Interview mit Aston-Martin-CEO Tobias Moers
„Valhalla wird ein PHEV mit V8-Mittelmotor “

Tobias Moers ist seit August 2020 Chef von Aston Martin. Im Interview spricht er über die Stärken der Marke, was sie künftig nicht und was sie stärker selbst machen wird sowie den Umfang der Kooperation mit Mercedes-AMG.

Tobias Moers, CEO von Aston Martin
Foto: Aston Martin
Bei Mercedes-AMG kommen allmählich jene Elektrifizierungs-Projekte auf die Straße, die unter Ihrer Führung dort entwickelt wurden. Müssen Sie bei Aston Martin nun von vorne anfangen?

Es besteht ein Technologie-Abkommen zwischen Mercedes und Aston Martin, das auch die Performance-Hybride beinhaltet. Ich muss also nicht bei null anfangen wie ich es woanders gemacht habe. Wir haben die Möglichkeit, diese Komponenten einzusetzen. Das Abkommen beschreibt im Prinzip den Tausch Anteile an Aston Martin gegen Technologie. Da ist so ein DBX als Plug-In-Hybrid durchaus vorstellbar.

Unsere Highlights
Gerade in diesem Segment scheint das aktuell dringend nötig, oder?

Ja, klar, nicht nur dort. Aber wir müssen einen Schritt nach dem anderen gehen. Es dauert zunächst mal eine gewisse Zeit, Stabilität ins Unternehmen zu bringen. Im Prinzip machen wir zwei Dinge gleichzeitig: Den Turnaround der Firma einerseits, die Definition neuer Produkte andererseits, was auch eine strategische Erweiterung des Portfolios beinhaltet.

Bezüglich des Turnarounds: Hat sich Aston Martin mit einem eigenen Werk in Wales und einer eigenen, komplett neuen Fahrzeugarchitektur für den DBX zu viel zugemutet?

Von außen betrachtet, mag es merkwürdig sein, dass wir eine eigene Architektur entwickelt haben. Jetzt, da ich das Unternehmen aus einer anderen Perspektive kenne, weiß ich: Das kann niemand besser und effizienter als Aston Martin, ehrlich. Es war es wert, das zu tun. Nur deshalb fährt der DBX so gut wie er fährt, eben weil da keine Konzern-Plattform oder sowas drunter steckt. Der Rohbau mit der speziellen Klebe-Technologie ist die Kompetenz der Marke schlechthin, das hat mich wirklich überrascht, wie effizient das geht. Das ist unsere Kompetenz. Unsere Kompetenz ist sicher nicht, eine elektrische Architektur selbst zu entwickeln. Und auch Verbrennungsmotoren selbst zu entwickeln, ist vielleicht nicht so unsere Stärke. Da die Verbrenner ebenso wie die E/E-Architektur (Elektrik/Elektronik, Anm. d. Red.) von Mercedes kommen, konzentrieren wir uns auf die Elektrifizierung der Antriebe. Und wir investieren in den Ausbau und die Neudefinition des Angebotes, in die Modellpflege der Sportwagen und die Erweiterung der DBX-Reihe beispielsweise. Beim DBX ist die Plattform nun mal da, jetzt müssen wir so viel wie möglich da rausholen. Sicher, die Ziele sind ambitioniert, es kommen mittelfristig neue Derivate und Varianten, ein komplett neues Auto ebenfalls, voraussichtlich ab 2023. Da wären wir dann auch mit einem Plug-In-Hybrid noch rechtzeitig auf dem Markt.

Das komplett neue Auto ist dann ein Lagonda?

Es ist noch etwas zu früh, um darüber zu sprechen.

Bemerkenswert, dass es für Sie nicht zu den Kerneigenschaften der Marke zählt, Verbrennungsmotoren zu entwickeln. Sah das Aston Martin selbst bislang nicht anders?

Naja, wir haben ja noch den V12-Motor. Dem bringen wir gerade Fahrbarkeit bei, der macht jetzt richtig Spaß. Und die Verbrenner für die Mittelmotor-Sportwagen müssen wir schon selber machen. Aber da können wir auf den Baukasten zurückgreifen.

Welchen Baukasten meinen Sie genau?

Den Achtzylinder-Baukasten.

Also doch eine Ableitung des AMG-Triebwerks.

Ja.

Dabei war für den Valhalla doch ein komplett eigenständiger V6-Motor in der Entwicklung.

Ja, das war so.

Und ist jetzt offenbar nicht mehr so. Aber es bleibt bei einem V6-Motor?

Nein. Größer. Und elektrifiziert, natürlich. Ein Mittelmotor-Sportwagen als Plug-In-Hybrid, mit elektrischer Vorderachse und Elektrifizierung im Motor-Getriebe-Verbund. Es ergibt mehr Sinn, darin zu investieren.

Dabei steht vermutlich nicht die elektrische Reichweite im Fokus, sondern eine hohe Dauerleistung mit hoher Rekuperationsleistung.

Bei einem Mittelmotor-Sportwagen gilt es natürlich einen guten Kompromiss aus Gewicht und Reichweite zu finden. Aber 25 bis 35 Kilometer rein elektrisch müssen schon möglich sein.

Aber für einen DBX-PHEV wäre mehr Reichweite wichtig, um beispielsweise in Deutschland ein E-Kennzeichen zu bekommen oder ist das für Aston Martin-Kunden weniger relevant?

Man kann hier nicht nur den deutschen Markt sehen. Die Reichweiten generell werden immer größer, das wissen Sie. Die Zulassungsvoraussetzungen werden ja auch immer strenger. China ist da noch fokussierter. Für den DBX peilen wir zwischen 45 und 50 Kilometer an.

Nicht mehr?

Nein, denn dann ist es zum Elektroauto nicht mehr weit. Wir bauen das DBX-Angebot kontinuierlich aus, dieses Jahr kommt eine Variante, 2022 die nächste. Meines Erachtens geht es da einem italienischen Wettbewerber etwas zu gut, da sollten wir dagegenhalten. Da bin ich sehr zuversichtlich, dass uns das gut gelingt. Und 2023 reden wir dann vom Plug-In-Hybrid.

Zunächst stehen also dynamischere Varianten auf der Agenda. Beteiligt sich Aston Martin künftig auch am Rundenrekord-Wettstreit auf dem Nürburgring?

Ich bin mir nicht sicher, wie wichtig das wirklich ist. Und ich weiß auch nicht, wie wichtig das für die Marke Aston Martin ist. Tatsache ist: Aktuell gibt es hinsichtlich der Agilität auf der Landstraße keinen besseren SUV als den DBX. Mag sein, dass ein anderer auf der Rennstrecke besser ist. Vielleicht sollten wir Rundenrekorde zunächst anderen überlassen. Wenn wir einen stärkeren DBX bringen, der noch mehr Spaß auf der Landstraße macht und möglicherweise auch ein dominanteres Erscheinungsbild bekommt, dann könnte uns das mehr bringen.

Womöglich hat Aston Martin viel größere Sorgen als Rundenrekorde. Was bereitet Ihnen derzeit besonders viel Kopfzerbrechen?

Nicht ohne Grund fahren wir gerade eine Qualitätsoffensive. Das beginnt bei demr Bestellungsprozess der Teile beim Lieferanten über die Lieferkette bis hin zum Bau, zur Lackierung des Autos. Wie viele Leute benötigen wir bei der Nacharbeit? Um alles das geht es. Wir reden hier nicht von einer drei- bis vierprozentigen Effizienz-Steigerung, sondern von ca30 35 bis 40 45 Prozent. Die Frage, wie wir die operativen Verluste minimieren, hat nicht zuletzt mit der Produktions-Logistik zu tun. Von Oktober bis Dezember vergangenen Jahres haben wir alles definiert, was zu tun ist und befinden uns nun in der Umsetzung. Beispielsweise lackieren wir nun alle Fahrzeuge in der neuen Lackiererei in St. AEthan, in Gaydon haben wir eine Linie geschlossen, alle Fahrzeuge auf eine gemeinsame Linie gebracht. Es gab eine eigene Manufaktur für den Valkyrie, die haben wir geschlossen. Der wird ebenfalls in Gaydon gebaut. Viel Konsolidierung also.

Eingangs haben Sie sehr euphorisch über die Innovationskraft von Aston Martin, speziell beim Rohbau gesprochen. Welche Eigenschaften des Teams helfen Ihnen noch bei der Umsetzung der Qualitätsoffensive?

Ich habe eine gewisse Lernkurve bei Aston Martin hinter mir und diese Rohbau-Kompetenz ist wirklich einzigartig. Das müssen wir ausbauen. So können wir effizient das Portfolio erweitern und die Plattformen nutzen. Das ist wirklich klasse. Und nein, ich investiere kein Geld mehr in eine eigene Elektronik-Architektur. Aber ich investiere sehr wohl Geld in das Erleben des Autos für den Kunden. Wie erlebt der Kunde einen Aston Martin? Das wird anders in Zukunft, die User Experience wird anders. Das bauen wir künftig selbst.

Was genau baut Aston Martin selbst?

Alles im Bereich Human Machine Interface, das vernetze Auto, Infotainment. Das definieren wir künftig eigenständig. Die Architektur dahinter kommt weiterhin von Mercedes. Es geht darum, wofür die Marke steht, das Erleben von Luxus. Das muss man selbst kreieren. Wir setzen gerade gemeinsam mit Vodafone Automotive unsere eigene Cloud auf. Es ist sogar effizienter für uns als kleines Unternehmen, das selbst zu machen, mit einem Aston Martin-spezifischen Anspruch.

Gutes Stichwort: Der Anspruch der Marke. Was macht für Sie einen Aston Martin aus?

Die Marke hat sich in der Vergangenheit besonders über das Exterieur-Design definiert. Das wird so bleiben. Als englische Marke müssen wir, denn Großbritannien steht für Service, die Interaktion mit dem Kunden auf ein anderes Level heben. Dann steht Aston Martin für eine gute Kombination aus Komfort und Dynamik. Das möchte ich ausbauen. Dabei soll der Komfort erhalten bleiben, die Präzision beim Fahren allerdings verstärkt werden. Für mich stehen Luxus und Präzision im Einklang. Das fahrdynamische Erleben des Autos einerseits, Präzision und authentische, hochwertige Materialien im Interieur andererseits. Bereits zum Modelljahr 2022 sehen wir da erste Schritte, vorranging im Bereich Individualisierung und Personalisierung. Da gehen wir massiv voran. Alle wollen hier weniger Komplexität, wollen am liebsten nur schwarze Autos verkaufen. Wir gehen in die andere Richtung. Es geht um effizientes Darstellen von Komplexität. Bei den Individualisierungsmöglichkeiten soll Aston Martin Benchmark sein.

Wie lässt sich diese Komplexität effizient gestalten?

Durch Insourcing. Wir haben schon einiges das outgesourced war, haben wir zurückgeholt. Schließlich haben wir einen eigenen Trim Shop in Gaydon. Da ist Aston Martin schon sehr gut, das geht aber noch eine Stufe besser.

Inwiefern steht für Sie der Exklusivitäts-Anspruch der Marke im Widerspruch zu wirtschaftlich notwendigen Stückzahlen?

Wir haben gesagt, dass wir 10000 Auto pro Jahr bauen, vielleicht werden das auch mal 12000 oder 13000, das kann ich heute noch nicht sagen. Ja, wir müssen profitabel sein. Und es gibt Wettbewerber, die sind auch mit 6000 Autos profitabel. Die Technologie ist natürlich nicht billig, da ist ein gewisses Stückzahlen-Grundrauschen nötig. Das geht nur mit einem Partner wie Mercedes. Ich glaube, dass 10000 bis 12000 Auto pro Jahr der Exklusivität nicht im Weg stehen.

Im Hypercar-Segment ist dieser Spagat noch schwieriger. Wollen Sie vom Valkyrie mehr bauen als ursprünglich geplant, des Profits wegen?

Erstmal müssen wir das Auto fertig entwickeln. Da haben wir in den letzten fünf Monaten große Fortschritte gemacht. Es wird noch eine Track-only-Version geben, die sich an das Le Mans-Projekt anlehnt, das mal geplant war. Dann kreieren wir vielleicht noch eine weitere Variante. Das Segment hat auf jeden Fall seine Berechtigung. Und dann gibt es da noch den Valhalla, der nicht ganz in dieser Preisliga mitspielt, aber doch im eine Million Pfund-Bereich. Der wird auch seinen Weg machen, davon bin ich überzeugt.

Im Hypercar-Bereich überbieten sich einige Hersteller mit Kennzahlen von elektrischen Antrieben. Beteiligt sich Aston Martin an diesem Wettrennen?

Nein. Zumindest nicht in den nächsten zwei bis drei Jahren. Zumal es da bislang häufig bei Ankündigungen bleibt.

Vita

Tobias Moers, 1966 in Freiburg geboren, schließt sein MAschinenbau-Studium als Diplom-Wirtschaftsingenieur ab. Seit 1994 bei der Mercedes-AMG GmbH, leitet er ab 2002 die Gesamtfahrzeug-Entwicklung. Ab 2011 Mitglied der Geschäftsführung Mercedes-AMG, ab 2013 Vorsitzender der Geschäftsführung. Seit 1. August 2020 CEO von Aston Martin Lagonda.