Elektroautos und Reifen
Nein, E-Autos sind keine Reifenfresser

Hohes Drehmoment, trifft auf hohes Gewicht, ergibt hohen Reifenverschleiß. Entsprechend müssen Elektroautos ihre eigenen Reifen geradezu verschlingen, so die Vermutung. Das stimmt so nicht.

Pirelli-Reifen - Formel 1 - GP Türkei 2021
Foto: Motorsport Images

Was zunächst logisch klingt, hat aber mit dem Elektroauto per se nichts zu tun. Woher stammt die landläufige Meinung, Elektroautos wären Reifenfresser?

Meinung: Reifenkiller Drehmoment

Die Drehmomente bei Elektrofahrzeugen überragen die vergleichbarer Verbrenner in den meisten Fällen haushoch und es ist zu lesen oder hören: Das Drehmoment eines Elektromotors liegt sofort an. Das führt unter Umständen zu dem Irrglauben, die hohen Drehmomente kämen ebenso unmittelbar am Rad selbst an. Das wäre technisch irre und zerstörte in kürzester Zeit alle Komponenten des Antriebs. Hinzu kommt: Durchdrehende Räder beim E-Auto sind eher selten, denn die Systeme sind fein aufeinander abgestimmt und durch die gleichmäßige Entwicklung des Drehmoments gibt es keine Kraftspitzen oder exponentielle Anstiege am Rad. Und dann gibt es da noch die elektronische Traktions-Kontrolle, die einen E-Motor viel schneller regeln kann; bei vielen E-Autos ist sie wenn überhaupt nur bedingt abschaltbar. Grundsätzlich gilt: Nein, das hohe Drehmoment ist kein Faktor für einen vermeintlich höheren Reifenverschleiß von Elektroautos. Jedes Auto mit 800 Nm Drehmoment hat einen höheren Reifenverschleiß als der Basis-Golf.

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Wie das Drehmoment erzeugt wird, ist dem Gummi egal.

Meinung: Reifenkiller Gewicht

Zwischen 300 und 500 Kilogramm wiegt ein Batterie-elektrisches Fahrzeug (BEV) mehr als ein Verbrenner des gleichen Segments. Dieses Mehrgewicht hat bei gleicher Bereifung, mit gleichen Dimensionen und – wichtig – gleichen Indizes für Geschwindigkeit wie Traglast einen Einfluss auf den Abrieb des Reifens und somit auf die Laufleistung durch die höhere Masse. Jedoch: Ein Fahrzeug mit einem hohen Gewicht hat entsprechend ausgelegte Reifen. Als Beispiel stehen der Audi E-Tron Sportback (ca. 2.500 Kilo) und ein vergleichbarer Q7 (ca. 2.100 Kilo) je nach Ausstattung auf gleichen Reifen mit einem Traglastindex von 112. Ein Reifen ist also bis 1.120 Kilo zugelassen. Jedoch: OECD-Studien zeigen, dass besonders schwere E-Autos mehr Partikel unter anderem durch Reifenabrieb emittieren als vergleichbare Verbrenner, was den Antrieb ausgenommen, primär am höheren Gewicht liegt.

Die drei bis acht Prozent mehr Abrieb machen das E-Auto allerdings nicht zum Reifenfresser.

Erste Wahrheit: Neuer Antrieb, neue Reifen

Die Kinderschuhe der vor wenigen Jahren noch neuen Elektromobilität waren ebenso neue Reifenkonstruktion. Stichwort Tall&Narrow. Diese Reifen haben auffallend große Durchmesser bei vergleichbar geringer Breite. Die dünnen und hohen Reifen sollen durch ihren großen Rollumfang den Rollwiderstand vergleichsweise verringern und durch den schmalen Bau den Luftwiderstand senken.

Jedoch: Reifen für Elektroautos werden seit Jahren wieder breiter.

Zweite Wahrheit: Anderer Antrieb, anderer Reifen

Es ist möglich, dass Reifen auf E-Autos schneller verschleißen, besonders wenn es speziell für dieses Auto entwickelte Reifen mit Markierung sind oder speziell für elektrische Antriebe konstruiert wurden. Beide sind in breiter Masse auf einen niedrigen Rollwiderstand ausgelegt, was Reichweite bringt. Der Hersteller des Reifens hat zwei grundlegende Möglichkeiten. Erstens: Der Reifen hat einen steiferen Aufbau der Karkasse und Flanken. Dadurch verformt der Reifen sich beim Rollen auf der Straße weniger, was Teil der Definition von Rollwiderstand ist. Der zweite wesentliche Faktor für den Rollwiderstand ist die Profiltiefe. Je tiefer die umgangssprachlichen Rillen des Reifens, desto mehr verformen die sich beim Rollen, desto höher der Rollwiderstand.

Mitunter sind OE-Reifen ab Werk, Reifen für E-Autos oder Rollwiderstands-optimierte Reifen mit weniger Profiltiefe versehen. Und mit der mitunter zusätzlich harten Karkasse verzahnt sich der Reifen weniger mit der Straße, was zu mehr Mikroschlupf führt – den es immer benötigt – was mehr Abrieb bedeutet. Einer oder beide Effekte zusammen können das Bild des Reifen fressenden E-Autos prägen. In Wahrheit liegt es am Reifen selbst: Was ein E-Reifen an Reichweite bringt, kann er durch weniger Laufleistung unter Umständen einbüßen. Von fehlendem Nassgrip abgesehen.

Dritte Wahrheit: Der Fuß macht den Verschleiß

Primärer Einfluss auf die Laufleistung und Lebensdauer eines Reifen – man kann es gar nicht oft genug sagen – ist das Verhalten am Gaspedal. Wer das hohe Drehmoment seines E-Motors ständig beim Ampelsprint oder Kurvenausgang in Richtung Reifenaufstandsfläche tritt, der muss verglichen mit einem sanften Fahrer eben öfter seine Reifen wechseln.

Übrigens: Mit diesem strapazierendem Fahrverhalten sinken die Laufleistung der Reifen und die Reichweite des Kraftfahrzeugs je Ladung.

Noch ein Übrigens: Beim starken, schweren Verbrenner ist das exakt der gleiche Zusammenhang, wobei der BEV durch die Rekuperation etwas Reichweite zurückholen kann.

Und: Korrekte Fülldrücke im Reifen schonen das Gummi zusätzlich.

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Fazit

Elektroautos als Reifenfresser oder Reifenkiller hinzustellen, ist falsch. Verglichen mit einem Verbrenner der gleichen Klasse, Kraft und Gewicht und bei absoluter gleicher Bereifung, verschleißt ein E-Auto nicht wesentlich mehr Reifen.

Große Unterschiede und die Mär des Reifenkillers E-Auto entstammen mitunter den Anfängen der BEVs, als noch Tall&Narrow-Reifen verbaut wurden oder heute optimierte Reifen für wenig Rollwiderstand gefahren werden, die unter Umständen ein ungewohntes Verschleißverhalten darstellen.

Diese haben je nach Hersteller womöglich von Haus aus weniger Profil, was sie schneller an die Mindestprofiltiefe bringt, oder haben einen steifen Aufbau, der mehr Mikroschlupf verursacht und so mehr Verschleiß.

Mehr Verschleiß durch hohes Drehmoment stimmt, ist aber keine Erfindung von E-Autos. Tatsächlich kann der sehr lineare Drehmomentverlauf des E-Motors den Reifen sogar schonen, wenn man nicht ständig Vollgas gibt.

Ein valider Punkt ist: Durch das höhere Gewicht der Fahrzeuge verschleißen Reifen auf E-Autos wirklich etwas schneller – im einstelligen Prozentbereich.

Wichtigster Punkt in Sachen Reifenverschleiß ist wie immer der Fahrer. Wer seine E-Kraft ständig dauerhaft abruft und womöglich nie den Fülldruck kontrolliert, der killt seine Reifen früher.