Smart Tire Company - Nasa baut Reifen
Kommt der luftlose Reifen aus Metall?

Ein Start-up der Nasa hat für die künftigen Fahrzeuge der extraterrestrischen Missionen einen Reifen aus einem Drahtgeflecht entworfen. Für den Einsatz auf der Erde wird er gerade weiterentwickelt. Schauen wir einmal in die Zukunft des Autoreifens.

Smart Tire Company Nasa Concept
Foto: Kennedy Space Center

Das Auto, wie wir es kennen ist im Grunde eine Sammlung technischer Kompromisse. Prominentes Beispiel: Der Hubkolbenmotor erzeugt primär eine oszillierende Bewegung, die dann erst ineffizient in eine Drehbewegung gewandelt wird. Wankel war dem auf der Spur. Doch: ein sich ständig verändernder Kompressionsraum ist in Sachen Verdichtung und Spülverlusten ein Nachteil. Weiteres Beispiel: Der Luftreifen ist im Prinzip der älteste Kompromiss in Sachen Mobilität. Gummi an sich ist super, die Luft im Reifen ein 130 Jahre altes Zugeständnis an das Fehlen von Straßen und Fahrkomfort in dieser Zeit.

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Nasa entwickelt Reifen aus Draht

Offenbar plant die Nasa weiterhin die Kolonisation von Mond und Mars. Woher sonst käme der Auftrag an das Nasa-nahe Startup "The Smart Tire Company" zur Entwicklung von neuartigen Reifen, die große Lasten auf anderen Planeten oder Trabanten tragen können. Die Verwendung von Luftreifen im Vakuum schließt sich aus. Bestehende Konstruktionen der 1970er-Jahre der Mondfahrzeuge von Goodyear und auch die Kooperation mit Michelin aus 2009 mit Gummireifen im Weltall scheinen nicht in Frage zu kommen. Also lässt die Nasa etwas Neues entwickeln.

Die Anforderungen: pannensicher, widerstandsfähig, tauglich für hohe Traglasten. Das Ergebnis: Ein luftloser Reifen aus Metall. Das ist nun keine völlige Neuheit. Doch der Weltraumreifen bietet auch Fahrkomfort. Die Eigendämpfung kommt über das Drahtgeflecht aus einer flexiblen, hochfesten Nickel-Titan-Legierung (Nitinol). Das High-Tech-Material besitzt ein Gedächtnis, formiert sich also immer wieder in seine Ausgangslage zurück und braucht daher keine Luft. Das schließt den Plattfuß aus. Den bekommen im übertragenen Sinn die aktuellen Mars-Rover leider recht oft: Deren Laufräder sind aus Aluminium aufgebaut, dämpfen und federn nicht, sind daher also anfällig für Schäden. Der Smart-Tire löst das Problem dort und auf der Erde: Wo keine Luft drin ist, kann auch kein raus.

Drahtig auf der Straße

Die Smart Tire Company kooperiert unter anderem mit dem kalifornischen Rennradspezialisten Felt. Zusammen soll das Prinzip aus dem All auf die Straße gebracht werden. Per Fahrrad. Hier plagen Rennradfahrer Pannen und das Gewicht von zusätzlichen Schläuchen oder Mänteln. Der neuartige Reifen basierend auf dem Weltraumreifen ist Metl getauft und bereits in der Erprobung auf der Straße. Die Hauptvorteile: Lebenslange Haltbarkeit, nie wieder einen Platten, hoher Fahrkomfort durch dauerhaft optimalen Reifen"druck". Montiert auf einer normalen Felge.

STC Metl Reifen
STC
Für den Einsatz auf Straßen bekommt das Geflecht aber noch eine Schicht aus Gummi und Polyurethan, für mehr Grip - oder überhaupt welchen.

Das Ding mit dem Grip

Wer schon ein Stück Metall über die Straße gezogen hat, der weiß: Das Material bietet nur wenig Haftreibung, baut also keinen Grip auf. Der Smart-Tire für Mond und Mars hat dieses Problem nicht, da er dort einfach nicht über Straßen fährt, sondern über Staub, Stein und Sand. Der Metl auf dem Rennrad und übertragen auch auf dem Auto braucht auf Erden noch eine Beschichtung mit einem griffigen Material. The Smart Tire Company plant für den Erdeinsatz das Nitinol-Geflecht mit einer Mischung aus Gummi und Polyurethan zu beschichten, das Weltraummetall soll die Erde nicht berühren.

Zwar argumentiert Smart Tire durch diese Kombination weniger Reifenabrieb und Altreifen zu erzeugen, allerdings wird die Mischung aus Gummi und Polyurethan (PU) das in den Kinderschuhen steckende Recycling von Reifen arg stressen, da PU völlig andere Recyclingformen braucht als Gummi. Auch die derzeit hauptsächliche Herstellung von PU aus Erdöl schreibt Fragezeichen hinter die Nachhaltigkeit. Käme der heute erdölbasierte Alkohol morgen aus Zucker, sähe das völlig anders aus. Und: Eine dauerhafte Verbindung von Gummi und Metall war schon in der Autoreifenproduktion lange der heilige Gral und höchstgehütetes Geheimnis.

STC Metl Reifen 2021
STC
Für den Einsatz auf Autos muss der Reifen aber eine weitere wichtige Eigenschaft erhalten: Er muss Seitenführungkräfte übertragen können ohne zu kollabieren, sonst wirds schwer mit Kurvenfahren.

Und auf dem Auto?

Smart Tire plant die Entwicklung vom Mars über das Fahrrad auf das Auto zu übertragen. In Sachen Nachhaltigkeit logisch: Laut Reifenhersteller Michelin werden jährlich gut 200 Millionen Reifen wegen Pannen ersetzt und das lange bevor sie eigentlich abgefahren sind. Ein Reifen, der keine Pannen haben kann, ist hier ein Gewinn. Das Problem beim Auto: Hohe Motor-, Lenk- und Fliehkräfte wirken auf den Reifen viel intensiver als bei einem Mars-Rover oder einem Fahrrad. Die Seitenstabilität und Seitenführungskräfte des Reifens sind für Konzepte wie das der Smart Company die Herausforderung, auch das Verhalten bei Nässe oder die Ausdehnung durch Fliehkräfte bei hohen Geschwindigkeiten sind Hürden. Von legislativen Schranken wie der deutschen Zulassungsordnung, die derzeit für Fahrzeuge über 25 km/h Luftreifen vorschreibt, mal abgesehen. Dem luftlosen Reifen selbst sind etablierte Reifenhersteller bereits über 20 Jahren auf der Spur.

Reifen ohne Luft

Reifen ohne Luft sind seit Goodyear, Dunlop und den Brüdern Michelin der Traum der Reifenbauer. Die Luft kommt vor 130 Jahren in den Reifen. Sie soll den Fahrzeugen mehr Komfort geben. Zeitgleich fangen die Hersteller damals schon an dem Problem des Luftverlusts mit allerlei Pannenschutzlagen wie Leder Herr zu werden oder wollen Vollgummiräder auf federnden Felgen montieren. Die Variante Luft hat sich aber durchgesetzt. Mit dem Manko der Pannensicherheit: Damals und heute sind Nägel und Schrauben nur die Stellvertreter für zahllose Möglichkeiten einen Reifen ungeplant zu entlüften.

Hankook Iflex
Hankook
Hankook setzt dabei aber auf eine tragende Wabenstruktur anstatt flexibler Streben wie Michelin oder Bridgestone.

Heute: Michelin arbeitet seit über 20 Jahren auf leichten Baumaschinen mit dem Tweel. Ein luftloser Reifen, dessen tragende Struktur auf Gummistegen aufgebaut ist und die stoßabsorbierend arbeitet. Der kann Kurven und Seitenführung allerdings nicht so gut, muss er auf kleinen Baggern und Aufsitzmähern aber auch nicht. Das Prinzip soll als Uptis ab 2024 auf PKW kurventauglich und marktreif sein. Ähnlich im Aufbau ist der Airless-Tire von Bridgestone. Auch er kommt ohne Luft, dafür mit einer flexiblen Konstruktion aus Stegen. Mit einer Struktur aus Waben geht Hankook mit dem IFlex das Thema an. Felgenhersteller Maxion experimentierte 2018 mit der flexiblen Acorus-Felge. Marktreife – wenn überhaupt – bei allen Ideen: Das dauert noch.

Umfrage
Brauchen wir die Luft im Reifen überhaupt noch?
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Ja, Komfort und Stabilität von Luftreifen sind unerreicht.Nein, neue Methoden werden den Kompromiss Luftreifen bald ablösen.

Fazit

Das Thema Luft im Reifen ist ein schwieriges. Ein Kompromiss, der nach 130 Jahren aber hervorragend funktioniert. Bis eben ein Nagel, Schraube, Spitze, Stein oder Klinge das gute Zusammenspiel beenden. Klar können Reifen repariert werden, das Grundproblem der Pannen bleibt.

Der Traum vom Reifen mit dem Komfort von Luftreifen nur ohne Luft oder sonstigem Überdruck, ist so alt wie der Reifen selbst. Eine – greifbare – Lösung gibt es heute nicht.

Auch die clevere Idee der Smart Tire Company hat mehr Fragezeichen als Ausrufezeichen hinter sich stehen. Durch die Verwendung von Nitinol als Hauptressource kommt ein wesentlicher Kostenfaktor hinzu. Das Material ist in der Herstellung enorm teuer und wird heute für Stents oder künstliche Herzklappen genutzt. Es sollte also besser zuerst den lebensrettenden Zwecken zukommen.

Auch die anderen Ideen der Reifenhersteller, die Luft aus dem Reifen zu bekommen, sehen alle spacig aus, morgen wird darauf aber noch kein Auto rollen. Neben all den technischen Herausforderungen sind die Beschränkung des deutschen Gesetzes noch die geringsten.

Die Luft dauerhaft und geplant aus dem Reifen zu lassen, bleibt wesentlich schwieriger als aus Versehen.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten