Chevrolet Corvette ZR1 und Camaro ZL1 1LE im Test
Zwei Extrem-V8 im Infight

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Ein großes Dankeschön geht an Karl Geiger und seine Truppe von GeigerCars: Ohne die US- Importspezialisten wäre uns der Ritt in Corvette ZR1 und Camaro ZL1 verwehrt geblieben.

Chevrolet Corvette ZR1, Chevrolet Camaro ZL1 1LE, Exterieur
Foto: Achim Hartmann

Wir hatten die Hoffnung schon aufgegeben. Über Monate hatten wir nachgebohrt, um einen Fahrtermin mit der Corvette ZR1 zu bekommen. Doch alle Bemühungen der Presseverantwortlichen von Chevrolet Europe waren vergebens. Ihre US-Kollegen wollten uns auf der Fahrpräsentation in den USA nicht haben. Der Grund ist klar: Was soll es auch bringen, wenn wir über die ZR1 berichten, obwohl sie offiziell nicht mehr in Europa verkauft wird. Doch wir bei sport auto geben nie auf und treffen die Corvette ZR1 heute gemeinsam mit dem Camaro ZL1 1LE in unserem Wohnzimmer in Hockenheim.

Wer diese Traumgeschichte doch wahr werden ließ? Wenn es um US-Boliden in Europa geht, führt der Weg an einem Mann und seinem Team nicht vorbei: US-Spezialist Karl Geiger aus München importierte die erste ZR1 der aktuellen C7-Baureihe nach Europa.

Frisch aus Übersee eingetroffen, findet die ZR1 dann auch noch den Weg an den Hockenheimring zu unserer traditionellen Wochenendveranstaltung. Schon seit Jahren ist die Mannschaft von GeigerCars erfolgreich beim Tuner GP und den High Performance Days von sport auto unterwegs.

Corvette ZR1, Camaro ZL1 1LE und Co. – die Geiger-Truppe hat fast ihren halben Showroom als Ausstellungsfahrzeuge ins Badische gekarrt. Da „der Karl“ Racer durch und durch ist, leuchten seine Augen angesichts unserer spontanen Idee, einen Vergleichstest von Corvette ZR1 und Camaro ZL1 zu machen.

Chevrolet Corvette ZR1, Chevrolet Camaro ZL1 1LE, Exterieur
Achim Hartmann
Hier packt der Chef noch selbst mit an: GeigerCars-Chef Karl Geiger und sein Team stellten für die ZR1 zwei frische Reifensätze des Michelin Cup 2 ZP.

Warum ich die Entstehungsgeschichte dieses Tests so breittrete? Weil es nicht selbstverständlich ist, dass uns ein Händler zwei Neuwagen mit jungfräulichen Kilometerständen zum „Durchprügeln“ zur Verfügung stellt. Und weil es sich hier nicht um penibel vorbereitete Pressetestwagen handelt, sondern um spätere Kundenfahrzeuge, die quasi direkt vom Band den Weg zu uns gefunden haben.

Lange Rede, kurzer Sinn: raus auf die Parabolika zur Beschleunigungs- und Bremsmessung. Bevor ZR1 und Camaro längsdynamisch zeigen dürfen, was sie draufhaben, legen wir noch einen Boxenstopp auf der traditionell von uns genutzten Waage im Fahrerlager ein. Mit vollem 70-Liter-Tank wiegt die ZR1 satte 1.672 Kilo. Wichtig für die Einordnung: „Unsere“ ZR1 trägt die Achtgangautomatik, die es erstmals neben dem manuellen Getriebe optional in der ZR1-Historie gibt.

Leicht geht anders. Die zuvor bereits von uns gefahrenen Testwagen der Corvette Z06 brachten allesamt weniger Gewicht auf die Waage (Z06 Automatik: 1.630 kg; zweimal Z06 Handschalter: 1.592 kg und 1.618 kg). Mit 1.753 Kilo ist heute nur der handgeschaltete Camaro ZL1 noch schwerer.

Emotionale Achtzylinder-Orgie

Bremse treten, Startknopf drücken – angesichts des phänomenalen Klangs der US-Helden sind die zahlreichen Pfunde schnell vergessen. Trotz ähnlicher Motorenbasis klingen beide Triebwerke grundverschieden. Der 6,2-Liter-V8-Kompressor der ZR1 tönt bei Leerlauf- Gasstößen etwas dumpfer und bassiger, während das Konzert des Camaro ZL1 noch gewittriger, krachender und metallischer aufgeigt. Eins haben aber beide Triebwerke gemeinsam – sie klingen emotionaler und ehrlicher als die meisten modernen Turbomotoren, deren Sound oftmals künstlich wirkt.

Chevrolet Corvette ZR1, Exterieur
Achim Hartmann
Der 6,2-Liter-V8-Kompressor der ZR1 tönt bei Leerlauf- Gasstößen etwas dumpfer und bassiger, während das Konzert des Camaro ZL1 noch gewittriger, krachender und metallischer aufgeigt.

Los geht’s mit der ZR1. Zwischen Fahrerlager und Parabolika bleibt kurz Zeit, die ZR1 näher vorzustellen. Im Vergleich zum LT-4- Triebwerk der Z06 mit 6,2 Litern Hubraum und 659-Kompressor-PS soll das neue LT5-Aggregat der ZR1 bei identischem Hubraum jetzt sogar 765 PS leisten.

Statt des 1,7-Liter-Eaton-TVS-Kompressors der Z06 arbeitet in der ZR1 ein größerer 2,6- Liter-Eaton-TVS-Kompressor. Weitere Modifikationen: eine größere Drosselklappe (95 statt 87 mm), eine andere Kurbelwelle, ein optimiertes Kühlsystem und eine modifizierte Ölversorgung. Viel zu sehen gibt’s nicht. Der ZR1-Motor versteckt sich unter einer Verkleidung aus Sichtcarbon. Von außen ist die ZR1 unter anderem durch das massive Powerdome auf der Motorhaube erkennbar.

Zweite Neuerung gegenüber der Z06: Für die ZR1 gibt es wahlweise zwei neue Aerodynamikpakete. Neben dem kleinen, fest stehenden Heckflügel für bestmögliche Topspeedwerte – wie beim Vmax-Test von GM in Papenburg (212 mph/341 km/h) – kann die ZR1 auch mit dem sogenannten ZTK Track Performance Package geordert werden. Damit soll sie 60 Prozent mehr Abtrieb als die Z06 mit Z07-Stage-3-Paket haben (Z06- Gesamtabtrieb: 109 kg bei 200 km/h).

Neben dem höheren und zweifach verstellbaren Heckflügel tritt die ZR1 dann außerdem mit einem größeren Frontsplitter, einer strafferen Fahrwerksabstimmung sowie den bereits von der Corvette Z06 bekannten Michelin-Reifen Pilot Sport Cup 2 mit dem ZP-Kürzel an.

Im Innenraum erkennen nur eingefleischte Corvette-Fans die Unterschiede zur Z06. Stärker als die ZR1-Schriftzüge auf Lenkrad und Mittelkonsole fällt die etwas zu hohe Position der optionalen Competition-Sportsitze auf. Mit Rennhelm wird es für groß gewachsene Piloten etwas eng unter dem Dach.

Chevrolet Corvette ZR1, Interieur
Achim Hartmann
Im Innenraum erkennen neben ZR1-Schriftzügen auf Lenkrad und Mittelkonsole nur eingefleischte Corvette-Fans Unterschiede zur Z06.

Und dann stehen wir auf dem Mess-Drag- strip und wollen die ZR1 so schnell wie möglich über die bekannten Tempomarken scheuchen. Egal ob mit Launch Control im Track Mode oder mit sachtem Gasfuß – die ZR1 bekommt auch mit gut temperierten Cupreifen ihre Kraft nicht auf den Asphalt. Ohne Schlupf anfahren gelingt kaum. Trotz eines verhältnismäßig mageren 0–100-Werts von 3,9 Sekunden unterbietet die ZR1 bis 200 km/h alle bisherigen Z06-Sprintwerte locker.

Mit 10,1 Sekunden ist das neue Topmodell klar schneller als die Automatik-Z06 (11,2 s) und die Z06 mit Handschalter (12,1 s). Nicht zuletzt zeigen die Elastizitätswerte, dass die ZR1 deutlich besser als die Z06 geht. Und nicht vergessen: Bei unserer ZR1 handelt es sich um einen Neuwagen mit lediglich 500 Kilometern Laufleistung.

Jetzt haben wir so viel über die Corvette gequatscht, dass wir fast den Camaro vergessen hätten. Auch er regt die Produktion der Freudentränen an. Hinter dem Kürzel ZL1 versteckt sich die grandiose Idee, das aus der Z06 bekannte LT4-Triebwerk mit 659 PS in einen Camaro zu hängen. Messgerät rauswerfen und anschließend die Goodyear-Pneus mit Drifts, Donuts und Burnouts genüsslich wie eine Cohiba wegrauchen – es hat nicht viel gefehlt, und wir wären den niederen Instinkten dieses Muscle-Cars erlegen.

Gripniveau fast wie mit Slickreifen

Sind wir aber nicht, denn der Camaro ZL1 trägt das sogenannte 1LE Extreme Track Performance Package. Oder kurz: Modifikationen, die das Musketier zum Rennstreckenhelden machen sollen. Neben einem fest stehenden Heckflügel und „Dive Planes“ an der Frontschürze, um Abtrieb an der Vorderachse zu generieren, trägt der Camaro ZL1 jetzt auch ein in Höhe, Spur und Sturz einstellbares Fahrwerk sowie einen dreifach verstellbaren Stabi an der Hinterachse. Dass der ZL1 mit 1LE-Package durch leichtere Räder und Dämpfer sowie dünnere Scheiben hinten und Rücksitze mit fester Rückenlehne insgesamt 27 Kilo gegenüber dem Standard-ZL1 einsparen soll, ist, angesichts seiner Masse von bereits erwähnten 1.753 Kilo nicht so interessant wie sein spezieller Cupreifen vom Typ Goodyear Eagle F1 Supercar 3R.

Chevrolet Camaro ZL1 1LE, Exterieur
Achim Hartmann
Highlight: Die Cupreifen vom Typ Goodyear Eagle F1 Supercar 3R mit slickähnlichem Gripniveau sind ebenfalls Teil des 1LE-Pakets.

Dessen Gripniveau erinnert fast noch mehr an einen Slickreifen als der Grip des Cup 2 der Corvette. Trotz Handschalter gelingt der Sprintstart im ZL1 mit diesem Reifen schlupffreier als bei der ZR1. Interessanter als die Werte der Beschleunigungsorgie sind jedoch die Bremswerte des Camaro, der einen phänomenalen Warmbremswert von 100 km/h auf null in 32,3 Metern hinlegt.

Kleine Überraschung: Der Camaro punktet bei der Standardbremsmessung mit dem kürzeren Bremsweg im Vergleich zur Corvette. Dass die ZR1 nicht den Bremswert der Supertest-Z06 (31,2 m) erreicht, mag vielleicht an der Tatsache liegen, dass wir die ZR1-Bremswerte diesmal mit angefahrenen Reifen absolviert haben. Bei der Z06-Messung waren die Pneus damals flammneu.

Und wer macht das Rennen auf dem Kleinen Kurs? Direkt nach der sport auto-DriftChallenge im Rahmen der High Performance Days unternehmen wir einen ersten Anlauf mit der ZR1.

Trotz eines neuen Reifensatzes kehrt das Flügelmonster mit einer mageren Rundenzeit von 1.07,9 min in die Box zurück.

Ursachenforschung: Die Driftveranstaltung zuvor hat durch massiven Gummiabrieb die Strecke unbefahrbar gemacht. Bei Anbremsmanövern auf die Sachskurve schiebt die ZR1 beispielsweise so stark über die Vorderachse, als ob man auf Rollsplitt eine Vollbremsung hinlegen würde.

Außerdem ist klar, dass die ZR1-Fahrwerkseinstellung ab Werk eher den Geradeauslauf auf amerikanischen Highways fördern soll als das Einlenkverhalten auf der Rennstrecke. Einlenkuntersteuern eingangs Motodrom und wenig Traktion unter Last – man merkt sofort, dass der ZR1 in der Auslieferungsabstimmung noch eine gehörige Portion Radsturz fehlt.

Kein Problem für die rennstreckenerprobte Mannschaft von GeigerCars. Wir vertagen den Test. In der Zwischenzeit bekommt die ZR1 in München die von uns beim Supertest gemessenen Sturzwerte der Z06 von knapp über zwei Grad Negativsturz an beiden Achsen verpasst.

Fahrwerksmäßig ähnelt die Rückmeldung danach jener der Z06. Die ZR1 lenkt nun mit hoher Vorderachspräzision sehr direkt ein. Auch das straffe Handmoment und die Rückmeldung der Lenkung sind ähnlich. Insgesamt fühlt sich die ZR1 jetzt wie eine Z06 mit mehr Leistung an.

Und an diesem Punkt wird es diffizil. Die Traktion der ZR1 unter Last ist nicht mehr ganz so grandios wie bei der Z06, und damit nimmt die Fahrbarkeit ab. Die mit gleichem Reifenformat wie die Z06 bestückte ZR1 kann ihre Mehrleistung auf dem anspruchsvollen Streckenlayout des Kleinen Kurses nicht perfekt umsetzen. Bei komplett deaktiviertem ESP drückt das Heck schnell mit abrupt einsetzendem Leistungsübersteuern, und beim Herausbeschleunigen aus engen Ecken gehen wertvolle Zehntel verloren.

Ähnlich wie in der Z06 gibt’s auch in der ZR1 eine fünfstufige Traktionskontrolle. Mit frischen Cup-2-Reifen und einem runden Fahrstil kann die Traktionskontrolle im Race-Modus die Leistung halbwegs bändigen. Sobald der Grip nach der ersten schnellen Runde abbaut, regeln die TC-Eingriffe aber zu stark und nehmen spürbar Leistung weg. Vielleicht wäre eine noch besser abgestimmte Traktionskontrolle des Rätsels Lösung. Mit einer Rundenzeit von 1.06,9 Minuten ist die ZR1 heute genauso schnell wie die Z06 im Supertest.

Wichtig: keine Thermikprobleme

Nicht unerwähnt sollte aber auch bleiben, dass die Z06 eine Sahnerunde bei idealen Temperaturen erwischt hat (Luft 13 Grad, Asphalt 23 Grad). Bei der ZR1 waren sowohl die Luft- als auch die Asphalttemperatur über 10 Grad höher – eine Welt. Mit idealen Bedingungen und noch etwas Arbeit am Fahrwerks-Set-up sollten hohe 1.05er-Zeiten mit der ZR1 möglich sein. Apropos Temperaturen: Auch nach mehreren Runden zeigte die ZR1 keine thermischen Probleme. Ein Thema, das bei der Z06 noch die Foren bestimmt hatte.

Chevrolet Corvette ZR1, Chevrolet Camaro ZL1 1LE, Exterieur
Achim Hartmann
Anders als die ZR1 fühlt sich der ZL1 auf dem Kleinen Kurs nicht übermotorisiert an. Mit der richtigen Mischung aus Traktion und Powerslide feiert er die Ideallinie.

Der Gewinner der Herzen aus dem Hause Chevrolet heißt heute Camaro ZL1. Trotz der Sofa- ähnlichen Sportsitze mit weicher Polsterung ist das hier nicht das typische Muscle-Car. Das straffe 1LE-Fahrwerk macht aus dem schweren US-Schiff gefühlt einen Renntourenwagen. Rollende oder nickende Karosseriebewegungen? Fehlanzeige. Mit unfassbarer Vorderachspräzision sticht der ZL1 in die Kurve. Ebenfalls überraschend direkt: die elektromechanische ZF-Lenkung.

Ähnlich wie in der ZR1 können fast rennwagenähnlich späte Bremspunkte gewählt werden. Kein Wunder angesichts des klebrigen Grips der extremen Goodyear-Bereifung. Die Brembo- Bremse erträgt die Strapazen mit konstant bleibendem Pedaldruck unaufgeregt.

Herrlich! Endlich mal wieder puristisch selbst die Gänge durch die Gassen prügeln. Mit dem 1LE-Paket trägt das manuelle Tremec-Sechsganggetriebe einen kürzer übersetzten fünften und sechsten Gang. Auf dem Kleinen Kurs wünscht man sich, dass auch die anderen Gänge kürzer übersetzt wären. In den engen Kurven geht’s bis in den zweiten Gang runter. Dank der aus der Z06 bekannten automatischen Zwischengasfunktion Active Rev Match turnt der ZL1 mit emotionalen Zwischengasstößen durch den Grenzbereich.

Und unter Last? Anders als die ZR1 fühlt sich der ZL1 auf dem Kleinen Kurs nicht übermotorisiert an. Mit deaktiviertem ESP drückt sich der Camaro mit leichtem, aber jederzeit gut beherrschbarem Leistungsübersteuern aus den Ecken. Kurze Lenkradkorrekturen zähmen den ZL1 dann. Mit der richtigen Mischung aus Traktion und Powerslide feiert er die Ideallinie.

Schlussendlich ist es aber nicht die Tatsache, dass sich der ZL1 mit einer Rundenzeit von 1.09,6 Minuten zum schnellsten Camaro der Testhistorie kürt, sondern das Wie. Und Letzteres eint die eigentlich so grundverschiedenen Fahrzeugkonzepte von ZL1 und ZR1 – ihr liebenswerter Charakter.

Fazit

Klar sind schnelle Rundenzeiten interessant, aber bei Camaro ZL1 und Corvette ZR1 sind es die Emotionen, die einen packen. Ähnliche V8-Kompressor-Triebwerke treffen hier auf grundverschiedene Fahrzeugtypen. Bei beiden Fahrzeugen ist es ein Jammer, dass sie aus verschiedenen Gründen nicht offiziell in Deutschland verkauft werden. Aber dafür gibt es ja „den Karl aus München“. Danke nochmals für die Unterstützung des Tests.