KTM X-Bow und VW Golf R im Vergleichstest
Cabrios auf der Flucht zum Gardasee

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Es ist nass, kalt und windig: Wir fliehen mit der Vergleichstestpaarung VW Golf R Cabriolet und dem KTM X-Bow GT vor der Witterung nach Süden. Gardasee, wir kommen! Zwei gegensätzliche Open-Air-Sportler auf Kurvenpirsch.

KTM X-Bow GT, VW Golf R Cabriolet, Frontansicht
Foto: Rossen Gargolov

Autostrada del Brennero - der Boxenstopp an der Brenner-Mautstelle dauert eigentlich nur rund 20 Sekunden. Fenster runter, Kreditkarte in den Zahlschlitz stecken, Schranke auf, weiter geht’s. Heute ist alles anders. Vierpunkt-Gurt abschnallen, aus der Sitzschale winden, Scheibe aufklappen, aus dem Kohlefaser-Cockpit lehnen, Kreditkarte in den Zahlschlitz stecken, Schranke auf.

Friemelige Gurte im KTM X-Bow GT sorgen für Hektik

Danach zurück in die Sitzschale gleiten und die Renngurte wieder anfriemeln. Wer mit einem KTM X-Bow GT eine Mautstelle passieren will, muss etwas mehr Zeit und gegebenenfalls den Unmut der Touristen-Wohnwagen-Karawane hinter sich in Kauf nehmen.

Unsere Highlights

KTM X-Bow? Brenner? Oder einfach die Frage: Was machen, wenn es hier zu Lande Hunde und Katzen regnet? Jungs, lasst uns zum Gardasee fahren. Serpentinen, Tunnels und Spätsommerwetter statt tristem Herbstanfang.

Die Begleiter? Eingangs bereits erwähnter Kohlefaser-Extremsportler sowie ein VW Golf R Cabriolet. Was auf den ersten Blick so viele Gemeinsamkeiten wie ein Kampfjet und ein Propellerflugzeug hat, trägt mit dem turboaufgeladenen EA113 ein ähnliches Zweiliter-Motorenherzstück aus dem Regal des Volkswagenkonzerns.

Gleicher Motor im Frischluft-Golf und X-Bow GT

Mit bis zu 1,2 bar Ladedruck werden dem TSI-Vierzylinder im bisher stärksten in Serie gebauten Frischluft-Golf 265 PS entlockt. Früher werkelten VW-Süchtige für so eine Leistungsausbeute in einem Golf Cabrio nächtelang in der heimischen Garage.

Wer einen Blick auf den Zweiliter-Turbo des KTM X-Bow werfen will, kämpft zunächst gegen eine Horde Torx-Schrauben, um anschließend zwei dünne Karbon-Verkleidungsteile von den Seitenkästen des ersten Automobils des österreichischen Motorradherstellers KTM zu entfernen. Darunter versteckt sich der hier von Motorenpartner Audi gelieferte TFSI, der ebenfalls wie das Aggregat im VW Golf R Cabriolet über 1.984 cm³ Hubraum verfügt. Die Leistung beträgt allerdings 285 PS.

Eine Leistungsdifferenz von 20 PS klingt nach Peanuts, doch KTM X-Bow GT und VW Golf R Cabriolet leben schon rein akustisch in zwei unterschiedliche Galaxien. Im Golf grummelt eine sonore Bass-Stimme, die auch unter Last nie aufdringlich wirkt. Der X-Bow brüllt durch seine KTM-Sportabgasanlage nicht nur lauter, sondern pfeift dem Piloten bei jedem Schaltwechsel eine herrliche Turbo-Symphonie vor.

Vorderachse des VW Golf R Cabriolets schwerer als ganzer KTM X-Bow

Nach Fernpass und Brenner misst sich das ungleiche Duo nun auf der Gardasena Occidentale, der westliche Küstenstraße des Sees, auf der sich schon James Bond wilde Verfolgungsjagden geliefert hat. Natürlich kann das VW Golf R Cabrio den KTM X-Bow keinerzeit ernsthaft abschütteln. Mit 963 Kilo stemmt der Golf allein schon 80 Kilo mehr auf die Vorderachse, als der X-Bow mit beiden Achsen zusammen auf die Waage bringt.

Insgesamt wiegt der Niedersachse 692 Kilo mehr als der österreichische Leichtbau.
Mit Sechsgang-DSG schrubbt der Stoffmützen-Golf in 6,4 Sekunden auf Tempo 100 (VW Golf GTI Cabrio: 7,4 s). Dabei bringt der Fronttriebler mit einer kräftigen Portion Schlupf seine Leistung gerade noch akzeptabel auf den Asphalt. Wer automatisch schalten lassen will, dem sei der S-Modus des DSG empfohlen, in dem die Gangwechsel zackiger ablaufen als im normalen Automatikmodus.

Am Limit schwankt der Open-Air-Golf trotz Sportfahrwerk

Ab Werk gibt es das VW Golf R Cabriolet nur mit DSG, was beim gemütlichen Cruisen nicht weiter stört. Speziell bei verschärfter Gangart wünschen sich Sportfans, trotz der Lenkradwippen für manuelle Gangwechsel, ein Schaltgetriebe zurück.

Wer mit dem Open-Air-Golf ans Limit geht, dem fallen trotz Sportfahrwerk mit 25 mm Tieferlegung sowie speziell abgestimmten Federn, Dämpfern und Stabis sofort verstärkte Karosseriebewegungen auf. Selbst im Sport-Modus der adaptiven Fahrwerksregelung (optional 1.000 Euro) ist die Dämpfung unter sportlichen Gesichtspunkten zu weich und die Lenkung um die Mittellage etwas zu schwammig.

Dennoch geht das VW Golf R-Cabriolet engagiert ans Werk, als wolle es den Spitznamen seiner Vorgänger als Erdbeerkörbchen endlich ausmerzen. Mit einer Rundenzeit von 1.19,7 Minuten ist die R-Variante des Cabriolets in Hockenheim 2,1 Sekunden schneller als das bereits getestete GTI Cabriolet.

Ausgeklügeltes Aerodynamik-Konzept und hoher Abtrieb im X-Bow GT

"Hoggeheim im Badische“ ist heute 650 Kilometer weit weg. Der KTM X-Bow saugt gierig die frische Seeluft des Lago di Garda an und sticht lässig aus dem Windschatten des VW. Ein nur 80 Kilo schweres Karbon-Monocoque, Vierpunkt-Gurte, ein Fahrwerk mit Pushrod-Aufhängung, keine Fahrhilfen, ein ausgeklügeltes Aerodynamikkonzept mit rennwagenverdächtigen Abtriebswerten – die motorsportähnliche Gene des Crossbow ausgesprochenen Extremsportlers sind seit 2008 bekannt.

Ab sofort kann die coolste österreichische Kreation seit Wiener Schnitzel und Kaiserschmarrn auch der Beifahrerin schmackhaft gemacht werden. Während bisher Rollsplitt und Insekten der Besatzung ins Gesicht geprasselt sind, sorgt eine neu entwickelte Windschutzscheibe aus Laminatverbundglas dafür, dass der Orkan im offenen Cockpit von Windstärke zwölf auf eine frische Brise zurückgeht.

Neben den rahmenlosen Front- und Seitenscheiben, deren TÜV-Abnahme einen umfangreichen Entwicklungsprozess erforderte, finden sich im Cockpit plötzlich Schalter für Scheibenwischer, Scheibenheizung und Lüftung.

Nasse Haare beim Scheibenreinigen im KTM X-Bow GT

Der Tod des Purismus werden Kritiker jetzt schreien. Doch die GT-Version ist durch die filigrane Scheibenkonstruktion mit aufklappbaren Seitenscheiben alles andere als zum lauen Lüftchen mutiert. Wer bei 120 km/h auf der Autobahn die Wischwasseranlage betätigt, dem tröpfelt wenig später ein kleiner Teil der Flüssigkeit durch die Türscharniere. Bei Betätigung des Wischwassers im Stand wird der Schopf des Fahrers leicht benässt. Puristischer als mit einem KTM X-Bow kann man kaum mit Straßenzulassung unterwegs sein – ob nun mit oder ohne Scheibe.

"Oh Formula Ferrari?“ fragt der Kellner bei einer kurzen Spaghetti- und Espresso-Pause. Typisch X-Bow, hier landet nicht nur der Autoschlüssel auf dem Esstisch. Wer vor Halunken auf Nummer Sicher gehen will, nimmt das abnehmbare und mit zahlreichen Knöpfen im Formel 1-Stil gespikte Lenkrad einfach mit ins Restaurant. Pause vorbei, raus auf die Serpentinen. Das Hirn schaltet im KTM X-Bow schon beim Motorstart fast automatisch in den Rennmodus.

Übersicht wie in einem 40-Tonner, Wendekreis wie ein Öltanker

"Ready to race?“, lautet die Begrüßungsfrage auf dem Datendisplay, das kaum größer als ein Smartphone ist. Wie das scheibenfreie Modell verzichtet die GT-Version auf sämtliche Fahrhilfen. Die servofreie Lenkung peitscht den KTM X-Bow nicht nur messerscharf wie einen Formel-Monoposto ums Eck, sondern trainiert mit straffen Haltekräften auch die Armmuskulatur. Wendemanöver auf engen Bergsträßchen sollten wohl überlegt sein. Mit seinem Wendekreis und der Übersicht nach hinten kann der KTM X-Bow einem 40-Tonner Konkurrenz machen.

Egal, der Fahrspaß zählt. Geschwindigkeitsangaben auf den Straßenschildern könnten im KTM X-Bow GT locker verdoppelt oder verdreifacht werden. Kurze Schaltwege, präzise Gassenführung – zum Charakter des leichten Zweisitzers passt auch das knackige Sechsganggetriebe perfekt. Mit 4,0 Sekunden unterbietet er die Werksangabe um eine Zehntelsekunde.

In engen Landstraßen-Spitzkehren sollte die Drehzahl bei der Kurvenpirsch nicht zu tief in den Keller sacken, ansonsten macht sich das Turboloch des Zweiliter-TFSI beim Herausbeschleunigen bemerkbar.

Cup-Reifen des KTM X-Bow GT benötigen richtige Temperatur

Mit der beim Test genutzten Toyo-Cupbereifung untersteuerte der KTM X-Bow am Kurveneingang auf dem teils sehr rutschigen Asphalt rund um den Gardasee leicht. Beim Herausbeschleunigen neigte das Heck zu freudigen Powerslides. Wer ausschließlich auf der Landstraße unterwegs ist, sollte die ab Werk aufgezogene Michelin Pilot Super Sport-Bereifung wählen, weil die Cup-Bereifung eine höhere Arbeitstemperatur benötigt. Wer die Semislicks im öffentlichen Straßenverkehr richtig auf Temperatur halten will, bei dem klicken früher oder später die Handschellen.

Also besser mit den Cupreifen nur auf der Rennstrecke ans Limit gehen. Den Kleinen Kurs von Hockenheim umrundet das GT-Modell mit 1.10,3 Minuten auf dem Niveau des scheibenlosen, allerdings nur 240 PS starken KTM X-Bow. Die Kurventempi sind dabei nicht ganz so hoch wie im scheibenfreien Modell, im Vergleich zu anderen Sportwagen aber immer noch Champions League. Grund hierfür: Der GT hat zwar durch die Scheibe einen besseren cW-Wert (0,55 statt 0,63), aber auch weniger Abtrieb (100 kg Gesamtabtrieb bei 200 km/h statt 193 kg bei 200 km/h).

Doch heute kreisen die Gedanken nicht um die letzten Zehntelsekunden in Hockenheim, sondern eher um die richtige Boxenstoppstrategie auf der Rückfahrt vom Gardasee durch die eingangs erwähnte Brenner-Mautstation. Fahrzeughöhe KTM X-Bow: 1.202 cm, das müsste unter der Schranke hindurchpassen.

Technische Daten
KTM X-Box GT VW Golf Cabrio R R
Grundpreis87.340 €45.225 €
Außenmaße3738 x 1915 x 1202 mm4266 x 1782 x 1405 mm
Kofferraumvolumen250 l
Hubraum / Motor1984 cm³ / 4-Zylinder1984 cm³ / 4-Zylinder
Leistung210 kW / 285 PS bei 6400 U/min195 kW / 265 PS bei 6000 U/min
Höchstgeschwindigkeit231 km/h250 km/h
0-100 km/h4,0 s6,4 s
Verbrauch12,4 l/100 km8,2 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
Sport Auto 03 / 2022

Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten