Chaos im Cockpit
Infotainment für 250 Euro nachrüsten

Modernste Connectivity im gealterten Auto? Geht, wenn man sich traut. Aus China können Sie Infotainment-Systeme für betagte Pkw ordern. Selbstversuch im BMW 5er (E39).

China Navi Infotainment Nachrüstung BMW E39
Foto: Patrick Lang

Für was hat er nicht schon alles herhalten müssen, der arme BMW. Plüsch-Orgien im Innenraum, angeklebte Fake-Auspuffblenden und jede Menge weiterer Billig-Plunder aus China. Man könnte meinen, meinem E39 ist kaum etwas erspart geblieben, doch weit gefehlt. Bei diesem Projekt geht es ihm nämlich so richtig an die Eingeweide – und zwar an jene, die für die Bord-Unterhaltung zuständig sind. Gemeint ist das Infotainmentsystem, denn auch in diesem Punkt liefern die großen Online-Händler aus Fernost heiße Ware bis nach Deutschland. Wie der Einbau Schritt für Schritt gelingt, erfahren Sie weiter unten im Artikel.

Unsere Highlights

Sinnvolle Innovationen

Wer einen Youngtimer fährt, kennt das Problem möglicherweise: Man ist eigentlich sehr zufrieden mit seinem leicht betagten Auto, fährt es sich doch um Welten lässiger, als in so einem gesichtslosen Neuwagen. Ist schließlich eine Karre mit Charakter. Eine, die schon was erlebt hat. Aber irgendwie gibt es doch ein, zwei Innovationen der Neuzeit, die nicht ganz unpraktisch wären. Ein vernünftiges Navi etwa, anstatt das Handy per Saugnapf an die Scheibe zu pappen, von wo es sich nach jeder zweiten Bodenwelle verabschiedet. Außerdem ist der Sound so einer Kassette mit Blick auf das „Signal-zu-Rausch-Verhältnis“ auch nicht der Weisheit letzter Schluss und das Musikerlebnis obendrein vorgestrig linear.

China Tuning Navi Infotainment Nachrüstung Einbau BMW 5er E39
Patrick Lang
Es hat sich schon ein bisschen was getan in den vergangenen Jahren. Hier gezeigt am Beispiel des BMW 5er-Cockpit.

Nun soll natürlich trotzdem kein wild blinkendes DIN-Radio aus den Armaturen wuchern, dessen Optik im krassen Gegensatz zum gediegenen Innenraum-Ambiente steht. Da könnte man sich ja gleich großflächig Kenwood, Alpine oder sonstwas auf die Heckscheibe kleben. Um das Dilemma zu lösen, lohnt ein Ausflug ins Reich der Mitte – also virtuell. Internet-Versandhändler wie Aliexpress oder Gearbest bieten Infotainmentsysteme auf Android-Basis an, deren Design sich mit frappierender Ähnlichkeit an den Originalteilen der Hersteller orientiert. Für 250 Euro haben wir dort eines bestellt, das sich nahtlos ins E39-Cockpit einfügt, dabei aber alle zeitgemäßen Connectivity-Funktionen mit sich bringt.

Einbau des Infotainmentsystems

So süß die Vorstellung ist, der Weg dorthin gestaltet sich steiniger als man zunächst denken mag – und Schuld hat BMW. Denn wer einen 5er von 2001 fährt, in dem stolz das Original 16:9-Navi prangt, der wird die verblichene Glorie schnell verfluchen. Der Monitor im Cockpit ist nämlich nur ein Bildschirm, während die einzelnen Module für Radio, Bildsignal und Navigation hinten links im Kofferraum sitzen. Sprich: Wer ein modernes System nachrüstet, muss in diesem Fall einen separat erhältlichen Kabelbaum einmal quer durch’s Auto fummeln.

Zunächst fliegt natürlich der ganze alte Krempel im Kofferraum raus. Diese Operation beschränkt sich auf das Abklemmen der Batterie, das Aufdrehen einiger Schrauben und das Ziehen aller vorhandenen Stecker. Das Navi-Modul bleibt allerdings (ohne angeschlossen zu sein) an seinem Platz, da sonst ein Loch in der Seitenverkleidung klaffen würde.

China Tuning Navi Infotainment Nachrüstung Einbau BMW 5er E39
Patrick Lang
Alle Module fliegen raus. Außer das Navi-Teil, denn sonst würde dort später ein Loch in der Verkleidung klaffen.

Bahnen wir uns also jetzt den Weg bis nach vorne an den Radio-Schacht. Dazu müssen zunächst einige Fahrzeugteile weichen. Rückbank? Raus! Einstiegsleisten? Raus! Innenverkleidung der B-Säule? Raus! Fahrersitz? Raus! Im Prinzip nutzen wir den gleichen Weg wie BMW, deren Kabelbaum ja bereits einmal durchs Auto läuft. Zu Schrauben gibt es wenig, die meisten Teile sind geclipst, weshalb sich der Einsatz eines Clipheber-Satzes anbietet, um die Plastik-Nieten nicht zu zerschießen. Und warum muss der Fahrersitz dafür weichen? Einfach, weil sich sonst die B-Säulen-Verkleidung nicht entfernen lässt. Mit dem Lösen vierer 50er-Torx-Schrauben gelingt die Sitz-Demontage zum Glück aber recht einfach.

Und es passt... nicht

Im Fußraum der Fahrerseite angekommen, müssen auch dort noch einige Verkleidungsteile abgebaut werden, bevor sich ein Weg in Richtung Radio-Schacht auftut. Dort heißt es nun für die alte Headunit: Abflug! Natürlich nicht in den Müll, sondern gut verwahrt in einen Karton. In den Müll fliegt nur der Rahmen, in dem der Bildschirm platziert war. Dem neuen Infotainment liegen zwei Metallschienen bei, die anschließend in die bereits vorhandenen Löcher geschraubt werden. Wer übrigens gedacht hat, auf der Beifahrerseite müsse man ja gar nichts tun, der irrt, denn dort wird die GPS-Antenne in den Dachhimmel gepackt. Das Kabel windet sich unter dem Seitenairbag in der A-Säule nach unten, unter dem Handschuhfach entlang und dann vom Fußraum aus ebenfalls in die Mittelkonsole.

Der großen Moment ist schließlich das Versenken der neuen Einheit im alten Schacht – und sieh da: es passt nicht. Warum? Weil der Radiostecker zu groß ist, und das ganze Teil an der linken Seite aufsitzt. Doch auch für dieses Problem gibt es eine Lösung. Die lautet: Abgewinkelter FAKRA-Stecker. Nach sechs Stunden Bastelei ist der BMW wieder in einem Stück und das China-Infotainment sitzt endlich dort, wo es sein soll. Im Prinzip ist es ein Android-Tablet in Infotainment-Gestalt.

China Tuning Navi Infotainment Nachrüstung Einbau BMW 5er E39
Patrick Lang
Nach sechs Stunden Arbeit ist das Navi platziert und das Auto wieder zusammengeschraubt. Ein Glück funktioniert das Teil!

Der Sound aus den original BMW-Boxen ist top, das Navi ortet die Position innerhalb von Sekunden. Ich kann ab sofort mein Smartphone während der Fahrt wieder laden und gleichzeitig Musik streamen. Muss ich aber nicht, denn via Playstore lässt sich Spotify direkt als Anwendung installieren und auf den Start-Screen packen. Ist auch besser so, denn während Radio, CD und Mp3-Dateien gut klingen, ist die Soundqualität des Bluetooth-Streamings mehr als dürftig. Blechern, mit übersteuerten Spitzen und fehlenden Bässen. Hier schlägt sich der günstige Preis nieder – ein hochwertiges Bluetooth-Modul sitzt nicht im China-Navi.

Und es gibt ein weiteres Problem. Eben weil es sich hier im Prinzip um ein Android-Tablet handelt, sind die installierten Apps auch wie auf einem solchen zu bedienen. Also keine reduzierte Darstellung mit vergrößerten Bedienelementen wie bei Android Auto oder Apple Carplay. Während der Fahrt ist die Bedienung entsprechend zu kleinteilig und sollte besser vermieden werden. Immerhin: Dank mitgeliefertem Can-Bus funktionieren Basic-Befehle wie „Laut/Leise“ und „Track Vor/Zurück“ direkt über die Original-Tasten am Lenkrad. Den ganzen Einbau können Sie sich in unserer Bildergalerie nochmal Schritt für Schritt anschauen.

Fazit

Zunächst mal ein großes Danke: Per Ferndiagnose haben Lisa Dombrowski (Technischer Support Hifi-Garage) und André Schulze (Xtrons I-BUS App) dafür gesorgt, dass jeder Stecker die richtige Steckverbindung findet. Deshalb können wir nun ein Fazit zu einem funktionierenden Infotainment made in China ziehen, und das fällt gut aus. Das Teil funktioniert flüssig, und steht im Funktionsumfang modernen Hersteller-Systemen in nichts nach. Die Bedienung ist ergonomisch betrachtet nicht optimal, aber da wird sich sicher ein Gewöhnungseffekt einstellen. Fakt ist: Die sechs Stunden Einbau lohnen sich allemal, der günstige Preis von 250 Euro sowieso.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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