Audi R8 LMX, Nissan GT-R und Porsche 911 Turbo S
PS-Sause in den Alpen

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Kann die Nordschleife langweilig werden? Da regt uns schon die Frage auf! Nur für den Fall, dass sie doch mal eine Ersatzdroge genießen wollen, sind wir mit Porsche 911 Turbo S, Nissan GT-R und Audi R8 LMX bei Tag und bei Nacht über den zweithöchsten Pass der Alpen gejagt.

Audi R8 LMX, Nissan GT-R, Porsche 911 Turbo S, Frontansicht
Foto: Rossen Gargolov

Gestatten, Passo dello Stelvio oder auf deutsch: Stilfser Joch. Statt in Hockenheim oder auf der Nordschleife bitten wir heute Porsche 911 Turbo S, Nissan GT-R und Audi R8 LMX auf den mit 2.758 Metern höchsten Gebirgspass Italiens zum Kurventanz.

Bye-bye Audi R8 der ersten Generation

Gleichzeitig feiern wir Abschied von einem, den wir seit 2006 regelmäßig zum Kurventanz getroffen haben: Bye-bye Audi R8. Keine Panik, der bayerische Mittelmotor-Held aus Ingolstadt geht nicht vollständig in Rente, sondern wir sagen nur der ersten Generation servus. Bevor Ende 2015 die zweite R8-Generation an den Start geht, regt Audi den Speichelfluss der R8-Fans noch einmal mit dem auf 99 Exemplare limitierten Sondermodell LMX an.

14.30 Uhr: Wir erklimmen das Stilfser Joch aus dem Talort Prad (italienisch: Prato alla Stelvio) über die Nordostrampe. Attacke, 48 Kehren und bis zu 15 Prozent Steigung warten – wow. Denkste, die Nordschleifen-Ersatzdroge will sich nicht so recht in den Blutbahnen verteilen. Querdynamische Faszination kommt auf den ersten Metern Passstraße nur bedingt auf. Lediglich das Wetter macht einen auf Nordschleife. Unten im Tal Sonne, dann schlagartig zäher Nebel, der mit steigenden Höhenmetern Zuckerwatte immer ähnlicher wird. Währenddessen erinnert das Asphaltband eher an einen Flickenteppich.

Immer wieder müssen sich die drei Allrad-Sportler Audi R8 LMX, Nissan GT-R und Porsche 911 Turbo S auf der Serpentinenstraße, die teilweise nur Platz für ein Fahrzeug bietet, an Tour-de-France-Laiendarstellern auf Rennrad und Mountainbike vorbeiarbeiten. Außerdem bremsen Postbusse, Kleintransporter und Motorradschwärme das Tempo am Berg auf Spielstraßenniveau.

Audi R8 LMX zaubert Renngefühle in den Straßenverkehr

Ruhig bleiben, die Zeit unserer drei Allrad- Sportler soll noch kommen. Anführer der Pass-Expedition ist der Audi R8 LMX, den es nur in der funkelnden Individuallackierung Arablau Kristalleffekt gibt. Sein Name erinnert ein bisschen an den erfolgreichen GT3-Rennbruder LMS. Seitliche CFK-Flicks vorn und ein feststehender Carbon-Heckflügel sollen auch optisch Renngefühle in den Straßenverkehr zaubern und zudem den Anpressdruck auf Vorder- und Hinterachse erhöhen.

Im Innenraum geht's sportlich weiter: Die Schalensitze des Audi R8 LMX glänzen zwar mit lackierter Rückenschale in Wagenfarbe und bieten sehr guten Seitenhalt, für größere Personen ist die Sitzposition jedoch immer noch zu hoch. Bitte im Lastenheft vermerken und in der nächsten R8-Generation optimieren. Mit zahlreichen Carbon-Applikationen, Alcantara-Bezügen, Feinnappa-Leder und blauen Ziernähten wirkt das Cockpit des Audi R8 der ersten Modellreihe auch heute noch frisch und sportlich.

Das zentrale Display im Kombi-Instrument vermeldet "max. 6000/min" – ein Zeichen, dass sich der 5,2-Liter-Zehnzylinder unter der gläsernen Motorabdeckung noch warmläuft. Auch im unteren Drehzahlbereich wirft er im Vergleichstest bei jedem Schaltvorgang ein grollendes Echo zwischen den Bergtälern hin und her. Die Leistung des Hochdrehzahl-V10 steigt im Vergleich zum bereits getesteten R8 V10 plus um zehn auf 570 PS.

Doch die Motorleistung spielt auf der Schleichfahrt gen Gipfel erst einmal keine Rolle. Auf den verwinkelten Kehren der Nordostrampe des Stilfser Jochs fühlt sich der Audi LMX so wohl wie in einem Parkhaus von 1960. Allzu enge 90-Grad-Spitzkehren sind nichts für ihn. Mit sehr großen Lenkwinkeln fordert er seinen Chauffeur zum Umgreifen auf oder verknotet dessen Arme.

Nissan GT-R - die japanische Biturbo-Waffe

Ein Blick in den R8-Rückspiegel: Seinem Verfolger Nissan GT-R ergeht es beim Aufstieg nicht viel besser. Die japanische Biturbo-Waffe muss in einigen Kehren kapitulieren und sogar kurz den Rückwärtsgang einlegen, um die engen Kurvenradien der zwischen 1820 und 1826 gebauten Passstraße und seitdem kaum veränderten Streckenführung zu meistern.

Während sich der Nissan GT-R an Felswänden vorbei gen Hochplateau müht, klären wir kurz die Frage, was sich am Modelljahrgang 2014 gewandelt hat. Wer das neue Modell erkennen will, muss schon genauer hinschauen: Lediglich Rückleuchten und modifizierte Scheinwerfer mit LED-Tagfahrlicht sowie die neue Lackfarbe Sunset Red verraten den GT-R anno 2014 optisch.

Während der V6-Biturbo mit der internen Kennung VR38DETT mit 550 PS unverändert blieb, hat sich unter dem muskulösen Karosseriekleid fahrwerksseitig etwas getan: Das Set-up wurde etwas komfortabler gewählt. Tatsächlich schluckt der Nissan GT-R nun Bodenwellen etwas besser als sein direkter Vorgänger.

Außerdem wurde der Geradeauslauf des Nissan GT-R verbessert – uns schwant aus querdynamischer Sicht Böses. Doch inwieweit sich die modifizierten Adaptivdämpfer, andere Federraten und sonstige komfortverbessernde Fahrwerksänderungen auf die Performance im Grenzbereich auswirken, klären wir später.

Porsche 911 Turbo S mit 560 PS

Dicht am Heckflügel des GT-R klebt der Porsche 911: Genau jener Porsche 911 Turbo S stürmte schon im Vergleichstest (sport auto 11/2013) sowie im Supertest (sport auto 2/2014) zu Bestwerten. Just in diesem Moment interessieren Rundenzeiten des 560-PS-Biturbo-Boxer nur sekundär. Doch auch beim Südtiroler Kriechgang spielt der Turbo S den Musterschüler. Während Nissan GT-R und Audi R8 in den winkeligen Spitzkehren gen Stilfser Joch teilweise zurücksetzen müssen, wieselt der Biturbo-Elfer frech ums Eck, als ob er den kurzen Radstand eines Mini Cooper tragen würde.

Wie funktioniert die von Porsche, bei geringen Geschwindigkeiten und engen Kurvenradien als "virtuelle Radstandsverkürzung um 15 Zentimeter" bezeichnete Technik? Das Zauberwort lautet "Hinterachslenkung". Ein kleiner Technik-Exkurs: Dank zwei elektromechanischer Aktuatoren, die anstelle der konventionellen Spurlenker links und rechts an der Hinterachse arbeiten, kann der Elfer gegensinnig und gleichsinnig mit der Hinterachse mitlenken.

Dadurch zirkelt er seinen Kontrahenten wie einst Ski-Ass Alberto Tomba mit verblüffender Wendigkeit davon. Verknotete Arme beim Lenken? Nicht doch, im Vergleich zu Audi R8 und Nissan GT-R muss der Fahrer im Porsche 911 Turbo S deutlich weniger am Lenkrad arbeiten.

Allrad-Trio auf dem Gipfel

2.758 Meter, endlich oben. Das Allrad-Trio verschnauft knisternd auf dem Hochplateau des Stilfser Jochs. Während sich der Verkehr auf der Staatsstraße SS38 langsam legt, sich die letzten Sattelkämpfer ins Tal stürzen und die Souvenirläden am Fuße der Seilbahn zu einem der letzten Sommerskigebiete in den Alpen schließen, beziehen wir unser Domizil für die Nacht. Kurz unterhalb des Höhepunkts der Passstraße liegt das Hotel "Albergo Folgore".

50 Euro die Nacht, kleine Zellen mit Blick auf den Pass, kein Schickimicki-Alpen- Bunker – die Einfachheit hilft prima zur Erdung. Draußen auf dem Schotterparkplatz stehen schließlich drei Sportler im Wert von über einer halben Million Euro.

23.30 Uhr, noch mal raus in die nun klare Alpennacht. Weniger die dünne Höhenluft als die leere Passstraße sorgen für erhöhten Pulsschlag. Kein Auto, kein Radler, kein Motorradfahrer – das Asphaltband ist so leer wie ein Freibad im Winter. Als Erstes nehmen wir in den schwarz-roten Recaro-Sportsitzen des Nissan GT-R Platz und drücken den Startknopf. Metallisches Rasseln, der Antriebsstrang meldet sich mit der bekannten, rustikalen Geräuschkulisse zu Wort. Allradantrieb und Adaptivdämpfer in den R-Modus, Fahrdynamikregelung VCD-R off – der Nissan GT-R ist jetzt scharf wie ein Sushi-Messer.

Nissan GT-R verfehlt Werksangabe

Während die Betriebsmittel auf Einsatztemperatur klettern, rollen wir langsam die SS38 in Richtung Bormio runter. Schnell noch wie ein Rallye-Eisspion die Streckenverhältnisse checken. Geraden mit spaßigen Bodenwellen, verschiedene Kuppen, dahinter zumachende Kurven, wilde Rechts-links-Knicks – dieser flüssigere Verlauf der Passstraße ist genau nach unserem Geschmack.

Umdrehen, Fernlicht an, Launch Control aktiv – das japanische Projektil mischt zischend die nächtliche Alpenstille auf. Während wir noch von der Traktion fasziniert sind, entert der Nissan GT-R im Vergleichstest längst die nächste Dimension und prügelt seine schiere Masse mit einem maximalen Drehmoment von 632 Newtonmetern vorwärts. Für die Zahlenmenschen ermessen wir später eine 0–100-Beschleunigung von 3,5 Sekunden – weit weg von der 2,7-Sekunden-Fabel-Werksangabe.

Heute ist das genauso Nebensache wie die Höchstgeschwindigkeit: Am Stilfser Joch lassen sich mit viel Mut ohnehin nur die ersten drei Gänge ausdrehen. Dann das erste Mal ambitioniertes Anbremsen: Die Keramikbremsanlage verzögert mit gut dosierbarem Pedalgefühl. Die japanische Kurvendiskussion erfreut hingegen weniger: Nach dem Einlenken folgen leichtes Kurveneingangsuntersteuern und spürbare Rollbewegungen um die Längsachse. Die GT-R-Karosse 2014 kippt im Vergleich zu seinen Vorgängern stärker in die Kurve. Lastwechsel im Kurvenverlauf helfen etwas, um das Untersteuern zu verringern.

Wer am Scheitel zu früh Volllast gibt, dem entgleitet der Nissan GT-R über die Vorderachse. Kurz: Die Komfortbeimischungen in der Fahrwerksabstimmung waren unter querdynamischen Aspekten definitiv kontraproduktiv. Dies unterstreicht später auch die deutlich langsamere Rundenzeit in Hockenheim gegenüber dem GT-R des Modelljahrgangs 2013 (1.11,2 statt 1.09,6 Minuten).

Porsche 911 Turbo S der Beschleunigungsmeister

Zurück auf unserem Hotel-Schotterparkplatz zum Autotausch. Rein in den Porsche 911 Turbo S und wieder runter ins Tal. Die Ergonomie des Cockpits mit den optionalen Carbon-Schalensitzen passt am besten von den drei Probanden. Und dann dieser Launch-Control-Start: Mit einer Bilderbuchbeschleunigung zoomt sich der Porsche 911 Turbo S in die Nacht. Das Wort Perfektion nehmen wir eher selten in den Mund, der Launch-Control-Start ohne spürbaren Schlupf oder Kupplungsgezetere verdient dieses Prädikat jedoch definitiv!

Die Zahlenmenschen freuen sich noch über 3,0 auf 100 km/h, während wir längst die erste Kurve anvisieren und einen Wimpernschlag später einlenken. Wie schon bei niedriger Geschwindigkeit wird auch bei höherem Speed schnell klar, dass dem Porsche 911 Turbo S im Vergleichstest in puncto Einlenkverhalten keiner etwas vormachen wird.

Weder der Nissan GT-R noch der Audi R8 LMX reagieren so präzise auf Einlenkbefehle und bleiben im Kurvenverlauf so neutral wie die schwäbische Allradwaffe. Dank des Wankausgleichs PDCC reduziert sich die Seitenneigung dabei auf ein erstaunlich geringes Maß.

Und die Traktion beim Herausbeschleunigen? Dank des sehr gut abgestimmten Zusammenspiels von Hinterachslenkung, Porsche Torque Vectoring Plus sowie der geregelten Hinterachsquersperre ist dies ebenfalls eine Königsdisziplin des Porsche 911 Turbo S. Auf den kurzen Geradeauspassagen überzeugt sein Biturbo-Boxer mit noch mehr Explosivität aus dem Drehzahlkeller und einer gleichmäßigeren Leistungsentfaltung als das GT-R-Aggregat. Schon vor der Pass-Sause war eigentlich klar, dass sich der Turbo S später die schnellste Rundenzeit in Hockenheim schnappen wird.

"Lichtgestalt" Audi R8 LMX

Letzter Cockpit-Wechsel, Abschiedsmeter im Audi R8 der ersten Generation. Sofort wird klar, was in den beiden Turbohämmern von Porsche und Nissan einfach fehlt: der unnachahmliche Saugmotorklang, der im Sport-Modus und beim Runterschalten der Gänge im Audi R8 schon fast rennwagenähnliche Züge annimmt.

Die Emotion manifestiert sich im R8 LMX nicht durch brachiale Beschleunigung oder perfektionistisches Fahrverhalten. Bei diesem Hochdrehzahlkonzert ist es fast schon egal, was in der nächsten Kurve passiert. Das bedeutet aber nicht, dass der Audi R8 am Pass nur das auffällige Showcar spielen will. Auch wenn er die kurzen Geraden am Stilfser Joch nicht mit der Explosivität seiner Biturbo-Konkurrenz abhaken kann, überzeugt er den Sportfahrer mit seiner feinen Gasannahme und seiner Drehfreudigkeit bis über 8.000 Touren. Das Doppelkupplungsgetriebe arbeitet dabei ruckfreier als einst die R tronic.

Das Fahrverhalten lässt jedoch noch Luft nach oben: Nach dem durchaus präzisen Einlenken drängt auch der Audi R8 LMX, egal ob unter Schleppgas oder Last, tendenziell in leichtes Untersteuern. Auf Lastwechsel reagiert er mittelmotortypisch mit spürbarem Einknicken. Überarbeitungsbedürftig sind die großen Lenkwinkel, die kein besonders präzises Lenkgefühl vermitteln. Schluss jetzt mit Jammern auf hohem Niveau, genießen wir lieber die Ideallinie auf der nächtlichen Passstraße.

Dank seines Laser-Fernlichts mit einer Reichweite von 600 Metern hat sich der Audi R8 LMX übrigens auch den zweiten Spitznamen von Franz Beckenbauer als "Lichtgestalt" verdient. In der zweiten Generation soll der Mittelmotorsportler dann mit einem Gewicht von knapp 1.500 Kilogramm auch fahrdynamisch zur Lichtgestalt werden.

Technische Daten
Nissan GT-R Black EditionAudi R8 LMX GTPorsche 911 Turbo S Turbo S
Grundpreis98.000 €210.000 €197.041 €
Außenmaße4670 x 1895 x 1370 mm4440 x 1929 x 1252 mm4506 x 1880 x 1296 mm
Kofferraumvolumen315 l100 l115 l
Hubraum / Motor3799 cm³ / 6-Zylinder5204 cm³ / 10-Zylinder3800 cm³ / 6-Zylinder
Leistung404 kW / 550 PS bei 6400 U/min419 kW / 570 PS bei 8000 U/min412 kW / 560 PS bei 6500 U/min
Höchstgeschwindigkeit315 km/h320 km/h318 km/h
0-100 km/h3,3 s3,6 s3,0 s
Verbrauch11,8 l/100 km12,9 l/100 km9,7 l/100 km
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Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten