VW Up GTI Markenpokal
Tourenwagen-Grundschule mit 155 PS

Sie meinen, die Zeit der Markenpokale sei vorbei und Motorsport koste Millionen? Nicht im ADAC Tourenwagen Junior Cup. Für ein Wochenende im Windschatten der Junioren: ein Senior von auto motor und sport.

ADAC Tourenwagen Junior Cup
Foto: Seufert

Vielleicht hätte man ihm doch eine Ausgleichswelle einbauen sollen. Oder er will sich bloß meinem Puls anpassen? Warum sonst sollte der Dreizylinder gerade jetzt so daher rumpeln, als kurbele er kurz vorm Kolbenfresser? Box anfunken? Hier wird mit Tafeln kommuniziert. Lichthupe? Bloß nicht schon am Start Feinde machen.

Ist eh alles zu spät, denn schon leuchten vor meiner Frontscheibe rote Lichter auf. Also: erster Gang, Anfahrdrehzahl zurechtlegen und brav bis fünf zählen. So viele Lampen nämlich hat die Startampel der Motorsport Arena Oschersleben, wo der ADAC Tourenwagen Junior Cup heute gastiert – ein Markenpokal nach altem Rezept: gleiche Autos, einfache Technik, überschaubare Kosten.

Unsere Highlights

Motorsport Ü-15 ab rund 50.000 Euro pro Saison

An sechs Wochenenden pro Saison tauschen in dieser Serie Jugendliche ab 15 Jahren Schulbank oder Ausbildungsplatz gegen OMP-Schalensitz mit Sechspunktgurt, fahren in einheitlichen VW-Up-GTI-Rennwagen um die Wette, um sich das Rüstzeug für die Motorsportkarriere zu holen. Statt nach ein paar Jahren im Gokart Hunderttausende Euro in Formel-Serien zu verfeuern, um irgendwann doch im GT-Auto zu landen, bereiten sich die Jugendlichen in der Tourenwagen-Grundschule direkt auf den Sport vor – mit simpler Serientechnik und strengem Reglement.

Weil Motorsport auch mit einem VW Up nicht billig ist, spannt so mancher Nachwuchsfahrer die Familie mit ein, schraubt der Papa, kocht die Mama, helfen Freunde, fährt man den kurzen Rennwagen auf dem Anhänger zu den Rennstrecken. Günstig gerechnet kostet allein der Einsatz für eine Saison (sechs freie Trainings, zwölf Rennen und Qualifikations-Trainings) ab rund 45.000 Euro – ohne eigenes Auto, ohne Übernachtungen, ohne all das, was sonst noch dazu gehört. Schäden nicht mit einkalkuliert.

Nutzt man dazu die angebotenen Test-Tage, kommen nochmal ein paar Tausender obendrauf. "Mit den Kosten bewegen wir uns im Rahmen einer Saison im Gokart", sagt Serien-Erfinder Matthias Meyer, der den VW Up GTI zum Cup-Auto machte und an Interessenten verkauft.

ADAC Tourenwagen Junior Cup
Seufert

Das Feld liegt eng zusammen. Der Fahrer soll den Unterschied machen.

Umgebautes Serienauto mit Fensterhebern

Natürlich bringt der Up GTI im Tourenwagen-Trim all das mit, was ein Rennauto braucht – zum Beispiel Überrollschutz, Türnetz, Sicherheitstank oder das einstellbare Fahrwerk. Auch an Bord: Überbleibsel aus dem Straßenwagen wie Fensterheber, Zündschlüssel oder der (hier funktionslose) USB-Port für die Smartphone-Dockingstation. Um die Wartungs- und Reparaturkosten niedrig zu halten, bleiben allgemein viele Serienteile erhalten.

Zum Beispiel ebenjener rumpelnde Dreizylinder-Turbo, der normalerweise 116 PS leistet, im Cup-Auto über eine angepasste Software aber rund 155 PS erreicht – bei bis zu 1,6 bar Ladedruck. Ersatzteile bekommt man bei Matthias Meyer, beim VW-Händler um die Ecke oder für kleines Geld auf dem Schrottplatz. Und weil der Wiechers-Käfig in die Zelle geschraubt und nicht geschweißt wird, ist hier eine Karosserie am Start, die im ersten Leben mal Pizza-Pasta-Kurier war, nun bestückt mit all den Cup-Teilen, die nach einem Unfall noch brauchbar waren.

ADAC Tourenwagen Junior Cup
Seufert

Es geht fair zur Sache. Sachter Lackaustausch ist erlaubt. Große Crashs gehen ins Geld.

Beinahe-Crash bereits am Start

Zurück in die Startaufstellung, Platz sechs. Tiefe Sitzposition, der Oberkörper fest gegurtet. Chassis-Nummer 001 ist eigentlich Test- und Entwicklungsträger, darf heute das erste Mal Rennen fahren. Mit mir. Irgendwer hat sich den Spaß gemacht, die Startnummer 84 auf die Türen zu kleben – ein versteckter Hinweis darauf, dass ich noch aus dem letzten Jahrtausend komme. Das mit dem Anfahren klappt trotz der grauen Haare noch ganz gut.

Zumindest lupft das Kupplungspedal nur einen Wimpernschlag nach dem Erlöschen der Startampel, hüpft der knapp über eine Tonne schwere Up (laut Reglement muss das Fahrzeug ohne Fahrer nach dem Rennen mindestens 1.000 kg schwer sein) mit all seiner Turbo-Vehemenz leicht schlupfend nach vorn.

Und da steht Max Schlichenmacher, 15 Jahre alt, einer der Rookies im Feld. Steht? Genau! Und ich auch, und zwar voll auf dem Gas. So beginnt mein Rennen mit einem Ausweichmanöver nebst Platzgewinn, während ein Dutzend bunt beklebter Up über die Gerade fegt, um in der ersten Biegung mindestens eines der Räder zu heben.

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Rennsport-Cockpit mit Stahlkäfig von Wiechers, OMP-Schalensitz mit Sechspunkt-Gurt sowie langem Schalthebel mit Schaltwege-Verkürzung.

Fahrer soll den Unterschied machen

Kein Wunder, denn die Kombination aus über drei Grad Negativsturz vorn, Slickreifen, schmaler Spur und bis zu 1,3 g Querbeschleunigung entlastet gen Kurvenscheitel enorm. Damit die Up möglichst selten die Bodenhaftung verlieren, ihre Kraft via Drexler-Sperre effizient auf den Boden bringen, tüfteln die Tourenwagen-Grundschüler nach den Trainingseinheiten am Fahrwerks-Setup ihrer 33.900 Euro teuren Sportgeräte.

Dabei dürfen neben der Fahrhöhe auch Spur, Sturz, vorn zudem Stabi sowie Nachlauf geändert werden. Auch mit dem Reifenfülldruck experimentieren Teams und Racer hinter verschlossenen Zeltplanen. Denn hier zählt jede Kleinigkeit – und was der Fahrer daraus macht. "Der Fahrer soll hier den Unterschied machen, nicht das Auto", betont Meyer, der den Cup mit Unterstützung des ADAC Weser-Ems ausrichtet.

Ich mache erst einmal wenig, bleibe artig auf meiner Linie, halte Platz fünf, beobachte die zwei vor mir, täusche gelegentlich rechts und links an. Machen echte Rennfahrer doch auch so. Und von denen habe ich genug um mich herum, meist im Gokart erprobt, Pokale in der Vitrine, Förderverträge in der Tasche. Weil ein Unfall schnell viel Geld kosten kann, fahren die meisten Piloten mit Köpfchen statt Kamikaze. Zu groß ist die Gefahr, bestraft zu werden, etwas kaputt zu machen, punktelos nach Hause zu fahren.

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Seufert

In den Kurven hebt der Renn-Up auch schon mal das Beinchen.

Regen, Rennabbruch und den Sieg vor Augen

Denn immerhin winken dem Meister neben Ruhm und Ehre auch der Eintritt in den ADAC-Sportförder-Kader und die Einschreibegebühr für den Prototype Cup (LMP3) oder die Deutsche GT4-Serie. Wert: rund 25.000 Euro. Davon bin ich als rennfahrender Reporter zwar weit entfernt, doch inzwischen fühle ich mich richtig wohl im von Dörr Motorsport vorbereiteten Up. Dass die Truppe um Heiko Fulsche weiß, was sie tut, zeigt Stammfahrer Leon Arndt, der am Ende der Saison den Meistertitel holen wird.

Als Regen einsetzt, gerät Leon Bauchmüller vor mir kurz aus dem Konzept, bremst zu früh, lässt innen Platz. Vierter. Und dann flattern plötzlich rote Flaggen. Rennabbruch. "Wir wechseln auf Regenreifen", ruft Mechaniker Stephan. Gesagt, getan und fliegender Neustart bei inzwischen patschnasser Strecke.

Bereits in Kurve eins erwischt es den Führenden Tim Melzer, der mit kalten Reifen das Heck verliert. Dritter. Drei Ecken später komme ich gut aus der Kurve, kann ich mich vor der Dreifach-Links neben Linus Hahne setzen – wobei der brav mitspielt, während ich mir an seiner Tür den rechten Außenspiegel einklappe. Linus lässt nicht locker, hat in der sich anschließenden Rechtskurve die Nase vorn. Ich klopf kurz hinten an, bin früher am Gas und nutze den Moment, um vorbeizuziehen. Zweiter.

Schon eine Runde später hänge ich gefühlt in der Heckschürze des Führenden Mattis Pluschkell, dem späteren Vizemeister. Doch dann wird mir zum Verhängnis, dass mir im Vergleich zu einem Tourenwagen-Junior-Cup-Piloten zwei Dinge fehlen: volle Konzentration bis zum Schluss und etwas mehr Gefühl im Bremsfuß. Denn hatte ich erwähnt, dass die Cup-Up ohne ABS verzögern? Jetzt wissen Sie’s. Und ich auch wieder, während ich mir in der Hasseröder-Kurve eine große Portion Kies abhole. Ach ja, der rumpelnde Motor hat selbstverständlich gehalten. Rennmaschine eben. Karierte Flagge. Siebter.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten