Porsche 911 Turbo S, Nissan GT-R, Audi R8 V10 Plus
Der Turbo fordert die Meute

Massive Beschleunigung? Eine Domäne des Porsche 911 Turbo, na klar. Die S-Variante der neuesten Generation wirft zudem den beiden Handling-Spezialisten Nissan GT-R und Audi R8 den Fehde-Handschuh vor den Kühler.

Porsche Turbo S, Nissan GT-R, Audi R8
Foto: Dino Eisele

Bei Tempo 270 kommt kurz Unruhe im Cockpit des Porsche 911 Turbo S auf. Nicht etwa, weil der 560 PS starke Sportwagen unberechenbare Dinge treibt, ganz im Gegenteil. Ein Warnton, der in etwa so klingt, als habe sich Alleinunterhalter-Urvater Franz Lambert auf seiner Wersi-Orgel im Akkord vertan, erklingt. Im Kombiinstrument rechts vom Drehzahlmesser erscheint folgende Meldung: "Geschwindigkeit verringern, Komfort-Luftdruck eingestellt" – meine Güte, was es alles gibt.

Vor allem stellt sich die Frage: Warum zum Teufel bin ich schon wieder so schnell? Weil es einfach einfach ist, im neuen Turbo-Elfer. Kein nervöses Tänzeln, kein Bocken, kein markerschütternder Motorklang, stattdessen absolute Gelassenheit. Wow. Ob sich das neue Topmodell deswegen gleich der Langeweile verdächtig macht? Um das in einen adrenalinreichen Kontext zu binden, trifft sich der Porsche 911 Turbo S mit dem Nissan GT-R und dem Audi R8 V10 Plus.

Porsche 911 Turbo S mit Allradlenkung

Noch immer gilt der massige Japaner als preiswerter Geheimtipp für dem Spieltrieb verfallene Sportwagenfans. Die sonst so technikverliebte Audi-Truppe stellt in diesem Vergleich den Klassiker mit mittig angeordnetem Saugmotor. Porsche spielt dagegen vierhändig auf der Klaviatur des Hightech, rüstet den Porsche 911 Turbo S nicht nur mit einem nochmals aufwendigeren Allradantrieb aus, sondern packt auch noch eine Allradlenkung sowie adaptive Aerodynamik-Komponenten obendrauf.

Beim 3,8-Liter-Biturbo im Porsche 911 Turbo S bewirken jetzt höhere Verbrennungsdrücke sowie neu abgestimmte Steuerzeiten und Zündwinkel eine Leistungssteigerung um 30 PS gegenüber dem Vorgänger, das maximale Drehmoment schwillt um zehn auf respekteinflößende 710 Newtonmeter an – mit denen der Antriebsstrang bereits bei 2.200 Umdrehungen fertig werden muss. Nun würde der geneigte Technikfreund ja gerne etwas von dem Spektakel im Motorraum sehen, doch wie bei allen Varianten der Generation 991 zeigt sich auch der Porsche 911 Turbo S zugeknöpft, die Mutter Oberin unter den Sportwagen sozusagen. Also soll die Traummaschine eben arbeiten, der als Mini-Elfer geformte Zündschlüssel gibt den entsprechenden Befehl – jetzt bloß keine Faxen am Gaspedal veranstalten. So huscht der Porsche züchtig los, kein heiseres Röcheln, kein anstrengendes Ruckeln.

Selbst die Flügel verstecken sich jetzt noch, rücken erst bei 120 km/h in Stufe eins aus. Stufe zwei erfordert einen Tastendruck und soll maximale Querbeschleunigung ermöglichen. Bassig summt der Boxer im Heck; erstes, zaghaftes Abfragen der möglichen Gewalten entlockt bestenfalls ein kräftiges Meeresrauschen.

Sport Plus verschärft den Porsche 911 Turbo S

Erst nach dem Betätigen der Sport-Taste schraubt das Sechszylinder-Triebwerk im Porsche 911 Turbo S seine Stimme weiter nach unten, klingt rauer, sprotzelt gar gelegentlich. Sport Plus schärft nochmals die Schaltzeiten des PDK und entsichert zusätzlich die Launch Control. Der nun einsetzende Schub laminiert die Lederpolster in die Rücken der Insassen. Im Gegensatz zur Akustik wringt die schiere Macht des Motors nicht nur die Antriebswellen, sondern auch den Verstand des Fahrers aus. Die unnachgiebige Wucht scheint nicht abreißen zu wollen, nicht einmal bei den kaum wahrnehmbaren Gangwechseln. Nach 10,2 Sekunden knallt der Porsche durch die 200-km/h-Mauer. Zehnkommazwei. Zweihundert Kilometer in der Stunde. Gut, dass die serienmäßige Keramik-Bremsanlage jederzeit in der Lage ist, eine Negativ-Beschleunigung um 11,5 m/s² zu realisieren. Herausragend? Eher nicht, denn alle drei Sportwagen verzögern hervorragend, selbst der konventionell bestückte Nissan.

Die Leistung der Bremse rückt nun bei den Handling-Disziplinen ebenso in den Fokus wie die Funktion des Allradantriebs. Bis zu 63 Prozent der Kraft schickt die elektrohydraulisch gesteuerte Lamellenkupplung (Prinzip Haldex, fünfte Generation) im Porsche 911 Turbo S an die Vorderachse, was zu einem vergleichsweise spießigen, aber eben auch sicheren Fahrverhalten führt. Einen nur halbwegs sensiblen Gasfuß vorausgesetzt, hetzt der Elfer selbst über nassen Asphalt, zieht sich leicht untersteuernd aus Kurven, sobald die Elektronik Schlupf wittert. Klingt dröge? Stimmt. Macht den Elfer aber schnell – schneller als Nissan und Audi. Bei trockener Strecke buchstabiert der Turbo S dagegen in jeder Kurve das Wörtchen n-e-u-t-r-a-l, ermöglicht irrsinnige Querbeschleunigung. Er lenkt höchst präzise ein, neigt sich nur minimal zur Seite und informiert den Fahrer zudem exakt über den Winkel der Vorderräder. Zur schwindelerregenden Agilität trägt auch die Hinterachslenkung bei, die ab 80 km/h mit 1,8 Grad gleichsinning zu den Vorderrädern arbeitet.

Porsche 911 Turbo kommt notfalls mit 8,1 L/100 km zurecht

Das wiederum führt zu einem schnellen Aufbau von Seitenkräften an den Hinterrädern und hilft, den mit knapp 1,6 Tonnen vergleichsweise leichten Porsche 911 Turbo S präzise am Limit entlangbalancieren zu können – ohne ein auskeilendes Heck oder öddeliges Untersteuern bekämpfen zu müssen. Und so ganz nebenbei beansprucht der Porsche 911 Turbo S deshalb einen Wendekreis von nur 10,5 Metern. Apropos spaßfreie Messwerte: Wenn es sein muss, lässt sich sein Verbrauch auf 8,1 L/100 km drücken. Um das gleich abzuhaken: Der Nissan GT-R verbraucht mehr und wendet sperriger, der Audi auch.

Doch speziell der Japaner rückt dem Porsche 911 Turbo S dicht auf den Bürzel, schließlich bedient er sich ähnlicher Zutaten: Sechszylinder-Turbomotor, allerdings in V-Anordnung und vor dem Fahrer positioniert, angedockt an ein Doppelkupplungsgetriebe (mit sechs Gängen), verwoben mit einem aufwendigen Allradantrieb, der Attesa E-TS heißt, was irgendwie nach einem chemischen Wirkstoff klingt. Er versorgt die Vorderachse maximal mit 50 Prozent der Motorkraft, belässt es aber häufig auch bei nur zwei.

Ganz und gar nicht synthetisch wirkt dagegen das ebenfalls 3,8 Liter große Triebwerk, das sich gerne und offen zur Schau stellt, seine sechs Ansaugkanäle und die Schlauch-Peripherie der beiden IHI-Lader gleich mit. Zwar verzichtet das mit 9,0:1 verdichtete Aggregat auf eine Benzindirekteinspritzung, leistet sich jedoch plasma- statt gusseisenbeschichtete Zylinderbohrungen. Jedenfalls darf Tsunemi Ooyama sehr stolz auf seinen Motor sein, auf dem er sich mit seiner Unterschrift verewigt hat.

Quick in Japan – der Nissan

Ein Druck auf den knallroten Startknopf vor dem Getriebewählhebel bringt Leben in die Bude und die vier so gar nicht bescheidenen Endrohre zum Vibrieren – da muss der gute Franz mal ordentlich in die Tasten hauen. Maximal 632 Newtonmeter entwickelt der Sechszylinder in seiner aktuellen Evolutionsstufe, abrufbar bei 3.200/min, die Leistung liegt bei 550 PS. Zusammen mit den kleisterigen Semi-Slicks traut Nissan dem Coupé daher eine Zeit von nur 2,7 Sekunden für den Sprint von null auf 100 km/h zu – die es im Test mit 3,3 Sekunden doch recht deutlich verfehlt.

Noch bevor deshalb wirkliches Bedauern durch das etwas lieblos eingerichtete Cockpit schwappt, nimmt der unerschöpfliche Druck den Fahrer gefangen, das heisere, gedämpfte Donnern des V6, die blitzschnellen Gangwechsel, das im Vergleich zum Porsche 911 Turbo S etwas unmittelbarere Erlebnis Leistung. Bei langsamer Fahrt mischt sich noch ein Potpourri mechanischer Geräusche von Getriebe, Ladern und Fahrwerk darunter – nicht aufdringlich, eher bewegend.

Die Sitzposition ist okay, die Sitze selbst ebenfalls, mit gutem Seitenhalt und ordentlicher Polsterung. Dazu unterhält der GT-R seinen Fahrer mit einer Flut von Informationen, von Ladedruck über Momentverteilung und Gierrate bis hin zur Getriebeöltemperatur und weißderkuckucknochwas. Vermutlich findet sich irgendwo auch der optimale Garpunkt für ein Kobe-Steak. In jedem Fall repräsentiert der GT-R in bester Weise japanischen Spieltrieb und Technikverliebtheit – was sich nicht zuletzt darin äußert, dass dieser immerhin 1,8 Tonnen schwere Sportler (liegt unter anderem an der zweiten Kardanwelle aufgrund der Transaxle-Bauweise) wie von Sinnen um die Ecken des Handlingkurses fegt.

Er fordert zwar einen etwas anderen Fahrstil als der Porsche 911 Turbo S, will etwa früher zusammengebremst werden, verträgt aber im Gegenzug auch viel früher eine Extraportion Gas. Das minimiert das Einlenkuntersteuern, hält das Gripniveau oben. Dann: Feuer frei. Jetzt setzt sich der Nissan nochmals spürbarer in die straffen Federn, krallt sich mit seinen Gummis in den Asphalt, schleudert ihn nach hinten, beginnt irgendwann leicht mit dem Heck zu drücken – was für eine Vorstellung, du kriegst die Tür nicht zu!

Gut, bei Nässe sieht das wiederum ganz anders aus, hier geht der Japaner wegen der serienmäßigen 20-Zoll-Semislicks baden, und zwar so richtig. Also Vorsicht auf öffentlichen Straßen! So lange es allerdings trocken bleibt, nimmt es der Nissan mit jedem auf, zur Not eben auch mit einem Porsche 911 Turbo S. Der knöpft dem Japaner zwar auf dem Handlingkurs dank dem neutraleren Eigenlenkverhalten sowie dem besseren Leistungsgewicht wenige Sekunden ab, fährt ihm bei den weiteren Fahrdynamik-Prüfungen aber nicht davon.

Audi R8 kontert mit dem Hohelied des Saugmotors

Der Audi R8 V10 Plus scheint dagegen von einem anderen Schlag. Hinter Fahrer und Beifahrer nörgeln keine Kindern, hier schreit der Motor, ein klassischer Sauger. Mit 12,5:1 verdichtet, ausgerüstet mit Benzindirekteinspritzung und einer so genannten Common-Pin-Kurbelwelle für Zündabstände von 54 und 90 Grad. Während die beiden Turbo-Kandidaten schon recht früh mächtig drücken, tobt das 5,2-Liter-Triebwerk erst jenseits von 5.000/min los, erzwingt sich mit herrlich heiserer, jubelnd-kreischender Stimme Gehör – das schafft Herrn Lamberts Wersi-Orgel sicher nicht.

Wer will sich dabei schon auf die hochwertigsten Materialien im Test konzentrieren, mit denen das Cockpit eingerichtet ist? Fast perfekt: die vielfach verstellbaren Schalensitze, deren Position zum schnieken Alcantara-Lenkrad jedoch nicht für jeden Fahrer passt. Und es sollte passen, denn der R8 destilliert durch eine geschickte Steuerung der Viskokupplung aus dem obligatorischen Allradantrieb ein erfreulich agiles, weil berechenbar übersteuerndes Eigenlenkverhalten. Um gleich zwei Missverständnisse auszuräumen: Der Audi gibt nicht die Mittelmotor-Zicke, und bei allem Fahrspaß verhilft ihm diese Auslegung nicht zu Bestzeiten. Einzig auf Nässe hält er den Abstand zum Porsche 911 Turbo S gering.

Rock ’n’ Roll im R8

Das alles ändert natürlich nichts daran, dass der trotz seiner Aluminium-Architektur 1,7 Tonnen schwere R8 großes Kino bietet. Wie er beim Beschleunigen eine Drehzahlorgie sondergleichen feiert (und 3,7 Sekunden für den Standard-Sprint sind ja nun weit entfernt von "mau"), wie er dank Doppelkupplung schnell und ruckfrei durch die sieben Gänge flippert und wie er bereits im Kurveneingang leicht schwänzelt – Rock ’n’ Roll statt Heimorgel-Swing.

Maximal 30, aber mindestens 15 Prozent des Motor-Drehmoments von 540 Newtonmetern bekommt die Vorderachse zugewiesen, rein mechanisch. Gerät der R8 also ins Übersteuern, bleibt er dort auch, lässt sich dank exakter Lenkung und direktem Ansprechverhalten optimal dosieren. Diesen Charakter behält der Zweisitzer jederzeit bei, egal, ob er gerade über trockenen oder nassen Asphalt getrieben wird. Sobald die Straßenbeschaffenheit allerdings der kariösen Realität entspricht, federt der Audi ähnlich missmutig wie der Nissan. Zudem knarzen beide Testwagen im Bereich des Armaturenbretts.

Dem Nissan sei das in Anbetracht des konkurrenzlos günstigen Preises verziehen, dem Audi nicht. Und der Porsche 911 Turbo S muss seinen bizarr hohen Grundpreis mit einem Sieg rechtfertigen, alles andere wäre peinlich. Übrigens: Selbst mit highspeedtauglichem Luftdruck bietet der Elfer ordentlichen Komfort. Nur der Wersi-Akkord erklingt dann nicht mehr.

Fazit

1. Porsche 911 Turbo S
320 von 1000 Punkte

Unverschämt teuer, aber auch unverschämt schnell, agil, effizient und komfortabel dazu – deshalb gewinnt der Elfer

2. Nissan GT-R Black Edition
308 von 1000 Punkte

Die unglückliche Reifenwahl verhindert ein noch besseres Abschneiden des verblüffend günstigen GT-R.

3. Audi R8 V10 Plus
295 von 1000 Punkte

Eine unverschämte Mittelmotor-Schleuder? Nein, der R8 gibt eher den sympathischen Oldschool-Sportler.

Technische Daten
Porsche 911 Turbo S Turbo SNissan GT-R Black EditionAudi R8 V10 plus GT
Grundpreis197.041 €98.000 €177.500 €
Außenmaße4506 x 1880 x 1296 mm4670 x 1895 x 1370 mm4440 x 1929 x 1252 mm
Kofferraumvolumen115 l315 l100 l
Hubraum / Motor3800 cm³ / 6-Zylinder3799 cm³ / 6-Zylinder5204 cm³ / 10-Zylinder
Leistung412 kW / 560 PS bei 6500 U/min404 kW / 550 PS bei 6400 U/min404 kW / 550 PS bei 8000 U/min
Höchstgeschwindigkeit318 km/h315 km/h317 km/h
0-100 km/h2,9 s3,3 s3,7 s
Verbrauch9,7 l/100 km11,8 l/100 km12,9 l/100 km
Testverbrauch12,6 l/100 km13,6 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten