Die Zukunft des Autohandels
Agentur gegen Vertragshändler

Corona hat dem Autohandel zugesetzt und auch die Digitalisierung zwingt die Branche zum Umdenken. Deshalb überlegen sich die Hersteller Alternativen zum klassischen Vertriebsweg. Eine Lösung: Das Agenturmodell, auf das zum Beispiel VW beim ID.3 setzt. Aber was ist das genau und wo liegen die Vorteile?

VW ID.3 Serienversion
Foto: Volkswagen AG / Andreas Schleith

Die Coronakrise traf die Automobilbranche mit voller Wucht. In allen Belangen. Und so hat die Pandemie auch die Schwächen des Autohandels deutlich aufgezeigt. Logische Folge: ein hoher Anpassungsdruck bezüglich der Geschäftsmodelle, auf die die Hersteller in Kooperation mit den Händlern setzen. Eine einfache Fortführung der über hundert Jahre alten und entsprechend bewährten Handelsvertreter-Strategie? Momentan undenkbar, auch nicht nach dem Abklingen der Pandemie. Bezogen auf Letzteres gestattet die Situation sowieso keine handfesten Prognosen. Die voranschreitende Digitalisierung und das damit veränderte Kundenverhalten – auch der Automobilmarkt bleibt vom Online-Shopping nicht verschont – tun ihr Übriges dazu. Die Markt-Player müssen handeln.

Unsere Highlights

"Agenturmodell" lautet das Stichwort, das bei Herstellern und Händlern nicht nur in aller Munde, sondern für viele auch die vielversprechendste Lösung ist. So zum Beispiel bei VW, wo der Vertrieb des ID.3 als Leuchtturmprojekt für die neue Strategie herhält. Aber was unterscheidet das Agenturmodell eigentlich genau vom konventionellen Vertrieb über die Vertragshändler?

Der Hersteller verkauft, der Händler vermittelt

In der Theorie ist das ganz einfach. Beim Agentursystem fungiert der Händler nicht als Verkäufer des Fahrzeugs, wie es beim Geschäftsmodell mit klassischem Vertragshändler der Fall wäre. Stattdessen ist er quasi nur noch ein Agent des Herstellers. Gegen eine Provisionszahlung nimmt er die Rolle des Vermittlers ein. Eine wichtige Schnittstelle zwischen Hersteller und Kunde bleibt er dementsprechend weiterhin. Als Hauptaufgabengebiet zählen aber nur noch Themen wie Kundenberatungen, Probefahrten, Auslieferungen der Autos und Service-Dienstleistungen. Wie sich verschiedene Händler dahingehend im vergangenen Jahr geschlagen haben, erfahren Sie übrigens in unserer Fotoshow.

Den Fahrzeugvertrieb an sich wickelt der Hersteller selbst mit den Endkunden ab. Klar, als Verkäufer fungiert der Händler in gewisser Hinsicht durchaus noch immer. Er vertreibt das Fahrzeug gemäß § 84 HGB aber auf fremde Rechnung und in fremdem Namen, nämlich in dem des Herstellers.

Wer macht dann die Preise?

Händlertest 2016
Ingolf Pompe
Beim Agenturmodell legt der Hersteller die Preise für seine Fahrzeuge fest und nicht etwa der Händler. Preisverhandlungen mit Kunden sind damit hinfällig.

Beim bisher gängigen Geschäftsmodell läuft das anders ab. Hier erwirbt der Händler ein bestimmtes Kontingent an Fahrzeugen beim Autobauer. Anschließend müssen die Autohäuser ihre Bestände aber selbst an die Kunden bringen. Auch für die finale Preisgestaltung sind in diesem Fall die Vertragshändler zuständig, liefert der Hersteller doch nur eine unverbindliche Preisempfehlung. Da die Kunden ihr Auto beim Agenturmodell jedoch direkt beim Hersteller kaufen, hat dieser hier auch den Daumen auf der Preisgestaltung und kann sie ganz nach eigenem Ermessen durchsetzen. Ein Fahrzeug kostet im Online-Direktvertrieb dann genau so viel wie im Autohaus.

Die Vorteile für alle Parteien

Der große Vorzug für die Kunden: absolute Preistransparenz. Aufwendige Angebotsvergleiche bleiben einem vor dem Kauf erspart, langwierige Preisverhandlungen auch. Für die Händler fallen indes die Rabattschlachten, also das gegenseitige Überbieten der Preisnachlässe zur Kundengewinnung, weg. Theoretisch kommt das Geschäftsmodell also auch ihnen zugute – nicht zuletzt dadurch, dass Risiken wie zu große Fahrzeugbestellungen nicht mehr einkalkuliert werden müssen. Und für den wegfallenden Gewinn aus dem Fahrzeugverkauf entschädigt die Provsion. Zudem ist der administrative Aufwand geringer. Dem Hersteller erleichtert das Agenturmodell die Vereinheitlichung des Online-Autohandels mit dem physischen Verkauf beim Vertriebspartner. Am Ende sind so alle Parteien miteinander vernetzt und der Hersteller näher am Kunde.

Echt oder unecht

Der Kaufvertrag wird im Agenturmodell also zwischen Käufer und Hersteller geschlossen. Laut Gesetz liegen dann theoretisch nicht nur alle Verpflichtungen aus dem Vertrag selbst, sondern auch alle damit im Zusammenhang stehenden Gewährleistungen beim Verkäufer, sprich beim Hersteller. Dazu zählen beispielsweise Rabatte, Gebrauchtwagen-Inzahlungnahmen, Restwerte oder die Vermarktung der Vorführwagen. Entspricht das der tatsächlichen Handhabung, spricht man von einem echten Agenturmodell.

Und in der Praxis? Da ist die Angelegenheit oft etwas verzwickter. Wenn die Hersteller Rabatte festlegen, verlangen sie teils von ihren Händlern, dass sie zur Kundengewinnung notwendige Preisnachlässe aus ihrer Provision tilgen. Oder anders gesagt: Die Vermittler blechen die Hersteller-Rabatte dann aus ihrer Tasche. Auch bezogen auf Restwertrisiken kann es vorkommen, dass die Autobauer ihre Händler nicht vollständig freistellen, ebenso wenig hinsichtlich der Kosten, die durch Inzahlungnahmen, Vorführwagen oder deren Vermarktung entstehen. Kennzeichnen solche Merkmale das praktizierte Agenturmodell, gilt es als ein unechtes.

Umfrage
Was halten Sie vom Agenturmodell?
3814 Mal abgestimmt
Es ist die sinnvolle Konsequenz aus der aktuellen Entwicklung und birgt Vorteile für alle.Sehr interessant. Aber eher deshalb, weil es insgeheim die Händler entmachtet.

Fazit

Auch wenn der Automobilsektor in Sachen Vertrieb gerne auf altbewährte Strategien setzt: In Anbetracht der Corona-Pandemie und der zunehmenden Digitalisierung denkt die Branche gezwungenermaßen um. Neue Verkaufsstrukturen wie das Agenturenmodell sind daher die logische Weiterentwicklung des Autohandels. Mit wachsendem Online-Angebot halten neue Verkaufsgefüge entsprechend Einzug.

Inwiefern sich die im Artikel erwähnten Vorteile dabei für die jeweiligen Parteien tatsächlich auszahlen und ob sich derartige Strukturen auf Dauer durchsetzen, das müssen längerfristige Erfahrungen erst noch zeigen.