Der Gegner für das Tesla Model X
So fährt der Elektro-SUV I-Pace von Jaguar

Jaguar bringt nach vier Jahren Entwicklungszeit einen echten Tesla-Gegner auf die Straße. Wir waren mit dem Elektro-SUV auf der Straße und der Rennstrecke unterwegs. Fahrbericht.

Jaguar i-pace EV400
Foto: Jaguar

Wir diktieren dem Navi die rund 150 Kilometer lange Route vom Flughafen Faro zur Rennstrecke Portimão. Kein Problem, schließlich orakelt die Reichweitenanzeige 480 Kilometer. Um den WLTP-Wert zu erreichen, bräuchte es viel Disziplin, doch der Antritt der von Jaguar selbst entwickelten E-Motoren an Vorder- und Hinterachse ist zu verlockend.

Genau 400 PS und fast 700 Nm Drehmoment

Mit permanent anliegenden 696 Nm schieben sie kräftig an, die versprochenen 4,8 Sekunden auf 100 km/h sind durchaus glaubhaft. Zwar werden der E-Katze bei 200 km/h elektronisch die Krallen gestutzt, doch anders als bei Tesla lässt der E-Schub des 2,2-Tonners nicht nach. Das schlechte Gewissen beruhigt das Fahrpedal, das wie beim Nissan Leaf so stark rekuperiert, dass Bremseingriffe meist überflüssig sind. Wer das nicht mag, kann eine niedrigere Rekuperationsstufe wählen, gänzlich Abschalten lässt sich die Energierückgewinnung aber nicht.

Unsere Highlights

Obwohl der I-Pace auch bei Autobahntempo gut gedämmt ist, rollen die 20-Zöller leicht poltrig ab. Der Eindruck verstärkt sich, sobald die optionalen 2.500 Euro teuren 22-Zöller montiert sind. Die optionale Luftfederung sorgt zwar für Komfort, hat aber mit kurzen Bodenwellen zu kämpfen, die sich bis in die Lenkung übertragen. Die wiederum gefällt zwar durch ihre direkte Auslegung, vermittelt aber wenig Rückmeldung. Beim Fahrwerk hat sich das Entwicklungsteam bei F-Type und F-Pace bedient. Die kurvigen Straßen bereiten auch wegen des geringen Schwerpunkts und perfekt ausbalancierter Gewichtsverteilung (50:50) Freude.

Jaguar i-pace EV400
Jaguar
Jaguars Elektro-SUV kann tatsächlich auch Offroad. Geht es ins Gelände, fährt der I-Pace 50 Millimeter nach oben.

Der I-Pace kann auch Offroad

Fast vergisst du, dass der I-Pace ein SUV sein will. Kurzerhand biegen wir auf eine der zahlreichen Schotterpisten ab. Das Luftfahrwerk fährt fünf Zentimeter nach oben. Dank 50 Zentimeter Watttiefe ist selbst der kleine Bach, der unseren Weg kreuzt kein Problem. Kurze Überhänge sorgen für richtig passable Böschungswinkel. Für den nötigen Überblick in dem unübersichtlichen Gelände und der noch unübersichtlicheren Karosserie sorgen vier Kameras, die sich einzeln ansteuern oder zur 360-Grad-Ansicht zusammenschließen lassen. Trotz Straßenbereifung wühlt sich der Jaguar I-Pace auch auf den sandigen teils sehr steilen Passagen locker bergauf. Dabei muss sich der Fahrer mit aktiviertem Tempomat lediglich ums Lenken kümmern.

Nach der kleinen Offroadeinlage ist es nicht mehr weit zu Rennstrecke von Portimão. Der 90-kWh-Lithium-Ionen-Akku zeigt noch fast 60 Prozent Restkapazität. Die realistische Gesamtreichweite dürfte bei zügiger Fahrweise daher bei rund 350 Kilometer liegen, dafür lässt sich der 90-kWh-Lithium-Ionen-Akku an einer 100-kW-Gleichstrom-Säule in 40 Minuten zu 80 Prozent wieder aufladen.

Mit dem Elektro-Jag auf die Rennstrecke

Jaguar i-pace EV400
Jaguar
Im Dynamikmodus surrt der SUV dank künstlichem Sounddesign nun aggressiver.

Da unser E-Jag zu verstaubt für die Rennstrecke ist, wechseln wir in ein frisch geputzt und geladenes Exemplar. Boxenausgangs lassen wir es gleich richtig fliegen. Im Dynamikmodus surrt der SUV dank künstlichem Sounddesign nun aggressiver. Die unterschiedlichen, teils sehr engen Kurvenradien von Portimão erfordern einen runden Fahrstil und viel Gefühl beim herausbeschleunigen. Ist der Winkel zu spitz, kappt die Elektronik abrupt das Drehmoment. Dank der 50:50-Gewichtsverteilung, niedrigem Schwerpunkt, verwindungssteifer Aluminium-Karosserie sowie dem langen Radstand lässt sich der I-Pace eingangs der Start-Zielgerade sogar zu leichten Drifts überreden. Spürbare Leistungseinbrüche sind auch nach ein paar Runden nicht zu verzeichnen. Nur seine schiere Masse kann der E-Jaguar vor allem beim harten Anbremsen nicht verheimlichen.

I-Pace Concept Fahrbericht auf Eis

„Jetzt sind alle Assistenzsysteme ausgeschaltet“, sagt Entwicklungs-Ingenieur Adam Brant auf dem Beifahrersitz. Okay, dann los: Vor uns erstreckt sich das riesige Jaguar-Testgelände bei Arjeplog in Lappland, ein halbmeterdick zugefrorener See mit per Schneepflug präparierten Handlingpisten. Und einem großen Kreis, den steuern wir jetzt an im Jaguar I-Pace-Prototypen. Sanft in den großen Kreis auf dem See lenken, beschleunigen, einlenken, Fuß vom Gas.

Jaguar I-Pace getarnt Schnee Fahrbericht 2018
Jaguar
Die Elektronik verteilt dann fast 50 Prozent der insgesamt 700 Nm nach hinten, die Vorderachse bekommt nur ein paar Prozent ab.

Jetzt kommt das Heck, kommentiert der Beifahrer. Fast in Zeitlupentempo dreht der I-Pace die Nase nach innen, das Heck wandert tangential nach außen. Full throttle, lautet nun das Kommando. Vollgas, das Heck stabilisiert sich, der Jaguar wird in vollem Drift schneller. Nach ein paar Versuchen läuft es flüssiger. Du musst einfach voll auf dem Gas bleiben, dann klappt es am besten, sagt der Beifahrer. Stimmt. Die Elektronik verteilt dann fast 50 Prozent der insgesamt 700 Nm nach hinten, die Vorderachse bekommt nur ein paar Prozent ab. Man benötigt ein paar Sekunden, um es zu verstehen: Jeder Antrieb ist maximal 350 Nm stark, die kann er an seine Antriebsachse abgeben. Die 700 Nm des Antriebssystems verteilen sich also zu je 50 Prozent auf die Vorder- und Hinterachse. In der Fahrpraxis ist die Kraftverteilung natürlich variabel. Mechanische Sperren sind nicht vorgesehen. Theoretisch möglich, frage ich. Adam Brant lacht wieder, theoretisch sei fast alles möglich. Ein Geheimnis ist es freilich nicht, dass dem I-Pace weitere elektrifizierte Varianten folgen sollen. Jede Modellreihe, auch die Range und Land Rover sollen eine Version mit Elektro-Antrieb erhalten, vollelektrisch oder Plug In-Hybrid, alles sei denkbar, heißt es.

Adaptive Dämpfer? Details werden nicht verraten!

Die Fahrt auf dem See ist nach einigen schwindelerregenden Runden vorbei, auf der Rückfahrt bleibt Zeit, die ersten Eindrücke zu sortieren: Viel Kraft, gute Traktion trotz nicht optimaler Bereifung. Zum Federungskomfort lässt sich nicht viel sagen, zur Lenkung dagegen schon: Sie ist nicht zu leichtgängig, vermittelt viel Gefühl für den Grip der Vorderräder. Kein Wunder, Fahrwerk und Lenkung kommen schließlich aus F-Type und F-Pace, vorn doppelte Querlenker, Multilenkerachse hinten und die gefühlvolle elektromechanische Lenkung der Konzern-Plattform. Das passt also. Doch der vorherrschende Eindruck: Satte Power aus dem Stand, feinfühlige Kontrolle mittels Fahrpedal, gut dosierbar zupackende Bremsen – zumindest hier auf dem See fühlt sich das so gar nicht nach Elektroauto an. Der I-Pace reagiert sensibel und sehr fein dosierbar auf Gasbefehle (okay, kein Gas, sondern kWh), lässt sich sauber kontrollieren und zeigt auch auf den holperigeren Abschnitten der verschiedenen Streckenabschnitte mehr als nur einen Hauch von Federungskomfort. Adaptive Dämpfer? Adam Brant lacht, weitere Details würden nicht verraten.

Jaguar I-Pace getarnt Schnee Fahrbericht 2018
Jaguar
Das zentrale Infodisplay in der Mittelkonsole verbirgt sich hinter einer Abdeckmatte. Batterieladung, Restreichweite? Weitere Fragen, die sich hier noch nicht beantworten lassen.

Die nächste Strecke ist etwas enger gesteckt, wie bei einem Skiparcours markieren Standen den Streckenverlauf. Der I-Pace beschleunigt folgsam übers Eis. Keine Spikes, heißt es vor der Fahrt, nicht einmal Winterpneus, testhalber hat der Jaguar Allwetterreifen drauf. Kurze Gerade, Spitzkehre links, anbremsen. Das geht gut, die Bremse scheint hier auf Eis fein dosierbar, schubbert sich in den ABS-Regelbereich. Einlenken, leichtes Untersteuern, wieder aufs Fahrpedal. Mit leicht kontrollierbaren Heckwischer zoomt der I-Pace auf die nächste Gerade. Nach wenigen Runden ist Schluss. Das zentrale Infodisplay in der Mittelkonsole verbirgt sich hinter einer Abdeckmatte. Batterieladung, Restreichweite? Weitere Fragen, die sich hier noch nicht beantworten lassen. Wie sich der Jaguar I-Pace ungetarnt auf Asphalt fährt, dazu ist hier in ein paar Wochen mehr zu lesen. Mit dem Konzeptauto haben wir das aber auch schon ausprobiert – siehe unten.

Im Jag durch den Busbahnhof

Es gibt schönere Orte in London als den Busbahnhof im neuen Olympia-Stadtteil Stratford, der nach den Sommerspielen von 2012 verwaist und eingezäunt dahindämmert. Genau genommen ist so ziemlich jeder andere Ort schöner, denn während nebenan der Verkehr über die Stadtautobahn donnert, weht eine frische Brise Staub und Unrat auf den betonüberdachten Asphalt. Nicht gerade das ideale Umfeld also für das erste Rollout eines Autos, das sich als saubere Lösung für die gehobene Mobilität von morgen und als Zukunft von Jaguar versteht.

Dass ein Konzeptfahrzeug wie der I-Pace ausgerechnet von der gern romantisch verklärten Traditionsmarke kommt, sorgt nur ganz kurz für Irritationen. Schließlich ist das mit Land Rover verbandelte Unternehmen seit der Übernahme durch den indischen Tata-Konzern in permanenter Aufbruchsstimmung, hat neben den nötigen Ressourcen nun erstmals eine klare Strategie und Wachstumsperspektive. Und weil sich das Wappentier ja ebenfalls lautlos anschleicht, passt der Elektroantrieb nicht nur in die Zeit, sondern auch zur Marke.

Jaguar I-Pace mit ungewohnten Proportionen

Zugleich erlaubt der Wegfall konventioneller Motoren und Getriebe ein effizientes Package und eine eigene Formensprache, die auf die Symbolik einer langen Fronthaube verzichten kann. In Verbindung mit dem flachen, rundlichen Dach und fast drei Meter Radstand ergeben sich so etwas ungewohnte Proportionen, und neben dem nur fünf Zentimeter längeren, aber neun Zentimeter höheren F-Pace wirkt die Studie eher wie ein viertüriges SUV-Coupé. Folglich gibt es sowohl im Innen- wie im Kofferraum (530 statt 650 Liter) weniger Platz, wobei das großflächige Glasdach für ein überaus luftiges Raumgefühl sorgt.

Noch augenfälliger sind die Unterschiede zum fülligen Tesla Model X, der mit 5,02 Metern Länge (plus 34 cm) und 1,86 Metern Höhe (plus 12 cm) fast zwei Klassen über dem I-Pace rangiert. Das schafft Platz für drei Einzelsitze in Reihe zwei, zwei zusätzliche Klappsitze im Heck oder bis zu 2.180 Liter Stauraum, bedingt jedoch zusammen mit dem höheren Schwerpunkt und Leergewicht (rund 2.500 statt 2.150 kg) ein weit weniger agiles Handling. Und während der US-amerikanische Elektro-SUV schon in der schwächsten Variante mit 245 kW mindestens 106.800 Euro kostet, soll die Serienversion des Alu-Briten im nächsten Jahr ab 75.000 Euro an den Start gehen.

Serienmodell ist nah am Konzeptauto

Apropos Serie: Die Studie zeigt zwar zu 95 Prozent das finale Design, hat aber weder die künftige Antriebs- und Fahrwerkstechnik noch ein funktionsfähiges Infotainment an Bord. Außerdem repräsentiert das handgefertigte Einzelstück einen siebenstelligen Euro-Betrag und zierte nach seiner Weltpremiere in Los Angeles in der neuen Farbe Photon Red den Jaguar-Stand auf dem Genfer Salon. Trotzdem dürfen wir vorher eine kurze Strecke fahren und erste Eindrücke sammeln.

So viel steht bereits fest: Das Interieur weckt Vorfreude auf eine coole Lounge-Atmosphäre mit flexiblen Lichtstimmungen, das Cockpit bettet drei Digitaldisplays für Instrumente, Multimedia und Klimatisierung mit Touchscreen-Bedienung in ein modernes, stilvolles Umfeld.

Jaguar I-Pace Concept Fahrbericht Bernd Stegemann
Jaguar
Das Interieur weckt Vorfreude auf eine coole Lounge-Atmosphäre.

Als Antrieb dienen zwei kompakte Elektromotoren mit je 147 kW, die Vorder- und Hinterachse antreiben und von einer Lithium-Ionen-Batterie mit 90 kWh gespeist werden. Wenn man nicht ständig die fulminante Spurtkraft des Stromers (0 auf 100 km/h in vier Sekunden) ausnutzt, soll die Energie für bis zu 500 Kilometer Fahrt reichen und sich in nur 90 Minuten wieder zu 80 Prozent laden lassen.

Obwohl Achsen und Lenkung aus dem F-Type stammen, wurde fast das ganze Projekt samt Batterien, E-Motor und Steuereinheit neu entwickelt – in nicht mal drei Jahren. Da herrschte eben nicht nur Hochspannung, sondern auch Hochdruck.

Fazit

Der I-Pace begeistert durch seinen kräftigen, unnachgiebigen Antritt sowie ordentliche Reichweite bei normaler Fahrweise. Die durchschnittliche Materialanmutung passt jedoch nicht zum selbstbewussten Preis des E-SUV. Trotzdem hat es Jaguar nach nur vier Jahren Entwicklungszeit geschafft einen echten Tesla-Model-X-Gegner auf den Markt zu bringen, während die deutschen Hersteller noch eine Elektrostudie nach der anderen präsentieren.

Technische Daten
Jaguar I-Pace EV 400 First Edition
Grundpreis101.850 €
Außenmaße4682 x 2011 x 1565 mm
Kofferraumvolumen656 bis 1453 l
Leistung294 kW / 400 PS bei 4250 U/min
Höchstgeschwindigkeit200 km/h
Verbrauch0,0 kWh/100 km