Mercedes-AMG E 43 4Matic im Test
Allradler mit Sechszylinder-Turbo in Hockenheim

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Auch bei der E-Klasse schließt nun eine AMG-43-Version die Lücke zwischen Stangenware und Obermotz. Ein fauler Kompromiss oder ein guter Mix? Test des 401 PS starken Allradlers.

Mercedes-AMG E 43 4Matic, Frontansicht
Foto: Rossen Gargolov

Auf dieser Insel der Glückseligkeit, auf der wir sport auto-Schreiber ja arbeiten dürfen, kriegt man offen gesagt nicht alles mit. So umgibt uns beispielsweise immer eine latente Unsicherheit, ob der Kia Picanto, der da gerade vor einem herfährt, jetzt der neue, der alte oder nur der modellgepflegte ist – oder auch, ob es überhaupt ein Kia Picanto ist. Dennoch waren wir bisher eigentlich immer davon ausgegangen, dass eine gewisse automobile Allgemeinbildung schon noch vorhanden ist.

Mercedes-AMG E 43 zum Verwechseln ähnlich mit C-Klasse

Der Mercedes-AMG E 43 4Matic jedoch belehrte uns nun eines anderen. Als er neulich für seine Einzeltestbehandlung zu uns nach Hockenheim stieß – wir waren gerade dabei, ein Rudel VW Gölfe zu verarzten –, wurde er jedenfalls kollektiv gering geschätzt. Wer sich um die C-Klasse kümmere, wurde da gefragt. Ob die C-Klasse schon fotografiert sei. C-Klasse hier, C-Klasse da. Das Spiel ging so lange, bis durch Zufall mal einer vor dem Heckdeckel zum Stehen kam und verlas, dass diese vermeintliche C- in Wahrheit eine E-Klasse sei – zur allgemeinen Verwunderung. Mal blöd gefragt: Sind wir hier alle wirklich so verseucht? Oder sieht das Teil nicht einfach aus wie eine Kopie im Maßstab 1 : 0,8? Ganz ehrlich: Selbst nach eingehender Betrachtung finden wir nur zwei, drei offensichtliche Unterschiede – oder sagen wir besser, sichtliche Unterschiede.

Die letzten Zweifel, dass man sich beim Auflaminieren der Typenbezeichnung nicht doch einfach nur verschrieben hat, verschwinden jedenfalls erst nach dem Einsteigen. Durch den geräumigeren Innenraum und vor allem durch die Armaturen, die wie in der S-Klasse nun optional als Extrabreitbild-Tablet im Zimmer hängen. Neu: Der Look der Instrumente lässt sich individualisieren, in drei Themen von klassisch bis progressiv. Außerdem wurde nun das Bedienkonzept um eine neue Eingabemethode ergänzt.

Mercedes-AMG E 43 4Matic, Cockpit
Rossen Gargolov
Cockpit des Mercedes-AMG E 43 4Matic.

Am Lenkrad sitzen zwei viereckige Touchfelder. Das auf der linken Speiche steuert das Instrumenten-Paneel, das auf der rechten das Mittendisplay. Durch vertikales und horizontales Darüberstreichen bewegt man sich durch die Menüstruktur. Das Ganze funktioniert recht eingängig und easy – bis man sich irgendwann auf den weiten Weg durch die DAB-Senderliste macht und auf halber Strecke zwischen „Absolut relax“ und „You FM“ mit einer Sehnenscheidenentzündung aufgeben muss. Kein Witz, schnappen Sie sich mal Ihr Smartphone und wischen mit dem Daumen geschätzte fünfunddreißig Mal über das Display, dann werden Sie merken, was ich meine.

Mercedes-AMG E 43: nicht zu diskret, nicht zu derb

Das Schöne: Auf unserer Insel der Glückseligkeit spielen solch bedienergonomische Eigenwilligkeiten ebenso wenig eine Rolle für das Abschneiden eines Autos wie zum Beispiel die Tatsache, dass der Mercedes-AMG E 43 4Matic gegen Aufpreis den Innenraum beduftet. Oder auch jene, dass er im Tempomatbetrieb bis 210 km/h nun selbst das Ruder übernimmt, autonom durch Kurven lenkt und sogar die Spur wechselt, wenn man per Blinkerhebel die Absicht dazu äußert. Unser Fokus liegt auch in Zukunft auf den Fahreigenschaften – auf denen, die eigenhändig entstehen, wohlgemerkt. Und darin sind die 43er-AMG größtenteils richtig, richtig gut.

Auch weil die Dosierung stimmt. Ich persönlich bin der Meinung, dass es bei einem sportlichen Mercedes um Ausgewogenheit gehen muss – um eine gute Balance aus traditionellen Markenwerten auf der einen Seite und Dynamik auf der anderen. Bei der E-Klasse gab es bislang nur das Entweder-oder. Die Standardmodelle waren reserviert, entspannt und stets etwas frührentnerisch in ihrem Bewegungsapparat. Die AMG hingegen schlugen ins Pubertäre um: grantiger Klang, Muckibudenlook und dazu die enorme Drehmomentkeule, mit der sich überhaupt erst vernünftig hantieren ließ, seit man zur Modellpflege des Vorgängers die Allradoption einführte.

Will sagen: Die Kluft zwischen den beiden Welten war groß, viel größer als bei Audi oder BMW. Und genau da springen die 43er nun ein. Schon mit der C-Klasse klappte dieser Brückenschlag hervorragend – fahrdynamisch, emotional und, wie man so hört, auch wirtschaftlich.

Und die E-Klasse vollführt ihn nach demselben Prinzip. Heißt im Einzelnen: Allradantrieb, ein neunstufiger Wandlerautomat mit verkürzten Schaltzeiten und Zwischengasgabe – und als Herzstück das Universalorgan aller 43er: ein Dreiliter-V6 mit Doppelturbo, den man hier aber über zwei größere Lader und eine Ladedruckanhebung auf 1,1 bar von den angestammten 367 PS auf deren 401 beförderte.

1,9 Tonnen schwere Sportlimousine

In strammen 4,7 Sekunden pressen 520 Nm die 1,9 Tonnen auf 100 km/h, nach 18 Sekunden liegen 200 an. Okay, der Weg dorthin ist vielleicht nicht dieser vertikale Bungee-Jump wie in einem E 63 S, sondern eher eine Standleitung aus Drehmoment. Doch irgendwie steht das der E-Klasse ganz gut, es harmoniert mit ihr, mit ihrer Souveränität und vor allem auch mit der diskreten Querdynamik, die sie nur dann freisetzt, wenn man diese einfordert.

Mercedes-AMG E 43 4Matic, Heckansicht
Rossen Gargolov
Der Allradler sprintet in 4,7 Sekunden auf Tempo 100.

Solange der E 43 nur dahintreibt, hält einem die Mehrkammer-Luftfederung die Fahrbahn weitgehend vom Leib. Packt man ihn am Krawattl, zieht der Allradler sich mit seiner erhöhten Fahrwerkssteifigkeit, dem negativeren Radsturz an beiden Achsen und der angeschärften Adaptivdämpfung ganz dicht an einen ran. Auf der Landstraße entsteht so ein angenehm herbes Fahrgefühl mit hoher Lenkpräzision und reichlich Kontur in Kurven, im Slalom stellt sich der AMG trotz seiner stattlichen Statur ganz geschickt an, und auch auf der Strecke erzielt er eine Zeit, die durchaus aufhorchen lässt.

Wobei er sich anfangs etwas wackeliger bewegt als angenommen. Alle getesteten 43er-Modelle, egal ob das der SLC gewesen ist oder dieses famose T-Modell der C-Klasse, das jüngst die gesammelte Konkurrenz vermöbelte, sie alle gehörten eher zu den Anständigen. Sprich: Man konnte sich eigentlich von oben herantasten an den Grenzbereich, wissend, dass nichts verrutschen kann. Und mit dieser saloppen Einstellung sind wir offen gesagt auch hier an den Testwagen herangegangen – doch dann kam es erstens ganz anders und zweitens, als wir dachten.

Statt sich artig in die Querbeschleunigung sacken zu lassen oder an einen Restschutz der Stabilitätselektronik anzulehnen, so wie das besagter C 43 tat, steht er in der Ameisenkurve gleich mal kapital quer, dann im Test noch mal ausgangs Sachskurve, und selbst in der sauschnellen Querspange drängelt das Heck. Wie kommt's?

Mercedes-AMG E 43 4Matic mit heckbetonter Kraftverteilung

Gehen wir nach dem Ausschlussprinzip vor: An der Balance kann es nicht liegen, sie fällt tendenziell zwar eher kopflastig aus, aber nun mal nicht kopflastiger als im C. Und auch die Kraftverteilung ist mit 31 zu 69 Prozent genauso heckbetont. Bleiben also nur die Reifen. Als erster Performance-Benz setzt der E 43 auf Yokohamas vom Typ Advan Sport. Und die brauchen ganz offensichtlich ziemlich viel Zeit, um warm zu werden.

Nach zwei, drei Eiertänzen hat sich dann der hibbelige Hintern jedenfalls beruhigt und das Fahrverhalten nähert sich dem der C-Klasse an. Ganz so locker aus der Hüfte lenkt der E 43 im Test aufgrund seines weiteren Radstands zwar nicht. Dafür kurvt er ruhiger, liegt satter und stößt sich mit seinem höheren Drehmoment natürlich auch kräftiger vom Scheitelpunkt ab. Die Folge: eine Rundenzeit von 1.14,5 Minuten, die jene des C 43 um rund eine Sekunde toppt und – selbst nach nochmaliger Betrachtung – wohl der offensichtlichste Unterschied zwischen den beiden ist.

Fazit

Ich bin echt ein Fan dieser 43er – den SLC mal ausgenommen. Sie sind kernig motorisiert, klingen dank des Auspuffgebrabbels ziemlich sexy und bewegen sich mit ihrer extrem heckbetonten Allradauslegung und der spezifischen Abstimmung richtig frech. Hin- und hergerissen bin ich diesmal nur wegen der Reifen. Klar sind die das Rückgrat der tollen Fahrdynamik. Allerdings dürfte die Gummimischung in so einer Klasse gut und gerne etwas kompromissbereiter sein – Stichwort Temperaturempfindlichkeit. Sonst müssen sie beim Daimler zu den weißen Handschuhen nämlich bald auch noch einen Satz Heizdecken ins Auto packen.

Technische Daten
Mercedes AMG E 43 4Matic Mercedes-AMG
Grundpreis75.387 €
Außenmaße4923 x 1852 x 1474 mm
Kofferraumvolumen540 l
Hubraum / Motor2996 cm³ / 6-Zylinder
Leistung295 kW / 401 PS bei 6100 U/min
Höchstgeschwindigkeit250 km/h
0-100 km/h4,7 s
Verbrauch8,2 l/100 km