Vorschau 24h-Rennen Le Mans 2013 GTE-Klasse
Porsche nur Außenseiter gegen Ferrari & Co?

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Mit Ferrari, Aston Martin, Corvette, Viper und Porsche kämpfen 2013 beim 24h-Rennen in Le Mans fünf Hersteller um die Krone des Langstreckensports. Wer sind die Favoriten in der GTE-Klasse? Und wo steht Porsche mit dem neuen 911 RSR?

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Foto: John Brooks, David Lister

Prognosen für die GTE-Klasse beim 24h Rennen in Le Mans sind 2013 besonders schwierig. Stellen Sie sich vor, Sie müssten eine Wettervorhersage für Europa erstellen, die auf den meteorologischen Daten für Afrika basiert. Da kann man auch gleich raten. Die Daten für Porsche, Ferrari und Aston Martin kommen aus der Sportwagen-WM, von Pisten wie Silverstone und Spa, die wenig bis gar nichts mit der Streckencharakteristik von Le Mans gemein haben. Die Daten für Viper und Corvette kommen sogar aus der American Le Mans Series, wo Abtrieb alles ist - und Top-Speed wenig zählt.

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Das ist unbefriedigend, denn der Kurs von Le Mans ist einmalig - in vielerlei Hinsicht: Nur einmal im Jahr wird auf der Kultpiste überhaupt gefahren. Nur dort liegen die GT-Top-Speeds oberhalb von 260 km/h. Nur in Le Mans fahren die GTE mit einem Low Drag Kit für wenig Abtrieb, denn die ultralangen Geraden zerschneiden den 13,629 Kilometer langen Kurs in fünf Drag Strips, wo Beschleunigung und Top-Speed Trumpf sind.

Gleichzeitig benötigt man auch Abtrieb für die schnellen Sektoren wie die Porsche-Kurven oder für die harten Bremsmanöver aus fast 300 km/h - die Aerodynamik spielt also eine entscheidende Rolle. Schließlich hat nur die Piste in Le Mans einen Volllastanteil von über 70 Prozent, womit der Faktor Verbrauch auch noch in die Rechnung einfließt.

Dazu zeigt kein Hersteller vor Le Mans, was er wirklich kann. BMW hat vor Jahren mal eine Hammerrunde in Spa rausgehauen - und war dann mit kleinerem Restriktor in Le Mans nur noch Statist. Alle versuchen, ihr Pulver trockenzuhalten - bis Le Mans.

Generalprobe in Spa mit begrenztem Wert

Beim WM-Lauf in Spa prallten letztmals vor Le Mans Ferrari, Aston Martin und Porsche aufeinander - und fuhren auch ungefähr in dieser Hackordnung ins Ziel. Fairerweise sollte man hinzufügen, dass eine frühe Safety-Car-Phase das GT-Rennen nach einer Stunde zerhackte, denn die beiden Top-Ferrari waren schon an der Box, während Aston Martin und Porsche noch nicht gestoppt hatten. Somit hatte Ferrari für die restlichen fünf Rennstunden einen Puffer von deutlich über einer Minute.

Damit war das Rennen gelaufen, was aber nicht bedeutet, dass man nichts gelernt hätte. Ferrari ist als einziges Mittelmotor-Auto im GTE-Feld weiterhin Benchmark, dazu dürfen nur die Italiener eine Direkteinspritzung fahren, weil sie auch im Straßenauto installiert ist. Was das bedeutet, sah man in Spa: Ferrari hatte den niedrigsten Verbrauch, aber trotzdem den besten Nettospeed und damit eine überlegene Effizienzrate.

Man gewann das Rennen trotz zweier Stop & Go-Strafen, die 51 Sekunden kosteten. Ferrari kontrollierte nach der frühen Safety-Car-Phase das Rennen und passte den Speed an die verfolgenden Aston Martin an, ohne dabei auffällig zu werden. Beim ersten Rennen in Silverstone fuhr man eine Aerodynamik mit wenig Luftwiderstand, in Spa packte man mehr Abtrieb rauf als nötig - richtig, um ja nicht auffällig zu werden.

Aston Martin als Geheimfavorit

Dennoch sind die Italiener gut beraten, Aston Martin im Auge zu behalten: Über zwei Jahre hinweg wurde der Aston Martin Vantage GTE feingeschliffen, dazu bekam er eine freundliche Einstufung von ACO und FIA. Die Gegner kolportieren, die Briten würden nur spielen und beschwerten sich sogar schriftlich über die Einstufung, die unter anderem vorsieht, dass Aston Martin in Le Mans ohne den Gurney-Flap am Heckflügel fahren darf.

In Spa konnte nur Aston Martin den neuen Michelin-Reifen für Le Mans Doppelstints zumuten, das schaffte nicht mal der extrem Reifen schonende Ferrari. Und die Rundenzeitenentwicklung blieb dabei nahezu linear: Bei Porsche betrug der Drop gut 1,4 Sekunden, bei Ferrari eine volle Sekunde.
 
Entweder hat Aston Martin ein Wunderfahrwerk gebaut, oder - so die Vermutung der Gegner - die Briten regeln den Drop beim Reifenverschleiß über das Motormapping nach, was ein Beleg für Performance-Reserven sein könnte. Ferrari und Porsche hoffen inständig, dass ACO und FIA noch vor Le Mans reagieren. David Richards, Boss von Aston Martin Racing, sieht dafür keinen Anlass: "Aus meiner Sicht passt die Balance sehr gut."

Porsche zwischen Hoffen und Bangen

Porsche konnte mit dem Werkseinsatz des neuen 911 RSR in der Sportwagen-WM bisher nicht unbedingt für Furore sorgen. Beim Debüt in Silverstone verlor man bei den Stopps 59 Sekunden auf die Top-Teams - allein fünf Sekunden pro Stopp beim Nachtanken. Für Spa wurde die Tankkonstruktion auf eine separate Entlüftung auf der gegenüberliegenden Fahrzeugseite umgestellt, was drei Sekunden pro Stopp brachte. Der Rest des Zeitverlustes in Silverstone ging auf das Konto eines Problems mit dem externen Nachtanksystem.

Für Verwirrung sorgte beim Debüt des RSR der Verbrauch. Zwar verbesserten sich alle Hersteller im Vergleich zum Vorjahr (Aston um 5 %, Ferrari war noch einmal 4 % besser), doch Porsche schoss den Vogel ab: Eine Verbrauchsverbesserung von 18 Prozent ist durch Optimierungen beim Mapping (maximal 2 %) oder durch das neue, reibungsärmere Getriebe (maximal 1 %) kaum schlüssig zu erklären.

Verbrauchswunder bei Porsche?

Porsche verfeuerte 2012 in Silverstone 421,14 Liter für 164 Runden, ein Jahr später 357,06 Liter für 170 Runden. Der Verbrauch pro Runde sank also von 2,57 auf 2,10 Liter. Allerdings reden wir hier erstens von verschiedenen Fahrzeugen (997 gegen 991), zweitens muss natürlich der Speed berücksichtigt werden:

Der Rennspeed ohne Boxenstopps lag 2012 bei 168,82 km/h, 2013 bei 169,99 km/h. Die Effizienzrate (Rennspeed geteilt durch Verbrauch auf 100 Kilometer) lag 2012 bei 3,87, 2013 bei 4,60 - eine massive Steigerung, und das ohne Direkteinspritzung und mit demselben Motor wie 2012. Was das für Le Mans bedeutet? Vielleicht setzt Porsche dort ebenfalls auf Reichweite und Verbrauch?

Porsche sucht Performance für Le Mans

In Spa war der Porsche beim Speed näher an Aston Martin und Ferrari dran, prompt lag der Verbrauch deutlich höher. Bei den 50 schnellsten Rennrunden rangierte man vier Zehntel hinter Ferrari, die Boxenstoppzeiten lagen fast auf dem Niveau der Gegner. Die Formsteigerung ist erfreulich, dennoch wird die Bilanz verdunkelt: Das Handling weist immer noch zu viel Übersteuern auf, dazu hat die mechanische Traktion beim neuen RSR gelitten.
 
Die Tatsache, dass Aston Martin in Spa Doppelstints fahren konnte, wurde in der Porsche-Box fast mit Entsetzen aufgenommen. Immerhin hofft man bei den Schwaben, in Le Mans erstmals seit 2010 auch wieder Doppelstints fahren zu können. Der Reifenverschleiß bleibt ein kritisches Thema. Ein Porsche-Ingenieur fasste die Lage nach Spa so zusammen: "Wir sind zu langsam - und die anderen sind zu schnell." Will sagen: Porsche muss weiter an der Performance arbeiten und hoffen, dass ACO und FIA die Daten genau analysieren - und vor Le Mans noch Anpassungen vornehmen.

Was können Viper und Corvette?

Die große Unbekannte in der Le-Mans-Rechnung sind jene, die auf der anderen Seite des Atlantiks Rennen fahren: Viper und Corvette. Beide Marken haben ihren Speed auf den High-Downforce-Strecken in der ALMS bereits unter Beweis gestellt. Von Corvette wissen wir, dass sie die Gegebenheiten in Le Mans perfekt kennen, während Viper nach über zehn Jahren Abstinenz erstmals wieder in Frankreich antreten wird.

Beide Hersteller stehen motorisch gut im Strumpf, mit den hubraumstärksten Triebwerken des GTE-Feldes. Corvette schaffte in der Vergangenheit trotz 5,5-Liter-V8-Motor 14 Runden mit einer Tankfüllung, auch Triple-Stints mit den Reifen sind machbar. Bei Viper dürfte der Verbrauch des Acht-Liter-Triebwerks Kopfzerbrechen bereiten, wohl aber nicht der Speed. Ohne große Le-Mans-Erfahrung ist bei Viper auch die mechanische Zuverlässigkeit ein Thema - die Amis stehen vor ihrem ersten großen 24h-Einsatz.

Nachregelung der Fahrzeugeinstufung?

Die komplizierte Gefechtslage wird noch unübersichtlicher, weil ACO und FIA bei den Fahrzeugeinstufungen (BOP) noch nachregeln können. Aber tun sie es? Aus ACO-Kreisen hört man, dass allenfalls Aston Martin leicht zurückgebunden werden könnte. Doch Ferrari war in Spa schneller als Aston Martin. Da ist guter Rat teuer, und die Chance steigt, dass ACO und FIA das heiße Eisen vor dem 24h-Kracher gar nicht mehr anpacken. Die Präzision der Prognosen für Le Mans liegt also leider weiter auf dem Niveau von blumigen Wettervorhersagen.

Fazit: Aston Martin, Ferrari und Corvette sind die Favoriten für Le Mans. Die Viper könnte im Qualifying für Aufsehen sorgen, im Rennen stehen hinter Verbrauch, Reifenverschleiß und Zuverlässigkeit gleich mehrere Fragezeichen. Porsche ist nach der Papierform nur Außenseiter - doch vielleicht ziehen die Schwaben ja noch ein weißes Kaninchen aus dem Hut.

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