Ferdinand Piëch im letzten Interview
„Man wollte den Allradantrieb `Carat´ nennen“

Der frühere Audi-Entwicklungschef und VW-Aufsichtsratsvorsitzende Ferdinand Piëch über den Quattro, den 917 und die Probleme der frühen Jahre.

Ferdinand Piech
Foto: Reinhard Schmid
Herr Professor Piëch, ab wann haben Sie sichernsthaft mit dem Allradantrieb beschäftigt?

Piëch: Das fing schon bei Porsche an. Beim 917/30 für die CanAm-Rennserie hatten wir Heckantrieb, einen starren Durchtrieb an der Hinterachse und 1.300 PS. Wir haben die Leistung nicht mehr auf den Boden gebracht.

Und wie ging es dann bei Audi mit dem Allradantrieb weiter?

Piëch: Wir hatten bei Audi die Werkzeuge für den Munga. Und als es einen neuen Auftrag gab, da haben wir in den Wagen statt des Zweitakters einen Viertakt-Motor eingebaut. Zwei der umgebauten Munga haben wir bei unserer Winterfahrt dabeigehabt. Und die waren allen zweiradgetriebenen VW- und Audi-Fahrzeugen klar überlegen.

Unsere Highlights

„Die Vorteile des permanenten Allradantriebs kann man mit einem Leoparden vergleichen: Der ist schnell in der Ebene, stabil auf glitschigem Untergrund und klettert fantastisch.“

Trotz des hohen Aufbaus?

Piëch: Ja. Wir haben uns gefragt, was wohl passiert, wenn man die Technik in ein Fahrzeug mit niedrigem Schwerpunkt, in ein Audi Coupé, einbaut.

Davon wusste im Konzern aber niemand. Das war quasi eine Schwarzarbeit?

Piëch: Wie immer (lacht). Wir mussten im Konzern einige überzeugen. Deshalb haben wir beispielsweise der Frau von Entwicklungschef Prof. Ernst Fiala unser Allrad-Coupé zur Verfügung gestellt, die damit in ein Parkhaus fuhr. Unser Auto hatte aber kein Mitteldifferenzial und hüpfte durch die engen Kurven. Sie sagte uns dann, dass sie das so nicht will. Deshalb entstand dann das Mitteldifferenzial – und daraus wurde der Quattro.

War das eigentlich ein großer technischer Aufwand?

Piëch: Nein, wir hatten die Entwicklung ja schon für den Munga gemacht.

Warum ging der damals zu Volkswagen?

Piëch: Toni Schmücker war damals Vorstandsvorsitzender bei Volkswagen. Er hat uns den Munga weggenommen und als VW Iltis verkauft. Aber die Investition für den Antriebsstrang war getätigt, und wir hatten die Teile.

Audi Quattro-Antrieb
Audi
Sie mussten dann aber noch jede Menge Überzeugungsarbeit leisten.

Piëch: Solche Dinge wurden vom obersten VW-Chef entschieden. Deshalb haben wir von der Werksfeuerwehr in Ingolstadt eine Wiese auf einem Hügel bewässern lassen und dann Schmücker einen VW Passat, einen Audi 80 und unser allradgetriebenes Coupé hingestellt. Mit den frontgetriebenen Autos ist er auf der nassen Wiese nicht den Hügel raufgekommen. Der Quattro schaffte das locker. Den Namen Quattro hat übrigens auch die Technische Entwicklung erfunden, nicht das Marketing.

Die Konzernmutter hatte aber einen anderen Namen parat. Gab es da große Diskussionen?

Piëch: Ja, man wollte den Allradantrieb Carat nennen und die Technik für sich haben, schließlich hatte VW ja die Entwicklung bezahlt. Aber beides konnten wir verhindern.

Wie kam man dann auf die Idee, damit Rallye zu fahren?

Piëch: Audi war mit frontgetriebenen Modellen schon bei Rallyes aktiv – allerdings mit eher bescheidenem Erfolg. Mit Quattro-Antrieb und dem aufgeladenen Fünfzylinder-Motor waren wir jedoch klar überlegen. Dann kam auch noch der Sport mit dem kurzen Radstand. Da gab es dann von Walter Röhrl den Spruch: „Mit dem Audi Quattro gewinnt ja selbst ein dressierter Affe.“

Sie haben auch noch einen Mittelmotor-Prototypen entwickelt. Warum kam der nicht?

Piëch: Das war alles VW-bestimmt. Aber quasi zur gleichen Zeit ist ein Privatfahrer mit einem Konkurrenzprodukt in eine Gruppe von Zuschauern gefahren. Und es gab Tote. Da haben wir gesagt: Wenn so etwas mit unseren Autos passiert, die ja viel schneller sind, dann ist für Audi mehr kaputt, als wir gewinnen können.

Es gibt ja heute beim Allradantrieb die Möglichkeit, eine Achse konventionell anzutreiben und die zweite mit Elektromotoren nur bei Bedarf. Hat der permanente Allradantrieb heute immer noch Vorteile?

Piëch: Die Vorteile des permanenten Allradantriebs kann man mit einem Leoparden vergleichen: Der ist schnell in der Ebene, stabil auf glitschigem Untergrund und klettert fantastisch. Mit einer angetriebenen Achse und zusätzlichen Elektromotoren ist die Abstimmungsarbeit gewaltig. Das lässt sich beim permanenten Allradantrieb viel besser ausgleichen. Sie haben zwar ein bis zwei Prozent mehr innere Reibung, aber die könnte man beispielsweise mit etwas schmäleren und rollwiderstandsoptimierten Reifen aus-gleichen. Der Quattro-Antrieb hat immer noch seine Daseinsberechtigung.

War der Quattro das technische Highlight in Ihrer Karriere?

Piëch: Die Entwicklung und der Einsatz des Porsche 917 waren heikler. Ich musste ja auch das Geld dafür auftreiben. Porsche hätte das nicht allein stemmen können. Ich musste die Schwäche des VW-Konzerns während des Käfer-Auslaufs dafür nutzen, dass Volkswagen zwei Drittel des Budgets übernahm.

Porsche 917 (1970)
Porsche
Porsche 917 von 1970.
Es ging damals um die Vorteile des luftgekühlten Motors im Käfer und im 917.

Piëch: Ja. Es ging darum, mit einem luftgekühlten Motor Ferrari zu schlagen. Da musste natürlich die Zylinderzahl gleich sein. Nachdem ich aber wusste, dass ein luftgekühlter Motor nie auf die Leistung eines wassergekühlten Motors kommt, mussten wir das mit Leichtbau und Aerodynamik kompensieren. Deshalb haben wir uns bei Porsche auf diese beiden Dinge konzentriert, um bei den Fahrleistungen am Ende vor Ferrari zu liegen.

Der 917 war also ein größerer Kraftakt als der Quattro-Antrieb?

Piëch: Ja, weil es ein komplettes Auto war. Beim Quattro mussten wir ja quasi nur die Kardanwelle des Iltis verlängern. In dieser Zeit sind bei Audi einige Ideen kreiert worden, die das Image von Audi geprägt haben. Quattro-Antrieb, Aerodynamik und Leichtbau.

Was ist der Grund, dass es diese Alleinstellungsmerkmale nicht mehr in diesem Maß gibt?

Piëch: Damals hat all diese Dinge die Technikabteilung entschieden. Da wurde nicht der Vertrieb gefragt. Heute entscheidet vielmehr der Vertrieb über all diese Themen. Und der denkt konservativer.

Am Erfolg des Quattro hatte der Vertrieb auch seine Zweifel. Der damalige VW-Vertriebschef W. P. Schmidt hat sie offen geäußert.

Piëch: Das hat mich als Audi-Vorstand nicht gestört. In der niedersächsischen Tiefebene braucht man den Allradantrieb vielleicht nicht. Aber BMW hätte den xDrive sicher nicht gemacht, wenn man das Potenzial nicht erkannt hätte.

Sie haben damals den letzten Sport Quattro für Ihre Frau bestellt.

Piëch: Nachdem Wolfgang Habbel, mein Vorstandsvorsitzender bei Audi, auch gesagt hatte, die 200 Sport Quattro würden wir nie verkaufen, habe ich den letzten für meine Frau bestellt.

Das wurde am Ende aber noch eng.

Piëch: Wir hatten damals gute Kontakte zum Sultan von Oman. Der bekam einen Sport Quattro zur Probefahrt. Und er war so begeistert, dass er für ein Familienfest gleich 16 Autos bestellt hat. Es gab aber nur noch acht oder zehn Autos aus der Produktion. Dann wurde unser Importeur so lange aus dem Land verwiesen, bis er die 16 Autos zusammenhatte. Der ist dann mit einem Koffer voll Geld durch Deutschland gereist.

Das Interview wurde in der auto motor und sport-Ausgabe 7/2015 veröffentlicht.

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