Lamborghini Huracán LP 610-4 im Test
Noch immer ein echter Lambo?

Nach 10 Jahren Gallardo wurde der Nachfolger des V10-Sportlers von den Fans mehr als sehnlich erwartet. Weltexklusiv nimmt unser Testteam den neuen Lamborghini Huracán LP 610-4 in die Mangel. Und der Huracán die Tester ...

Lamborghini Huracán LP 610-4, Seitenansicht
Foto: Hans-Dieter Seufert

Ob es am Giftgrün liegt? Ist es die grob behauene Keilform als Essenz eines Supersportwagens? Das animalisch-heisere Schreien? Oder alles zusammen? Fakt ist jedenfalls: In städtischen Hotspots sorgt der Lamborghini Huracán derzeit für mittelgroße Aufläufe, und er dürfte eines der meistfotografierten Objekte auf süddeutschen Straßen sein. Damit erfüllt er eine wichtige Vorgabe: Ein Lamborghini muss auffallen – mehr als ein Ferrari und mehr als ein McLaren. Er ist der Seltene unter den Besonderen, und ein neues Modell kommt nur alle Jubeljahre – im Falle der kleinen Baureihe reicht der Modellzyklus über eine ganze Dekade.

Nun aber ist der Lamborghini Huracán als Nachfolger des Gallardo am Start – wild, entschlossen und brutal. Damit wäre Vorgabe zwei Genüge getan. Und das Fahrerlebnis? Druck auf die Fernbedienung, die Griffe der konventionell öffnenden Türen klappen heraus – eine fast befremdliche Höflichkeit für einen Lamborghini. Lassen wir uns in die Schalensitze plumpsen. Autsch! Der Oberschenkelhals landet auf der überstehenden Carbon-Einfassung. Also beim nächsten Einsteigen besser zielen. Immerhin gibt es nun minimal mehr Kopffreiheit als im Gallardo, doch der Innenraum des Huracán bleibt weit weg von der Luftigkeit eines Ferrari 458 Italia, des Hauptkonkurrenten.

Wie im Aventador erinnert das Cockpit des Lamborghini Huracán an den Arbeitsplatz eines Jet-Piloten. Im Zentrum: das zentrale Display als Armaturenanzeiger. Rechts davon in der Mittelkonsole drei virtuelle Zusatzinstrumente für Öldruck, Öltemperatur und Batteriespannung. Der Schalter für den Rückwärtsgang ähnelt einem Schubhebel, und der Startknopf liegt unter einer roten Abdeckung. Er rüttelt den Zehnzylinder wach – ein kurzes Sirren, dann tobt herrlicher Lärm.

Auf Zug am Lenkradpaddel rastet der erste Gang ein. Der Lamborghini Huracán fährt an – mit einem leichten, uns wohlbekannten Ruck: typisch Doppelkupplungsgetriebe. Die Ruppigkeit beschränkt sich aber auf kaltes Getriebeöl. Und: kein Vergleich zur barschen sequenziellen Schaltung des Gallardo. Damit wäre eine echte Schwachstelle ausgemerzt. Im automatischen Modus zappt sich das DSG hinauf in den siebten Gang – bei Stadttempo. Der V10 tickert vor sich hin, und an der Ampel stirbt er plötzlich ab: Start-Stopp bei Lamborghini. Zeit, einen Blick auf die Bedienung zu werfen. Das Wichtigste vereint sich auf dem Lenkrad: Ähnlich wie bei einem Motorrad gibt es einen Taster fürs Fernlicht und eine Wippe für den Blinker. Eine weitere liegt rechts und steuert den Scheibenwischer mit Plus und Minus – leicht gewöhnungsbedürftig. Leider bekommen die Wischer starken Regen nicht optimal von der Scheibe. Zudem schielte der Testwagen; die Leuchtweite des linken LED-Scheinwerfers endete knapp vor der Schnauze.

Lamborghini Huracán rast in 3,1 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100

Ein Tribut an die gestreckte Linie sind die flachen, weit nach vorn ragenden A-Säulen, die jedoch den Blick voraus ähnlich behindern wie die Jalousien der Motorhaube jenen nach hinten. Über Parkpiepser verfügt der Testwagen nicht, also rechnet man besser eine Handbreit mehr Luft zum nächsten Hindernis ein. Auch sonst ist die Stadt kein ideales Revier für den Lamborghini Huracán. Auf Bodenwellen und Rampenauffahrten holt er sich schnell Schürfwunden, wenn man nicht den Vorderwagen mit dem optionalen Liftmodus nach oben fährt – undenkbar auf nach Coolness verlangenden Paradeplätzen. Doch schließlich ist ein Lamborghini weit mehr als ein Schauobjekt, und so befreien wir ihn aus dem Käfig und steuern Richtung Autobahn.

Wer es komfortabler will, bekommt neuerdings sogar adaptive Stodämpfer, die den Federungskomfort verbessern. Ferrari hatte sie beim F355 GTB schon vor 20 Jahren serienmäßig eingeführt, doch im Falle des Lamborghini Huracán sind sie ein Extra, der Testwagen kommt ohne. Beim Anfedern zeigt sich das konventionelle Fahrwerk zunächst zugänglich, dann wird es kratzbürstig: Das Chassis lässt sich von Bodenwellen hochkatapultieren oder auch zum Wippen anregen. Unebenheiten dringen wenig gedämpft durch, und die optionalen Schalensitze verbessern die Lage kaum. Sie sehen super aus und bieten tollen Seitenhalt, sind aber spärlich aufgepolstert. Zudem rumpelt es auf schlechten Straßen aus dem Fahrwerk, während die erstaunlich kunststoffhaltige Mittelkonsole knistert.

Nach dem ersten Gasstoß macht indes der 5,2-Liter-V10 alle Störgeräusche vergessen, zieht selbst im hohen Gang sauber aus dem Drehzahlkeller durch. Erst ab 4.000 Umdrehungen, wenn die Auspuffklappe öffnet, erhebt er seine Stimme deutlich, dreht wie besessen, um dann jenseits der 7.000/min wie ein Rennmotor metallisch zu schreien. Wer auf Sport oder Corsa fährt, erhält noch sexy Auspuffsprotzeln obendrauf. Es ist der Soundtrack eines Beschleunigungsdramas, und er wird untermalt von einer Polyphonie an mechanischen Geräuschen. Der Lamborghini Huracán schiebt entfesselt an, katapultiert sich in 3,1 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100, nimmt die 200er-Marke im Sturm und lässt selbst über 300 nicht ab. Da kann ein Ferrari 458 Italia nicht mithalten.

Mit Einführung des DSG hat der Lamborghini nicht nur gesittetes Schalten gelernt, sondern sich auch das irritierende Giermoment beim Gangwechsel in schnellen Kurven abgewöhnt. Er bleibt spurstabil und lässt sich nicht einmal von Längsrillen beeindrucken – höchstens von starkem Bremsen. Dann offenbart sich typisches Mittelmotorverhalten: Der Lamborghini Huracán dreht leicht ein, bleibt aber noch gut beherrschbar.

Ähnliches gilt auf der Landstraße. Nichts von mittelmotorischer Zickigkeit – im Gegenteil: Wer es übertreibt, schubbert über die Vorderräder. Klassisches, weich einsetzendes Untersteuern, das dem Grenzbereich jede Tücke nimmt. Die Lenkung erzählt dabei einfach verständlich vom Gripniveau. Man braucht kein besonderes Talent, um den Lamborghini Huracán zügig zu bewegen. Erst auf der Rennstrecke, mit deaktiviertem ESP, präsentiert sich das Mittelmotorprinzip von einer ganz anderen Seite. Wer bewusst in die Kurve hinein lastwechselt, etwa durch Anstellen, der umgeht das Untersteuern. Doch Achtung: Im Drift findet die Hinterachse zackig wieder Grip und kontert in die Gegenrichtung, was reflexartig pariert werden muss.

Ein echter Lamborghini

Hier offenbart der Lamborghini Huracán seinen wahren Charakter: Er ist ein Macho, der auf unverbindliches Geplänkel verzichtet und nicht nur optisch Kante zeigt. Er will nicht jedem gefallen, schert sich kaum um den Zeitgeist. Immerhin liegt der Durchschnittsverbrauch von 15,9 l/100 km unter dem des Vorgängers, aber selbst unter der Obhut von Audi wird die Hybridisierung bei Lamborghini wohl zuallerletzt landen.

Im norditalienischen Sant’Agata Bolognese bauen sie Sportwagen nach einem ganz speziellen Reinheitsgebot: heißblütige Fahrmaschinen ohne großen Komfort, aber mit maximaler Dynamik und Außenwirkung. Den Gallardo übertrifft der Lamborghini Huracán in allen wesentlichen Disziplinen, doch aerodynamische Raffinessen wie die durchströmte Karosserie eines BMW i8 sucht man ebenso vergebens wie Konzessionen an den Alltag. Selbst ein kaum weniger exaltierter Ferrari 458 Italia bietet einen mehr als doppelt so großen Laderaum. Dem Huracán selbst dürfte Kritik am Heck vorbeigehen. Der Brutalo ist das, was er sein soll: ein echter Lamborghini.

Vor- und Nachteile
Karosserie
Lamborghini Huracán LP 610-4
akzeptables Raumangebot
gutes Display-Konzept
schlüssige Bedienung
steife Karosserie
minimaler Kofferraum
geringe Kopffreiheit
schlechte Übersichtlichkeit
schwieriger Ausstieg
Scheibenwischer überfordert
auf schlechter Straße knisternde Mittelkonsole
Fahrkomfort
gute Klimatisierung
niedrige Windgeräusche
harte Schalensitze (Option)
ohne Lehnenverstellung
schlechter Federungskomfort
Antrieb
sehr gute Fahrleistungen
extrem drehfreudiger Motor
schnell schaltendes Getriebe
leichtes Anfahrruckeln bei kaltem Getriebeöl
Fahreigenschaften
sehr gute Traktion
direktes Einlenkverhalten
agiles Handling
einfache Fahrbarkeit mit ESP
Konterneigung im Grenzbereich (ohne ESP)
Sicherheit
sehr gutes Bremsgefühl und
enorme Bremsleistung
hohe Crashsicherheit
kaum Sicherheitsausstattung
Umwelt
fix funktionierende Start-Stopp-Funktion
hoher Verbrauch
Kosten
drei Jahre Garantie ohne Kilometerbegrenzung
hoher Anschaffungspreis
exorbitante Unterhaltskosten
jährliche Inspektion nötig
adaptive Stoßdämpfer nur gegen Aufpreis

Fazit

Gegenüber dem Gallardo ist der Lamborghini Huracán eine deutliche Verbesserung – verglichen mit der Konkurrenz aber ein Sportwagen alter Schule: hart und extrem. Den Grenzbereich sollten nur Könner betreten.

Technische Daten
Lamborghini Huracán LP 610-4 Coupé
Grundpreis201.824 €
Außenmaße4459 x 1924 x 1165 mm
Kofferraumvolumen100 l
Hubraum / Motor5204 cm³ / 10-Zylinder
Leistung449 kW / 610 PS bei 8250 U/min
Höchstgeschwindigkeit325 km/h
0-100 km/h3,1 s
Verbrauch12,5 l/100 km
Testverbrauch15,9 l/100 km