Mercedes CLS 63 AMG im Supertest
Rauch-Zeichen der Powerlimousine

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Coupé oder Limousine, Sportwagen oder „nur“ Playmobil für Leistungshungrige? Am Mercedes CLS 63 AMG scheiden sich die Geister. In einem Punkt jedoch sind sich alle einig: Begeisterungspotential ist vorhanden - und zwar in jeglicher Beziehung.

Mercedes CLS 63 AMG, Heckansicht
Foto: Rossen Gargolov

Es ist das alte Lied: Masse belastet. Dabei sind es unterm Strich meist gar nicht die Kilos selbst, die ein folgenschweres Dilemma heraufbeschwören. Allein der Gedanke an sie sorgt für Verwirrung. Zwei Tonnen fahrfertiges Gewicht schlagen – ganz gleich, ob Coupé oder Limousine –, schlicht und einfach aufs Gemüt. Nach gängiger Schätzung konservativ eingestellter Sportfahrer-Kreise sind 2000 Kilogramm mindestens eine halbe Tonne zu viel.

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Da stellt sich dem Umbefangenen sofort die Frage: Zu viel für was? Zu viel, um schnell fahren zu können? Stimmt leider nicht. Zu viel, um entspannt, zügig und gut unterhalten von A nach B reisen zu können – auch das unwahr.

Oder verbietet sich angesichts dieser Masse gar die aufrechte Nutzung einer abgeschlossenen Rennstrecke, sagen wir der Nordschleife des Nürburgrings? Selbst das nicht – schon wegen ihrer rechtlichen Stellung als eine für Kraftfahrzeuge aller Art freigegebenen, einspurigen Landstraße ohne Geschwindigkeitsbegrenzung. Sogar Omnibussen ist es gestattet, sich dort auszutoben.

Ein Zweitonner mit einem Freiticket für die Ring-Parade

Unabhängig davon bezieht der Mercedes CLS 63 AMG die Legitimation, sich auf dem Ring zu zeigen, durch auffällig professionelle Verhaltensweisen: Mit einer Supertest-Rundenzeit von 7.59 Minuten verschafft er sich ein selbstverständliches Hausrecht auf dem Ring. Er ist damit sozusagen im Besitz des Generalschlüssels, der es ihm erlaubt, dort mit Billigung der Konkurrenz ohne Gesichtsverlust zu verkehren – trotz seines Gewichts- und Größenhandicaps.

Wie bitte? Ein Zweitonner mit einem Freiticket für die Ring-Parade? Nun, erstens bringt er keine zwei Tonnen auf die Waage, sondern vollgetankt „nur“ 1919 Kilogramm. Und zweitens firmiert er selbstbewusst als „High Performance Automobil“, das – liest man seine Beschreibung – mit Techniken und Materialien vorstellig wird, die eine gewisse Nähe zum Motorsport nahelegen.

Racestart-Funktion, Keramikbremsen, Sperrdifferenzial, adaptives Sportfahrwerk, Aluminiumtüren und -hauben, und last but not least ein Getriebegehäuse aus leichtem Magnesium sind – um nur einige Beispiele zu nennen – eindeutige Hinweise darauf, dass Volllast-Anteile auf Rennstrecken zur natürlichen Aufgabenstellung des Mercedes CLS 63 AMG gehören.

Mercedes CLS 63 AMG: Supersportler und Business-Limousine

Verkehrte Welt: Hier die typischen Merkmale eines Supersportlers und dort der schwelgende Luxus einer Business-Limousine, die nichts, aber auch gar nichts unterlässt, um im Cockpit Zufriedenheit und sattes Wohlgefühl zu erzeugen – inklusive aller erdenklichen Sicherheits-Features. Neben ABS, 3-Stufen-ESP und Bremsassistent verfügt das starke AMG-Coupé über ein Dutzend Weiterer Fahr-Assistenzsysteme.
Ist es im klassischen, zweisitzigen Sportwagen gerade mal eine zusätzliche Person, mit der man die beeindruckende Erlebniswelt einer landgestützten Rakete teilen kann, so sind es im Mercedes CLS 63 AMG gleich drei Mitfahrer, die man in bisher unbekannte Sphären der Fahrdynamik transportieren kann – ohne sich selbst als Fahrer unangemessen anstrengen zu müssen. Der automatisierte Vorwärtsdrang des viertürigen Coupés kommt so gepflegt und so gewaltig daher, dass jedem Insassen ob dieser fahrdynamischen Eleganz die Spucke wegbleibt.

Nicht weniger als 557 PS arbeiten im Minimalfall daran, die Trägheit der Masse fast unmerklich werden zu lassen. Die 200-km/h-Hürde nimmt der Hecktriebler nach nur 13,2 Sekunden. Das fühlt sich noch schöner an, als es die Zahl beschreibt, weil dieser Vorgang nicht krachledernd vonstatten geht, sondern geschmeidig und auf betörende Weise unterhaltsam. Denn der Klang, der von vorn (Motor) und von hinten (Vierrohr-Abgasanlage) das gediegene Cockpit einnimmt, unterstützt die Dramatik auf seine Art: dumpf, kernig, viel sagend – eben auf V8-typische Weise grandios, aber keineswegs mehr so vulgär wie früher einmal.

Regelmäßige sport auto-Leser werden es bis hierhin schon bemerkt haben: Beim Supertest-CLS handelt es sich um exakt jenes Modell, das bereits in Ausgabe 1/2012 im Rahmen eines ungewöhnlichen Vergleichs mit einer Ducati 848 EVO auftauchte und dort ein erstes vorläufiges Zeichen seiner Leistungsfähigkeit setzte

Das aktuelle Einstiegsmodell ab 116.204Euro

Das mit Performance Package aufgerüstete Modell gehört insofern bereits ins Gebrauchtwagen-Portfolio, als die im damals 7735 Euro teuren Sportpaket enthaltene Leistungssteigerung nun seit Anfang des Jahres serienmäßiger Bestandteil des Basismodells ist.

Das aktuelle Einstiegsmodell – Basispreis 116 204 Euro – tritt jetzt bereits mit 557 PS an, ebenso wie die neue Allradvariante mit der Zusatzbezeichnung 4Matic (120 131 Euro). Das neue Modell der Baureihe firmiert aktuell unter Mercedes CLS 63 AMG S 4Matic, kostet minimum 131 079 Euro und darf von sich behaupten, auf eine gute Frage, nämlich wie man mit 585 PS ganz ungeniert in den Winterurlaub fährt, eine passende Antwort parat zu haben – mit Allradantrieb natürlich.

Wer sich im Sinne eines geschmeidigen und sicheren Powerplays dazu entscheidet, alle implantierten Regelsysteme vollumfänglich arbeiten zu lassen, wird allerdings auch beim hinterradangetriebenen Mercedes CLS 63 AMG keinen Rodeo-Drive erleben müssen – trotz des reißenden Drehmoments von 720 Newtonmeter.

Unter 5 Sekunden auf Tempo 100

Die hohe Regelgüte der Traktionskontrolle lässt sich am besten in der Race-Start-Funktion überprüfen, die das geschliffen arbeitende Siebengang-Sportgetriebe bereit hält: Kaum spürbarer Schlupf an den Antriebsrädern, dafür ein Sprung aus dem Stand auf Tempo 100 in deutlich weniger als fünf Sekunden – egal, ob das Fünf-Meter-Coupé leer oder vollbesetzt am Start ist.

Spagat zwischen Kultiviertheit und sportlicher Rasanz

Das geniale, mit einer Nasskupplung zum Anfahren ausgestattete Automatikgetriebe namens AMG Speedshift MCT schafft den Spagat zwischen Kultiviertheit und sportlicher Rasanz ohne Lücke für Missliebigkeiten. Der Gangwechsel funktioniert im sportlichesten Modus innerhalb von 100 Millisekunden – Zwischengas-Funktion beim Herunterschalten inklusive. Bemerkenswert auch die Tatsache, dass die Gänge im manuellen Modus, also beim Schalten über die Schaltpaddel am Lenkrad, stets verlässlich gehalten werden. Eigenmächtigkeiten bei der Gangwahl verkneift sich der knapp fünf Meter lange Brenner.

Während die immensen Kraftausbrüche des Mercedes CLS 63 AMG in Längsrichtung stets reproduzierbar bleiben – soll heißen: das Leistungsspiel auch hinsichtlich der Bremse so gut wie keine Grenzen kennt – lässt sich das Gewicht nicht wegdiskutieren, sobald querdynamische Großtaten am Stück gefordert werden.

So sind es nach drei gezeiteten Hockenheim-Runden vornehmlich die Reifen auf der Vorderachse, die zwangsläufig die Grätsche machen. Ihnen wird verständlicherweise infolge des Drucks und der Masse, die auf ihnen lastet, schlicht zu heiß. Das Schieben über die Vorderräder kann auch vom sportlichsten Fahrwerk-Setup nicht mehr verhindert werden.

Dank eines grundsätzlich weitgehend neutralen Fahrverhaltens und mit Unterstützung der mechanischen Differenzialsperre ist es dennoch fast ein Leichtes, den Kraftprotz auch bei nachlassenden Reifen dorthin zu manövrieren, wo es am zielführendsten ist.
Linke Touren sind dem Mercedes CLS 63 AMG fremd. Das mit dem elektronisch geregelten Dämpfersystem AMG Ride Control versehene Sportfahrwerk variiert je nach Fahrsituation, -geschwindigkeit und Beladungszustand blitzschnell die Dämpferkennung und hält so nebenbei auch die Wankneigung der Karosserie in Grenzen.

Mercedes CLS 63 AMG trotz Masse schnell

So gerüstet giert das mit Luftfederung an der Hinterachse antretende AMG-Coupé tatsächlich nach sportlichem Ruhm. Die Supertest-Rundenzeit in Hockenheim – 1.13,9 Minuten – gibt einen ersten Vorgeschmack auf ein Talent, das sich auch auf dem Ring nicht vor vermeintlich besser disponierten Gegnern verstecken muss.

Sollten Sie also beim Überholtwerden auf der Döttinger Höhe von gleich vier Gesichtern angelächelt werden, grämen Sie sich nicht: Es kommen auch wieder Streckenstücke, auf denen der große AMG seiner Masse Tribut zollen muss.

Supercheck Wertungen
Nürburgring Nordschleife
13
maximal 20 Punkte
7.59min

Die Geraden schrumpfen dank seiner Machtfülle zu kurzen Sprintstrecken. Die Döttinger Höhe handelt er kurzerhand mit 287 km/h ab. An der Fahrbarkeit gibt es nicht einen Funken auszusetzen. Allein die schnell sehr heiß werdenden Reifen setzen dem schnellen Treiben ein Ende. Ein Trackday mit dem Mercedes CLS 63 AMG – warum nicht?

Mercedes CLS 63 AMG, Rundenzeit, Nürburgring
Rossen Gargolov
Hockenheim-Ring Kleiner Kurs
12
maximal 20 Punkte
1.13,9min

Mit frischen Reifen, sprich: kühlen Reifen, zeigt der große Viertürer ein angenehm neutrales Fahrverhalten – sofern die Kraftzuweisung gefühlvoll gehandhabt wird. Die Differenzialsperre hilft, das Drehmoment adäquat umzusetzen. Die Keramikbremse hält den Erfordernissen ohne Einbußen stand.

Mercedes CLS 63 AMG, Rundenzeit, Kleiner Kurs Hockenheim
Rossen Gargolov
Beschleunigung / Bremsen
8
maximal 10 Punkte
18,4sek

Dank Differenzialsperre (3035 Euro) und fein regelnder Traktionskontrolle sprintet der 1,9-Tonner wie gedopt aus dem Stand weg Richtung Horizont. Die Automatik vollbringt ihr Werk ohne Tadel: Sie schaltet geschliffen, schnell und vor allem in logischem Rhythmus. Die optionale Keramikbremse (8271 Euro) arbeitet weitestgehend frei von Fading. Beim Modelljahr 2013 ist sie aber dem 585 PS-starken S-Modell vorbehalten.

Beschleunigung 0-200 km/h:
13,2 s
Bremsen 200-0 km/h:
5,2 s
Windkanal
6
maximal 10 Punkte

Der schmale Heckbürzel aus Karbon ist eher stilbildend als wirklich abtriebsfördernd. Die Auftriebswerte sind dennoch vernachlässigbar gering. Die Achsen werden bei 200 km/h jeweils um rund 410 Newton gleichmäßig entlastet. Der Geradeauslauf ist bis hin zu Tempo 300 km/h absolut ungestört.

Vorderachse bei 200 km/h:
41 kg Auftrieb
Hinterachse bei 200 km/h:
41 kg Auftrieb
Querbeschleunigung
8
maximal 10 Punkte
1,30g

Das große AMG-Coupé baut Querbeschleunigungen von bis zu 1,3 g auf – wohlbemerkt mit normaler Standardbereifung, Marke Continental Sport Contact 5P. Die Mischbereifung – vorn 255/35 ZR 19; hinten 285/30 ZR 19 –, erweist sich über das gesamte Leistungsspektrum als gute Wahl. Dass ihnen beim forcierten Rennstrecken-Einsatz zu warm um die Flanken wird, ist ihrem diversifizierten Leistungsspektrum und dem hohen Fahrzeuggewicht geschuldet. Schließlich sind es keine ausgewiesenen Sportreifen. Der 2010 getestete E 63 AMG brachte es mit gleicher Bereifung auf 1,25 g.

36-Meter-Slalom
10
maximal 15 Punkte
130km/h

Im schnellen 36-Meter-Slalom bewegt sich der Viertürer auf Augenhöhe mit dem im Jahre 2010 gemessenen E 63 AMG und liegt so knapp hinter der Konkurrenz aus München und Zuffenhausen. Nach leicht verzögertem Einlenken können die Hinterräder den Grip nicht halten. Der CLS geht dann durch den langen Radstand gutmütig und bestens kontrollierbar quer.

Ausweichtest
9
maximal 15 Punkte
142km/h

Auch in der Ausweichgasse ist ein verzögertes Einlenkverhalten festzustellen. Nach dem ersten Lenkimpuls setzt sich erst die Karosserie, dann erfolgt der gewünschte Richtungswechsel. Bei richtigem Timing, also früherem Einlenken, kann der 1,9-Tonner zielgenau und gutmütig übersteuernd durch die 110 Meter lange Pylonengasse dirigiert werden.

Fazit

66 Punktemaximal 100 Punkte

Der Kampf um die Vorherrschaft im Powerlimousinen-Segment generiert immer neue Höchstleistungen. Mit grandiosem Antriebstrang, einem Fahrwerk, das an sich widersprechende Anforderungen vereint und einem Sicherheitspaket, das sämtliche Vorgaben und Ansprüche geradezu übererfüllt, bringt sich der Mercedes CLS 63 AMG in aussichtsreiche Stellung gegenüber BMW M5 und Porsche Panamera Turbo. Dabei ist das Ende der Fahnenstange hiermit noch gar nicht erreicht. Das aktuelle Topmodell CLS 63 AMG S 4Matic tritt jetzt mit 585 PS und Allradantrieb an. Wenn das keine Herausforderung ist ...

Technische Daten
Mercedes CLS 63 AMG AMG
Grundpreis116.204 €
Außenmaße4996 x 1881 x 1406 mm
Kofferraumvolumen520 l
Hubraum / Motor5461 cm³ / 8-Zylinder
Leistung410 kW / 557 PS bei 5250 U/min
Höchstgeschwindigkeit250 km/h
0-100 km/h4,5 s
Verbrauch9,9 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten