Ferrari F12 Berlinetta im Test
Auf 200 km/h in 9,1 Sekunden

Aus der beliebten Reihe „Supersportwagen, die aus dem Olymp herabsteigen, um sich dem harten Einzeltest zu stellen“ präsentieren wir heute: Ferrari F12 Berlinetta, V12-Saugmotor, 741 PS stark, 340 km/h schnell.

Ferrari F12 Berlinetta, Frontansicht
Foto: Rossen Gargolov

Jetzt, nach der dritten roten Baustellen-Ampel, gerade jetzt, als das Wohnmobil mit 50 km/h durch einige der herrlichsten Kurven des Südschwarzwaldes trödelt, dahinter neun weitere Autos, wäre es dann so weit. Herzfrequenz, Blutdruck und Gesichtsfarbe steigen bedrohlich an – würden sie in vielen anderen Sportwagen zumindest. Im Ferrari F12 Berlinetta auch? Nein, erstaunlicherweise nicht. Dessen überraschend besonnenes Wesen färbt ab, beruhigt, hält auch seine Betriebstemperatur unten. Das war nicht abzusehen, zumindest nicht in dieser aktuellen Vorhölle für Sportwagen. Denn noch gut eine Stunde zuvor fuhr uns der F12 beinahe den Verstand aus dem Hirn, ach was, eine Stunde – den ganzen Tag schon! Rückblende.

Der tut nicht nur so!

Kein Geringerer als der bis zum Erscheinen des Über-drüber-Ferrari LaFerrari stärkste und schnellste Sportwagen mit Straßen-zulassung aus Maranello hat sich zum Test angekündigt. Der Ferrari F12. Zwölfzylinder-Saugmotor, 6,2 Liter Hubraum, 65 Grad Bankwinkel, 180-Grad-Kurbelwelle, Verdichtung 13,5 : 1, Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe, Transaxle-Bauweise, Aluminium-Karosserie... ist gut jetzt. Anlassen. Sofort. Die Erwartung: Der Putz in der Tiefgarage bröselt von der Decke, zwei Stockwerke darüber werfen sich Passanten angsterfüllt flach auf den Boden, die Stadtbahn entgleist. Die Realität: Genau so. Na ja, fast zumindest. Ein Motor dieser Spezifikation und mit dieser geradezu pornografisch offenherzigen Optik kann nicht leise. Übrigens: Sparsam kann er auch nicht, allen Mühen zum Trotz. Kat-erwärmend dreht der V12 nach dem hellen, diebisch-freudigen Anlasser-Sirren auf höherer Leerlaufdrehzahl, tief, kehlig, drohend, metallisch.

Wo ist der Rückwärtsgang? Ah, eine Taste auf der Mittelkonsole, geschwungen wie eine der zahllosen Kanalbrücken in Venedig. Ein Wunder an Übersichtlichkeit ist den Italienern nicht gerade gelungen, vor allem die weit entfernte und dank Carbon-Splitter sicher auch sehr teure Nasenspitze befindet sich außerhalb jeglichen Blickfeldes. Dass der Ferrari F12 auch über eine Frontkamera verfügt, wird erst später entdeckt, doch deren verzerrtes Bild hilft auch nicht immer.

Ferrari F12 kann nicht unter 350 Gramm CO2/km

Dann einmal kurz am rechten, starr an der Lenksäule montierten Paddel aus Carbon ziehen, und ab jetzt geht es für die nächsten 398 Kilometer nur noch vorwärts. Das Manettino klickt in die Stellung Sport, darunter gäbe es noch Wet, darüber Race, CT off und ESC off. Zunächst bleibt das Doppelkupplungsgetriebe sich selbst überlassen, was recht gut funktioniert, gelegentlich allerdings beim Ausrollen lästiges Ruckeln mit sich bringt. Steht der Ferrari F12, herrscht wieder Ruhe, denn er stoppt und startet seinen Motor brav, doch unter 350 Gramm CO2/km ging einfach nichts. Hat sicher was mit Physik zu tun.

Der gute Abroll- und Federungskomfort hat dagegen eher was mit Zauberei zu tun, vor allem weil dem Ferrari F12 eine wildes, böses Tier innewohnt. Bis es herausgelassen wird, kostümiert er sich als schneller GT, nun, als furchtbar schneller GT. Eben noch unterhältst du dich angeregt mit deinem Beifahrer, der siebte Gang ist drin, du registrierst, dass das Tempolimit von 120 km/h auf der A5 irgendwo hinter Karlsruhe aufgehoben wird, und beim nächsten Blick stehen auf dem Tacho 256 km/h. Einfach so.

Ferrari F12 in 3,2 Sekunden auf Tempo 100

Kein zappeliger, wenngleich auch nicht stoischer Geradeauslauf, keine nervtötenden Dröhnfrequenzen, keine Vibrationen, dafür tief montierte, sehr bequeme Schalensitze, ordentlich ansprechende Dämpfer mit zwei Modi sowie voller, warmer Klang, dessen sehr ernster Unterton dem Piloten wieder die entrückten Leistungswerte in Erinnerung ruft. Ja, der knapp über 1,7 Tonnen schwere Ferrari F12 stürzt in 3,2 Sekunden die 100 km/h-Mauer ein, erreicht nach nur 5,9 weiteren Sekunden das doppelte Tempo und will 340 km/h schnell werden. Meine Güte! Illusorisch im normalen Straßenverkehr.

Aus der Lethargie der Konversation gerissen, lässt sich jetzt jedoch sehr wohl die schiere Leistung und das Gesamterlebnis Ferrari F12 genießen. Denn wenn Antrieb, Regelelektronik und Fahrwerk im Race- sowie das Getriebe im manuellen Modus arbeiten, offenbart sich der Ferrari seinem Piloten. Zeigt ihm, wie sehr ihm Zehntel- und Hundertstelsekunden zuwider sind und er ihre Summe möglichst gering halten will. Schon beim Gedanken ans Gas geben schnappt der V12 zu. Sofort, fest. Nein, das schaffen auch die besten Turbo-Triebwerke der Szene nicht. Selbst aus dem Drehzahlkeller wütet das Aggregat ungestüm los: 5.000, 6.000, 7.000/min, kein Zögern, es geht weiter, bis 8.700 Umdrehungen, was ein Fest. Dann, zack, der nächste Gang, die roten Leuchtdioden oben im Lenkradkranz brannten schon in den Augen.

Nur bei einem Saugmotor lässt sich die Leistung derart fein dosieren, als hoble man frische Trüffel in hauchdünnen Scheiben über hausgemachte Pasta, basta. Das hilft speziell auf der Rennstrecke, eine passende, vielleicht sogar die optimale Linie zu finden. Ebenso hilfreich: die sehr sorgfältig abgestimmte Regelelektronik. Wenn sie eingreift, würde es ohne definitiv nicht schneller gehen. Oder sogar nur noch in die Botanik. Abschalten? Klar, geht auch. Dann muss das elektronisch geregelte Sperrdifferenzial des Ferrari F12 alleine für Traktion sorgen, was ihm ausgezeichnet gelingt. Und das Gripniveau an der Vorderachse beeindruckt kaum weniger, eigentlich überhaupt nicht weniger.

Präzises Kurvenverhalten

Obwohl der Ferrari F12 vergleichsweise ausgeprägte Karosseriebewegungen zulässt, lenkt er bei nahezu jedem Tempo derart direkt ein, als würde ein Schwergewichts-Boxweltmeister (suchen Sie sich den Verband selbst aus, es gibt ja genug) jeweils linke und rechte Haken verpassen. Ja, das verlangt Gewöhnung, führt schlussendlich aber zu sehr tapferen Fahrdynamik-Werten – ganz ohne Allradantrieb oder -lenkung. Der Ferrari F12 vermittelt das Gefühl, eine Gewichtsklasse darunter unterwegs zu sein. Er wirkt unerschütterlich steif und präzise. Untersteuern? Unter... was? Übersteuern, ja, das kennt und kann er, wenn es der Fahrer möchte. Wenn nicht? Dann bleibt der F12 neutral. Und schnell, sehr schnell, eigentlich immer. Auch wenn er sich auf langen Etappen harmlos gibt, sollte man sich seiner Leistungsfähigkeit bewusst bleiben, sich nicht ablenken lassen. Von der wirklich gruseligen Bedienung beispielsweise, denn allein im Lenkrad stecken zehn Tasten. Wären Lenkrad und Pedalerie nicht Pflicht, Ferrari hätte sie vermutlich auch in irgendeinem Untermenü der beiden kleinen Monitore neben dem Drehzahlmesser versteckt.

Zudem sollte man sich nicht zu sehr auf die Details im Interieur konzentrieren, gewisse Nachlässigkeiten in der Verarbeitung könnten sich negativ auf Herzfrequenz, Blutdruck und Gesichtsfarbe auswirken – mehr, als es das trödelige Wohnmobil geschafft hätte. Doch der Ferrari F12 nimmt jetzt den nächsten Abzweig von der Bundesstraße und streift dabei seinen bis gerade eben noch sehr besonnen Charakter ab. Zumindest für die nächsten paar Kurven.

Vor- und Nachteile
Karosserie
Ferrari F12 Berlinetta
gutes Platzangebot
hohe Torsionsfestigkeit
edle Materialien
gut nutzbarer Kofferraum
zahlreiche Ablagemöglichkeiten
sehr gewöhnungsbedürftige Bedienung
im Detail nachlässige Verarbeitung
eingeschränkte Übersichtlichkeit
Fahrkomfort
hervorragende Sitze
sehr guter Federungskomfort
deutliche Windgeräusche
Antrieb
extrem leistungsstarker und äußerst kultivierter Motor
harmonische Leistungsentfaltung
sehr gute Fahrleistungen
tolle, alltagstaugliche Akustik
Ruckeln bei langsamer Fahrt
Fahreigenschaften
brillante Agilität
präzise Lenkung
direktes Einlenkverhalten
sehr fein abgestimmte Regelelektronik
nicht optimaler Geradeauslauf
Sicherheit
standfeste Bremsanlage mit sehr guter Verzögerung
wenige Sicherheits-Extras
Umwelt
Stopp-Start-System
selbst für diese Leistungsklasse stolzer Verbrauch
hohe Emssionswerte
Kosten
sieben Jahre Wartung kostenlos
hohe Anschaffungskosten
voraussichtlich nur mäßig wertstabil
Technische Daten
Ferrari F 12 Berlinetta
Grundpreis268.328 €
Außenmaße4618 x 1942 x 1273 mm
Kofferraumvolumen320 bis 500 l
Hubraum / Motor6262 cm³ / 12-Zylinder
Leistung545 kW / 741 PS bei 8250 U/min
Höchstgeschwindigkeit340 km/h
0-100 km/h3,2 s
Verbrauch16,3 l/100 km
Testverbrauch20,3 l/100 km
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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten