Hyundai Ioniq 6 AWD
Überzeugt der 800-Volt-E-Antrieb im Aero-Kleid?

Ihren guten E-Antrieb setzen die Koreaner jetzt in eine offenkundig deutlich strömungsgünstigere (und 22 Zentimeter längere) Karosse. Macht das den Ioniq 6 zum Top-Stromer? Die E-Limousine mit Allradantrieb im Test.

Hyundai Ioniq 6 AWD
Foto: Achim Hartmann

Wenn Sie im Stand einen Verbrenner laufen lassen, um die Heizung oder Klima zu nutzen, sind Ihnen böse Blicke sicher. Beim Elektroantrieb dagegen: keine Gefahr. Schließlich bleibt ein Stromer ruhig, und Abgase werden im Zweifel anderswo ausgestoßen. Jedenfalls stellt das beispielsweise für Raststätten-Nickerchen ein großes Plus dar.

Oder fürs Autokino, wo Sie für den Ioniq 6 weder Heizstrahler noch Abdeckmatten für die Außenbeleuchtung brauchen, denn die lässt sich vollständig ausknipsen. Den Blick auf die Leinwand stört nicht mal die recht große Rückspiegelkonsole, in der Kameratechnik für die Assistenzsysteme steckt. Für die Filmlänge entspannt man locker, obwohl "Manta, Manta – zwoter Teil" gefühlt vier Stunden geht: Die dahingeklatschte Geschichte, fader Humor und nur wenige, öde Autoszenen erklären die IMDb-Wertung (Internet Movie Database) von 2,8/10 bei 976 Stimmen.

Unsere Highlights

Ordentliche Reichweite

Hyundai Ioniq 6 AWD
Achim Hartmann
324 km Reichweite, hohe Lade- und Systemleistung sowie gute E-Auto-Basics zeichnen den Ioniq aus.

Nun gut, bei dem milden Wetter kostete der Kinobesuch nur zwei Prozent Füllstand des 77,4-kWh-Akkus, der vollgeladen für eine Reichweite von 324 Kilometern genügt. Ermittelt haben wir den Testverbrauch von 25,0 kWh/100 km im Eco-Modus, der schon bei geringer Last Vorder- und Hinterachssynchronmotor einsetzt. Mit seiner besonders windschnittigen Karosserie (cW: 0,21) verbraucht der Ioniq 6 tendenziell weniger Strom als die SUV-Version Ioniq 5 (cW: 0,29), die in früheren Tests 1 bis 2 kWh darüber lag. Handfeste Ergebnisse zur Effizienz würde jedoch nur ein direkter Vergleich unter identischen Bedingungen liefern.

Auch könnte nur ein Langzeittest die Qualität der bei Hyundai neuen Routenplanung klären, die nun Ladestopps integriert. Festhalten können wir, dass nach Ladesäulentyp und Anbieter gefiltert werden kann, zudem existiert eine Suche entlang der gesetzten Route.

Nullhundert in 5,1 Sekunden

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Führt eine Route über die Autobahn, sind für den Ioniq maximal 185 km/h drin.

Wenn die über die Autobahn führt, sind maximal 185 km/h drin. Der 325 PS starke Ioniq 6 zieht in 9,3 Sekunden von 80 auf 160 km/h, darüber wird’s träger. Den über Land relevanten Bereich von 50 bis 100 km/h hakt er in nur 3,2 Sekunden ab: Dort wirkt das Beschleunigungsvermögen selbst nach vielen Vollstromphasen unverändert kraftvoll, ergo scheint die Akku- und Antriebskühlung zumindest bei 13 Grad Außentemperatur ausreichend dimensioniert.

Mit so viel Leistung und einem Leergewicht von lediglich 2.070 kg steckt Dynamikpotenzial in der 4,86 Meter langen Mittelklasse-Limousine, oder? Gut los geht’s mit der Leistungsfreigabe, die im lockersten ESP-Modus auch dann ziemlich freizügig erfolgt, wenn das Lenkrad nicht geradeaus zeigt. Stark begrenzt werden jedoch per Strompedal gesetzte Eindreh-Impulse – vielleicht auch, weil die Hinterachse dabei manchmal leicht hoppelt. Noch strenger regelt die Elektronik im Hinterradantriebs-Modus, in dem der Frontmotor laut Kraftfluss-Animation teilweise trotzdem mitwirkt. Fahrspaß entsteht also kaum durch Verspieltheit, sondern eher durch die Sprintstärke im standardmäßig eingestellten Allradbetrieb und die hohen Kurventempi, die der Ioniq 6 unter leichten bis mittleren Wankbewegungen spursicher mitmacht.

Dabei drängelt die halbwegs direkte Lenkung beim Zurücklenken in die Geradeausstellung, was eher synthetisch wirkt. Auch haben unterschiedliche Lastzustände der Räder nur minimale Auswirkungen auf das dementsprechend entkoppelte Lenkgefühl. Damit man wenigstens die akustische Rückmeldung der Pirelli P Zero Elect gut hört, bleiben die via Audioanlage eingespielten Raumschiff-Antriebsgeräusche besser ausgeschaltet. Empfehlenswert ist hingegen die etwas weniger sensible Sportkennlinie des Bremspedals.

Bequem? Ja, aber ...

Hyundai Ioniq 6 AWD
Achim Hartmann
Im Gegensatz zum 5 setzt der 6 keine klare Priorität: Dynamik und Komfort liefert er beides eher halbherzig.

Betont unsportlich fühlt sich die hohe Position der anständig ausgeformten Sitze an. Der Einstieg wird so erleichtert, nur bleibt zum Dach nicht viel Platz, und Fahrer mit langen Oberkörpern können mitunter nicht die gesamten Inhalte des Windschutzscheiben-Head-up-Displays sehen. Prinzipiell bietet der Hyundai aber guten Fahrkomfort, so produzieren etwa die 245er angenehm zurückhaltende Abrollgeräusche, und die Lenkung läuft mit passender Servounterstützung flüssig sowie im Alltag unauffällig.

Doch obwohl das Fahrwerk meistens nicht übermäßig straff federt, versetzt es die Karosserie sogar auf mäßig welligen Straßen in erhebliche, permanente Bewegungen. Einfach weil das Fahrwerk Unebenheiten nur unzureichend ausgleicht und teils sogar Fahrbahndefekte überträgt, die man kaum sieht.

Zurück zu den komfortsteigernden Funktionen: Hier gibt es etwa eine Umluftautomatik für Tunnel und sogar bei Verwendung der Wischwasseranlage. E-Auto-spezifisch sind zahlreiche automatische und fixe Rekuperationsmodi einstellbar, auch kann die Energierückgewinnungs-Leistung temporär maximiert werden, indem man die linke Lenkradwippe gedrückt hält. Der iPedal-Modus ermöglicht meistens einen echten Einpedalbetrieb, in dem das Auto maximal geschmeidig anhält – lediglich an Steigungen rollt der Wagen vor dem Stillstand wenige Zentimeter zurück. Ebenfalls super: Die Parkkameras, die selbst bei Dunkelheit noch gute Bildqualität liefern – zudem ploppt beim Blinken eine Totwinkelansicht im Tacho auf, und die Ansicht der beiden Vorderräder zeigt etwa die Leitschienen in Waschanlagen. Das Bild der Rückfahrkamera zeigt mehr, als man über den Rückspiegel sieht, und lässt sich immer aktivieren.

Da wirst du zum Wutbürger

Hyundai Ioniq 6 AWD
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Die Keyless-Go-Fernbedienung trägt das Hyundai-Logo, nicht aber den Notfallschlüssel, der separat am Bund hängt.

Nicht so gut ist hingegen, dass Telefone gerne von der Qi-Ladefläche rutschen, was für Nutzer von Apple CarPlay und Android Auto wiederum egal ist, weil weder noch kabellos läuft. Deutlich schlechter: der Tempolimitassistent. Mit ihm geht neben viel Komfort auch schnell die eigene Contenance flöten. Jedes Mal, wenn das System ein neues Limit erkennt, piepst es leise. Überschreitungen ab 1 km/h zeigt erst ein blinkendes Temposchild an, dann bimmelt es dreimal ziemlich laut. Sobald du das Limit wieder einhältst und erneut passierst, geht das Gepiepse von vorn los. Im aktivierten Zustand bleibt eigentlich nur, permanent unter dem Limit zu fahren, denn minimale Überschreitungen sind mit keinem Fahrpedal dauerhaft zu verhindern. Hinzu kommt, dass kein Verkehrszeichen-Erkennungssystem auch nur annähernd fehlerfrei funktioniert, und komplexe Situationen bekommen viele nicht gebacken: Der Ioniq tut sich bereits mit zeitlich begrenzten Limits schwer.

Hyundai folgt damit einer schon wegen des Stands der Technik fragwürdigen EU-Vorschrift, die akustische oder per Fahrpedal haptische Warnungen fordert. Deaktivieren ist legal, aber nicht dauerhaft: Im Ioniq wanderst du dafür nach jedem Fahrzeugstart durch zig Menüs, denn ein verkürzter Weg über die Favoritentaste wird nicht unterstützt. Zudem lässt sich die Verkehrszeichen-Erkennung nicht ohne das Tempolimit-Gebimmel nutzen, obwohl das laut der frei verfügbaren Lektüre "(EU) 2021/1958" erlaubt wäre. Die löst übrigens größere Emotionen aus als der "Manta"-Film, primär jedoch eher unbehagliche Wut.

Reichlich Toucherei

Hyundai Ioniq 6 AWD
Achim Hartmann
Es erfordert einiges an Aufmerksamkeit, um beim Fahren auf dem Touchscreen kleine Grafik- und Textschaltflächen zu treffen.

Wo wir gerade mit der Assistenz heißlaufen, machen wir mit dem Spurhalter weiter, der manchmal zu empfindlich reagiert. Wenn du mit hohem Tempo in ganz leicht wellige Autobahnkurven fährst, gerät die Karosserie wegen der Fahrwerksabstimmung schon mal in völlig unkritische Bewegungen – nur folgen darauf eher unangenehme Ping-Pong-Eingriffe des Spurhalters.

Dem gegenüber steht eine auf Autobahnen und Schnellstraßen eigentlich gut funktionierende aktive Spurführung. Allerdings fehlt dem Lenkrad eine kapazitive Erkennung, weshalb du regelmäßig leicht daran drehen musst, um deine Aufmerksamkeit zu bestätigen.

Von der musst du manchmal ein gutes Stück einsetzen, um beim Fahren auf dem Touchscreen kleine Grafik- und Textschaltflächen zu treffen. Die übersichtliche und anpassbare Kachelansicht funktioniert besser, zudem sind die Untermenüs weitestgehend logisch sortiert, bedingen jedoch gelegentlich unnötig lange Bedienwege. Das gilt ebenso für die Touch-Steuereinheit der Klimaanlage, auf der du zum Beispiel erst eine kleine Fläche berühren musst, um per Touchscreen anschließend die Sitzklimatisierung oder Lenkradheizung zu aktivieren. Schade, dass es dafür nicht einfach Drehregler und Tasten gibt, denn schon die Temperatureinstellung über die kleinen Touchfelder stört. Eine Etage darüber sieht’s mit Lautstärke-Drehregler, Direktwahltasten plus Wippschalter für den Kartenzoom besser aus.

Ioniq 5 oder 6?

Hyundai Ioniq 6 AWD
Achim Hartmann
35,4 Meter beträgt der adäquate Bremsweg aus 100 km/h und bei warmer Bremsanlage 35,1 Meter.

In Preis, Bedienung, Antrieb und Ladeleistung unterscheiden sich Ioniq 5 und 6 nicht, jedoch bewertet Euro-NCAP den Schutz erwachsener Insassen in der Limousine mit 97 statt 88 Prozent. Hier wie dort sind kleinere Dummys in Kindersitzen vorbildlich geschützt. Praktischer ist der größere Kofferraum des 22 cm kürzeren Ioniq 5, der viel entspannter federt und den Fondpassagieren größere Kopffreiheit bietet.

Der Ioniq 6 verbraucht also ein bisschen weniger Strom und kurvt eindeutig sportlicher, aber nicht unbedingt freudvoller. Eine richtige Paradedisziplin fehlt ihm somit, trotzdem ist er eine willkommene Portfolio-Ergänzung, da ja nun nicht jeder SUV fahren will. Und definitiv will niemand permanent angebimmelt werden, weil die EU sich Humbug ausdenkt. Hyundai sollte also dringend ein Update bringen, um den Umgang damit so erträglich wie gesetzlich irgend möglich zu gestalten.

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Vor- und Nachteile
Karosserie
Gut ablesbare Monitore
Totwinkelkameras top für die Rundumsicht
HUD teilweise schwierig zu lesen
Fummelige Klimasteuerung per Touch
Sicherheit
Recht gute Verzögerungsleistung
Adaptives Fernlicht
Sicheres Handling
Auch weniger komplexe Szenarien überfordern die Verkehrszeichenerkennung.
Komfort
Ordentliche Sitze vorn
Fahrwerk gleicht kaum Unebenheiten aus
Hinten zu geringer Abstand zwischen Sitzfläche und Fußboden
Antrieb
Freizügige Leistungsabgabe am Kurvenausgang
Kraftvoller Vortrieb
Ziemlich hohe Ladetempo
324 km Reichweite
Fahrverhalten
Recht hohe Kurventempi über Land
Kaum verspieltes Handling
Fast keine Rückmeldung in der Lenkung
Umwelt
Tendentiell geringer Testverbrauch
Keine planmäßigen Ölwechsel für Reduktionsgetriebe
Langer Transportweg aus Südkorea
Kosten
Viel Ausstattung
Fünf Jahre Garantie
Allradantrieb nur in Kombination mit mindestens dem Techniq-Paket
Hoher Grundpreis

Fazit

589 von 1000 Punkte

324 km Reichweite, hohe Lade- und Systemleistung sowie gute E-Auto-Basics zeichnen den Ioniq aus. Den guten Fahrkomfort unterstützt das Fahrwerk teils nur eingeschränkt, gleiches gilt für die ordentliche Dynamik und die gefühllose Lenkung. Nervtötend: das Tempolimit-Gebimmel.

Technische Daten
Hyundai Ioniq 6 4WD Techniq
Grundpreis61.100 €
Außenmaße4855 x 1880 x 1495 mm
Kofferraumvolumen401 l
Höchstgeschwindigkeit185 km/h
0-100 km/h5,1 s
Verbrauch0,0 kWh/100 km
Testverbrauch25,0 kWh/100 km