Tacho-Manipulation
Kinderspiel für Betrüger

Heutzutage reichen schon kleine Minicomputer und Software, um den Kilometerstand am digitalen Tacho zu frisieren – selbst bei neuen Autos. Die Autohersteller unternehmen nichts dagegen.

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Foto: Dino Eisele

Es ist nur eine Zahl, die wir verändern. Einmal drücken, das war es. Doch die einfache Änderung hat Auswirkungen – negative. Denn eben standen mehr als 146.000 km auf dem Tacho, jetzt sind es noch 21.000, und das alles in weniger als 60 Sekunden. Bei modernen Digitaltachos geht das mit den entsprechenden Geräten und Softare, die wir beim ADAC in Landsberg ausprobieren durften, schnell und vor allem kinderleicht. Mehr als die Fähigkeit, einen Touchscreen zu bedienen, ist nicht nötig.

Das große Gebrauchtwagen-Spezial

Selbst bei neuen Autos, die keine 3 Jahre alt sind, dauert die Arbeit nur Augenblicke. Das ist alarmierend. Dass gehandelt werden muss, hat der ADAC schon vor Jahren erkannt und besorgte sich deshalb die Geräte, um Erfahrungen gegen Tacho-Manipulation zu sammeln. Im Netz tummeln sich mittlerweile massenhaft Anbieter, die ganz legal Geräte zur Tacho-Manipulation verkaufen, sogar mit Zustimmung des Bundesverfassungsgerichts.

Extreme Preissteigerung durch Tacho-Manipulation

Zwar ist in Deutschland die Verfälschung von Kilometerständen verboten; das Bereitstellen der entsprechenden Geräte, die laut Produktbeschreibung der Reparatur und der Justierung der Wegstreckenzähler dienen, ist jedoch nicht strafbar. Rechtsanwalt Martin Diebold, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein, sieht hier eine schwerwiegende Lücke im Gesetz. Im Grunde sei es wie beim Verbot von Radarwarnern in Navigationsgeräten oder von Blitzer-Apps für Smartphones, sie dürften auch verkauft, aber nicht aktiviert werden, so der Anwalt.

Betroffene Autofahrer ärgern sich über diese Gesetzeslücke. Ein kurzer Blick auf die Listen von DAT oder Schwacke zeigt den Grund: Ein 5 Jahre alter Golf VI mit 160.000 km Laufleistung hat etwa einen Wert von 6.000 €. Wird der Kilometerstand jedoch auf 40.000 km zurückgedreht, werden für dasselbe Fahrzeug gut und gerne über 11.000 € aufgerufen.

Ein ähnliches Bild zeigt sich in allen Segmenten – von Kleinwagen bis zur Oberklasse, wobei die Preissteigerungen bei letztgenannten Fahrzeugen wegen des höheren Grundpreises noch einmal deutlich größer sind. So bringt eine Mercedes S-Klasse aus dem Jahr 2010 mit 160.000 km auf der Uhr nach DAT rund 24.000 € ein. Damit der Wert um 6.000 € steigt, genügen 80.000 km weniger auf dem Zähler. Wird die Anzeige im Kombi-Instrument um 120.000 km zurückgedreht, steigt der Gewinn sogar um fast 9.000 €.

Hohe Gewinne für Betrüger

Nach Schätzungen der Polizei ist bei jedem dritten Gebrauchtwagen in Deutschland der Tachostand manipuliert. Bei rund 7 Mio. gehandelten Gebrauchten pro Jahr und einem konservativ geschätzten Schaden von jeweils 3.000 € entsteht so ein volkswirtschaftlicher Verlust von rund 7 Mrd. € – jedes Jahr.

Wie lukrativ die illegalen Manipulationen für die Tachotrickser sind, wird deutlich, wenn man ihre Gewinne betrachtet. Sie investieren lediglich in Geräte, die es schon für 150 € gibt, für weniger als 100 € ist die Software samt USB-Kabel erhältlich und ab 50 € die sogenannte Dienstleistung. Mit anderen Worten: Die Branche macht jedes Jahr im Schnitt mehr als 300 Mio. € Gewinn.

"Es geht jedoch nicht nur um den zu hohen Fahrzeugpreis", meint Thomas Schuster, Prüfingenieur bei der KÜS. Wegen der falschen Kilometeranzeige verpassten die Käufer häufig die vorgegebenen Service-Termine. "Wenn es dumm läuft und beispielsweise der Keilriemen reißt, kann ein Motorschaden die Folge sein. Zum ohnehin überteuerten Kaufpreis addieren sich dann auch noch hohe Reparaturkosten." Solch ein Fall ist keine Seltenheit, wie ein Beispiel belegt.

Kaum eine Chance gegen Kriminelle

Auf einer der gewerblichen Gebrauchtwagen-Auktionsbörsen kaufte ein Händler, der wegen laufender Ermittlungen seinen Namen nicht nennen möchte, Ende 2014 einen BMW 330xd mit einem Zählerstand von knapp 130.000 km. Kurz nach dem Verkauf hatte das Auto jedoch einen Motorschaden, und BMW kündigte wegen der geringen Laufleistung zunächst eine Reparatur auf Kulanz an. Es stellte sich jedoch heraus, dass der Wagen Mitte 2012 bereits mit rund 183.000 km in einer BMW-Werkstatt war. Auf anschließende Anfrage bei der Auktionsbörse wurde dem Händler von dort ein Tellerrapport aus den Niederlanden vorgelegt, der dem BMW drei Monate nach dem Werkstattbesuch eine Laufleistung von rund 46.000 Kilometern bescheinigte.

Obwohl der Tellerrapport-Eintrag bei den Nachbarn in Holland gesetzlich verpflichtend ist und jedes Fahrzeug in die Datenbank aufgenommen werden muss, wurde offensichtlich ein gefälschter Kilometerstand hinterlegt. Tatsächlich lag der echte Zählerstand beim 330xd bei mindestens 260.000 km – er war also doppelt so hoch. BMW lehnte die Kulanz ab, und der Händler musste aufgrund der Gewährleistungspflicht die Kosten für den Austauschmotor selbst übernehmen.

Dass ein Gutachten den Betrug vorher ans Licht gebracht hätte, bezweifelt KÜS-Mann Schuster. "Wenn der Tacho-Betrug professionell durchgeführt wurde, haben wir kaum eine Chance. Dafür fehlen uns schlicht die technischen Möglichkeiten", erklärt er. Einzig die Hersteller könnten bei einer Untersuchung herausfinden, ob der Tacho gedreht wurde. Dem entgegen steht jedoch das Werbeversprechen der dubiosen Dienstleister. Die preisen ihre Arbeit im Web mit Sprüchen an wie: "Nur wir überschreiben alle relevanten Speicher" oder: "Löscht die Konkurrenz auch bis zu 87 Speicherplätze?" Fraglich ist, warum die Autohersteller bislang nichts gegen die Betrüger unternehmen und abwiegeln: "Alles nur Einzelfälle, wir sehen da kein Problem und keinen Handlungsbedarf."

Die Autohersteller sind gefordert

Wenn es nach Arnulf Thiemel von der ADAC-Fahrzeugtechnik geht, ist die Sache klar: "Die Hersteller haben schlicht kein Interesse an mehr Transparenz. Selbst dann nicht, wenn es sich um Fahrzeuge aus den eigenen Leasingverträgen handelt." Schließlich würden die meisten Leasingrückläufer direkt an große Auktionshäuser weitergereicht, und die verkaufen wiederum an gewerbliche Kunden, bei denen sie die Gewährleistung ausschließen und das Risiko damit auf die Käufer abwälzen.

An den technischen Möglichkeiten scheitert es indes nicht. Die Autohersteller verwenden schon seit geraumer Zeit sogenannte HSM-Speicher, um sich beispielsweise vor Chip-Tuning zu schützen. Diese Module sind so aufgebaut, dass Daten, die einmal darauf hinterlegt wurden, nicht überschrieben werden können. Eine Funktion, die auch gegen die Tacho-Manipulation eingesetzt werden kann. Wie so oft sind die Hersteller aber zu knausrig und nicht bereit, die lediglich notwendigen 99 Cent mehr pro Fahrzeug zu investieren.

"Bis zu ein Jahr Freiheitsstrafe für Tacho-Manipulation"

Wir sprachen mit Martin Diebold von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein.

Darf man Tachos überhaupt manipulieren?

Diebold: Das Gesetz spricht vom sogenannten Wegstreckenzähler, also dem Hodometer, und verbietet nach Paragraf 22b des Straßenverkehrsrechts eindeutig die Verfälschung des Kilometerstands oder die Beeinflussung der Messung und sieht eine Geld- oder sogar Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr vor. Im Ausland kann die Sache jedoch anders aussehen.

Wieso gibt es dann so viele schwarze Schafe, die eine Veränderung des Kilometerstands in Deutschland offen als Dienstleistung anbieten?

Diebold: Das Problem ist, dass lediglich die Verfälschung des Kilometerstands strafbar ist, wer aber nach einem Defekt ein neues oder gebrauchtes Kombi-Instrument kauft und die Anzeige an den tatsächlichen Kilometerstand anpassen will, darf das. Beim Verkauf des Fahrzeugs sollte er den Käufer allerdings darauf hinweisen. Zudem gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das Geräte erlaubt, die neben der Tacho-Manipulation auch legale Eingriffe wie beispielsweise das Auslesen des Fehlerspeichers vornehmen können.

Wie kann ich mich dann vor einem manipulierten Tacho schützen und die Manipulation erkennen?

Diebold: Ein Rettungsanker ist die gesetzliche Gewährleistungspflicht, aufgrund derer Mängel im ersten Jahr vom Verkäufer beseitigt werden müssen. Diese können Privatleute jedoch ausschließen. Einen 100-prozentigen Schutz gibt es daher nicht. Zudem sind die Kunden in der Beweispflicht. Das heißt, wenn Sie davon ausgehen, dass Ihr Tacho gedreht wurde, müssen Sie dem Verkäufer nachweisen, dass er von der Manipulation gewusst hat und damit ein arglistiger Betrug vorliegt.

Welche Schritte leite ich bei einem solchen Verdacht bestenfalls ein?

Diebold: Ich würde dazu raten, zusammen mit einem Anwalt ein selbstständiges Beweisverfahren einzuleiten. Hier wird ein vom Gericht bestellter Sachverständiger eingeschaltet, der überprüft, ob eine Manipulation stattgefunden hat. Der Vorteil: Der Gutachter muss keine Aussage treffen, um wie viel der Kilometerstand verfälscht wurde, es genügt die Bestätigung, dass eine Manipulation stattfand.

Und wie groß sind die Erfolgschancen, und wer trägt die Kosten?

Diebold: Das ist sehr vom Fall abhängig und davon, wie umfangreich die Manipulation war. Bei sehr gründlich und professionell durchgeführten Arbeiten ist es schwieriger für den Sachverständigen. Die Kosten für den Anwalt und den Gutachter übernimmt bei begründetem Verdacht jedoch die Rechtsschutzversicherung.

Ein lohnendes Geschäft

Der Dreh am Tacho ist zwar strafbar, aber leider auch sehr lukrativ. Bei manchen Autos erzielen die Betrüger bis zu 9.000 € Mehrpreis.

Mit Kilometerstand 160.000 liegt der Preis eines Mercedes S 350 bei rund 24.000 €. Durch Zurückstellen der Kilometeranzeige können Betrüger mit demselben Fahrzeug fast 9.000 € mehr erzielen. Bei einem Golf VI 1.4 TSI, so zeigen es die DAT-Zahlen, verdoppelt sich der Wert sogar fast, wenn der digitale Tacho illegal um 120.000 auf 40.000 km zurückgedreht wird.

Einfache Manipulation

Weil die Hersteller ihre Fahrzeuge nicht vor den illegalen Eingriffen schützen, lassen sich Kilometerstände kinderleicht manipulieren und zurückdrehen.

Keine düsteren Hinterzimmer, keine verlassenen Raststätten, keine zwielichtigen Seitenstraßen – und erst recht keine Bohrmaschinen. Für unter 150 € gibt es im Internet Soft- und Hardware, die es sogar Laien ermöglicht, den Kilometerstand binnen Sekunden rechtswidrig zu verändern.

HSM-Chips könnten helfen

Eine technische Lösung gegen Tacho-Manipulation gibt es bereits, die Autohersteller scheuen jedoch die Kosten.

Die sogenannten HSM-Chips haben ein integriertes Hardware-Sicherheitsmodul, das die Hersteller unter anderem nutzen, um Motorsteuergeräte vor Chip-Tuning zu schützen. Laut Zulieferbranche wäre es jedoch ein Leichtes, die Technik auch zum Schutz vor Tacho-Manipulation zu nutzen. Es fehlt lediglich die entsprechende Codierung der Chips.

So schützen sie sich vor Betrügern

Ein Schelm, wer Böses denkt, aber es gibt Angebote, die sind zu schön, um wahr zu sein. Aus diesem Grund sollten Sie beim Gebrauchtkauf nicht allein auf den Kilometerstand im Kombi-Instrument vertrauen. Mit diesen Tricks kommen Sie so manchem Betrüger auf die Spur.

Wie hoch war der Tachostand bei den letzten Ölwechseln? Häufig finden sich im Motorraum Hinweise auf bereits erreichte Laufleistungen. Beispiel: wenn die Werkstätten Ölwechsel vorgenommen und die alten Zettel nicht entfernt haben. Gibt es hier Unstimmigkeiten mit dem Tachostand, ist eine Manipulation sehr wahrscheinlich.

Sind die Unterlagen vollständig? TÜV-Untersuchungen, alte Kaufverträge und Werkstattrechnungen enthalten häufig auch Angaben zur Laufleistung. Sind diese Unterlagen lückenlos, können Sie nicht nur einen Reparaturstau ausschließen, sondern auch bei der Werkstatt nach Auffälligkeiten fragen.

Wie steht es um das Scheckheft? Scheckheftgepflegte Fahrzeuge sind auf dem Gebrauchtwagenmarkt meist etwas teurer – und das häufig zu Recht, schließlich sind die Stempel Garant für pfleglichen Umgang und zeigen schnell, ob beispielsweise ein Wartungsstau besteht. Mittlerweile tummeln sich auf Internetplattformen aber unseriöse Anbieter, die bereits durchgestempelte Scheckhefte aus Fernost verkaufen, in die nur noch Kilometerstand und Datum eingetragen werden müssen. Auch hier lohnt es sich daher, vor dem Autokauf bei den Werkstätten zu fragen, ob die Angaben im Scheckheft auch stimmen und ob der Werkstattmeister das Fahrzeug überhaupt jemals zu Gesicht bekommen hat.

Ist der Verkäufer vertrauenerweckend? Eine 100-Prozent-Garantie gibt es nicht. Insbesondere beim Händler sollten Sie sich daher nicht auf Formulierungen wie "Kilometerstand wie abgelesen" einlassen. Im Zweifel: Finger weg!

Einzelfälle? Die Realität sieht anders aus

Die Autohersteller machen es den Betrügern viel zu einfach. Bei diesen Betrügereien lässt der Verbraucherschutz wieder einmal auf sich warten, und am Ende schaut allein der Käufer in die Röhre. Dabei ist die Lösung des Problems so einfach, schließlich verwenden viele Hersteller die HSM-Technik bereits an anderer Stelle. Für nicht einmal einen Euro mehr könnten sie den Tachobetrügern so das Handwerk legen – oder es zumindest so schwierig machen, dass die Manipulation zu aufwendig wird. Denn spätestens wenn Teile ausgebaut oder gar ausgetauscht werden müssen, wird der Betrug für den Laien unattraktiv und es bedarf deutlich mehr krimineller Energie, als sich auf dem Supermarktparkplatz mit einem Tachodreher zu verabreden.

Zudem gaukeln Datenbanken wie der niederländische Tellerrapport falsche Sicherheit vor. Denn spätestens seitdem Scheckhefte mit gefälschten Stempeln zu haben sind, bleibt es nur eine Frage der Zeit, bis die Betrüger ein Schlupfloch für die Datenbanken finden. Fairerweise sei aber gesagt, dass auch die HSM-Chips keinen absoluten Schutz vor Betrügern bieten. Völlig unverständlich ist es also, dass die Autohersteller, auf die Tacho-Manipulationen angesprochen, sagen: Da sehen wir kein Problem, sind doch alles nur Einzelfälle. Das ist pure Ignoranz.