Bye-bye CDO
Aderlass im Digitalressort

In den letzten Monaten kehrten viele Digitalchefs, die einst aus dem Silicon Valley abgeworben wurden, der Autoindustrie den Rücken. Da stellt sich die Frage, warum das so ist und warum sie meistens auch nicht ersetzt werden.

ams-Kongress 2016, Johann Jungwirth, Volkswagen AG
Foto: Hans-Dieter Seufert

Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, wann VW-Konzernchef Herbert Diess sich von Johann „JJ“ Jungwirth, trennen würde. Diess’ Vorgänger Matthias Müller hatte den ehemaligen Apple-Manager Ende 2015 aus den USA geholt – er sollte die Digitalisierungsstrategie der Wolfsburger voranbringen. 2018, kurz nachdem Diess VW-Chef wurde, strich er Jungwirths Posten als Chief Digital Officer und schickte ihn ins Silicon Valley zurück, um VWs Mobilitätsdienste in den USA auszubauen. Im Juni sickerte durch, dass Jungwirth den VW-Konzern gänzlich verlassen wird. Wann, dazu schweigt die Presseabteilung in Wolfsburg.

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Jungwirth, der bei Apple im Team für das autonome Fahrzeug tätig war, leitete viele Jahre lang Daimlers R&D Center im Silicon Valley als CEO. Seine Entwicklungen gelten bis heute als wichtiger Bestandteil der gesamten Digitalisierung der Daimler AG. Nicht weniger hatte man von ihm bei Volkswagen erwartet. Doch zu anfangs schien selbst ihm nicht klar, welcher Aufgaben- und Machtbereich ihm zugewiesen war.

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Flucht aus der Automobilindustrie

Das CDO-Amt ist seit Jungwirths Abfahrt nach USA verwaist. Der oberste Digitalchef von BMW, Jens Monsees, trat den Rückzug selbst an: Er verließ den Autohersteller im Mai und heuerte als Agenturchef in einem der weltgrößten Werbenetzwerke namens WPP Aunz in Australien an. Monsees war zuletzt als Vice President Digital Strategy bei der BMW Group für die globale Digitalstrategie, die Unternehmensplanung und für Produktstrategien verantwortlich – und ähnlich wie sein VW-Kollege Jungwirth in einer ressortübergreifenden Funktion.

Monsees’ Kollege Dieter May hatte kurz zuvor das Weite gesucht. May, der bei den Münchnern für die Entwicklung von digitalen Produkten und Services verantwortlich war, wechselte zum 1. Mai als CEO zum Halbleiterzulieferer Osram Semiconductors. Beide dürften ihrer Aufgabe nicht nachtrauern, denn als Chefs haben sie nun endlich die Macht über alle Abteilungen und müssen sich nicht mehr mit unklaren Befugnissen in Querfunktionen herumschlagen.

Thilo Koslowski
Porsche
Porsche Digital GmbH-Gründer Thilo Koslowski verließ Porsche Ende März. Nachfolger? Fehlanzeige.

Auch Porsches digitale Speerspitze, die Porsche Digital GmbH, verlor ihren Gründer: Thilo Koslowski verließ den Sportwagenhersteller Ende März. Einen Nachfolger gibt es nicht. Porsche-CIO Mattias Ulbrich übernahm Koslowskis Aufgaben mit und soll die Digitalsparte stärker mit dem Stammhaus vernetzen. Auch Audi besetzte den CDO-Posten von Roland Villinger nicht mehr neu, als der ehemalige McKinsey-Manager nach Wolfsburg wechselte, wo er nun die zentralen Transformationsprojekte im Volkswagen-Konzern steuert.

Vom Ideen- zum Taktgeber

Die Abgänge der Digitalstrategen legen eine Vermutung nahe: Die Funktion eines Chief Digital Officer quer über alle Unternehmensbereiche (vom Vertrieb bis zur Produktion) ist in der Autoindustrie Nonsens. Der CDO sollte das Unternehmen zwar transformieren, hatte aber meistens keinen Durchgriff und nur wenige Mitstreiter in seiner Abteilung. Die Übertragung von agilen Arbeitsmethoden auf die Autoindustrie – also ein noch nicht ganz ausgereiftes Produkt auf den Markt zu bringen und es Schritt für Schritt zu perfektionieren – scheiterte. Schließlich muss eine S-Klasse oder ein A8 vom ersten Tag an perfekt funktionieren. „Die Aufgabenstellung der CDOs hat sich verändert“, erklärt Jan Burgard von Berylls Strategy Advisors. „Der Digitalchef muss kein Ideenbringer sein, sondern ist Taktgeber für Change-Prozesse.“

Fazit

Die Entwicklung für Digital Services, Industrie 4.0 oder autonome Fahrfunktionen passt einfach besser in die Fachabteilungen.

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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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