Zukunftsszenarien der Designer
SMS auf der Radkappe

SMS auf der Radkappe, Seitenscheiben als transparente Bildschirme, die Steuerung von Funktionen über Hologramme: Ungewöhnliche Ideen haben die führenden Autodesigner der Welt auf die Bitte von auto motor und sport verraten, konkret das Auto der Zukunft im Jahr 2030 zu beschreiben.

Marc Lichte, ams1314, Audi, Designerköpfe
Foto: Audi

Marc Lichte, Audi-Designchef 

Ein Fahrerlebnis für alle Sinne, das jeden im Auto gleichermaßen berührt – das ist das Ziel der Studie 2030. Heute richtet sich im Auto fast die gesamte Aufmerksamkeit auf den Fahrer. Doch die gesellschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen werden sich ändern. In der vorliegenden Studie befinden sich – symbolisch gesprochen – alle Passagiere im Mittelpunkt.

Ein besonderes Augenmerk legen wir dabei auf das Beifahrer-Infotainment. Wir gestalten eine Bühne, auf der sich alle Inhalte dreidimensional inszenieren lassen. Denkbar ist ein Hologramm, das über die Gestik steuerbar ist. Der Beifahrer kann bequem auf alle Fahrzeuginformationen zurückgreifen, genauso wie auf den Content seiner Cloud. Auch die Fondpassagiere profitieren – dank eines individuellen Rear-Seat-Entertainments. Das Interieur wird sich den Bedürfnissen der Kunden anpassen. 

Unsere Highlights

Für den Selbstfahrer bedeutet dies: Informationen werden per Augmented Reality in seine Sichtachse projiziert. Entscheidet er sich für das pilotierte Fahren, rücken Infotainment-Inhalte in den Vordergrund. Der Einsatz von nachhaltigen Materialien und Luxus, bisher ein scheinbarer Widerspruch, löst sich auf. Die Audi-typische Qualität wird wieder mit allen Sinnen erlebbar. Einzelne Komponenten im Interieur verschmelzen zu einer Einheit und werden zu einem fließenden Raumkonzept. So nehmen Applikationsleisten auch Anzeigenelemente in sich auf. Es entsteht eine progressive Architektur, die durch formale Klarheit überzeugt. 

Adrian van Hooydonk, BMW-Designchef 

Wir stehen heute am Anfang größerer Veränderungen – und 2030 sind diese Veränderungen vollzogen. Wir haben dann Autos, die zumindest teilelektrisch fahren, das ist bis dahin kein Thema mehr. Über die "Connectivity" wird sichergestellt, dass keine Unfälle mehr passieren. Heute reden wir noch über Einzelsysteme, über die jedes Auto mit dem Internet verbunden ist. Bis dahin wissen die Fahrzeuge voneinander, wo sie sich gerade befinden. Auch bei der Bedienung stehen wir vor einem Scheideweg. Natürlich wird es auch zukünftig ein Lenkrad geben, aber viele andere Knöpfe können verschwinden. Der Rest ist extrem aufgeräumt, viele Funktionen scheinen nur noch auf, wenn man sie auch wirklich benötigt.

Das Head-up-Display bleibt erhalten, wird sich in seiner Funktion aber in Richtung Augmented Reality (computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung, Anm. der Red.) weiterentwickeln. 

Es zeigt zum Beispiel auch an, wie die Gebäude in der Umgebung heißen. Irgendwann werden sich aber eh alle Informationen in der Cloud befinden, dann braucht man gar keine Rechner mehr. Möglicherweise gewinnen aber auch die Datenbrillen an Bedeutung, das kann ich mir als kostengünstige Lösung besonders für kleinere Autos vorstellen. Die Seitenscheiben könnten die Funktion transparenter Bildschirme übernehmen und die Räderkappen LED-Leuchtbänder bekommen, auf denen man SMS lesen kann – das sind alles Technologien, die möglich sind, aber nicht zu sehr in den Vordergrund rücken dürfen. Unser Hauptziel muss die Schönheit der Autos bleiben.

Shiro Nakamura, Nissan 

Seit es das Internet und Smartphones gibt, hat sich unser Leben dramatisch geändert – was auch das Auto betrifft. Navigationssystem und die Internetverbindung sind entscheidender Bestandteil des Interieurs geworden, sodass wir das Design danach ausrichten. Die Frontscheibe wird ein großes Head-up-Display mit vielen Informationen werden. Der Trend geht zu einer komfortablen und stressfreien Bedienung. Bis 2030 wird das autonome Fahren sehr populär geworden sein, weil es wesentlich dazu beiträgt, Unfälle zu verhindern und Staus in den Städten zu reduzieren. Das Auto wird eine Art Partner des Menschen werden, mit dem er dann auch kommuniziert. Ein weiterer Trend wird der nahtlose Übergang zwischen der virtuellen und der realen Welt sein. Was auch in Zukunft bleibt: ein Exterieur-Design, das Emotionen weckt.

Martin Smith, Ford 

Das Auto der Zukunft wird sich von den heutigen Fahrzeugen in vielerlei Hinsicht unterscheiden. Zwei Aspekte möchte ich dabei besonders aufgreifen: das aktive und das passive oder autonome Fahren. Beim aktiven Fahren soll der Fahrer sich intuitiv zurechtfinden können. Die Anzahl der Schaltereinheiten wird auf ein Minimum reduziert, möglicherweise gibt es nur noch ein oder zwei zentrale Haupt- oder Multifunktionsschalter. Informationen werden über ein großformatiges Head-up-Display oder die gesamte Windschutzscheibe angezeigt. Die Bedienung insgesamt verlagert sich immer mehr in Richtung Voice Control. Das autonome Fahren gewinnt dabei stetig an Bedeutung. Dabei rückt der Wohlfühlfaktor der Passagiere immer stärker in den Vordergrund. Fahrer und Mitfahrer bevorzugen im Interieur ein angenehmes Ambiente, das beispielsweise einer Lounge gleicht. 

Gorden Wagener, Mercedes 

Wir Designer leben und gestalten ein Stück Zukunft, und ich bin mir sicher, dass sich die Welt wandeln und das Auto radikal verändern wird. Der "third place" – so wird der Lebensraum Auto heute schon genannt – bildet das Scharnier zwischen "Home" und "Office". Und wird einen Paradigmenshift im Automobil erzeugen. Denn er ist der Ort, an dem die Passagiere zunehmend modernen Luxus genießen. Er drückt sich durch eine Kombination von Hightech und traditioneller Handwerkskunst aus. Das "Wahre" ist gefragt – emotionale und gleichzeitig authentische Ereignisse. Das bedeutet klare Linien, die Reduktion auf das Wesentliche, spannungsvoll und dennoch harmonisch. Die Gestaltung erzeugt eine Atmosphäre des modernen Luxus. 

Dazu gehören veränderliche Lichtstimmungen in verschiedenen, auch farbig schaltbaren Moods. Auch der Stil und die Inhalte der Informations-Displays lassen sich aus vielen Optionen wählen, weitere Display-Flächen mit Unterhaltungsfunktionen beleben den Innenraum. Pulsierendes Klima kreiert mit Beduftungselementen komfortable und persönliche Wellness-Moods. Die Bedienung lässt sich mit einfacher Sprach- und Gestensteuerung erledigen und trägt damit zur Entschleunigung bei. Das Auto der Zukunft bietet beides: eine Lounge-Atmosphäre und ein automobiles Gefühl. Denn intensiv erlebter Fahrspaß wird immer hoch geschätzt sein, weil er die direktesten, ganz persönlichen sinnlichen Erfahrungen ermöglicht.

Klaus Bischoff, VW 

Der stetig wachsende Mobilitätsdrang der Menschheit wird im Jahr 2030 insbesondere in den Ballungsräumen eine extreme Verkehrsdichte mit sich bringen. Für die Automobilindustrie stellt sich die Aufgabe, an intelligent vernetzten Fahrzeugsystemen zu arbeiten, um einen koordinierten und störungsfreien Verkehrsfluss zu gewährleisten. Für uns Designer formulieren sich daraus spannende Aufgaben und Chancen, um den komplexen Alltag mit dem Automobil für den Fahrer und die Passagiere stressfrei und konstruktiv zu gestalten. Die wachsende Zahl der Fahrerassistenzsysteme und deren technischer Reifegrad führen unaufhaltsam in Richtung autonomes Fahren. Diese Art der computergesteuerten Mobilität wird ein komplettes Umdenken erfordern – vom System bis zur Bedienphilosophie. Unsere Kunden haben jetzt schon das Bedürfnis, permanent online zu sein und Informationen in Echtzeit abzurufen und darstellen zu können. 

Diese Informationen werden sowohl auf flexible Displays wie auch auf den Scheiben visualisiert werden. Mixed-Reality-Darstellungen, die Hinweise zum Verkehr einspielen, werden den Informationsbedarf ergänzen. Auch das Exterieur-Design der Fahrzeuge wird sich deutlich verändern. Neben der Weiterentwicklung der markenspezifischen Formensprache werden vor allem neue Werkstoffphilosophien ein progressives Design mit sich bringen. Zudem werden Themen wie alternative Antriebstechnologien, Leichtbau und Aerodynamik die Gestaltung markant prägen. Mit unserem XL1 haben wir diesen Weg bereits erfolgreich eingeschlagen. Form und Funktion sind hier untrennbar miteinander verknüpft. Das wird auch 2030 noch Gültigkeit haben. 

Michael Mauer, Porsche 

Erst zu dem Zeitpunkt, an dem die neuen Technologien deutlich weniger Platz beanspruchen (kleinere Akkus, Radnabenmotoren etc.), können das Package und damit die Architektur des Fahrzeugs grundlegend neu gestaltet werden. Daraus können sich dann auch völlig neue Proportionen ergeben. Erst dann wird sich die Elektromobilität, oder welche Antriebsart auch immer, mehr als nur in der Verpackung (Styling) ausdrücken. Ähnlich wie sich die Proportionen der Fahrzeuge verändert haben, nachdem die Motoren immer leistungsfähiger, aber eben auch, und das ist entscheidend, immer kleiner wurden. Autos der 30er-Jahre hatten extrem lange Motorhauben und sehr eindrückliche Proportionen. Die Verkleinerung der (konventionellen) Antriebstechnologie hat mehr Platz für die Menschen geschaffen und mehr Stauraum. Und damit haben sich auch die Proportionen signifikant geändert. 

Mark Adams, Opel

Die Fahrzeuge werden kleiner und aufregender mit mehr Charakter in der Formensprache. Neue Technologien bieten im Innenraum mehr Ruhe und Schutz für die Passagiere. Das Downsizing der Antriebsaggregate wird sich weiter fortsetzen, und effiziente Technologien können in allen Fahrzeugklassen eingesetzt werden. Hiervon profitiert das Außendesign, welches in Zukunft noch spannendere Formen zulässt. Signifikante Verbesserungen in der Sprachsteuerung erlauben es, die Anzahl der Schalter und Knöpfe im Innenraum zu reduzieren. Dies erleichtert die Bedienung des Fahrzeugs für den Piloten. Autonomes Fahren bietet zukünftig neue Potenziale für die Gestaltung des Interieurs, die bisher für Automobile Zeile hängt minimal nach links raus.nicht denkbar gewesen wären.

Die weiteren Themen in auto motor und sport, Heft 13, ab dem 12.6.2014 im Handel:

  • Die Stars der 2. Halbzeit 2014
  • Leserwahl "Die schönsten Autos"
  • Kompakt-SUV im Vergleich
  • Zur Online-Vorschau