Reportage
Mit der Polizei auf Poser-Jagd

auto motor und sport hat die Stuttgarter Polizei auf der Jagd nach Autoposern begleitet.

Autoposer
Foto: Rossen Gargolov

Dass dieser Moment irgendwann einmal kommt, muss dem Fahrer des grauen Golf GTI TCR wohl klar gewesen sein. Der Moment, in dem plötzlich die Polizei auftaucht und der rote "BITTE FOLGEN"-Schriftzug angeht. Warum sonst hätte er alle Gutachten und Bescheinigungen seiner Tuning-Teile in einem Ordner abgeheftet – akkurat wie eine Bewerbungsmappe. Die gespielte Lässigkeit wirkt trotzdem nicht sehr überzeugend, als er Thomas Hohn und seinem Kollegen Dimitrios Bastounis den Ordner überreicht. Die Hände des Golf-Fahrers zittern nämlich deutlich sichtbar.

Rücksicht hat Vorfahrt
Autoposer
Rossen Gargolov
Bei der Jagd nach Autoposern ist voller Körpereinsatz gefragt.

Hohn und Bastounis kann man ohnehin nichts vorspielen. Sie merken schon beim Vorbeifahren eines Autos, ob das Innenleben der Abgasanlage noch viel mit dem Serien-Zustand zu tun hat oder ob einem Gewindefahrwerk ein paar Umdrehungen zu viel gegönnt wurden. Die beiden Stuttgarter Verkehrspolizisten gehören einer Abteilung an, die seit Jahren illegal umgebaute Autos und Motorräder aus dem Verkehr zieht. "Kontrollgruppe Tuning" heißt die Abteilung auf bürokratisch und genau die dürfen wir am heutigen Freitagabend bei einem Einsatz an der Stuttgarter Theodor-Heuß-Straße begleiten. Seit etwa 2010 treffen sich Autoposer aus ganz Baden-Württemberg an der "Theo", der Partymeile in Stuttgart, um mit umgebauten Autos die Aufmerksamkeit anderer Nachtschwärmer auf sich zu ziehen – und Anwohner um den Schlaf zu bringen.

Tuner ist nicht gleich Poser

Die Polizei unterscheidet sehr genau zwischen Tunern und Posern. "Tuner optimieren ihre Fahrzeuge mit viel Know-How und Herzblut", berichtet Hohn. Solche Autofans wollen den Spaß am Auto steigern und niemanden belästigen oder gefährden. Einigen Hobbyschraubern ist legales Tuning jedoch zu langweilig: "Das kann jeder haben, damit hebt man sich in bestimmten Kreisen nicht mehr ab." Also wird illegal umgebaut. Bei unserem grauen GTI leuchten die beiden Beamten in die Radhäuser, messen Bodenfreiheit und Standgeräusch nach, vergleichen Seriennummern von Bauteilen mit denen in Zulassungsunterlagen und werfen einen Blick unter die Motorhaube. Bei Zweifeln am Originalzustand hilft den Beamten eine Online-Datenbank mit detaillierten technischen Beschreibungen von allen gängigen Autos.

Die Tricks in der Szene werden nämlich immer aufwendiger. Statt Tieferlegungsfedern zu kaufen, werden Serien-Federn gestaucht, wodurch sie von außen kaum vom Original zu unterscheiden sind – schließlich stimmt sogar die Teilenummer. Oder der Fahrzeugbesitzer lässt sich Räder einer Dimension, die gerade noch legal ist, beim TÜV eintragen. Anschließend kauft er denselben Rad-Typ nochmals in einer größeren Dimension. Für ungeschulte Polizisten ist das bei Kontrollen kaum zu erkennen – aber nur für ungeschulte. Wenn Hohn und Bastounis nichts finden, dann ist da auch nichts. Und am grauen GTI hat alles seine Richtigkeit, die Bewerbungsmappe wandert wieder ins Handschuhfach.

Autoposer
Rossen Gargolov
Dimitrios Bastounis klärt die Verkehrsteilnehmer gern darüber auf, was so alles nicht erlaubt ist an ihrem Fahrzeug.

Während der Golf davonrollt, wird schon der nächste Kandidat zur Kontrollstelle geleitet. Sechs Kollegen der Motorradstaffel akquirieren heute Abend verdächtige Fahrzeuge – diesmal einen braunen Polo mit Pforzheimer Nummer und auffällig matter Beklebung. Über Schönheit lässt sich streiten, nicht jedoch über die Größe des Sonnenschutz-Aufklebers: Solche Aufkleber dürfen maximal 0,1 Quadratmeter Windschutzscheibe verdecken, dieser hier ist jedoch gut doppelt so groß. Zudem sind andere Umbauten nicht eingetragen. Für den jungen Fahrer heißt das 80 Euro, einen Punkt und zum zweiten Mal zur Nachschulung. Darüber hinaus ist die Party in Stuttgart für ihn und seine drei Begleiterinnen beendet. Er trägt es mit Fassung, immerhin darf er selbst nach Hause fahren – keine Selbstverständlichkeit an diesem Abend, wie wir gleich feststellen werden. Denn jetzt liefern die Motorrad-Kollegen ein schwarzes BMW-Dreier-Coupé aus dem Kreis Öhringen ab. Die Fahrerin hatte sich bemüht, möglichst leise am Kontrollpunkt vorbeizuhuschen. Hat aber nicht geklappt. An der Ampel muss sie vom Gas, worauf es mehrmals hintereinander mächtig aus den vier Endrohren detoniert. Mit dem Auspuff stimmt was nicht.

Frauen und gute Ausreden sind selten

Bei Autoposern handelt es sich nach Erfahrung der Kontrollgruppe fast immer um Männer zwischen 18 und 30. Frauen sind genauso selten anzutreffen wie gute Ausreden. "Den Wagen hab ich so gekauft" kommt mit über 80 Prozent auf Platz eins der Ausflüchte. Und natürlich hat auch die Öhringer Fahrerin den Wagen so gekauft. Immerhin sind die von außen erkennbaren Tuning-Teile wie Distanzscheiben und Bodykit eingetragen, der Wagen wirkt auch sonst recht gepflegt. Nur das mit dem Auspuff.

Autoposer
Rossen Gargolov
Da hilft auch das schönste Lächeln nichts.

Bastounis packt erneut das Schalldruck-Messgerät aus, stellt es im 45-Grad Winkel einen halben Meter neben die Endrohre, so will es die Richtlinie. Statt der im Fahrzeugschein eingetragenen 88 dB zeigt es rund 102 dB an, 14 dB zu viel. Schon ein Plus von 3 dB entspricht einer Verdoppelung der Schallenergie, ab 120 dB beginnt beim Menschen die Schmerzgrenze. Der BMW wird beschlagnahmt, er soll am kommenden Montag in der Polizeiwerkstatt nochmals genauer untersucht werden.

Gratis Motorradeskorte

Aber heute Abend hat die Fahrerin noch Glück: Da die laute Abgasanlage die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigt, darf sie ihr Coupé selbst zur Wache im Stuttgarter Norden fahren, eskortiert von einer Motorrad-Streife. Sonst hätte die Polizei jetzt einen Abschleppwagen gerufen – auf Kosten der Fahrerin, die sich nach dem Abliefern ihres Autos von einem Bekannten abholen lässt.

Autoposer
Rossen Gargolov
Nummernschild? Nein Danke.

Wie es mit dem BMW-Coupé weitergeht, verraten wir am Ende des Artikels. Jetzt kümmern wir uns erst einmal um den nächsten Brüller, einen Mercedes C63 S AMG. Sein junger Fahrer hat ihn erst kürzlich für knapp 70.000 Euro gekauft, steckt sein ganzes Geld ins Auto und wohnt noch bei seinen Eltern. Ein bekanntes Phänomen für Thomas Horn und Dimitrios Bastounis, die die negativen Begleitumstände bei solch jungen Autoliebhabern kennen: "Oft ist mit dem Kauf das ganze Geld weg. Dann werden 100.000-Euro-Sportwagen mit China-Reifen für 25 Euro bestückt oder es werden Bremsscheiben weitergenutzt, die kurz vor dem Zerbröseln stehen". Der AMG ist jedoch tadellos in Schuss, so gepflegt wie die Dreitage-Bärte von Fahrer und Copilot. Und die Lautstärke passt auch noch: Bei weniger als fünf dB Abweichung zur Hersteller-Angabe drückt die Kontrollgruppe alle Augen zu: "Bei Kleinigkeiten sind wir großzügig, bei großen Dingen werden wir kleinlich", lautet das Motto der staatlichen Auto-Checker. Große Dinge passieren heute Abend jedoch nicht mehr. Ein Audi A5 Coupé aus dem Kreis Esslingen wird mit 1,3 Millimeter Reifenprofil erwischt, der Gesetzgeber schreibt mindestens 1,6 Millimeter vor. Genauso wenig Anlass zur Beschlagnahmung wie beim weißen BMW M4 aus Bühl nahe der französischen Grenze, der ebenfalls mit einem Bußgeld davonkommt. Sein Besitzer hat Distanzscheiben nicht eingetragen, dennoch darf auch er weiterfahren. Unter dem Strich ein ruhiger Abend. Eisige Temperaturen und neue Corona-Regeln lassen keine echte Party-Stimmung in der Stuttgarter Innenstadt aufkommen. Ohne Bühne macht auch das Posen keinen Spaß. Gegen 23 Uhr und damit ungewöhnlich früh ist daher Feierabend für die Kontrollgruppe Tuning.

Untersuchung in der Polizei-Werkstatt

Am Montag nach der Kontrolle treffen wir Thomas Hohn auf der Wache im Stuttgarter Norden. Er nimmt uns mit in die Werkstatt, wo er sich zusammen mit einem Kollegen den BMW vom Freitagabend genauer anschaut. Bevor das Auto auf die Hebebühne kommt, macht Hohn im Freien eine gerichtsverwertbare Lautstärke-Messung. Der 4.500 Euro teure Schalldruckmesser, der jährlich kalibriert wird, zeigt rund 105 dB an, nochmals mehr als bei der Schnellmessung am Freitagabend. Und 17 dB mehr als erlaubt – eine extreme Abweichung! Auf der Hebebühne wird der Wagen dann von unten inspiziert und sieht auf den ersten Blick unverdächtig aus.

Autoposer
Dirk Gulde
Thomas Hohn bei der Lautstärkenmessung.

Die Abgasanlage mündet jedoch in einen Nachrüst-Endschalldämpfer. Davor wurde ebenfalls geschweißt, eventuell ist der Vorschall-Dämpfer entfernt worden. Ein Blick in die Fahrzeug-Datenbank bestätigt den Verdacht: Das Serien-Teil wurde schlicht ausgebaut. Erster Treffer. Da die Lautstärke-Abweichung mit 17 dB jedoch extrem ausfällt, sucht Hohn weiter: Eine Klopfprobe am Endschalldämpfer ergibt einen unklaren Befund: Ganz hohl klingt er nicht, der schalldämmende Inhalt wurde also zumindest nicht komplett entfernt. Doch Autoposer haben im jahrelangen Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei noch weitere Tricks entwickelt: Das Rohr im Endschalldämpfer ist normalerweise stark perforiert, damit Schall austreten und von porösem Material absorbiert werden kann. Wird das Innenleben hingegen mit einem durchgängigen Rohr überbrückt, passiert der Motorsound ungehindert den Dämpfer. Daher filmt Hohn mit einer beleuchteten Kamerasonde in den Endschalldämpfer, das Bild wird aufs Smartphone übertragen.

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Tatsächlich ist das Rohr überbrückt. Hohn montiert den Endtopf ab, die laienhaft gesetzten Schweißnähte entlarven das illegal eingesetzte Überbrückungsrohr auf den ersten Blick. Als Beweismittel bleibt der Endschalldämpfer bei der Polizei, um bei einer möglichen Gerichtsverhandlung als Beweismittel zu dienen. Die Besitzerin des BMWs muss den Wagen jetzt auf einem Anhänger abholen und die Mängel beseitigen lassen. Erst wenn sie der Zulassungsstelle ein Gutachten vorlegen kann, das den einwandfreien Zustand bescheinigt, darf sie ihren Dreier wieder in Betrieb nehmen.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

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