Mercedes E63 AMG S 4Matic im Supertest
Wie sportlich ist die 585 PS-Allrad-Limousine?

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Unter 8 Minuten um die Nordschleife: Sie denken, das funktioniert nur mit einem Sportwagen? Falsch: Das geht auch mit einer viertürigen Familien-Limousine. Mercedes E63 AMG S 4Matic heißt der neue Überflieger - 585 PS stark und dennoch fromm wie ein Lamm. Wir haben den neuen Allrad-AMG im Supertest auf Herz und Nieren geprüft.

Mercedes E 63 AMG S 4matic, Seitenlinie
Foto: Rossen Gargolov

Die einen unterfüttern das Prinzip schon seit Langem mit philosophischem Eifer. Andere wiederum lehnen es aus weltanschaulichen Gründen ab. Ihr Credo: Es geht auch ohne, wenn der Fahrer sein Metier beherrscht. Ja: Auch im Motorsport wird mehrheitlich darauf verzichtet, wenn es sich nicht gerade um eine Offroadoder Rallye-Competition handelt. Hier sind es schlicht Gewichtsgründe, mit denen der Verzicht erklärt wird.

Bricht AMG durch den Allradantrieb mit Traditionen?

Aber die Fronten sind aufgeweicht. Pragmatismus setzt sich auch in Fahrzeugsegmenten durch, die vom Segen dieser Technik - wir reden hier vom Allradantrieb des Mercedes E63 AMG - bisher noch nicht viel abbekommen haben. Jüngstes Beispiel sind die neuen Power-Limousinen aus Affalterbach. Neben den bisher schon bekannten SUV-Modellen mit den Anfangskürzeln ML, GL und G sind es mit dem E63 und dem Schwestermodell CLS 63 nunmehr zwei weitere AMG-Baureihen, die sich auf Wunsch (und natürlich gegen Aufpreis) mit dem Qualitätsmerkmal 4Matic schmücken dürfen.

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Aber damit nicht genug: Mit dem Mercedes A45 AMG und dem CLA 45 AMG folgen im Laufe dieses Jahres zwei weitere Allradmodelle, die die Durchsetzungskraft des von Audi schon vor Jahrzehnten salonfähig gemachten Antriebsprinzips nun auch bei der erfolgreichen Mercedes-Tochter sicher noch deutlich erhöhen werden.

Angesichts der Leistung von nunmehr 585 PS und 800 Newtonmeter Drehmoment ist es – wie im Fall des hier behandelten S-Modells auf Basis E63 AMG 4Matic – tatsächlich gut zu wissen, dass man sich um Schlupf, Traktion und Seitenführungskräfte kein allzu großes Kopfzerbrechen mehr machen muss. Eine winterliche Pass-Überquerung stellt selbst bei so exzessiv vorgetragener Motorleistung kein ernsthaftes Problem mehr dar – sofern die Reifenfrage entsprechend geklärt ist. Bekanntlich ist der Allradantrieb im Winter ohne Winterreifen auch nicht viel wert.

Dass es beim Mercedes E63 AMG 4matic kaum um die Steigerung der Offroad-Kompetenzen geht, lässt sich an den Momenten ablesen, die den zwei angetriebenen Achsen zugeteilt werden. 33 Prozent gehen an die Vorderachse, 67 Prozent an die Hinterachse.

Mercedes E63 AMG S stürmt handlich durch Kurven

Diese heckbetonte Kraftverteilung hat eine Fahrcharakteristik zur Folge, die von der heckgetriebenen Variante anfänglich kaum zu unterscheiden ist. Beim Vertuschen konzeptioneller Nachteile helfen bekannt-bewährte Tricks: Die bauartbedingte Untersteuerneigung des Mercedes E63 AMG S wird auch hier durch selektive Bremseneingriffe ein Stück weit kompensiert. Das erhöht zwar auf unnatürliche Art den Belagverschleiß an der Hinterachse, sorgt andererseits aber für ein besseres Eindrehen bei zügiger Kurvenfahrt und damit auch für gesteigerte Handlichkeit.

Tatsächlich ist im Alltag vom Gewicht des E63 AMG S nicht viel zu spüren. Hohe Agilität und gute Übersichtlichkeit stempeln ihn zu einem äußerst angenehmen und im Umgang problemlosen Begleiter. Die elektromechanische Lenkung vermittelt mit der variablen, je nach Fahrmodus angepassten Servounterstützung ein gutes Gefühl für die Erfordernisse. Am Komfort ist trotz der härteren Elastokinematik in dem auf Sport getrimmten Fahrwerk des E63 AMG nichts auszusetzen. Während an der um 48 Millimeter verbreiterten Dreilenker-Vorderachse konventionelle Stahlfedern zum Einsatz kommen, arbeitet an der Hinterachse ein voll tragendes Luftfedersystem.

Die vier elektronisch geregelten Dämpfer unterscheiden zwischen „Comfort”, „Sport” und „Sport Plus”. Das Gute daran ist: Es sind keine falschen Versprechungen, die dort angezeigt werden.

Sind 50 Kilo Gewichtszuwachs durch den Allradantrieb zu viel?

Zurück zum Allradantrieb: Für die Kraftverteilung zur Vorderachse zeichnet ein Verteilergetriebe verantwortlich, das Platz sparend im Getriebegehäuse selbst integriert ist. Der durch die Allradtechnik entstandene Gewichtszuwachs des E63 AMG S wird von Mercedes mit etwa 50 Kilogramm beziffert. Angesichts des auf breiter Front sichtbaren Talentzuwachses darf dieser Aufschlag getrost mit lässigem Schulterzucken hingenommen werden.

Neben der im 4Matic-System untergebrachten Lamellenkupplung, die in Hinblick auf gutes Kraftschlusspotenzial aller vier Räder mit 50 Newtonmeter Sperrwirkung operiert, verfügt das E63 AMG S-Modell des Weiteren über eine zusätzliche Differenzialsperre an der Hinterachse – in Sachen Fahrdynamik bekanntermaßen das sprichwörtliche Pünktchen auf dem i.

Das Ergebnis dieses technischen Frontalangriffs ist niederschmetternd (für die einen) und zum Niederknien für die anderen. Es hat etwas von einem Katapultstart, wenn die Kräfte des V8-Biturbo versammelt auf die vier Antriebsräder des E63 AMG S 4matic niedergehen – ausgelöst nur durch einen lässigen Fußtritt.

Man könnte dabei die Arme verschränken und den Lieben Gott einen guten Mann sein lassen: Motor und Getriebe, ja, der gesamte Antriebsstrang des Mercedes E63 AMG S formieren sich dank des hohen Automatisierungsgrades zu einer perfekt aufeinander abgestimmten Einheit, nur um eines erlebbar zu machen – das scheinbare Ausschalten der Trägheit der Masse.

Beschleunigungsexzess des E63 AMG S ähnelt Katapultstart

Der Akt bis Tempo 100 - fast schlagartig beginnend mit der Aufladung und Vorspannung des Systems, iniziiert von der sprichwörtlichen Gewalttätigkeit des fauchenden V8-Motors - dauert im E63 AMG S nur kurze 3,7 Sekunden.

Gefangen in der brisanten Abfolge des weiteren, verbissen vorgetragenen Beschleunigungsexzesses ist ungläubiges Kopfschütteln nicht mehr erlaubt – der Effet sorgt stattdessen für automatisierte Nickbewegungen, im Zustand der Beschleunigung nicht minder stark wie beim Bremsen. Wem das zu prosaisch klingt, dem helfen ein paar Zahlen, die das unerhörte Temperament dieser in unschuldigem Weiß lackierten und damit kaum als gewalttätig zu identifizierenden E-Klasse objektiv untermauern. Der Sprint bis 200 km/h dauert im Mercedes E63 AMG S nur 11,9 Sekunden – ein Wert, mit dem sich auch veritable Sportwagen ruckzuck niederringen lassen.

Weil die Siebengang-Automatik die Gänge im manuellen Modus hält, lässt sich auch die Durchzugskraft des zwischen 1.750 und 5.000/min gleichbleibend 800 Newtonmeter produzierenden Achtzylinders leicht würdigen. Von 80 auf 120 im - sagen wir - 4. Gang: 3,3 Sekunden. Von 80 auf 160 km/h, beispielsweise im 5. Gang: 9,6 Sekunden.
Was seine einnehmende Charakterfülle angeht, ist dieser V8-Biturbo des Mercedes E63 AMG eine bekannte und beliebte Größe. Aber so, wie er in diesem Umfeld klingt (grandios, aber angemessen dezent) und so geschmeidig, wie er über den gesamten Drehzahlbereich ans Werk geht, lässt er in dieser Leistungsstufe erst recht keine Wünsche mehr offen.

585 PS-V8 mit zurückhaltenden Trinkgewohnheiten

Die Ankündigung seitens AMG, mit diesem Achtzylinder, der den E63 AMG befeuert, den effizientesten Vertreter seiner Klasse im Portfolio zu haben, möchten wir mit dem wohlmeinenden Hinweis ergänzen, dass es in der Praxis ausschließlich darauf ankommt, wie man die vorhandenen Ressourcen nutzt.

Indes: Der mittlere Testverbrauch von 15,5 Liter könnte doch als Indiz dafür gewertet werden, dass er tatsächlich zu den Sparsameren seines Genres gerechnet werden darf.
Die kongeniale Ergänzung im Antriebsstrang des Mercedes E63 AMG S, das mit vier Fahrprogrammen aufwartende Speedshift MCT 7-Ganggetriebe, hat bei aller Perfektion und Schnelligkeit, die es für sich betrachtet an den Tag legt, nach wie vor einen wunden Punkt: Es reagiert im manuellen Modus auf die per Schaltpaddel am Lenkrad initiierten Gangwechsel noch immer leicht verzögert.

Wenn der Motor des Mercedes E63 AMG in der Eile des Gefechts in den Begrenzer läuft, obwohl der Schaltimpuls per Fingerklick rechtzeitig, also vor Erreichen des roten Drehzahlbereichs, übermittelt wurde, dann liegt es offensichtlich daran, dass das Getriebe zu spät von diesem Impuls erfährt – Lichtgeschwindigkeit hin oder her.

Feuchte Augen mit dem E63 AMG S auf der Nordschleife

Doch unterm Strich ist es völlig wurscht, ob ein paar Hundertstel oder Tausendstel Sekunden im Drehzahlbegrenzer hängenbleiben. Denn wie der neue Mercedes E63 AMG S mit Druck, Traktion und durchweg freundlicher Gesinnung auch auf abgeschlossenen Kursen nach vorn stürmt - siehe Hockenheim und Nürburgring -, bleibt so oder so kein Auge trocken.

Zu dem von AMG seit jeher forcierten Längsdynamik-Talent gesellt sich beim E63 AMG S demnach eine ganz neue – sagen wir – kühne Gesinnung in Sachen Querdynamik. Sie erlaubt es, gelegentlich auch mal in reizvollen Kurvenverläufen so richtig die Sau raushängen zu lassen - bis hin zu Querbeschleunigungen von bis zu 1,3 g.

AMG ist - so viel steht fest - drauf und dran, nicht nur für sich neue Standards zu setzen. Die Rundenzeiten im Supertest beweisen das eindrucksvoll.

Supercheck Wertungen
Nürburgring Nordschleife
15
maximal 20 Punkte
7.55min

Es sind, wie immer, eine Vielzahl von Faktoren, die – wie hier – zu solchen herausragenden Ergebnissen auf der Nürburgring-Nordschleife führen. Der zugängliche Charakter dieses Kraftprotzes spielt dabei aber eine ganz wesentliche Rolle, genauso wie die extrem hohe Fahrsicherheit. Der Allradantrieb macht es leicht, die immense Kraft angemessen auf den Boden zu bringen. Ausbruchversuche des Hecks sind beim E63 AMG S 4matic sozusagen konstruktiv vereitelt. Selbst auf so extrem fordernden Streckenstücken wie der Fuchsröhren-Senke zieht der 1,9-Tonner dank des adaptiven Fahrwerks ruhig seine Bahn – ungeachtet des irren Tempos (241 km/h). Mit Ausnahme des Panamera Turbo S hat der Mercedes E63 AMG S hier zeitlich die Konkurrenz im Griff, wie die Nordschleifen-Rundenzeiten-Übersicht zeigt.

Mercedes E 63 AMG S 4Matic, Rundenzeit, Nürburgring, Nordschleife
Rossen Gargolov
Hockenheim-Ring Kleiner Kurs
13
maximal 20 Punkte
1.13,5min

Der Kleine Kurs in Hockenheim stellt für Schwergewichte wie den neuen Mercedes E63 AMG S (1.985 Kilo vollgetankt) insofern eine große Herausforderung dar, als die Reifen relativ schnell einen Hitzekollaps ereilt. Nach zwei, drei schnellen Runden im 1.13-Minuten-Bereich geht also der Seitengrip dahin. Die Keramik-Bremse bleibt insofern unauffällig, als sie den Exzess völlig klaglos mitmacht. Nur der Druckpunkt am Pedal lässt etwas nach. Sowohl das Handling als auch das Feedback der Lenkung können überzeugen. Nur die Gangwechsel im manuellen Modus sollten noch spontaner rüberkommen.

Mercedes E 63 AMG S 4Matic, Hockenheim, Kleiner Kurs, Rundenzeit
Rossen Gargolov
Beschleunigung / Bremsen
9
maximal 10 Punkte
17sek

Ob mit oder ohne Launch-Control: Der Mercedes E63 AMG S springt förmlich vom Start weg und düpiert mit Vorliebe ausgewiesene Supersportler. Den Sprint auf 100 km/h erledigt sie in 3,7 Sekunden – selbstverständlich voll automatisiert. Die Bremse ist adäquat konfiguriert, zumindest in der Keramik-Variante.

Beschleunigung 0-200 km/h:
11,9 s
Bremsen 200-0 km/h:
5,1 s
Windkanal
7
maximal 10 Punkte

Im Mercedes-Windkanal konnte der Mercedes E63 AMG aufgrund eines Defekts nicht gemessen werden. Seitens AMG waren auch keine Angaben erhältlich. Die angegebenen Auftriebswerte sind Schätzwerte, basierend auf den Messungen des Vorgängermodells und den direkten Konkurrenten.

Vorderachse bei 200 km/h:
35 kg Auftrieb
Hinterachse bei 200 km/h:
20 kg Auftrieb
36-Meter-Slalom
9
maximal 15 Punkte
129km/h

Die schon zuvor im langsameren 18-Meter-Slalom notierte Tendenz zum leichten Schieben über die Vorderräder – allerdings erst am Limit – zeigt sich auch beim schnellen Slalom mit dem Mercedes E63 AMG S 4matic. Hier reagiert der Zweitonner auf Lastwechsel aber deutlich zickiger. Die Kontrolle der bei abgeschalteten Stabilitätssystemen auftretenden Tendenz zum Aufschaukeln setzt Erfahrung und eine kundige Hand vorraus.

Ausweichtest
9
maximal 15 Punkte
144km/h

Wie im 36-Meter-Slalom tendiert der Allradler auch im Ausweichtest zum Aufschaukeln bei Lastwechsel. Daher muss diese Disziplin unter Zug gefahren werden, selbst dann drängt der Mercedes E63 AMG S bei den schnellen Umsetzmanövern mit dem Heck. Durch die direkt und zielgenau agierende Lenkung sind Korrekturen kein Problem. Trotz der härtesten Dämpferstufe neigt sich die Karosserie spür- und sichtbar.

Fazit

62 Punktemaximal 100 Punkte

Handlich, übersichtlich, praktisch, attraktiv, und kein greller Blender: Der Mercedes E63 AMG S 4Matic, so der viel sagende Name, erfüllt alle Kriterien eines Traumwagens – sofern der unverfälschte Sport nicht im Vordergrund steht. Der Motor ist eine bekannte Größe – jetzt erst recht. Ausgestattet mit 585 PS und überbordendem Drehmoment tritt, bei aller Schnelligkeit, die sich quasi automatisch einstellt, wohlige Gelassenheit in den Fokus. Der Allradantrieb macht es leicht, die hohen Dosen gesund zu überstehen. Tolle Verarbeitung, höchster Sicherheitsstandard und geschliffener Fahrkomfort – Herz, was willst du mehr?

Technische Daten
Mercedes E 63 AMG S 4Matic AMG S
Grundpreis119.060 €
Außenmaße4891 x 1872 x 1442 mm
Kofferraumvolumen540 l
Hubraum / Motor5461 cm³ / 8-Zylinder
Leistung430 kW / 585 PS bei 5500 U/min
Höchstgeschwindigkeit250 km/h
0-100 km/h3,7 s
Verbrauch10,2 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten