Mercedes-AMG GT R im Test
Sportwagen mit Biturbo-V8 schneller als 918

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Der Mercedes-AMG GT R ist das schnellste Serienfahrzeug, das sport auto je auf der Nordschleife gemessen hat. Mit der Fabelrundenzeit von 7.11 Minuten verdrängt er den Porsche 918 Spyder von der Spitze. Protokoll eines ultraschnellen Testtages.

Mercedes-AMG GT R, Frontansicht
Foto: Hans-Dieter Seufert

Rechts, links, rechts – im Augenwinkel blitzt die LED noch zweimal kurz weiß auf. Ein letztes Aufflackern der Traktionskontrolle, die letzten Kurven, dann ist die Überraschung perfekt. Der Mercedes-AMG GT R legt auf der Nordschleife eine Fabelrundenzeit von 7.11 Minuten hin. Damit ist er das schnellste Serienfahrzeug, das sport auto in seiner seit 1997 währenden Testhistorie auf der Nordschleife gefahren und gemessen hat.

Traktionskontrolle à la Renn-GT

4. November 2016, Chronologie des Testtages. Die Nordschleifen-Saison ist quasi schon beendet. Das letzte Zeitfenster für Industrie-Testfahrten, nach denen normalerweise unsere Zeitrunden am Ring gefahren werden, liegt schon eine Woche zurück. Und dann ergibt sich doch noch einmal die Chance, im Rahmen eines Testtages für GT3-Rennfahrzeuge mit dem Straßensportler anzutreten. Eigentlich war der Plan mit dem Mercedes-AMG GT R ein anderer: Vor der Saisonpause und den Schlechtwettermonaten sollte nur die Rundenzeit auf der Nordschleife für den Supertest im Frühjahr vorproduziert werden. Da die Zeit so überraschend schnell geworden ist, lüfteten wir aber schon früher das Geheimnis.

Race-Modus aktivieren, ESP deaktivieren, und anschließend klickt es viermal. Der hörbar einrastende Drehregler der neunfach verstellbaren Traktionskontrolle erinnert schwer an jenen im AMG-GT3-Rennwagen. Gut sichtbar sitzt der knallgelbe Regler unterhalb der vier Lüftungsdüsen. Die Traktionskontrolle funktioniert nur mit komplett deaktiviertem ESP. Für die schnelle Runde steht die TC auf Stufe vier – drei gelbe und eine rote LED flankieren jetzt den Drehregler.

Heizdecken runter, auf geht's. Bevor hier einer etwas von unlauterem Wettbewerb munkelt: Die Heizdecken wurden nur verwendet, weil die Außentemperatur am Testtag mit 4 Grad Celsius extrem niedrig war. Auch vor der Supertestrunde des Renault Clio R.S. 220 Trophy mit Semislicks wurden aus ähnlichen Gründen Heizdecken verwendet. Ganz klar: Bei solchen Außentemperaturen lassen sich Cupreifen nur äußerst schwer auf die richtige Arbeitstemperatur bringen. Daher muss hier höchste Vorsicht walten.

Spezialisierte Track-Reifen für den AMG GT R

Beim Thema Cupreifen sind wir schon bei der zweiten Neuerung des GT-Topmodells. Neben den serienmäßigen Sportreifen vom Typ Michelin Pilot Sport Cup 2 gibt es für den Mercedes-AMG GT R nochmals spezialisierte AMG-Track-Reifen mit Straßenzulassung. Letztere stammen auch von Michelin und nennen sich ebenfalls Cup 2. Die Konstruktion, die Mischung und das extrem hohe Gripniveau erinnern schwer an die Cup 2, die die Corvette Z06 trägt. Diese Reifen wurden aber für den GT R speziell entwickelt und können über die Individualabteilung (AMG Performance Studio) bestellt werden.

Rein in die neuen Vollschalensitze mit sehr gutem Seitenhalt und tiefer Sitzposition. Einführungsrunde, Zeit, den Mercedes-AMG GT R weiter vorzustellen. Die Optik erinnert schwer an seinen GT3-Rennwagenbruder. Vorne ist das neue Modell 46 mm breiter als die bisherigen GT-Versionen. Das Heck wuchs um 57 mm in die Breite. Der fest stehende Heckflügel ist Teil der umfangreich modifizierten Aerodynamik. Der GT R trägt beispielsweise im Unterboden ein aktives Aero-Element, das automatisch ausfährt, und ein aktives Luftregelsystem hinter der Frontschürze.

Großes Lob für das hohe Gripniveau im Mercedes-AMG GT R

Hinter dem neuen Kühlergrill sitzt der bekannte Vierliter-Biturbo. Im GT R zündet AMG eine neue Ausbaustufe des V8. Mit 585 PS leistet das Triebwerk, dank Detailmodifikationen und höherem Ladedruck, jetzt 75 PS mehr als im GT S. Noch gewittergrollender als bisher bollert der Extremsportler im Race-Modus durch seinen neuen Titan-Endschalldämpfer.

Feuer frei, Attacke auf der Nordschleife. Die 585 PS treiben den Pulsschlag nicht so extrem hoch wie noch die 670 PS im Supertest des Ferrari 488 GTB. An den massiven Vortrieb des 488 GTB musste man sich auf der Nordschleife erst einmal gewöhnen. Im AMG GT R fühlst du dich im Test schon beim ersten Mal Vollgas auf der Quiddelbacher Höhe wohl. Der GT R ist gut motorisiert, aber nicht übermotorisiert.

Anfahrt Doppelrechts, Streckenabschnitt Flugplatz. Zum ersten Mal spürt man die optimierte Aerodynamik. Der Supersportwagen rauscht locker über 10 km/h schneller als der GT S durch diese Nordschleifen-Passage. Nicht nur das Plus an Aero, auch die neu abgestimmte Lenkung fällt hier das erste Mal positiv auf. Um die Mittellage reagiert die Hydrauliklenkung des Mercedes-AMG GT R präzise, aber nicht mehr ganz so spitz wie noch im GT S. Den GT S überlenkte man auf den ersten Runden schnell und war zunächst mit eher eckigen Fahrmanövern unterwegs – im GT R freundet man sich sofort mit der Lenkung an.

Zu der hohen Fahrstabilität bei Lenkmanövern tragen neben dem neu entwickelten Gewindefahrwerk mit dreifach verstellbaren Adaptivdämpfern (Nordschleife: Dämpfer in Sport Plus) und Uniball-Gelenklagern an den unteren Querlenkern der Hinterachse auch die erstmals bei AMG eingesetzte Hinterachslenkung bei. Ähnlich wie bei den aus unterschiedlichen Porsche-Modellen bekannten Hinterachslenkungen werden auch beim GT R die konventionellen Spurlenker der Hinterachse durch zwei Lenkungsaktuatoren ersetzt, welche die Hinterräder in Abhängigkeit des Fahrzustandes gleichsinnig oder gegensinnig zur Vorderachse einlenken. Insgesamt passt beim GT R die Abstimmung der direkt, aber nicht zu spitz einlenkenden Vorderachse und das Gripniveau an der Hinterachse perfekt zusammen.

Mercedes-AMG GT R, Seitenansicht
Hans-Dieter Seufert
Im Spotlight: Kein anderer Straßensportwagen war bislang in einem Test von sport auto schneller als der AMG GT R.

Schneller durch die Mutkurve war keiner

Im Vergleich zum GT S hat der GT R durch die Fahrwerksmodifikationen und die neu entwickelten Sportreifen einen signifikant höheren mechanischen Grip zu bieten. Vor allem in den langsameren Bergabpassagen hinter Metzgesfeld bis Wehrseifen, aber auch ab Hohe Acht bis ins Brünnchen klebt die Hinterachse quasi auf der Ideallinie. Keine unerwünschten Seitwärtsschritte oder spürbaren Lastwechselanfälligkeiten verbreiten hier Misstrauen. Im Gegenteil: Gerade in diesen hängenden Streckenabschnitten vermittelt der Mercedes-AMG GT R im Grenzbereich mehr Vertrauen als je ein anderer Sportwagen zuvor. Dementsprechend viel Zeit macht der Extremsportler hier gut.

Auch auf den schnellen Streckenabschnitten kann man dem Sportwagen mit Biturbo-V8 vertrauen. Mit 277 km/h rennt er mit Volllast über die Kuppe am Schwedenkreuz. Der GT R geht dabei im Test kurz und gleichmäßig aus den Federn, um sich danach schnell wieder zu setzen, ohne nervös zu werden – genau so muss das an dieser Stelle sein. Im Kesselchen kann man ebenfalls erstaunlich lange und subjektiv auch länger als bei allen anderen Sportwagen „stehen lassen“. Die ultraschnelle Rechts-Links-Kombi mit den starken Bodenwellen am Ende des Kesselchens nimmt der GT R dank der sehr guten Mischung aus aerodynamischem und mechanischem Grip erstaunlich schnell.

Mercedes-AMG GT R, Heckansicht
Hans-Dieter Seufert
Egal, ob schnelle oder langsame Kurve, ebener oder buckliger Asphalt: der AMG GT R schafft überall Vertrauen.

In der anschließenden Mutkurve kommt dann die Reifeprüfung für die Traktionskontrolle. In dieser Kurve blüht die Fantasie im Gehirn immer besonders: Wenn du hier abfliegst, finden sie dich im Wald nie wieder. Viel zu tun hat die Traktionskontrolle in Stufe 4 auch in der Mutkurve nicht, aber der sportliche Rettungsanker stärkt das Selbstvertrauen des Piloten. Nur zweimal blitzen die TC-LED im Scheitelpunkt und am Kurvenausgang kurz auf. Mit 179 km/h stürmt der GT R so schnell und traktionssicher durch die Mutkurve wie kein anderer Sportwagen auf einer von sport auto gemessenen Runde zuvor. Blick in die bisherige Bestenliste: Porsche 918 Spyder 174 km/h, Gumpert Apollo 174 km/h, Ferrari 488 GTB 173 km/h.

Zwei Sekunden schneller als der 918 Spyder

Die Eingriffe der Traktionskontrolle in Stufe 4 sind auf der Nordschleife fast gar nicht zu spüren. Lediglich beim aggressiven Herausbeschleunigen aus dem Adenauer Forst, als das Heck unter Last drückt, merkt man einen sanften TC-Eingriff. Insgesamt arbeitet die Traktionskontrolle sehr feinfühlig. Je nach Fahrerwunsch kann der Schwimmwinkel beim Herausbeschleunigen über den Drehregler justiert werden. Muffensausen, dass einem das Heck unter Last entgleitet, muss man mit diesem System definitiv nicht mehr haben.

Die optionale Keramikbremsanlage überzeugt nicht nur mit hoher Verzögerung, sondern auch mit der sehr guten Abstimmung des ABS auf die Cupreifen. Unglaublich, wie spät man mit dem GT R bremsen kann. Dank der neben dem traditionellen 2D-Messgerät mit an Bord befindlichen Messtechnik von Race Navigator samt Live-Timing wird einem immer mehr bewusst, dass der GT R da gerade auf dem Weg zu einer Sensation ist. Auf der Döttinger Höhe hast du dann plötzlich Gefühle, die Andy Brehme 1990 im WM-Finale am Elfmeterpunkt gehabt haben muss. Triffst du, ist alles gut, versemmelst du ihn, bist du der ... Bloß nicht ans Versemmeln denken. 294, 295, 296 km/h, einlenken, Vollgas durch die Highspeed-Links nach der Brücke an der Antoniusbuche, 297, 298, 299, 300, 301, 302 km/h – anbremsen Senke Tiergarten.

Sechs Kurven später rennt der Mercedes-AMG GT R nach genau 7.10,92 Minuten über die Ziellinie am Streckenabschnitt T13. Mit einer aufgerundeten Zeit von 7.11 Minuten landet der Extremsportler von AMG vor dem bisherigen Erstplatzierten in der Nordschleifen-Bestenliste von sport auto. Der GT R überholt damit keinen Geringeren als den 887 PS starken Hybrid-Supersportler Porsche 918 Spyder, mit dem mein Supertest-Vorgänger in 7.13 Minuten die Nordschleife umrundete (sport auto 6/2014). Der offizielle Rundenrekord, den Vollblutprofi Marc Lieb mit dem 918 in 6.57 Minuten aufstellte, hat indes weiter Bestand. Doch heute gebührt das Lob anderen: Herzlichen Glückwunsch an Mercedes-AMG für diese Meisterleistung!

Fazit

Wahnsinn, da hätte ich eher auf meinen akut abstiegsbedrohten Herzensfußballverein gewettet als auf die Bestzeit durch den Mercedes-AMG GT R auf der Nordschleife. Das soll nicht respektlos klingen, aber wer hätte gedacht, dass der GT R unglaubliche 25 Sekunden schneller sein wird als der GT S? Beeindruckend ist nicht nur, dass er so viel schneller ist, sondern wie der GT R diese Fabelzeit realisiert. Du brauchst keine lange Eingewöhnungsphase, sondern fühlst dich im Grenzbereich sofort wohl. Vor der Bestzeit wurden lediglich fünf schnellere Runden absolviert. Für das schnelle Vertrauen am Limit ist die grandiose Fahrbarkeit dank des sehr hohen Gripniveaus verantwortlich. Liebe AMG-Entwicklungstruppe, bei uns in sport auto wurden manche Fahrzeuge von euch schon als „hüftsteif im Grenzbereich“ kritisiert. Wir kritisieren offen, aber wir loben auch ebenso offen. Ohne Wenn und Aber: Mit dem Mercedes-AMG GT R ist euch eine großartige Entwicklung gelungen!

Technische Daten
Mercedes AMG GT R R
Grundpreis166.481 €
Außenmaße4551 x 2007 x 1284 mm
Kofferraumvolumen350 l
Hubraum / Motor3982 cm³ / 8-Zylinder
Leistung430 kW / 585 PS bei 6250 U/min
Höchstgeschwindigkeit318 km/h
Verbrauch11,4 l/100 km