Vorschau 24h-Rennen Nürburgring 2012
Siegkandidaten: Power schlägt Springer

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Mit Audi und BMW stehen sich beim 24h-Rennen 2012 zwei Könige auf dem Schachbrett des Nürburgrings gegenüber. Porsche und Mercedes stehen immerhin mit bedeutenden Damen auf dem Feld der Ehre. Können die Springer wie McLaren oder Corvette für Furore sorgen?

24h-Rennen Nürburgring, Startaufstellung
Foto: Rossen Gargolov

Wenn Rennfahrer nur über die Stärken der Gegner reden und dann weitläufig eigene Schwächen auflisten, sind die Naturgesetze offensichtlich außer Kraft gesetzt. „Die Porsche sind pfeilschnell auf den Geraden, wir haben keine Chance“, stöhnten die Piloten von Audi und BMW bei den ersten beiden VLN-Läufen 2012. „Der BMW hat Abtrieb bis zum Abwinken, die Audi sind in den Highspeed-Kurven bockstark“, hallte es aus dem Lager der Porsche-Treter zurück.

Im Motorsport, wir wissen es alle, überleben nur die Stärksten und Besten. In der Evolutionstheorie von Charles Darwin freilich bedeutet „survival of the fittest“ etwas anderes – nämlich dass die am besten angepasste Art überleben wird.

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24h-Rennen ist der Saisonhöhepunkt am Nürburgring

Womit wir endgültig am Nürburgring angekommen wären. Die VLN-Rennen dienen als Vorbereitung zum Saisonhöhepunkt, dem 24h-Rennen am 19. und 20. Mai 2012. Und sie dienen dem Veranstalter dazu, die unterschiedlichen Siegkandidaten zu bewerten und so einzustufen, dass sie beim großen Ringblasen im Mai ungefähr gleichschnell fahren – schließlich wollen die Fans ein fettes Rennen sehen.

Wer zu schnell fährt wird bestraft

Anpassung ist also in der Tat erforderlich, will man beim 24h-Rennen am Nürburgring eine reelle Chance haben. Denn wer in der Vorbereitung zu schnell fährt, den bestraft der Technikausschuss – mit kleineren Restriktoren oder sogar mit einem Gewichtszuschlag. Alle Hersteller versuchen also, ihre wahre Leistungsfähigkeit minutiös zu verschleiern, um die sogenannte Balance of Performance (BOP) auszutricksen. Nun könnte man sich auf den Standpunkt zurückziehen, so lange alle Wettbewerber um den gleichen Prozentsatz langsamer fahren, sei ja alles in Ordnung.

Leider gibt es dafür keine Garantie. Halten wir dem Technikausschuss und ihrem Vorsteher, Norbert Kreyer, zugute, dass sie in den letzten Jahren vorzügliche Arbeit geleistet haben. Zur Erinnerung: 2011 waren fünf Topmodelle von vier Herstellern im Mittel ihrer 75 schnellsten Rennrunden in einem unfassbar engen Korridor von 2,6 Sekunden eingemauert – und das bei einer Rundenzeit von 520 Sekunden! Das kommt fast der Hexerei gleich, besonders wenn man bedenkt, dass die Hersteller fortwährend am Jaulen (eigene Performance) oder am Kläffen (Performance der Gegner) sind.

GT3-Rennwagen als Sieger beim 24h-Rennen

Die wenig kühne Behauptung, dass sich die Fans abermals auf ein grandioses Spektakel freuen dürfen, stützt sich auf die Information, dass 2012 nur Fahrzeuge einer Klasse um den Sieg fahren werden. GT3 – oder die Special-Klasse SP9 – ist die Wahl aller beteiligten Hersteller, während die GT2- oder Hybrid-Fahrzeuge im Bereich der werksunterstützten Einsätze beim 24h-Rennen am Nürburgring vollständig verschwunden sind.

„Dies führt zu einer gewissen Begradigung im Feld“, gibt auch BOP-Zampano Norbert Kreyer zu, „denn die GT3-Autos der deutschen Hersteller sind uns seit Jahren bekannt.“ Dennoch haben die Ring-Schiedsrichter noch eine Portion Arbeit vor sich, um das Rudel zusammenzuführen. Denn seit 2011 sind jährliche Technik-Updates in der GT3-Klasse erlaubt – so beginnt das Würfelspiel jedes Jahrs aufs Neue.

Blick auf die Vorrennen sagt nichts aus

Das Studium der Resultatslisten und Rennrunden aus der VLN kann man sich getrost sparen: ALLE Teams setzen auf sogenannte „target lap times“, Zielrundenzeiten, die den Fahrern vorgegeben werden, um dem Technikausschuss keinen Anlass zum Eingreifen zu bieten. Dabei fahren die Piloten in der VLN keineswegs spazieren. Vielmehr sind die Fahrzeuge so eingestellt, dass sie gar nicht schneller fahren können. Die Teams regeln das über Motor-Mapping, Aero-Konfiguration oder Reifenspezifikation. Um sicher zu gehen, erhalten die Piloten pro Runde bis zu fünf Sektorzeiten und werden somit informiert, ob sie im gewünschten Fenster liegen. Kein Fahrer muss also vorm Zielstrich auf die Bremse latschen, um nicht schneller als 8.20 Minuten zu fahren ...

Das Rangeln um die Rundenzeiten ist verständlich, denn das BOP-System am Ring sieht vor, dass alle Autos neun Runden fahren. Weil die Verbräuche je nach Motorkonzept differieren, wurde auch die Standzeit mittels Tankdurchflussrestriktor so normiert, dass das Nachtanken von 100 Liter ebenso lange dauert wie das Nachfüllen von 120 Liter – nämlich exakt 144 Sekunden. Zu deutsch: Nachtankzeit, Standzeit und Reichweite fallen als Wettbewerbsfaktoren aus. Teams und Hersteller haben dennoch genügend Stellschrauben, um die Performance zu liften: Fahrerwahl, Strategie, Teamleistung und Reifen werden ganz bewusst nicht über BOP geregelt.

Wer siegt beim 24h-Rennen am Nürburgring 2012?

Vier deutsche Hersteller werfen rassige GT3-Rösser in die Ring-Schlacht: Audi, BMW, Mercedes und Porsche. Die erste Trennlinie ist die Frage der Werksunterstützung: Mercedes macht prinzipiell keine Werkseinsätze, Porsche hat sich förmlich zurückgezogen, Audi und BMW fahren ebenso förmlich mit Werksunterstützung.

Somit sind Audi und BMW in der Favoritenrolle beim 24h-Rennen am Nürburgring 2012. Porsche hat sich mit dem Argument ausgeklinkt, GT3 sei Kundensport und BOP prinzipiell undurchsichtig. Mit dieser Ansicht stehen sie freilich allein, weshalb Vermutungen aufkeimten, es handele sich wohl eher um eine konzerninterne Absprache: Ohne Porsche hat Audi einen Gegner weniger ...

Doch Vorsicht, es gibt da ein gallisches Widerstandsnest, und dort wohnt der Ring-Druide Olaf Manthey und braut einen Zaubertrank: Der Nadelstreifen-Elfer rollte schon in der VLN auf den Vignetten-Reifen von Michelin, dazu fahren mit Lucas Luhr, Romain Dumas und Marc Lieb drei Piloten, die ihre Qualitäten auf der Nordschleife schon oft unter Beweis gestellt haben.

Die Audi-Truppe beim 24h-Rennen

Dennoch: Die Kombination aus Quantität und Qualität spricht für Audi und BMW. Die Ingolstädter bringen mit dem Werks-Team Phoenix Racing zwei renovierte Audi R8 LMS ultra an den Start beim 24h-Rennen am Nürburgring. Bei den Fahrern gibt es keine Kompromisse mehr, weil die DTM-Piloten zeitgleich in Brands Hatch antreten. Mit Marc Basseng, Markus Winkelhock und Christopher Haase sowie Marcel Fässler, Christopher Mies und René Rast sitzen Ring-Spezialisten im Cockpit. Frank Stippler ist als Springer auf beiden Fahrzeugen genannt.

Als Kundenteams treten zudem Mamerow Racing (Chris Mamerow, Armin Hahne, Michael Ammermüller und Christer Jöns), Raeder Motorsport sowie das belgische WRT-Team an. Die Audi Race Experience bringt zwei weitere R8 an den Start, was das Kontingent auf sieben Autos erhöht. Vier der fünf Kundenteams können sich übrigens im Vorfeld des 24h-Rennens am Nürburgring für den Einsatz der besonders griffigen Vignetten-Reifen von Michelin qualifizieren.

Audi war schon im letzten Jahr, bezogen auf die reine Pace, ein Siegkandidat für das 24h-Rennen am Nürburgring. Doch der hohe Verbrauch führte dazu, dass man nur acht Runden pro Stint fahren konnte. „In diesem Jahr schaffen wir neun Runden“, so Kundensport-Leiter Romolo Liebchen.

Die BMW-Mannen beim 24h-Rennen

Die bayerischen Nachbarn aus München sind die härtesten Audi-Widersacher: Das Schubert-Team aus Magdeburg setzt zwei exzellent besetzte Z4 GT3 (Dirk Adorf, Uwe Alzen, Jörg und Dirk Müller, Claudia Hürtgen, Nico Bastian, Dominik Schwager) ein. Dazu kommen zwei Z4 GT3 vom Bartels-Team. Auch hier treten Könner aufs rechte Pedal: Jens Klingmann, Marco Wittmann, Richard Göransson, Pedro Lamy.

Beide Teams konnten in den VLN-Rennen ihre Wettbewerbsfähigkeit unter Beweis stellen, Schubert holte gar einen Sieg. Es gibt aber Unterschiede: Die Bartels-Mannschaft fährt mit Michelin-Reifen, Schubert mit Dunlop-Pneus. Bei extrem kühlen Temperaturen könnten hier Unterschiede bei der Leistungsfähigkeit zu Tage treten.

Über den Winter wurde der Z4 von BMW Motorsport nochmal gründlich in die Mangel genommen, zum zweiten Mal in Folge: neue Aerodynamik, überarbeitetes Fahrwerk, neues Chassis, modifiziertes Triebwerk, verfeinerte Elektronik mit ESP – keine Schraube blieb unangetastet. Jedoch hat sich ein Wurm eingeschlichen: Die neue Hinterachse sollte Limitierungen beim mechanischen Grip sowie der Justierbarkeit ausräumen, doch das externe Konstruktionsbüro hat sich böse verrechnet. Nun müssen die Nürburgring-Teams weiter mit der alten Achse fahren – doch auf die Ergebnisse scheint dies im Moment keinen Einfluss zu haben.

Die Sternfahrer beim 24h-Rennen

Dass auch Mercedes beim 24h-Rennen am Nürburgring ganz vorne mitgeigen kann, hat das Mamerow-Team im letzten Jahr bewiesen. Doch Mamerow fuhr 2011 Michelin-Reifen – nach herkömmlicher Lesart ein Schlüsselstein im Ring-Puzzle. Drei Kunden-Teams tragen 2012 die Erwartungen von AMG – und alle drei Teams treten mit unterschiedlichen Reifen-Partnern auf: Heico setzt auf Hankook, Black Falcon auf Yokohama und Rowe Racing auf Dunlop. Bei den VLN-Rennen hielt man sich dezent im Hintergrund. Nur ein Schachzug – oder fehlte es an Speed?

Die Favoriten beim 24h-Rennen am Nürburgring

Vier Top-Audi, vier Top-BMW, sechs Mercedes, ein Top-Porsche – wer kann diesen 15-Wagen-Koloss knacken? Bei gut 30 GT3-Wagen sind Überraschungen beim 24h-Rennen immer drin. Man denke nur an die stark besetzten Porsche-Teams wie die Früh-Kölsch-Truppe von Klaus Abbelen, Haribo Racing oder das Falken-Team.

Im Moment gibt es aber keine Indizien dafür, dass die zahlreich vertretenen Exoten für Überraschungen sorgen könnten. Die GT3-McLaren haben bisher weder Speed noch Zuverlässigkeit noch gute Fahrbarkeit erkennen lassen. Bei Aston Martin und dem Young-Driver-Team geht es primär darum, mit dem neuen V12 Vantage GT3 Erfahrungen zu sammeln, um dann 2013 das Hackebeil am Ring auszupacken. Auch der kultige Ford GT von Jürgen Alzen ist primär ein Schmaus für Augen und Ohren. Der Ferrari P4/5 des US-Milliardärs James Glickenhaus tritt zwar in diesem Jahr mit Michelin-Reifen und 50-kW-Hybridsystem an – doch eine signifikante Formsteigerung war deshalb nicht zu erkennen.

Ein Ass haben die Renngötter noch im Ärmel: Den deutschen Vierkampf an der Spitze könnte ein amerikanisches Muscle Car sprengen. Callaway Competition bringt in einem Joint-Venture mit Haribo Racing eine GT3-Corvette an den Start. Das US-Kampfschiff glänzte schon vor zwei Jahren in der VLN mit gutem Speed, diesmal sollen vier Profis den Flachmann durch die Eifelwälder prügeln. Mit von der Partie sind angeblich Richard Westbrook, Tommy Milner und Daniel Keilwitz. Callaway-Boss Ernst Wöhr dämpft überzogene Erwartungen: „Wir haben wenig Erfahrung über die Ultradistanz und noch weniger Erfahrung auf der Nordschleife.“ Dann zählt Wöhr noch die Stärken der Gegner auf – aber das kennen wir ja schon.

Weitere Informationen gibt es auf der Themenseite zum 24h-Rennen auf dem Nürburgring.

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Erscheinungsdatum 04.02.2022

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