Assistenzsysteme im Praxistest
So arbeiten die Helfer im Alltag

Assistenzsysteme können theoretisch viele Unfälle vermeiden oder die Folgen lindern. Doch warnen die drei meistverbreiteten Systeme wirklich passend und zuverlässig, oder nerven sie einfach nur? auto motor und sport machte den großen Praxistest mit privaten Vielfahrern aller Altersklassen.

Mercedes E-Klasse, Heckansicht
Foto: Hans-Dieter Seufert

Was heißt denn CMBS (Honda) und LKA (Lexus)? Wo schalte ich den Assistenten ein, und wo sehe ich überhaupt, dass er eingeschaltet ist? Die acht Probanden beim auto motor und sport-Praxistest der drei meistverbreiteten Sicherheits-Assistenzsysteme für Notbremsungen, Spurhaltung und Spurwechsel legen gleich den Finger in die Wunde: Bis auf den BMW 3er GT mit eigener und beleuchteter (wenn aktiviert) Taste für jeden Assistenten darf bei den anderen Autos schon mal fröhliches Assistenz-Raten gespielt werden.

Dabei ist die Aufgabe zu Fahrtbeginn für die Hersteller so einfach: 1. Den Fahrer klar informieren, welche Systeme aktiviert sind. 2. Ihm die Möglichkeit geben, Systeme schnell und einfach zu aktivieren – oder zu deaktivieren, wenn sie nerven. Speziell die Menüs bei Mercedes und Volvo werden hier von den Probanden kritisiert. Auch deshalb, weil beide Hersteller das früher schon mal intuitiver konnten. Das ist die Bedienungs-Pflicht; die Kür ist es, die Warnintensität der Systeme im Menü einzustellen.

Beliebter Totwinkelassistent

Auf die Frage, welches System die Probanden am ehesten ausschalten würden, fällt der Name des inzwischen durchgehend radar-basierten Totwinkelassistenten fast nie. Die Vielfahrer sehen ihn durchweg als hilfreich an und schätzen es, wenn er sie vor Fahrzeugen auf der anderen Spur warnt. Diese Warnung sollte mehrstufig sein, also dezent, wenn sich ein Fahrzeug von hinten nähert oder im toten Winkel befindet, und alarmierend, wenn der Fahrer trotzdem versucht, die Fahrspur zu wechseln.

Die Systeme von Audi, Mercedes und Volvo gefallen den Probanden insgesamt am besten. Beim BMW wird vereinzelt die Warnung als zu dezent angesehen. Der A6 muss Kritik einstecken, wenn seine Warnintensität auf der höchsten Stufe eingestellt ist: Das erschreckt einzelne Probanden so stark wie eine Radarfalle. Wogegen die Totwinkelwarner bei Ford und Lexus als zu zurückhaltend empfunden werden. Für den Honda CR-V und VW Golf sind diese Systeme nicht lieferbar. Der Golf bekommt sie 2014.

Zwiespältig: Spurhalteassistent

Die kamerabasierten Spurhaltesysteme stoßen nicht bei allen auf Zustimmung. Besonders wenn sie neben einer Warnung beim Überfahren von Fahrbahnlinien auch noch selbstständig gegenlenken, ist die Grenze zwischen Helfer und Nerver schnell überschritten. Einige Probanden bemerken, dass die aktive Spurhaltung auf kurvigen Landstraßen oder Autobahnen auf Dauer stören könnte. Trotzdem holen die autonom lenkenden Systeme von Audi, Volvo und VW mit ihrer zuverlässigen Funktion die besten Noten. Die E-Klasse überzeugt mit großem Funktionsumfang (Lenken, Bremsen und Warnen), agiert nach Meinung der Probanden aber nicht ganz vorhersehbar.

Für alle Fahrer zu spät reagiert der Spurhaltewarner im Lexus. Das nur per Lenkradvibration alarmierende System im BMW Dreier spaltet die Meinungen: Einigen Probanden war es zu dezent, andere empfanden gerade diese zurückhaltende Info als perfekt.

Nur im Notfall: Notbremsassistent

Alle überprüften Notbremsassistenten sind mit einem aktiven Abstandsregel-Tempomaten kombiniert. Ist dieser jedoch nicht aktiviert, liefert keiner der Testwagen eine überzeugende optische Information, ob der Abstand zum Vordermann noch im gesetzlich vorgeschriebenen Bereich ist.

Bei den Systemen von Ford und Volvo – beide im Warnzeitpunkt einstellbar – fühlen sich die meisten Probanden alarmierend genug vor einem drohenden Auffahrunfall gewarnt. Dagegen müssen die Systeme von Lexus und Mercedes Kritik einstecken: Der GS warne zu spät und die E-Klasse zu selten und zu dezent vor einem Auffahrunfall. Mercedes hat hier offensichtlich zurückgerudert, nachdem man früher für zu häufige Warnungen kritisiert wurde.

Übrigens: CMBS bedeutet Collision Mitigation Brake System und LKA Lane Keeping Assist.

Audi A6: Klare, zuverlässige Warnungen

Als problemlos, zuverlässig und grafisch gut gemacht beurteilten die meisten Probanden die Audi-Assistenzsysteme. Beim aktiven Spurhalteassistenten und dem side assist in stärkster Stufe bemängelten manche jedoch, dass sie auf Dauer etwas stören könnten.

BMW 3er GT: Einfachste Bedienung

Die Strategie, den Fahrer unter keinen Umständen zu bevormunden, geht bei den Probanden nur teilweise auf. Speziell beim Spurhalteassistenten wünschten sich einige klarere Warnungen. Durchweg positive Noten bekamen dagegen der Totwinkelassistent und die Bedienung.

Ford Kuga: Guter Notbremsassistent

Mit einer weniger menülastigen Bedienung und auffälligerer Totwinkelwarnung wäre beim Kuga auch die Note gut möglich gewesen. Beim Notbrems- und dem Spurhalteassistenten lobten die Probanden die Zuverlässigkeit und die Warnwirkung.

Honda CR-V: Passende Warnzeitpunkte

Dass Honda mit dem Totwinkelwarner einen der beliebtesten Assistenten nicht anbietet, ist ärgerlich. Dafür lobten die Probanden die eindeutige und frühzeitige Warnung des Notbremssystems und das dezente Gegenlenken der Spurhaltung. Weniger gut: die Bedienung.

Lexus GS 250: Viel zu teuer

Der größte Nachteil des Lexus-Systems ist der Preis: 6.350 Euro für das Gesamtpaket sind nicht mehr zeitgemäß und verhindern den Kauf der Assistenzen massiv. Der Spurhalteassistent reagiert auf das Überfahren durchgezogener Linien konstant zu spät.

Mercedes E-Klasse mit Top-Totwinkelassistent

Früher wurde Mercedes für zu häufige Warnungen kritisiert, jetzt bemängelten die Probanden beim Notbremsassistenten eher zu wenige. Gut wurden dagegen der Totwinkelassistent und die Gegenlenk- sowie Bremsfunktion beim Spurhalten beurteilt.

Volvo V40: Hohe Warnwirkung

Mit dem mehrstufigen, in die Frontscheibe eingespiegelten Leuchtbalken warnt Volvo sehr plakativ vor dem Auffahren. Das radargestützte BLIS (Totwinkelwarner) funktioniert viel besser als früher mit Videosensor. Die menülastige Bedienung ist aber gewöhnungsbedürftig.

VW Golf: Günstiges System im Test

Dass gerade VW mit dem Totwinkelwarner einen der beliebtesten Assistenten für den Golf nicht anbietet, ist ärgerlich. Auch die etwas menülastige Bedienung empfanden die Probanden als nicht optimal. Der Spurhalteassistent erledigte seine Aufgabe dagegen zuverlässig.

So haben wir getestet

Acht Probanden – allesamt Vielfahrer verschiedener Altersstufen – fuhren auf einer ausgewählten Strecke jedes der acht Autos. Dabei sollten sie besonders auf die Warnungsart, die Zuverlässigkeit und den Nervfaktor der Systeme achten. Insgesamt vergab jeder Proband auf seinem Auswertungsbogen sieben Einzelnoten zu den Systemen.

Fazit

Assistenzsysteme haben bei altgedienten Autofahrern zu Unrecht immer noch einen schweren Stand. Vorschnell werden sie oft als nervige Bevormunder abgetan, die nur Piloten helfen würden, die nicht richtig Auto fahren können. Doch wir sind alle Menschen und machen damit alle Fehler. Wir sind mal abgelenkt, krank oder müde. Es reicht nur eine Situation, in der uns ein Assistenzsystem vor einem Unfall bewahrt, um seinen Einsatz zu rechtfertigen. Jedoch dürfen die Elektrohelfer nicht nerven, sondern müssen die richtige Balance zwischen Warnung und Zurückhaltung wahren. Audi und Volvo sind da auf dem besten Weg. Dass keines der Systeme ein „sehr gut“ erreicht, zeigt aber: Bei Dosierung und Bedienung haben alle Systeme noch Verbesserungspotenzial.