Mercedes E-Klasse (W210) Kaufberatung
Wann der 90er-Jahr-Benz rostet und schwächelt

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Vier Augen und viel Rost: Die E-Klasse der 90er war Opfer eines geheimnisvollen Korrosionsproblems. Davon abgesehen ist sie recht solide – und empfehlenswert – meistens. Worauf Sie achten sollten.

Mercedes E-Klasse (W210), Frontansicht
Foto: Archiv

Bei Ford müssen sie heilfroh gewesen sein über die neue E-Klasse. Denn für den Glupschaugen-Scorpio hatten die Kölner kurz zuvor viel Häme kassiert. Und dann traute sich Mercedes 1995 auch was, verpasste der Mittelklasse vier runde Scheinwerfer. Können diese Augen lügen?

Natürlich muss in einer Story über den W210 auch der W124 vorkommen, diese heute von vielen als letzter echter Mercedes glorifizierte Baureihe. Also kurz ein Blick zurück auf den Start dieses Autos im Jahr 1984: Bonanza-Rodeo, schlierender Einarm-Wischer, derbe Qualitätsprobleme. Nicht nur die treuesten Kunden, die Taxifahrer, gingen auf die Barrikaden. Doch dann wurde alles gut bis zum Schluss, als noch niemand ahnte, dass die Umstellung auf wasserbasierte Lacke den W124 der letzten Baujahre ein wenig Glanz nehmen würde.

Das große Gebrauchtwagen-Spezial

Der W210, irgendwie so rundlichweich und dann noch mit zwei verschieden großen Rundscheinwerfer-Paaren versehen (auf die Mercedes in der Einführungskampagne sehr bewusst vorbereitet hatte), führte 1995 jedenfalls bei vielen zu Fremdelreaktionen. Dass Ford zuvor dem Scorpio Augen in den Bug operiert hatte, die die einen an Marty Feldman, die anderen an einen traurigen Karpfen erinnerten, machte die Sache nicht besser.

Mercedes E-Klasse W210 mit zahlreichen Innovationen

Der Ingenieursleistung wurde dennoch respektvoll gewürdigt. Bester cw-Wert ever, besonders helle Gasentladungs-Lampen in den Scheinwerfern, Einparkhilfe vorn und hinten, Klimaautomatik mit Smogsensor, Traktionskontrolle ETS, um 25 Prozent verlängerte Deformationswege im Bug, Seitenairbags, Regensensor, Gurtstraffer wie in der S-Klasse, Navigationssystem undsoweiterundsofort: Mercedes hatte tief in die Kiste mit Innovationen gegriffen, und auch das Marketing wandelte auf neuen Pfaden für dieses Modell, das wie sein immerhin 2,7 Millionen Mal verkaufter Vorgänger tragende Säule des Unternehmens werden sollte. Musste.

Wie bei der C-Klasse konnte sich der Kunde seine E-Klasse als Classic, Elegance oder Avantgarde konfigurieren, wobei Avantgarde neben dem leicht tiefergelegten, straffen Sportfahrwerk auch eine Auswahl an Dessins und Holzmaserungen mit sich brachte, die für Daimler-Verhältnisse sehr gewagt waren.

„Mehr Auto für weniger Geld“

Dazu kamen nach Art des Hauses massenhaft Optionen. Schon im Basismodell gab es elektrische Fensterheber hinten, eine Höhenverstellung auch für den Beifahrersitz, Wärmeschutzglas und eine Außentemperaturanzeige: eine klare Anhebung des serienmäßigen Ausstattungsniveaus also und damit, so Mercedes, „mehr Auto für weniger Geld“ als beim Vorgänger.

Um 4,2 bis 6,7 Prozent billiger als ein vergleichbarer W124 sei der Neue, rechnete der Hersteller vor. Er vergaß dabei nur zu erwähnen, dass er die W124-Preise kurz vor Verkaufsstart der Vieraugen-E-Klasse um rund 1,6 Prozent erhöht hatte.

Da klang vielen die Vorstandsaussage wie Hohn in den Ohren, gegenüber dem W124 sei der W210 in der Produktion um 30 Prozent billiger. Als sich dann bei manchen der ersten ausgelieferten W124 unterwegs die Radhausinnenschalen und die Unterbodenverkleidungen lösten, wurde es brenzlig. War das noch ein echter Mercedes? So komfortabel er auch fuhr, so agil er sich auch lenkte, weil statt der Kugelumlauflenkung des Vorgängers nun eine präzisere Zahnstangenlenkung verbaut war?

Mercedes E-Klasse W210 mit teils massivem Rostproblem

Na, wenn es nur das gewesen wäre. Bald aber zeigten sich auf dem glänzenden Lack braune Flecken. Fortan wurde Rost zum Dauerthema, und das nagt bis heute am Ruf des W210, obwohl der sich nach Beseitigung der Anlaufproblemchen als technisch rundum solide erwies.

Warum nur rostete dieser Mercedes wie nichts Gutes? Und das an Stellen, wo man es kaum für möglich hielt, sogar am Mercedes-Stern auf dem Kofferraumdeckel mit der kleinen Abrisskante, die der Limousine „ein coupéhaftes Erscheinungsbild“ verleihen sollte, wie es die Mercedes- Werber ausdrückten? Noch innerhalb der Kulanzzeit lackierte Mercedes ganze Dächer neu, bei der Limousine ebenso wie beim seit 1996 verkauften Großkombi, dem T-Modell. Weniger offensichtlich, aber umso heimtückischer: Die Federbeinaufnahmen gammelten an den Schweißnähten weg und legten so manchen E unfreiwillig an der Vorderachse tiefer.

Was war da geschehen? Die Erklärungen reichten von mangelhaftem Schutz der Hohlräume und des Unterbodens über minderwertige Bleche, stumpfe Stanzwerkzeuge, fehlerhafte Arbeitsabläufe bis hin zum Einsatz von Wasserlacken. Aufklärerisch wirkte hier die Studentin Ina Katrin Gühring, die im Jahr 2000, als das Drama unübersehbar war, an der Universität Stuttgart ihre Doktorarbeit zum Thema „Mikrobieller Befall von Elektrotauchlack in der Automobilindustrie“ vorlegte.

Das Drama mit dem Bakterienbefall

Mit Unterstützung von Daimler-Benz hatte sie herausgefunden, dass Ausscheidungen eines Bakterienstammes die Eigenschaften des Lacks verändern können. Je nachdem, wann neuer Lack angeliefert worden war und wann welches Karosserieteil lackiert wurde, war Korrosion nicht zu verhindern – oder auch kein Thema.

Der Blick auf den heutigen W210-Bestand bestätigt das: Es gibt zahlreiche E-Klassen, die nicht oder allenfalls nur so viel und dort rosten, wie man es einem Auto in diesem Alter gestatten kann. Einige wenige, die noch nicht den Weg des Bloß-weg-damit-Exports gegangen sind, gammeln rostbraun an den unmöglichsten Stellen ihrem nahen Ende entgegen – perfekte Winterschlurren für Motorradfahrer oder Verbrauchsautos für jene, die nur mit 14 Monaten Rest-TÜV billig mobil sein oder ein Häuschen bauen wollen.

Mercedes W210 überzeugt durch solide und seidige Motoren

Natürliche Auslese also, wobei es noch genügend Auswahl gibt. Wer auf eine goldene Zukunft seines Benz mit stabilen, vielleicht sogar leicht steigenden Preisen schielt, wählt unabhängig vom Rostthema ein Vor-Facelift-Modell mit einem der unkaputtbaren Vorkammer- Diesel oder, besser noch, einem der seidig laufenden Reihensechszylinder der legendären M-104-Familie. Die Dreiventil-V6, die 1997 mit dem E 240 starteten, laufen allerdings auch sehr geschmeidig.

Für Langstreckenfahrer und Genießer empfehlen sich bestens die V8-Kolosse vom E 420 an aufwärts. Bei 200.000 Kilometern könnte man die Führungsschienen der Steuerketten wechseln, zuvor schon Getriebeöl und -ölfilter – und dann dürfte es bei guter Pflege problemlos zehnmal um die Erde gehen können mit einem Antriebskomfort, der auch heute noch Spitzenklasse ist.

Die „Mopf“ von 1999 – zuvor waren schon die Allrad-Versionen 4Matic präsentiert worden – verwässerte dann ein wenig die eigenwillige Ur-Linie, brachte Neuerungen wie Multifunktionslenkrad oder Sechsgangschaltung, neue Ausbaustufen der CDI-Diesel (die weniger langlebig, aber sparsamer sind als die alten Vorkammer-Diesel) und noch mehr Ausstattungskomfort. Den Kern der E-Klasse W210 und des T-Modells S 210, das für sein plumpes Heck mit einem immens großen Kofferraum entschädigt, berührte diese Modellpflege aber nicht.

Der W210 eignet sich für Pragmatiker, wie auch für Genießer

Ein 210er war und ist ein herrlich unaufgeregtes Automobil, das im Innenraum sehr wohl die hohe Güte der Verarbeitung spüren lässt und die Kondition des Fahrers fördert, anstatt Aktion zu fordern. Das „Willkommen zu Hause“-Gefühl stellt sich schnell ein hinter diesem klassischen Cockpit mit dem großen Zentraltacho – in die bequemen Sitze gelümmelt, die sich perfekt mittels Miniatursitz in der Türverkleidung einstellen lassen, wenn der Erstkäufer richtig Geld in die Hand genommen hat. Zweifarbiges Leder in zum Teil gewöhnungsbedürftigen Tönen? Oho, ein Designo-Exemplar oder auch ein AMG. Man sollte sich trauen, diesen Zeitgeist zu atmen.

Wer die E-Klasse W210, wie viele Erstkäufer auch, als Diesel möchte, braucht in den meisten Fällen keine Sorge wegen der Umweltzonen zu haben. Die grüne Plakette ist entweder serienmäßig möglich oder durch Nachrüstungen. Selbst der müde 220 D von 1995, dessen 95 PS heute doch ein wenig schütter wirken, ist ein zukunftssicherer Kauf, wenn die Karosserie noch gut beieinander ist.

Es hat sich also wenig geändert. Wie damals eignet sich der W210 heute für den kostenbewussten Pragmatiker ebenso wie für den Genießer. Im Grunde taugt er heute sogar noch mehr. Denn hat ein W210 in gutem Zustand überlebt, wird er nicht mehr schlechter werden

Fazit

Mögen die Streuscheiben der Scheinwerfer auch alterstrübe sein: Der W210 bietet so immens viel Auto fürs Geld, dass er mehr Beachtung verdient hätte. Die Rostbeulen sind längst vom Markt, geblieben sind die Billigst-Alltagsschlurren und die Exemplare, die in zweiter oder dritter Hand ein gutes Leben hatten. Ein E 320, 420 oder gar 55 AMG wären eine Versuchung. Gern auch als T-Modell mit 4Matic.