VW Karmann Ghia 1600 Coupé (1974) im Test
Karmann-o-Mann!

Soso, Freunde, der Karmann Ghia sei kein Sportwagen für harte Männer, meint ihr? Na, dann sind wir lieber zarte Männer, als auf den Spaß mit dem Coupé als "Altem im Test" zu verzichten. Querschaftszeiten noch mal. Jetzt geht es aber so was von los.

VW Karmann Ghia 1600 Coupé
Foto: Hans-Dieter Seufert

Bedenkt man, wie ungeschickt sie sich in der Vergangenheit so angestellt hat, traut man der Vernunft keine große Zukunft zu. Denn aus dem Heute betrachtet erscheinen gerade die klugen Entscheidungen des fernen Gestern besonders ulkig. In Schweden etwa lässt die Marine Mitte des 18. Jahrhunderts Wälder mit Eichen pflanzen. Seien die Bäume nach 250 Jahren ausgewachsen, stehe so viel hochwertiges Holz für den Bau von Kriegsschiffen zur Verfügung, dass die Königlich-Schwedische Marine daraus große strategische Vorteile erlange.

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Wie oft hat sich dagegen die Unvernunft erfolgreich geschlagen, war sie nur zu genügend heiterem Optimismus entschlossen. Und dazu, sich mit Genuss ins Leben zu stürzen, was ja eh der einzige Weg ist, es auszukosten. So wie jetzt, als über den sachten Hügeln die erste Sonnenröte eines Tages glimmt, der beginnt, als die Nacht noch über dem Land liegt.

VW Karmann Ghia 1600 Coupé
Hans-Dieter Seufert
„Oh-oh-Otto?“ „Ja, Seb?“ „Das rechte hintere Rad hat gerade arg positiven Sturz, das vordere sehr negativen.“ „Warum so negativ, Seb, denk positiv. Pendelt sich wieder ein – ist schließlich eine Pendelachse!“

Da genügt die Notausgangsbeleuchtung in der Tiefgarage, um den Karmann Ghia in diesem enorm orangen, nun, Orange im Dunkel der Parkbucht erstrahlen zu lassen. Tür aufschließen, den metallkalten Öffner drücken, ein tiefes Knacken, Tür auf, einsteigen, den fesseligen Statikgurt festzurren. Schon die kleine, dunkle Auffahrt hoch zum Rolltor sieht vom tief montierten Sitz mit Blick über die Peilrundungen der Radhäuser wie ein verheißungsvolles Versprechen aus, denn sie führt hinaus in die Weite dessen, was uns mit einem Auto offensteht: die ganze Welt in ihrer vollen Schönheit.

Zu der trägt der Karmann Ghia seit 1955 selbst bei, was wir gleich erzählen, selbstredend auch die Sache mit dem Casino, Fridolin und dem Kübel. Aber zuerst: Kupplung treten, Schlüsseldreh, mit dem automatischen Choke springt der 1600er-Boxer im Heck-Appartement sofort an. Prasselt kurz ein paar Hundert Touren empor, fällt dann in einen Leerlauf, in dessen Klang schon jenes Rauschen liegt, das sich bei höheren Drehzahlen ins Rasseln steigert, um sich schließlich ins Sägende zu transponieren.

VW Karmann Ghia 1600 Coupé, Motor
Hans-Dieter Seufert
50 PS aus einem luftgekühlten Vierzylinder-Boxermotor bringen den Oldtimer in gemessenen 16,7 Sekunden auf 100 km/h.

Rechten Fuß sacht aufs stehende Gaspedal, Kupplung greift, das Coupé drückt sich mit den Hinterrädern ab, rollt die Auffahrt empor. Kurz tauchen die Bremsleuchten die Garage in gleißendes Rot. Doch schon ist das Rolltor weit genug hochgerattert, damit sich der Karmann darunter durchducken kann. Dann weiter durch die Stadt, die hier im grellen Neonlicht, dort in tiefen Schatten liegt, hinaus auf die dunkle Autobahn und der Zukunft eines neuen Tages entgegen.

Kleines, reines Glücksspiel

Mit ihm ist es 24 311 Tage her, dass die Zukunft des Karmann Ghia Typ 14 beginnt. Den stellt VW am 14. Juli 1955 im Casino des im Bereich der Mondänität eher unerfahrenen Städtchens Georgsmarienhütte vor. Das liegt von Osnabrück aus südlich um die Ecke, was sich anbietet, da das Coupé dort auch gebaut wird. Vier Jahre zuvor hat Wilhelm Karmann bei VW-Chef Heinrich Nordhoff angefragt, wie es denn so wäre mit einem Coupé auf Basis des Käfers. Selbst bei Volkswagen mangelt es den Entscheidungswegen, so darf man annehmen, damals noch an einer vernünftigen Bürokratie, die heutzutage solche Ansinnen erst zuverlässig ab- und endlich ausbremst.

Stattdessen scheint sich eine leichtfertige Euphorie einzustellen, die dazu führt, für die Stilistik die Carrozzeria Ghia in Turin zu beauftragen. So ganz lässt sich nicht mehr ergründen, wie die Form entsteht: Es beginnt wohl mit einer Studie für Chrysler, die Virgil Exner entwirft und die von den Ghia-Stylisten Felice Mario Boano und Gian Paolo Boano für das VW-Chassis adaptiert wird, wobei sie sich in ihrer künstlerischen Freiheit nicht einschränken lassen. Dann ist noch Luigi Segre, Mitarbeiter bei Ghia, an dem Entwurf beteiligt – so tatkräftig, dass er bis heute als Designer des Autos gilt.

VW Karmann Ghia 1600 Coupé
Hans-Dieter Seufert
Schönheit und Anmut im Rausch des Boxers, und du drehst das große Rad, Otto.“„Jaha! 40 cm Lenkrad Durchmesser, Seb!

Überhaupt ist das ganze Obendrüber kompliziert – schon die Schnauze besteht aus 15 Einzelblechen, die verschweißt werden müssen. Und in den ersten Jahren werden die Karosserien auf Anhängern vom Rohbau durchs Städtelein zur Vermählung und Endmontage gekarrt. Wie naheliegend ist dagegen das Untendrunter. Es stammt? Genau: fast vom Käfer.▷

Stattdessen nutzt Karmann eine um acht Zentimeter verbreiterte Bodenplatte, die später auch Verwendung findet für VWs Postlieferwagen Fridolin, den Kübel 181 und den Brasilia – entwickelt und gebaut von VW do Brasil. Sagen Sie jetzt nicht: "Ach, was ihr nicht sagt!" Denn ist es inzwischen nicht gerade die Existenz einfacher Zusammenhänge, mit denen man Freunde, Verwandte und Kollegen ins ungläubigste Erstaunen versetzen kann? Ach, mit den Doppelscheinwerfern des Brasilia fescht VW ab 1972 die Nasenbär-Front des 412 auf (das nur, falls Sie auch mal eine Teams-/Zoom-Besprechung mit der Aufdringlichkeit unnützen Wissens in die Länge ziehen wollen).

Normale Unverschämtheit

Der Karmann Ghia findet zu Erfolg wie Neidern. Dabei sind es die Selbstverständlichkeiten von einst, die heute wie die ärgsten Beleidigungen klingen. Ach, wie schmäht selbst unser ams-Vorgänger-Kollegium das Coupé – als Auto für Damen, denen die fahrerische Aufmerksamkeit und der nötige könnerhafte Einsatz für den Umgang mit einem richtigen Sportwagen fehlten. Nur dem Karmann mit Halbautomatik billigen sie eine Existenzberechtigung zu, etwa in Ausnahmefällen wie Beinamputation. Sonst sei der ein Viertel günstigere Käfer die viel vernünftigere Wahl.

Wie schön, dass sich 443 446 Kunden (davon nehmen 80 881 das Cabrio) nicht vom Erwerb eines Karmann abhalten lassen, dessen Produktion etwas übereilt im Sommer 1974 endet. Denn nicht lang zuvor hatte Karmann von VW aufgetragen bekommen, den Scirocco zur Serienreife zu bringen und, bitte schön, auch gleich zu bauen.

Unser 1600er ist einer der spätesten Typ 14, erstzugelassen 20 Tage nach Produktionsende. Die letzte Modellpflege liegt da schon vier Jahre zurück, ab Herbst 1970 schrauben sie ihm nur noch den starken 50-PS-Motor ins Heck. Dazu bekommen die Automatikmodelle die neue Schräglenker-Hinterachse des 1302. Dessen MacPhersons aber passen nicht unter die Front des Coupés. Obwohl der Ghia schon lange nicht mehr neu oder modern ist, bewahrt er sich sein jugendliches Ungestüm.

Bis heute? Finden wir gleich heraus. Denn da ist die Ausfahrt der A 6, noch an zwei Abzweigen und einem Kreisel rechts bis zur Tankstelle, an der Otto und Hans-Dieter schon warten. Oh, wie schnell die Zeit vergeht, fährt man so beschwingt dem Sonnenaufgang entgegen. Nun schnell tanken, waschen, rüber ins Motodrom und auf die Waage. Sie bescheinigt dem Karmann die Leichtigkeit von 868 Kilo – trotz seiner halbe Jahrhunderte überdauernden Solidität. Wir patschen das Messgerät an die Frontscheibe und den GPS-Empfänger aufs Dach. Dann kurven wir auf die Strecke, um erst eine unbedeutende Tacho-Abweichung zu messen und krawallige Innengeräusche. Zu denen trägt der Boxer von hinten mit engagierter Schallkraft bei.

Nicht dass er all seine 50 PS und 106 Nm für Klanggewalt aufbraucht, denken wir, als wir in die Auslaufzone der Spitzkehre fahren, um Aufstellung zu nehmen für die Beschleunigungsmessung. Drei Tapser Gas, Kupplung schnappt, das Anfahrmoment lässt die dürren 155er-Hinterreifen kurz raspeln, dann stemmen sie sich in den Asphalt und den Karmann voran. Wie angefüllt mit könnerhafter Schaffenskraft die nächsten 38,5 Sekunden nun sind: auf die Drehzahl hören, um den exakten Punkt zum Hochschalten zu erwischen, weil es keinen Tourenzähler gibt, der dabei hilft, dann dem der Betulichkeit zugeneigten Getriebe einen eiligen Gangwechsel abringen, Kupplung schnappen lassen, wieder Gas, und all das gleich noch und noch mal.

Derweil beschleunigt das Coupé bis auf 130 km/h, was einem gefühlten Tempo von rund zweifünfzig entspricht. Beim zweiten Versuch schaffen wir die 100er-Marke in 16,7 s – drei Sekunden schneller, als es 1973 bei uns im Test ein gleich motorisierter 1303 S schaffte.

Damit lassen wir es gut sein und wollen Ihre sicher zügellose Begeisterung über diese Meisterleistung nicht durch allzu detaillierte Informationen zum Ausgang der anschließenden Bremsprüfung trüben. Begnügen wir uns mit der Erkenntnis, dass zwei Scheibenbremsen vorn und zwei Trommeln hinten den Wagen zum Stehen bringen, wobei unter den vieren hinsichtlich der Frage, ab welchem Pedaldruck sie zum Blockieren neigen und in welche Richtung sie das Auto zuvor ziehen wollen, eine wechselhafte Uneinigkeit herrscht.

VW Karmann Ghia 1600 Coupé
Hans-Dieter Seufert
"Jesses Maria, Otto, muss das denn sein? Das geht doch auch maßvoller!“„Es heißt aber Vollbremsung, Seb, nicht Maßvollbremsung“.

Was sich als gute Vorbereitung für die Fahrdynamiktests erweist. Denn während das Heck beim Slalom schon bei eskapadenlosem Tempo übersteuernd nach außen drängt, einigen sich die Vorderräder gerade auf intensives Untersteuern. Die kurbelig-indirekte Lenkung – geschickt darin, Haltekräfte aufzubauen – vermeidet es, sich mit präzisen Richtungsvorgaben in diesem Widerstreit von Querlenker-Vorder- und Pendel-Hinterachse aufzudrängen. Um damit zurechtzukommen, ihr stolzen Herrenfahrer mit lochledernen Piloten-Handschuhen, braucht es am Lenkrad mehr fahrerischen Einsatz als bei vielen viel moderneren Sportwagen.

Das Leben: ist eine Reise

Doch nicht den Grenzbereich des Fahrverhaltens solltest du mit diesem heiteren kleinen Wagen überschreiten, sondern jenen deiner eingefahrenen Gewohnheiten. Du musst dich nur darauf einlassen, das Leben spannend finden zu wollen. Biege wie wir auf dem Heimweg doch mal in diese Straße ab, an der du sonst stets achtlos vorbeigefahren bist. Sie führt bergan, das Rauschen des Motors frischt beim Gasgeben auf. Wie fix und homogen der Boxer anspricht. Seine 50 PS sind ein verschworenes Team. Sie sind wenige, so ist jedes einzelne wichtig. Und anders als in neuen Turbos können sie es sich nicht im Schatten eines Drehmomentmassivs gemütlich machen.

So stöberst du im Karmann in der Gegend herum. Endet die Straße in einem unwichtigen Irgendwo, war doch die Fahrt allein die Reise wert. Womöglich aber führt sie dich an einen Ort, der dir einmal etwas bedeuten wird. Vertraue nur darauf, dass vielleicht nicht die Vernunft, aber Neugier und Zufall darauf hoffen lassen, was die Zukunft bringt.

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Vor- und Nachteile
Karosserie
Welche Eleganz ein Auto erlangen kann, obgleich es vom der Grazie unverdächtigen Käfer abstammt. Vorn porschig-geduckte Sitzposition, enger Fond verschreckt störende Mitfahrer. Verstecktes Gepäck-Kabäuschen hinter klappbarer Lehne. Kaum Anzeigen im Cockpit – das zeugt vom diskreten Mitteilungsbedürfnis des Autos.
Fahrkomfort
Position, Polsterung, Gurtsystem belegen, welch glänzende Verbesserungskarriere die Sitze 1974 vor sich hatten. Erzielen einer ausgewogenen Temperaturverteilung mit der Hebelei beweist meisterliche Kennerschaft im Heizwesen.
Antrieb
Hat sich im Heck-Kabäuschen gemütlich eingerichtet, da muss man ihn doch jetzt nicht so aufschrecken. Sperrig schaltendes Getriebe trainiert Fingerspitzengefühl wie Zupacken gleichermaßen.
Fahreigenschaften
Verstehen es glänzend, schwer kombinierbare Wünsche nach Unter- und Übersteuern zeitgleich zu erfüllen. Lenkung erzieht den Fahrer dazu, damit zurechtzukommen, dass man die Richtung
oft nur grob vorgeben kann.
Sicherheit
Könnte doch im Bereich des Stils gar nicht höher sein.
Umwelt
Sieht im VW selbst um Hockenheim nach Toskana aus.
Kosten
... viele viel weniger schöne Dinge nicht viel mehr?

Fazit

Wir haben nur fünf Sterne. Je einen gibt es für Anmut, Grazie und Rastlosigkeit, die alle ein halbes Jahrhundert überdauern. Einen für die Fülle der wenigen Leistung, einen für die verkannte Verschlagenheit