Interview mit Thomas Becker, BMW-Group
„BMW will CO₂-Neutralität vor 2050“

Dr. Thomas Becker, Leiter Nachhaltigkeit und Mobilität bei der BMW Group über den Weg zu nachhaltigem Automobilbau, CO2-Neutralität, Recycling und wie das Auto der Zukunft sein muss.

thomas becker bmw
Foto: BMW
Herr Becker, wenn sie jemandem ihren Job in drei Sätzen erklären müssten, welche wären das?

Zum einen zählt dazu, alles das, was für Umwelt und Gesellschaft notwendig ist, in konkrete Ziele für das Unternehmen zu übersetzen und diese Ziele in die "Kapillaren" der Organisation zu bringen – also in Einkauf, Produktion und Entwicklung, wo es bei uns eigene spezialisierte Teams gibt. Der zweite Teil des Jobs ist, Ziele möglichst effizient zu erreichen, immer wieder nachzukalibrieren, ständig zu checken, wie verhalten sich die relativen Kosten von Maßnahme A gegen Maßnahme B. Es gilt also auch immer abzugleichen, was bekomme für den Euro, den ich vom Endkunden ja nur einmal bekomme in Form von nicht emittiertem CO₂, von nicht benötigten Ressourcen raus. Der dritte Teil ist beweisen zu können, was wir bis jetzt bereits gemacht und erreicht haben, also Transparenz nach außen und innen. Auch da steigen die Anforderungen deutlich.

Unsere Highlights
Wo beginnt bei BMW die Nachhaltigkeit und wieweit reicht sie?

Wir haben bei der Neuausrichtung der Strategie 2020 auch die Erwartungen der BMW-Mitarbeiter abgefragt. Eine neue Strategie kann nicht funktionieren, wenn man keinen "Pull" aus der Mannschaft hat. Sie können noch so schöne Ziele formulieren, wenn die Menschen am Standort keine Eigeninitiative haben, dann wird das nichts z.B. mit weniger Energieverbrauch in der Produktion. Es geht immer ums Zusammenspiel einer zentralen Strategie und ganz vielen Leuten, die etwa das Thema CO₂-Reduktion als Einkäufer von Stahl mitverantworten. Wenn die nicht mitmachen, dann kommt nichts dabei heraus.

Wo sehen Sie den größten Treiber der Nachhaltigkeit und wie stark sehen Sie die Rolle der Politik?

Wir haben den Anspruch, nicht zu warten, bis uns eine politische Welle ans Ufer spült, sondern wollen vorher das Richtige tun. Wir haben auch Anteilseigner, die erwarten, dass wir nicht auf Gesetze warten. Es gibt stärkere Erwartungen von den Finanzmärkten sowie unserer europäischen Flottenkunden, von denen sehr viele eine eigene CO₂-Politik haben. Die wollen Fahrzeuge mit hoher Effizienz auf der Straße und kleinem Fußabdruck in der Produktion. Da kommt viel zusammen – natürlich auch der politische Rahmen. Hier schauen wir auf die EU aber auch auf die übrigen Hauptmärkte.

Sind die Kunden bereit, für mehr Nachhaltigkeit auch mehr zu bezahlen?

Es gibt keinen einzelnen Preis, der exakt benennt, wie viel den Kunden Nachhaltigkeit wert ist – so wie es auch kein separates Preisschild für Qualität gibt. Sie haben viele unterschiedliche Erwartungen, die am Ende einen Preis rechtfertigen. Es gibt keinen eins-zu-eins-Umrechnungsfaktor für Nachhaltigkeit.

Glauben Sie, dass Kunden Einbußen bei der Qualität zugunsten von Nachhaltigkeit in Kauf nehmen?

Nein. Das Auto muss sich so fahren und so anfühlen, wie die Kunden es erwarten. Da gibt es keinen Abstrich nach dem Motto: "Ich bin hässlich, aber dafür nachhaltig." Unsere Modelle müssen Premium und nachhaltig sein. Und wir sehen seit drei, vier Jahren zum Beispiel viele gute Angebote für Innenraummaterialien, die eine deutliche Reduktion des Fußabdrucks schaffen, ohne Einbußen bei Optik oder Haptik. Das ist die Herausforderung für uns und unsere Lieferanten. Da passiert gerade eine ganze Menge, und das ist auch gut so, denn einen Trade-off akzeptiert der Kunde an dieser Stelle nicht.

Sehen Sie einen Trend, dass man bewusst die nachhaltigen Materialien zeigt.

Wir haben beim i Vision Circular und der Neuen Klasse genau das getan. Weniger CO₂, weniger Ressourcenverbrauch, aber optisch attraktiv und mit einer technischen Leistung der Materialien, die stimmt. Das ist die große Herausforderung, gerade im Bereich Kunststoffe, dass wir bei Themen wie Oberflächenbeschaffenheit und Elastizität – etwa mit Blick auf Crashanforderungen – eine gesicherte technische Leistung bekommen.

Kann es überhaupt nachhaltige individuelle Mobilität geben oder sind hier viel radikalere Lösungen nötig?

Der Meinung hänge ich natürlich nicht an. Ich habe etwas gegen die Gegenüberstellung "Gute Mobilität ist kollektiv, böse Mobilität ist individuell." Ein 18 Meter-Gelenkbus, der nachts um elf mit zwei Passagieren durch die Gegend fährt, ist auch nicht nachhaltig. Es geht darum, in jedem Mobilitätsmodus besser zu werden und das möglichst schnell. Dazu gehört zu unserer Sicht auch, dass ich nicht die letzten 500 Meter bis zum Ziel zwingend mit dem Auto fahre. Wenn ich für das Pendeln aus dem Umland das Auto nehme und mit einem guten Angebot für den letzten Teil der Strecke ein anderes Verkehrsmittel nutze, dann ist uns das völlig recht. Die Initiative "Mobile Zukunft München", bei der wir zusammen mit dem Freistaat Bayern und der Stadt München und ganz vielen Playern mitmachen, zeigt, dass das besser geht, als manche meinen. Individuelle Mobilität ist ein Grundbedürfnis und bleibt es auch. Die wollen wir mit einem immer kleineren Fußabdruck hinbekommen, was ebenso für Bereiche wie das Bauen oder das Reisen gilt.

Schauen wir in die Glaskugel: Welche Antriebsart wird sich in den nächsten 20, 30 Jahren durchsetzen?

Kann man heute nicht seriös beantworten. Was mich wundert ist, wie genau manche Leute glauben, das Jahr 2040 zu kennen. Gehen wir doch einfach zurück ins Jahr 2012 und wie wir da gedacht haben, wie 2023 aussieht – sehr anders als es sich heute darstellt. Für uns in der Strategie ist leitend, dass wir gelernt haben, dass die Dinge anders kommen können als wir denken. Aus unserer Sicht ist deswegen das alleinige Setzen auf einen einzigen Pfad, der unter einem einzigen Szenario total richtig erscheint, nicht der beste Weg. Wir setzen darauf, dass wir die technologische Kompetenz für verschiedene Szenarien und Pfade haben, dass wir mit einem hochflexiblen Produktionssystem auf verschiedene Marktentwicklungen reagieren können und auch wenn Dinge anders kommen als erwartet ein gutes Produktangebot für möglichst viele Kunden bieten. Amerikanisch gesprochen: Wir legen nicht alle Eier in einen Korb, sondern haben ein breites Kompetenzangebot. Wie der Mix im Jahr 2035 aussieht, das weiß ich auch nicht. Was wir heute entscheiden können, ist, dass BMW die Autos, die wir jetzt planen, also etwa die Neue Klasse, so baut, dass sie einen deutlich geringeren Fußabdruck als bisher haben und effizient sind. Und dass wir auf verschiedene Marktentwicklungen flexibel reagieren können. Wenn sie sich etwa die sehr unterschiedlichen Hochlaufkurven für Batteriefahrzeuge in der EU ansehen, dann liegen wir mit dieser flexiblen Strategie im Moment genau richtig. Was im Übrigen auch unsere Zahlen zeigen.

Gibt es denn Ihrer Erfahrung nach einen Zeithorizont, für den man einigermaßen sicher planen kann?

Wir haben unsere Klimaziele für 2030 klar ausgelegt und ein Großteil der Entscheidungen ist jetzt dementsprechend getroffen worden. Die Neue Klasse ist die erste Produktfamilie, für die wir die Kriterien Ressourcenverbrauch und CO₂ in dieser Intensität von der allerersten Konzeptphase an mitgedacht haben. Neu ist, dass wir hier die gesamte Wertschöpfungskette anschauen, also auch die Lieferkette, Da ist jetzt schon viel aufs Gleis gebracht und der nächste Horizont – Stichwort europäische Berichterstattungspflicht für 2035 – wartet. Der richtige Weg ist eine rollierende Planung, in der man sich immer wieder Etappen setzt. Aber natürlich verpflichten wir uns, das Ziel der CO₂-Neutralität vor 2050 hinzubekommen.

Wie sehen sie die weltweit unterschiedlichen Anstrengungen zur Nachhaltigkeit?

Das ist eine Riesenherausforderung für uns, weil wir die Marktentwicklung immer wieder neu bewerten müssen. Wenn sie sich anschauen, dass Kalifornien 20 Prozent BEV-Anteil beim BMW-Absatz hat, der Rest der USA dagegen einstellig ist, wenn Sie die EU ansehen mit 90 Prozent BEV in Norwegen, aber einstelligen Anteilen im Süden sowie das insgesamt erhebliche Nord-Süd- und West-Ost-Gefälle, dann würde ich mein Geld nicht darauf wetten, Ihnen den EU-BEV-Anteil in der ersten Hälfte 2031 vorherzusagen. Wir haben ein Angebot, von dem wir glauben, dass wir zunehmend neue Kunden gewinnen und dass wir mit Elektromobilität erfolgreich sind, aber wir steuern immer wieder nach. Einige Märkte entwickeln sich schneller als gedacht, andere langsamer und Ziele werden dann neu allokiert. Das ist das Geschäft in der Übergangsphase, wo ich eben nicht mehr davon ausgehen kann, dass ich nur mit einer Technologie in allen Märkten richtig liege. Das ist die Herausforderung, die wir jetzt haben.

Sehen Sie wegen der unterschiedlichen weltweiten Bedingungen Probleme für den Standort Deutschland?

An der standortpolitischen Diskussion möchte ich mich nicht beteiligen, sie ist auch nicht mein Bereich. Ich kann aber sagen: Wir haben noch mächtig Potenzial. Wir wollen etwa in den USA unseren Kunden zusammen mit der Energieindustrie ein besseres Angebot beim Strom machen. Kunden profitieren, wenn sie dem Stromversorger helfen, seine Netzauslastung zu optimieren, sowie Ladezyklen auf die Verfügbarkeit erneuerbarer Energie abzustimmen und dafür einen Bonus bekommen. Vom Kunden her zu denken, kommt bei vielen energiepolitischen Diskussionen in Europa leider manchmal zu kurz. Die intelligente Verteilung des Stromes verbessert die Nachhaltigkeit. Hier kann man noch mehr tun. Wenn wir das Thema erneuerbare Energien noch besser managen, ergibt sich eine Menge Potenzial bis hin zur positiveren Wahrnehmung elektrischen Autofahrens. In Kalifornien etwa gibt es schon lange zielgerichtetes Laden, gesteuert per App, so dass das Auto "netzdienlich" eingesetzt wird. Da geht bei uns noch was und der Kunde kann am Ende sagen "ich habe daran mitgewirkt".

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Sehr. Ich möchte beim Autofahren ein gutes Umweltgewissen haben.Gar nicht. Der einzelne Konsument hat darauf wenig Einfluss und muss im Zweifel nur teuer bezahlen.

Vita

Dr. Thomas Becker ist seit Oktober 2019 Leiter Nachhaltigkeit, Mobilität bei der BMW Group. Davor war er Leiter Regierungs- und Außenangelegenheiten. In dieser Position war er für die weltweite Vertretung der politischen Interessen des Unternehmens, die Integration politischer Themen in Produkt- und Geschäftskommunikation sowie die Steuerung der Nachhaltigkeitskommunikation verantwortlich.

Becker begann seine Karriere als Experte in der Abteilung Umweltpolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in Berlin. Später hatte er mehrere Führungsposten beim Verband der Automobilindustrie (VDA) in Frankfurt inne. Vor seiner jetzigen Rolle bei der BMW Group war Dr. Becker stellvertretender Geschäftsführer des VDA. Von 1988 bis 2003 diente Dr. Thomas Becker als Reserveoffizier mit dem Dienstgrad Hauptmann in der deutschen Luftwaffe.

Becker promovierte (Dr. rer. pol.) an der Reinhard-Mohn-Stiftungsprofessur für Management, Wirtschaft und Sozialentwicklung der Universität Witten/Herdecke bei Professor Dr. Ekkehard Kappler mit Auszeichnung. Er hat auch einen Diplomabschluss in Wirtschaftswissenschaften von der Universität Köln.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten