Unfallrisiko E-Bike
Als Autoersatz zu gefährlich?

Die Zahl der Pedelec-Unfälle mit Personenschäden hat sich seit 2014 verachtfacht. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Unfall ums Leben zu kommen, ist mit einem E-Bike mehr als doppelt so hoch wie mit einem normalen Rad. Der Gesetzgeber bleibt dennoch untätig, nicht mal eine Helmpflicht ist im Gespräch.

Arturo Rivas
Foto: Arturo Rivas

Für viele sind sie die Problemlöser der Mobilität, die Antwort auf steigende Spritpreise und voller werdende Innenstädte: Pedelecs, oft auch E-Bikes genannt. Dank Extra-Energie aus dem Akku lassen sich selbst längere Strecken ohne große Anstrengung zurücklegen. Ideal also, um das Auto in der Freizeit und für den Weg zur Arbeit stehen zu lassen – oder gar zur Amtseinführung zu stromern, wie von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir praktiziert. E-Bikes werden vom Staat und von Arbeitgebern subventioniert, der Markt boomt, beliebte Stromräder haben monatelange Lieferfristen.

Rücksicht hat Vorfahrt

Unfallopfer werden jünger

Aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes bestätigen jedoch auf dramatische Weise, dass E-Bikes deutlich gefährlicher sind als muskelbetriebene Fahrräder. Meldungen über stürzende Senioren auf E-Bikes gibt es schon länger, inzwischen sind Pedelecs jedoch auch in jüngeren Zielgruppen angekommen, in denen die Unfallzahlen ebenfalls steigen. So hat sich insgesamt die Zahl der Pedelec-Unfälle mit Personenschaden zwischen 2014 und 2021 auf über 17.000 Fälle nahezu verachtfacht.

2014 war nur jeder neunte mit einem Pedelec Verunglückte unter 45 Jahre alt, 2021 schon mehr als jeder vierte. Bei den konventionellen Rädern sank die Zahl der Verletzten hingegen im selben Zeitraum um rund zwölf Prozent. 2014 war im Übrigen das erste Jahr, in dem die Polizei bei ihren Unfallzahlen zwischen Elektro- und Bio-Bike unterschied.

Der Zuwachs bei den Pedelecs lässt sich nicht allein über die steigende Zahl an E-Bikes erklären. Hatten 2014 noch drei Prozent aller Haushalte ein Pedelec, waren es 2021 rund 13 Prozent, sprich rund viermal so viele. Die Zahl der Stromradunfälle mit Personenschaden wuchs im selben Zeitraum damit doppelt so schnell wie der E-Bike-Bestand. Auch die Gefahr, tödlich zu verunglücken, ist bei einem Pedelec wesentlich höher: Pro 1.000 Pedelec-Unfälle mit Personenschaden starben 2021 statistisch gesehen 7,6 Fahrer, beim klassischen Bio-Bike waren es 3,5, was die Experten mit der höheren Geschwindigkeit der Stromer begründen.

Angesichts solcher Zahlen verwundert es, dass der Gesetzgeber Pedelecs mit Motorunterstützung bis 25 km/h und klassische Räder rechtlich völlig gleichstellt. Selbst Lastenräder mit Stromunterstützung sind rechtlich gesehen ganz normale Fahrräder. Und das, obwohl sie voll beladen bis zu 250 Kilo auf die Waage bringen und in diesem Zustand alles andere als leicht zu fahren sind, wie ein Test von auto motor und sport im letzten Jahr ergeben hat. Nicht mal ein Helm ist vorgeschrieben, geschweige denn ein Kennzeichen – anders als bei Mofas, die ebenfalls nur 25 km/h schaffen. Sogar E-Scooter, die nur 20 km/h schnell werden, benötigen ein Kennzeichen.

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Hochschule Karlsruhe
„Als Gesellschaft haben wir ein Interesse daran, dass Fahrrad gefahren wird“, Jochen Eckart, Professor für Verkehrsökologie an der Hochschule Karlsruhe.

Die laschen Vorschriften sind durchaus beabsichtigt, wie Jochen Eckart, Professor für Verkehrsökologie an der Hochschule Karlsruhe, im Interview mit auto motor und sport und der Schwesterzeitschrift ROADBIKE schon vor der Veröffentlichung der neuesten Unfallzahlen betont hat: "Als Gesellschaft haben wir aus vielen Gründen ein Interesse daran, dass Fahrrad gefahren wird." Wer Rad fährt, benötigt schließlich wenig Platz, macht kaum Lärm, schont Ressourcen und bleibt gleich noch fit. Die Zugangshürden durch Helm- oder Versicherungspflicht zu erhöhen, würde nach der Einschätzung von Eckart die völlig falschen Signale senden.

Für ihr löbliches Mobilitätsverhalten zahlen Pedelec-Fahrerinnen und -Fahrer einen hohen Preis: In nur zwei von zehn Fällen tragen die Zweiradfahrer die Hauptschuld bei Zusammenstößen mit Pkw oder Lkw, weit überwiegend sind die motorisierten Verkehrsteilnehmer schuld. Im Falle eines Zusammenstoßes handelt es sich beim Unfallgegner in 66 Prozent der Fälle um Personenwagen und in fünf Prozent um Lkw.

Für die Verkehrsrechts-Fachanwältin Daniela Mielchen gehen die laxen E-Bike-Vorgaben eindeutig zulasten der Sicherheit. Sie spricht sich daher unter anderem für das Tragen von Helmen aus. Dennoch kann sie den Gesetzgeber verstehen, der die Benutzung von Fahrrädern und E-Bikes so einfach wie möglich halten möchte. Auch dass Radfahrer für dieselben Regelverstöße mildere Strafen erhalten als Autofahrer, kann sie nachvollziehen, da Biker eine geringere Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer darstellen als Autos. In strengeren Vorgaben oder härteren Strafen sieht sie also keine geeigneten Lösungen, in der Verbesserung von Radwegen hingegen schon. Daher spricht sie sich unter anderem für separate Rad-ampeln in Innenstädten aus, die versetzt zum Autoverkehr auf Grün schalten.

Mehr und bessere Radwege

Auch Verkehrsökologe Eckart erwartet von einer besseren Radinfrastruktur den größten Effekt für mehr Sicherheit. Zusammen mit seinem Institut erforscht er, was Radwege sicherer macht, beispielsweise um Autofahrer zu mehr Abstand beim Überholen zu motivieren. Spannende Erkenntnis: Wird eine Fahrbahn um einen Meter verbreitert, nehmen die Überholabstände nur um fünf bis zehn Zentimeter zu. Wird hingegen ein bestehender Radschutzstreifen um einen Meter verbreitert, wachsen die Überholabstände um 35 bis 40 Zentimeter.

Auf den reinen Platz kommt es also gar nicht an, die Aufteilung der Verkehrsfläche ist demnach noch wichtiger. Dass ein separater Radweg abseits der Autos grundsätzlich sicherer ist als ein auf die Straße gemalter Schutzstreifen, erweist sich laut Eckart als Trugschluss. "Die Unfallstatistiken zeigen, dass wir bei räumlich abgetrennten Radwegen sogar eine etwas höhere Unfallgefahr haben." Grund sind unübersichtliche Einmündungen und Kreuzungen sowie die Tatsache, dass separate Radwege häufiger in der falschen Richtung befahren werden, weil sich Radfahrer hier sicherer fühlen.

Eckart spricht sich dafür aus, für die jeweilige Verkehrssituation die beste Lösung zu finden. Das können mal Schutzstreifen sein, mal mit Pollern oder Bordsteinen geschützte Radstreifen oder auch mal separate Wege. Wichtig ist für ihn jedoch in jedem Fall ein zusammenhängendes Radwegenetz, das für ganze Städte oder Regionen gedacht ist, wo Wege nicht abrupt im Nichts enden.

Zudem empfiehlt er Rad- und Pedelec-Fahrern, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und die Freiheiten des Gesetzgebers nicht unbedacht auszureizen: "Zum Beispiel an der Ampel an den wartenden Autos nach vorn zu rollen und sich rechts neben einen Lkw zu stellen. Die Verkehrsregeln erlauben das, aber vielleicht biegt der Lkw ab, ohne dass der Fahrer nochmals schaut."

Pkw häufigster Unfallgegner

E-Biker stürzen häufig ohne Fremdeinwirkung, noch häufiger kollidieren sie jedoch mit Autos. Verletzten sich bis vor wenigen Jahren hauptsächlich ältere Pedelec-Fahrer und -Fahrerinnen, steigen in letzter Zeit die Verletztenzahlen unter den jüngeren Stromradnutzern.

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Altersstruktur der Pedelec-Unfallopfer von 2014 bis 2021

Die These, dass nur ältere Radfahrer mit der Kraft der Elektromotoren überfordert seien, dürfte also widerlegt sein. Inzwischen ist schon jeder vierte Verletzte unter 45 Jahre alt. Das andere Diagramm zeigt, dass Alleinunfälle –sprich Stürze ohne Fremdeinwirkung – mit einem Anteil von 36 Prozent recht häufig vorkommen.

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Pedelec-Unfälle nach Anzahl der Unfallbeteiligten und Unfallgegner im Jahr 2021.

Zum Vergleich: Bei herkömmlichen Rädern beträgt die Quote der Alleinunfälle nur 26 Prozent. Am häufigsten stoßen Pedelec-Fahrer jedoch mit einem weiteren Verkehrsteilnehmer zusammen. Dies sind mit einem Anteil von 66 Prozent besonders oft Pkw, andere Rad- und Pedelec-Fahrer kommen mit 18 Prozent Anteil jedoch ebenfalls häufig vor. Andere Verkehrsteilnehmer spielen statistisch gesehen nur eine Nebenrolle.

"Überholabstände häufig zu gering"

Dr. Daniela Mielchen
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Interview mit Daniela Mielchen, Fachanwältin für Verkehrsrecht in der Kanzlei Mielco in Hamburg.
Die Gefahr, mit einem Pedelec tödlich zu verunglücken, ist mehr als doppelt so hoch wie mit einem normalen, muskelbetriebenen Rad. Trotzdem behandelt sie der Gesetzgeber gleich. Geht das zulasten der Sicherheit?

Das geht ganz klar zulasten der Sicherheit, in der Regel aber zulasten der Sicherheit der Pedelec-Fahrer selbst. Denn meist sind sie die Geschädigten bei Verkehrsunfällen. Sicherlich könnte durch das Tragen eines Helmes im Falle eines Unfalls das Risiko von Kopfverletzungen, insbesondere auch schweren Hirnverletzungen, deutlich minimiert werden. Andererseits wäre bei einer Helmpflicht für Radfahrer zu befürchten, dass sich weniger Menschen für das Fahren mit einem Pedelec entscheiden und viele wieder auf Kraftfahrzeuge umsteigen. So überlässt man es den Nutzern von Pedelecs, eigenverantwortlich für ihre Sicherheit zu sorgen.

Fahrrad- und E-Bike-Fahrer werden bei den gleichen Verkehrsverstößen oft milder bestraft als Autofahrer, etwa beim gegenläufigen Befahren von Einbahnstraßen, aber auch was die Promillegrenzen für Alkohol betrifft. Selbst für E-Scooter gelten die Promillegrenzen der Autofahrer. Gibt man damit nicht ein völlig falsches Signal?

In der Tat hat der Gesetzgeber Pedelecs nicht als Kraftfahrzeuge eingestuft, sondern sie normalen Fahrrädern gleichgestellt. Die für Autofahrer festgelegten strengeren Promillegrenzen in Bezug auf Alkohol gelten mithin nicht für Fahrradfahrer und E-Bike-Fahrer. Autofahrer gelten ab einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,1 Promille als absolut fahruntüchtig und können sich wegen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) strafbar machen. Im Gegensatz dazu liegt die Grenze bei Radfahrern bei 1,6 Promille. Als Begründung führt der Gesetzgeber an, dass an Radfahrer nicht so hohe Leistungsanforderungen gestellt würden wie an Pkw-Fahrer und dass von ihnen nicht so eine hohe Gefährdung ausgehe. Dem stimme ich zu. Zudem halte ich eine Absenkung der Promillegrenze auf 1,1 für Radfahrer nicht für zielführend, da sich Verkehrsteilnehmer dann wieder eher für das Auto und gegen das Fahrrad entscheiden könnten.

Gibt es typische Verkehrssituationen bzw. Konstellationen, bei denen sich Rad- und Autoverkehr besonders häufig in die Quere kommen?

Die Hauptproblematik ist das Anfahren und anschließende Rechtsabbiegen an Kreuzungen. Immer wieder kommt es vor, dass sich ein Radfahrer rechts an den Fahrzeugen vorbeischlängelt, die gerade an der roten Ampel stehen. So können Autofahrer den von hinten kommenden Radfahrer schnell übersehen. Dies gilt vor allem für Lkw, bei denen der tote Winkel entsprechend größer ist. Zu vielen Unfällen kommt es aber auch beim Ausfahren aus Grundstückseinfahrten. Dies einerseits, weil die Sicht für den Autofahrer eingeschränkt sein kann, andererseits, weil der Autofahrer nicht damit rechnet, dass ein vorhandener Radweg oft in beide Richtungen befahrbar ist und ein Radfahrer sich dann von der rechten Seite nähern kann.

Wie müsste nach Ihrer Erfahrung aus der Analyse vieler Unfälle eine sichere Rad- infrastruktur aussehen?

In jedem Fall müsste auf den Hauptverkehrsstraßen eine umfassendere Radinfrastruktur geschaffen werden. Dazu gehören mehr und besser vernetzte Radwege und separate Fahrradampeln, die versetzt zu den Ampeln für den motorisierten Verkehr auf Grün schalten. Soweit die Radwege entsprechend breit und baulich vom motorisierten Verkehr getrennt sind, sorgt dies für ein erhöhtes Sicherheitsgefühl und eine höhere Akzeptanz bei den Radfahrern. Der vermehrte Bau sogenannter "Protected Bike Lanes" wäre sicher sinnvoll. Gleichzeitig sollte dann aber die Nutzung sämtlicher Radwege für Radfahrer auch verpflichtend sein, und Verstöße dagegen sollten nachhaltig geahndet werden. Die Unsicherheit vieler Autofahrer, neben dem Radweg zusätzlich noch den rückwärtigen Verkehr auf der Straße beobachten zu müssen, da sich dort auch noch Radfahrer befinden könn- ten, wäre damit zumindest teilweise etwas eingedämmt. Bis dahin ist die Rücksichtnahme von allen am Verkehr Beteiligten erforderlich. Autofahrer müssen mit erhöhter Vorsicht fahren und Radfahrer auch auf der Fahrbahn respektieren. Ebenso müssen aber auch Radfahrer entsprechend handeln und die durch sie häufig als Bagatelle empfundenen Verkehrsverstöße unterlassen.

Seit gut zwei Jahren gilt für das Überholen von Radfahrern ein expliziter Mindestabstand von 1,50 Metern innerorts und zwei Metern außerorts. Konnten Sie in der Praxis schon beobachten, dass die Regelung das Radfahren sicherer gemacht hat?

Die Praxis zeigt, dass die Mindestabstände beim Überholen von Radfahrern nach wie vor vielfach nicht ordnungsgemäß eingehalten werden. Da es so gut wie keine Polizeikontrollen in diesem Bereich gibt, werden Verstöße auch kaum geahndet. Die Neuregelung hat das Radfahren also bislang leider (noch) nicht unbedingt sicherer gemacht.

Fazit

Wer Menschen den Umstieg vom Auto aufs Rad oder Pedelec schmackhaft machen möchte, muss ihnen eine sichere Radinfrastruktur zur Verfügung stellen. Dass E-Biker für ihr gemeinnütziges Verhalten Leib und Leben riskieren, kann niemand ernsthaft verlangen. Es gilt daher, die Radwege noch weiter auszubauen, um die Sicherheit zu erhöhen. Fördergelder, die heute in den Kauf von E-Bikes fließen, wären hier besser investiert.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

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