Wer repariert Autoreifen?
Wie kommt der Nagel in den Reifen und wer holt ihn wieder raus?

Löcher in Reifen sind selten, dafür ärgerlich. Kann man einen Reifen überhaupt flicken oder reparieren? Ist das erlaubt? Wie geht das? Das sagen die Profis.

Beschädigte Reifen lassen sich in manchen Fällen reparieren.

Was zischt denn da? Diese Frage haben sich bestimmt schon viele gestellt. Oft nach dem Abstellen des Autos. Meist gesellt sich zum Zischen eine unbekannte Bewegung des stehenden PKW: er sinkt. Der zischend flüchtige Fülldruck lässt den Reifen zusammensacken. Die deutlich pulsbeschleunigende Variante ist die Reifendruckverlust während der Fahrt mit plötzlich instabiler Kurvenlage. Die gemäßigt-dynamische Variante ist die Warnung der Reifendruckkontrollsystems: Das senkt zwar den Puls, ändert die Sachlage aber nicht. In allen Fällen ist der Übeltäter schnell gefunden: Schrauben, Nägel oder sonstige Metallstücke sind durch das dicke Reifengummi gedrungen, haben die Karkasse durchstochen und schließlich die dichtende Schicht des Reifens. Was machen? Pannenspray rein oder mittels Gummiwürsten wieder dicht kriegen? Kann man das Reparieren oder muss der Reifen komplett ersetzt werden?

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Ist reparieren überhaupt erlaubt?

Nicht verboten ist das Reparieren von Reifen nach § 36 der Straßenverkehrszulassungsordnung, angewendet werden die Richtlinien für die Instandsetzung von Luftreifen und für die Beurteilung von Reifenschäden von 2001. Diese Richtlinien erlauben die Instandsetzung, Reparatur und den Gebrauch von Pannenhilfsmitteln unter bestimmten Voraussetzungen: Es kommt dabei auf den Reifenaufbau an, wo der Schaden am Reifen ist und wie lange der Schaden schon akut ist.

Michael Schwämmlein, Geschäftsführer Technik des Bundesverband Reifenhandel und Vulkanisierhandwerk e.V. (BRV) ist hierbei wichtig: "Eine Reifenreparatur sollte immer durch einen Fachbetrieb ausgeführt werden. Wir empfehlen deshalb, sich an einen Meisterbetrieb des Vulkaniseur-/Reifenmechaniker-Handwerks oder einen Kfz-Meisterbetrieb mit entsprechender Ausübungsberechtigung im Reifenreparaturbereich zu wenden."

Welche Schäden können repariert werden?

Die Richtlinie zur Beurteilung von Reifenschäden unterscheidet zwei Schadens-Kategorien. Zum einen oberflächige Reifenschäden: Reine Gummi-Verletzungen der Lauffläche und Seitenwände, die keinen Druckverlust mit sich bringen und keine Festigkeitsträger, wie Fäden oder Drähte, offenlegen. Diese sind in Abhängigkeit vom Reifentyp in gewissen Grenzen ohne Reparatur tolerierbar. Darunter fallen auch kleine Riss- oder Schnittverletzungen, die nicht über den gesamten Umfang verlaufen und aus denen keine Kordfäden herausstehen. Ebenso Alterungsrisse, nicht tiefer als einen Millimeter, gelten beim PKW-Reifen als oberflächiger Schäden.

Reifen und Felgen
Horst Nitschke
Hier ist in Sachen Reparatur übrigens nichts mehr zu holen.

Zum anderen sicherheitsrelevante Reifenschäden: Alles was einen Druckverlust verursacht oder die Struktur und Eigenschaften des Reifens verändert. Letzteres was mit großen Schäden an der Lauffläche, der Flanke oder dem Wulstbereich zu tun hat. Im Grunde kann der Fachmann mit verschiedenen Techniken und Materialien fast alle Schäden reparieren, wenn der Reifen durch die Druckverlust nicht noch andere Schäden aufweist.

"Hauptbestandteil der Begutachtung durch den Fachmann, ist neben der Einschätzung der sichtbaren Verletzung auf ihre Reparaturfähigkeit das Erkennen von Schäden, die auf eine Beschädigung der Struktur des Reifens hinweisen. Das können zum Beispiel Beulen und Dellen in der Reifenflanke sein oder Faltenbildung und Verfärbungen auf der Innenseite des Reifens in der Walkzone. Beides weist auf eine Überlastung des Reifens während der Fahrt mit zu geringem Luftdruck hin. Hier darf nicht mehr repariert werden.", ergänzt Michael Schwämmlein vom BRV

Was heißt Pannenhilfe?

Unter dem Begriff Pannenhilfe versteht die Richtlinie temporäre Notbehelfe, die eine Fahrt zur Werkstatt zum Wechsel des Reifen ermöglichen. Also Hilfsmittel wie Pannenspray, Dichtmilch mit Kompressoren oder die von außen per Ahle eingeführten Dichtschnüre. Dies ist per Definition keine dauerhafte Reparatur und nach deren Einsatz ist eine fachmännische Reparatur – selbst wenn möglich – nicht mehr erlaubt.

Reifen flicken 2021
Jens Kratschmar
Das kann nichts dauerhaftes sein: Die von außen eingedrückten Dichtschnüren wirken von innen wie ein Provisorium.

"Flüssige oder gelartige Pannendichtmittel erschweren die Begutachtung des Reifens auf Strukturschäden, sind teilweise schwer zu entfernen und können bei bestimmten Schäden Rückstände in den Festigkeitsträgern erzeugen, die bei einer Reparatur nicht vollständig entfernt werden können", erklärt Michael Schwämmlein vom BRV den Ausschluss von derart behandelten Reifen von einer professionellen Reparatur.

Was heißt Reparatur?

Unter einer Reparatur versteht die Richtlinie die vollständige Ausfüllung des Lochkanals mit Rohgummi bis zur Dichtschicht im Innerem des Reifens und die Verwendung eines von innen aufgetragenen Pflasters. Beides muss abschließend per Heiß- oder Warmvulkanisation behandelt werden. Alternativ sind auch vorvulkanisierte Gummikörper und die sogenannten Kombireparaturkörper erlaubt. In beiden Fällen müssen die eingesetzten Materialien auf die Schadensgröße und -art abgestimmt sein. Egal wie: Der Reifen muss runter von der Felge und vom Fachmann begutachtet werden.

Continental
Selbstdichtende Reifen an Autos sind zwar grundsätzlich reparabel, die zusätzliche Dichtschicht (orange) erschwert die bestehenden Reparaturmethoden jedoch: Die Schicht muss großflächig um die Stelle entfernt werden.

"Derzeit ein großes Thema bei den Fachwerkstätten ist die Reparatur von selbstdichtenden Reifen und den sogenannten Akustikreifen. Durch die zusätzliche, semi-viskose Dichtschicht oder den dämmenden Schaum müssen gängige Verfahren angepasst werden. Die Dichtmasse muss bei einigen Verfahren zur Reparatur partiell entfernt werden und auch der Schaum muss für die Reparatur teilweise entnommen werden. Das verringert in diesem Bereich die selbstdichtenden und schallisolierenden Eigenschaften.", betont Michael Schwämmlein aktuellen Herausforderungen bei neuen Reifenarten.

Michelin Pilot Sport Cup 2 - Semi-Slick - Sommerreifentest 2018 - sport auto
Dino Eisele
Selbst Semi-Slicks und andere UHP-Reifen für schnelle Supersportler sind von einer Reparatur nicht ausgeschloßen.

Was gibt es noch zu beachten?

Obwohl die Richtlinie ein weites Feld an Möglichkeiten eröffnet, haben die ausführenden Werkstätten oder Ketten eigene Bestimmungen. So schränkt Euromaster die Reparaturen mit Kombinationskörpern aus, wenn das Loch näher als sechs Millimeter am Übergang von Lauffläche und Flanke liegt. Auch repariert Euromaster keine Reifen mit einem höheren Geschwindigkeitsindex als T, also 210 km/h.

Prinzipiell gibt es keine gesetzliche Beschränkung auf eine bestimmte Geschwindigkeitskategorie für eine Reifenreparatur, allerdings haftet der Reparaturbetrieb für ausgeführte Reparatur und kausale Folgeschäden durch die Reifeninstandsetzung.

Warum ist Luft im Reifen?

Die Luft im Reifen ist im Grunde ein über 130 Jahre alter Kompromiss. Vollgummireifen bieten nicht den nötigen Komfort – damals wie heute, und sie sind schwerer und aufwändiger zu montieren. Heute sind alle Reifenhersteller auf der Suche nach einer besseren Lösung – ohne Luft. Michelin ist mit dem Uptis für PKW schon recht weit und sammelt mit dem Tweel-Reifen seit Jahren Erfahrung. Auch Bridgestone will mit dem Airless Tire die Luft für immer aus dem Reifen lassen.

Michelin Uptis luftloser Reifen
Michelin
Reifen, die ohne Luft auskommen ist der Traum der Reifenbauer seit Goodyear aus Versehen das Vulkanisieren erfindet. Der Uptis von Michelin ist für 2024 angekündigt.
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Fazit

Reifen reparieren oder nicht? Die Gespräche mit Michael Schwämmlein vom BRV legen den Schluß nahe: Vom Profi auf jeden Fall. Ob man die da findet, wo vornehmlich Reifen verkauft werden. Fraglich.

Die vielen technischen Möglichkeiten von Vulkaniseuren lassen fast alle Schäden in den Bereich der Reparatur rücken, die Gewöhnung bei Reifen zuerst an den Händler des Vertrauens zu denken, schränkt einen möglicherweise selbst ein.

Pannensprays oder Pannenhilfe sind per se keine Mittel zur Reparatur, sonst würden sie ja so heißen: Reparaturspray. Im Gegenteil: Ihr Einsatz verhindert, Schäden fachmännisch zu reparieren zu lassen.

Neue Reifenbauformen mit selbstdichtenden oder schalldämmenden Schichten sind für den Reparateur eine Herausforderung – für den Reifenverwerter übrigens aus. Apropos Umwelt: Mit Hinsicht auf die Nachhaltigheit der Mobilität ist jeder fachmännisch reparierte Reifen ein Gewinn. Der reparierte Reifen muss nicht entsorgt werden – erst wenn er wirklich kaputt ist.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten