor diesem Hintergrund demnach sehr gewagt an. Und dem ursprünglichen Grundgedanken eines seriennahen Rennautos würden sie schlussendlich auch zuwiderlaufen. Reden wir uns das Ganze also schön und erheben den bewussten Verzicht zum notwendig Gewollten.
 
Seriennah, sicher und ausreichend flott also. Für die zum großen Teil aus den Honda Civic Type-R Cup-Einsätzen der vergangenen drei Jahre hinlänglich Rennerfahrenen ingenieurwissenschaftlichen Titel-Aspiranten ist das Anforderungspaket so oder so ein anspruchsvolles. Schließlich mussten die angehenden Jung-Ingenieure bislang einzig einen bereits fertig aufgebauten und in seinen Grundzügen seitens des Herstellers schon erprobten Rennwagen verfeinern. Ihn den Bedürfnissen der jeweiligen Fahrercrew entsprechend abstimmen und - soweit möglich - sukzessive schneller machen. Ihr diesbezügliches Können haben die Kölner Junioren mit dem dritten Platz im Civic Cup des vergangenen Jahres nicht zuletzt dank einer hervorragenden Teamleistung in der Box eindrucksvoll bewiesen.
 
Was benötigt ein Serien-Ford Focus RS für den Rennwagenumbau?
 
Nun aber gilt es, aus einem Serienfahrzeug überhaupt erst ein Rennauto zu machen. Feuerlöscher und Slicks allein helfen da nicht weiter. Von den grundsätzlichen Sicherheitsanforderungen (zu denen auch ein von der FIA zugelassener Überrollkäfig gehört) einmal abgesehen, sind alle Serienteile auf die gestiegenen Belastungen hin zu überprüfen und gegebenenfalls entsprechende Alternativen zu entwickeln. Halten die Revo Knuckle, wenn 260er-Slicks statt 235er-Straßenreifen an der vorderen Antriebsachse zerren? Genügt die Sperrwirkung des serienmäßig an Bord befindlichen Torsen-Differenzials im Rennbetrieb oder wäre es sinnvoll, dem Fünfzylinder-Turbo-Sportler stattdessen eine Drexler-Sperre zu spendieren? Und welches Felgendesign harmoniert am besten mit der präferierten Bremsanlage?
 
Fragen über Fragen. Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Viel Arbeit für die angehenden Ingenieure der Fahrzeugtechnik, aber eben auch der Sinn dieses Projekts. Materialseitig unterstützt wird das anspruchsvolle Unterfangen vom Hersteller selbst. Zu einem veritablen Werkseinsatz mochte sich Ford Deutschland zwar nicht versteigen. "Ein Projekt dieser Größenordnung ist in Anbetracht der immer noch schwierigen wirtschaftlichen Situation nur schwer zu stemmen", bringt Team RS-Chef Dirk Densing die finanziell heikle Sache auf den Punkt. "Aber an der praxisnahen Ausbildung unserer Kölner Nachwuchsingenieure haben wir als ortsansässiges Unternehmen natürlich ein handfestes Interesse."
 
Dass das Projekt an sich für einen sportlich orientierten Automobilhersteller schon deshalb Sinn macht, weil es seit Einstellen des Fiesta-Cups bei Ford diesseits des World Rallye-Sports keine motorsportlichen Aktivitäten mehr gibt, sagt er nicht. Wer jedoch mit sport auto die Überzeugung teilt, der gemäß man stets darauf bedacht sein sollte, die Dinge ihrem Zweck zuzuführen, wird unserer Meinung sein, wenn wir sagen: Der Praxisbezug angehender Ingenieure ist nur ein Aspekt des insgesamt guten Ganzen. 

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Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

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