Vortest-Ergebnis 24h-Rennen Le Mans 2012
Ist Audi oder Toyota besser gerüstet?

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1,277 Sekunden - das war der auf den ersten Blick höchst marginale Rückstand des brandneuen Werks-Toyota auf die erprobte Audi-Flotte beim Vortest zum 24h-Rennen in Le-Mans. Zahlen beschreiben immer eine Wahrheit, aber eben manchmal auch nur eine Teilwahrheit.

#7 - TOYOTA RACING - LM P1 - JPN - TOYOTA TS 030 - HYBRID
Foto: xpb

Erstes Aufeinandertreffen der Kontrahenten

Fakt ist, dass sich Toyota beim ersten Outing auf der 13,629 Kilometer langen Strecke von Le Mans beachtlich schlug, denn die Japaner aus Köln haben bisher nur alleine getestet und sich noch nie dem direkten Wettbewerb gestellt. Insofern kann man schon jetzt eine generelle Konkurrenzfähigkeit bei der Fahrzeug-Performance des TS0303-Hybrid feststellen. Dazu kommt, dass Toyota-Werksfahrer Alex Wurz bei seiner schnellsten Runde von 3.27,204 Minuten im dritten Sektor wegen einiger Überrundungen viel Zeit verlor. Gegen Ende der zweiten Testsitzung unternahm der Österreicher einen weiteren Anlauf für eine schnelle Runde, konnte sich in Sektor eins und zwei auch verbessern - und blieb abermals im kurvenreichen dritten Sektor im Verkehr des 61 Wagen starken Feldes stecken. „Das wäre schon noch ein ganzes Stück schneller gegangen“, so seine Bilanz nach dem ersten Kräftemessen mit Audi.

Auch die Progression der Rundenzeiten bei Toyota war vielversprechend: Gleich zu Beginn der ersten Sitzung markierten die Toyota TS030 Rundenzeiten im Bereich von 3.30 und 3.31 Minuten, auf noch grüner und damit in aller Regel rutschiger Strecke. Daraus kann man schließen, dass TMG in Köln gute Simulationsarbeit für Fahrwerk-Setup und Aero-Konfiguration geleistet hat. Beide Toyota TS030 spulten in den beiden vierstündigen Testsessions vor dem 24h-Rennen in Le Mans insgesamt 81 Runden ab, die vier Audi - je zwei Hybrid-R18 und zwei hybridlose R18 Ultra - schafften 172 Runden. Folglich spulten beide Hersteller ähnliche Programme mit vergleichbarer Kilometerleistung ab. Auch die Standzeiten bei Toyota lagen auf Normalmaß, was bedeutet, dass man keine Zeit mit größeren Reparaturen vertrödelte.

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Audi wurde schneller in Le Mans

Bleibt die entscheidende Frage: Was sind die Rundenzeiten vom Vortest wert, und besonders: Was sind die Audi-Zeiten wert? Können sie als Referenz zur Einordnung der Toyota-Zeiten dienen? Die Antwort lautet: eher nein. Audi-intern ging man vor dem Vortest davon aus, dass man auf Grund der vom Veranstalter ACO verfügten Leistungsreduzierung für den Diesel-V6-Motor - von 600 PS auf circa 550 PS - etwas langsamer sein würde als beim Vortest vor einem Jahr, wo man 3.27er Rundenzeiten schaffte. Nun war man aber heuer auf einmal volle zwei Sekunden schneller: Der Schotte Allan McNish schaffte eine Rundenzeit von 3.25,927 Minuten. Dafür sind mehrere Faktoren ausschlaggebend: Erstens scheint es offensichtlich, dass Audi die Reglement bedingten Leistungseinbußen beim Motor weitgehend kompensiert hat. Zweitens wurden weite Streckenteile in Le Mans neu asphaltiert, unter anderem die lange Hunaudières-Gerade, die Schikanen und der Bereich in Mulsanne. Der neue Belag liefert natürlich mehr Grip - und verbessert so automatisch die Rundenzeiten. Wie viele Sekunden für die Neuasphaltierung über insgesamt 5,4 Kilometer anzusetzen sind, wollten die Hersteller aber noch nicht kundtun.

Drittens - und das ist der entscheidende Punkt - verfügt der Hybrid-R18 über eine schöne Schippe Zusatzleistung, die in mehreren Portionen wieder an die Vorderräder abgegeben werden darf. Allein damit sollte er schneller sein als der Vorjahreswagen - und deutlich schneller als die baugleichen Schwesterwagen R18 Ultra, die ohne den Extraschub aus dem Hybridsystem auskommen müssen. Doch der schnellste Ultra-Audi verlor beim Vortest zum 24h-Rennen in Le Mans nur sechs Zehntelsekunden auf den Hybrid-R18 von Allan McNish. Das ist ein klares Indiz dafür, dass Audi die Karten nicht annähernd auf den Tisch gelegt hat, denn auf der langen Piste in Le Mans kann sieben Mal pro Runde in den Bremszonen Energie rekuperiert werden. Wenn Hybrid also irgendetwas bringt, dann in Le Mans. Doch davon war beim Vortest nichts zu sehen. Der baugleiche R18 Ultra wiegt zudem genauso viel der R18 E-tron quattro, auch die Aerodynamik ist weitgehend identisch. Die offensichtliche Mehrleistung des Hybrid wurde in Le Mans also nicht in Rundenzeit umgesetzt.

Neuer Asphalt bringt Vorteile für Alle

Der Vortest diente den beiden Hauptdarstellern Toyota und Audi vor allem Daten zu sammeln und - ganz wichtig - die Reifen auszusortieren, da man nur einmal im Jahr auf der Piste in le Mans trainieren kann, nämlich eben beim Vortest zum 24h-Rennen. Aus beiden Lagern war zu hören, dass die Neuasphaltierung den Reifenverschleiß generell gesenkt hat, offenbar weil der neue Belag sehr feinkörnig und feinporig ausfällt. Damit dürften wir im Rennen also Dreifach-, eventuell sogar Vierfachstints auf einem Satz Reifen zu sehen bekommen.

Neben dem Speed, dem Reifenverschleiß und dem Verbrauch dürfte die Zuverlässigkeit ein weiteres entscheidendes Kriterium beim 24h-Rennen am 16. und 17. Juni 2012 sein. Hier ist Audi klarer Favorit, weil Toyota in der Vorbereitung zum Le-Mans-Rennen wertvolle Testkilometer wegen eines Unfalls verlor. Sogar für Toyota-Technikdirektor Pascal Vasselon ist die Standfestigkeit die Achillesverse von Toyota: „Wir haben bisher noch keine 24h-Distanz an einem Stück abgespult. Ergo wird Le Mans für uns sehr hart. Bei einem Sechs-Stunden-Rennen würde ich uns gute Chancen einräumen, aber über die mörderische Distanz von 24 Stunden sieht das sicher anders aus.“


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