VLN Team-Portrait Rowe Racing
Neuer Stern am Motorsport-Himmel

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Ein von Grund auf neu gegründetes Team taucht im Motorsport nur alle paar Jahre auf. Einer dieser neuen Sterne am Motorsporthimmel ist das Rowe-Team in der VLN Langstreckenmeisterschaft am Nürburgring. Nach extrem kurzer Vorlaufzeit sind der Mannschaft um Teamchef Hans-Peter Naundorf Flügel gewachsen.

Mercedes SLS AMG, ROWE Racing, Front
Foto: Tim Upietz

Ernie und Bert, Old Shatterhand und Winnetou, Asterix und Obelix - die Liste wahrer Männerfreundschaften ließe sich beliebig erweitern. Zum Beispiel um die Namen Hans-Peter Naundorf und Florian Rhotert. Der Teamchef sowie der Teammanager der Motorsport Competence Group sind Kumpels und setzen in der Langstreckenmeisterschaft am Nürburgring (VLN) unter dem Namen Rowe Racing zwei Mercedes SLS AMG GT3 ein. Ohne diese Freundschaft gäbe es die neue MCG vielleicht nicht.

Unsere Highlights

Ende 2010 erkundigt sich der Chef des Rowe Mineralölwerk, Michael Zehe, beim ehemaligen Persson-DTM-Technikchef Naundorf nach Einsatzmöglichkeiten für einen Mercedes SLS AMG GT3. Es entsteht die Idee, ein eigenes Team zu gründen. Der Diplom-Ingenieur sucht noch Unterstützung. Er ruft seinen Kumpel Florian Rhotert in München an und bittet ihn, die Ohren offen zuhalten. Rhotert hat einen kaufmännischen Hintergrund und kennt die Motorsport-Szene. Es findet sich niemand. Ein paar Tage später ruft er Florian erneut an. „Ich mache es doch nicht, weil du nicht dabei bist“, sagt Naundorf. „Du hast mich ja gar nicht gefragt“, entgegnet ihm sein Kumpel lachend. Er nimmt sich einen Tag Bedenkzeit. München vs. Sankt Ingbert. Biergärten vs. eine Stadt, in der alle wie Heinz Becker klingen. Zwei Tage später packt er seine Sachen und zieht nach Saarbrücken.

In 60 Tagen vom Papier zum Renneinsatz

Es ist Anfang Februar 2011. Rhotert und Naundorf starren auf ein weißes Blatt Papier. 60 Tage später soll ein Mercedes SLS AMG von Rowe Racing das erste Mal in der VLN-Startaufstellung stehen. Eine so kühne Idee, wie die Nordschleife mit dem Einrad umrunden zu wollen. Manche erklären sie für bekloppt. Sie selbst sind entschlossen. „Wir hatten eine Liste mit 18 Seiten, die wir abhaken mussten“, erinnert sich Naundorf. Die ersten drei Wochen arbeitet er von der heimischen Couch aus. Rhotert kauert mit dem Laptop zwischen Umzugskisten.

Ihr Arbeitstag besteht aus Shopping. Der Traum einer jeden Frau. Für die beiden ein Albtraum. Von der kleinsten Schraube bis zum Absperrband ordern sie alles selbst. „Der erste Handgriff bei der Gründung eines neuen Teams? Man stellt seinen Handyvertrag auf Flatrate um“, lacht Naundorf. Vorzimmer mit Assistentin? Fehlanzeige. „Flo ist meine Assistentin“, scherzt der Teamchef, den die meisten HP nennen.

Ein Grundstück für den künftigen Teamsitz hatte man schon Ende 2010 gekauft. Ende März 2011 sollte die Halle stehen. In der Zwischenzeit war eine „größere Garage“ ihr Zuhause - es passten genau die beiden SLS rein. Der mittlerweile fertiggestellte Renntransporter wurde zum Büro umfunktioniert. Erst Wochen später fand Rhotert in der Nachbarschaft zur Schraubergarage ein Büro. „An einem Tag standen die Lieferwagen von DHL, GLS, UPS und TNT alle gleichzeitig im Hof“, erinnert sich Rhotert. „Man kann sich nicht vorstellen, wie kompliziert eine Teamgründung innerhalb so kurzer Zeit sein kann. Das fängt beim Telefonanschluss an, geht über das Bankkonto bis hin zum Werkzeug, das in China am Zoll hängenbleibt.“

Das Team vollbringt Wunder

Ohne den Zusammenhalt der Mannschaft, die sich aus Persson-Zeiten kannte, wäre der Mercedes SLS AMG GT3 im Rowe-Trimm wohl am 2. April 2011 beim VLN Saisonauftakt nicht gestartet. Beim ersten Rennen stand das Team noch in der Box, beim zweiten mit einem zweiten Auto im eigenen Zelt, beim dritten holten sie die erste Pole-Position. „Erst zu diesem Zeitpunkt haben wir realisiert, was wir bisher geleistet haben“, meint Rhotert. „Davor waren wir im Dauerstress. In den ersten Monaten hatte keiner von uns ein freies Wochenende.“

Ob eine Mannschaft tatsächlich ein Team ist, zeigt sich erst in den schlechten Zeiten. Nach dem 24h-Rennen am Nürburgring treten die Jungs die Reise ins Saarland mit einem Haufen Schrott an - Totalschaden. Der Hallenbau verzögert sich aufgrund verschiedener Umstände und Behördengänge weiter und weiter. Die Lieferung der neuen Rohkarosse zieht sich ebenfalls hin. Nur eine Woche bleibt den Mechanikern Andreas Glomb und Michael Folz, den Mercedes SLS AMG GT3 wieder zum Atmen zu bringen. Sie schuften Tag und Nacht.

Teammanager und Darth Vader in einem

Der Lohn für all den Schweiß: Alex Roloff, Roland Rehfeld und Michael Zehe holen beim sechsten VLN-Lauf den ersten Gesamtsieg für das noch junge Team. Motorsport Competence Group Aktiengesellschaft - das mag hochtrabend klingen. Öden Büro-Dress sucht man hier aber vergeblich. Manchmal verwandelt sich Teammanager Rhotert sogar in Darth Vader. Dann springt er in seinem feuerfesten schwarzen Anzug und mit Schutzbrille als Tankmann beim Boxenstopp ein.

Das Team ist von null auf 100 durchgestartet. Die meisten fangen in kleinerem Stil an und entwickeln sich von Serie zu Serie weiter. Rowe Racing wollte in der VLN von Anfang an professionell auftreten. Das Risiko für alle Beteiligten, den guten Ruf zu ruinieren, war bei der kurzen Vorlaufzeit so groß wie die Chance, dass das heruntergefallene Marmeladenbrot auf der bestrichenen Seite landet. Da kann einem der Appetit schon mal vergehen. Mal ans Aufgeben gedacht? „Nie“, sagt Naundorf und setzt sein breitestes Grinsen auf. „Doch bei all dem Stress sieht man manchmal die positiven Seiten nicht mehr. Wir haben gemeinsam mit der ganzen Truppe gelernt, dass der Tag 24 Stunden hat.“

Von der DTM zur VLN und ...

Manchmal muss der Teamchef seine fünf festangestellten Mitarbeiter bremsen. Alle haben zuvor in der DTM auf hohem Niveau gearbeitet und sind es gewohnt, mehr als hundert Prozent zu geben. Dieses Niveau will man halten. Die Philosophie: ganz oder gar nicht. Halbe Sachen gibt es bei Naundorf nicht. Deshalb stehen im Terminkalender nur die VLN-Läufe und das 24h-Rennen. Möglicherweise wird es auch einen Einsatz bei den 24 Stunden von Spa geben. Die Idee, im ADAC GT Masters anzutreten, ist jedoch wie eine Seifenblase zerplatzt.

Die Halle, die schon im März 2011 fertig werden sollte, konnte das Team erst im Februar diesen Jahres beziehen. Die Vorbereitungszeit für zwei weitere Mercedes SLS AMG wäre bis zum ersten Lauf in Oschersleben zu knapp ausgefallen. „Für die Zukunft lautet das Ziel, in höhere Klassen aufzusteigen. Ein Traum wäre es zum Beispiel, mit einem GT2 in Le Mans zu fahren. Aber auch die DTM wäre möglich“, meint Naundorf.

Bald soll es einen MCG-Webshop geben, in dem man alles kaufen kann, was die beiden bei ihrer Teamgründung erst mühsam zusammenklauben mussten. Die Betreuung von Clubsport-Kunden ist als zweites Standbein neben dem Rennsport geplant. Momentan kümmern sich Naundorf und Bauleiter Rhotert um die Fertigstellung der Halle. Die Teammitglieder arbeiten nun auf einer Fläche von rund 1.320 Quadratmetern. Nur einen Raum betritt HP etwas wehmütig - den „Friedhof“. Hier lagern zur Erinnerung an die Strapazen der Saison 2011 ramponierte Stoßstangen und Innereien des SLS. Neben dem hellen Werkstattbereich finden sich abgetrennte Räume mit Getriebe-, Fahrwerk-, Kohlefaser- und Maschinen-Workshop. Eine Waschhalle sowie ein Bereich, um Oldtimer überwintern zu lassen, gehören ebenfalls zum Konzept - Fußbodenheizung für das richtige Klima inklusive. Das Glanzlicht sind die schicken Designer-Industrielampen an der Decke, die Rhotert ausgesucht hat. Naundorf gefallen sie nicht. Aber richtige Kumpels dürfen ja auch mal unterschiedlicher Meinung sein.

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Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

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