Aufbau einer ganzen Marke
Lotus-Designchef Ben Payne im Interview

Was ist richtig, was ist falsch? Zu Design hat jeder eine Meinung. Was dabei wichtig ist, verrät uns der neue Lotus-Designchef Ben Payne im ersten Interview.

Lotus-Designchef Ben Payne
Foto: Gregor Hebermehl

Ben Payne hat am Royal College of Art Fahrzeugdesign studiert und dann bei vielen namenhaften Herstellern, wie Bugatti oder VW, sowie beim renommierten Londoner Designstudio Makkina als Designer gearbeitet. Seit August diesen Jahres ist er Chefdesigner bei Lotus. Im Interview erzählt er uns, was ein Designchef heutzutage machen muss. Er verrät, wie man zeitloses Design erschafft und was bei Lotus anders ist als bei allen anderen Herstellern, bei denen er bisher war.

Unsere Highlights
Lotus-Designchef Ben Payne
Gregor Hebermehl

"Du musst entscheiden: Was ist richtig und was ist falsch. Und jeder hat dazu eine Meinung." Lotus-Designchef Ben Payne baut eine komplette Marke neu auf.

Seit August diesen Jahres sind Sie Design-Chef bei Lotus – können Sie sich als Chef überhaupt noch um einzelne Fahrzeug-Designs kümmern?

Wir müssen ein Auto entwickeln und es bis zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig haben. Aber inzwischen müssen wir in einem viel breiteren Rahmen denken – es geht um die Zukunft einer ganzen Marke. Wir müssen sehen, wie wir die Marke aufbauen und wie Design dazu einen starken Beitrag leisten kann. Da geht es um Größeres als das Produkt selbst – die Autos müssen natürlich die Entwicklung der Marke unterstützen. Aber wir müssen ein nachhaltiges Business aufbauen, einen Weg finden, mit dem wir auch in Zukunft noch fantastische Produkte anbieten können. Je mehr Du in den Führungsebenen aufsteigst, desto mehr musst Du Dich mit dem Geschäft beschäftigen. Natürlich muss man dabei kreativ bleiben – aber man muss eben auch Pragmatismus und das ausbalancieren, was für die Marke und den Kunden gut ist. Das geht weit weg vom Design eines einzelnen Autos. Du musst entscheiden, was richtig und was falsch ist – und jeder hat dazu eine Meinung.

Jeder hat ja auch eine Meinung zu einem bestimmten Design. Was ist der Trick, dass Design nicht innerhalb von ein paar Jahren alt aussieht?

Das Design darf nicht zu kompliziert sein. Wenn Sie zurückschauen: Älteres Design, was heute noch modern aussieht, ist nicht kompliziert. Wenn Sie alles versuchen, um mit Ihrem Design aktuellen Trends zu folgen, könnte es sein, dass Ihr Design nach einigen Jahren seltsam aussieht. Purismus, Einfachheit und Eleganz machen Design haltbar. Bei Luxusmarken investieren die Kunden viel Geld – es ist sehr wichtig, dass sich die Kunden auch nach einiger Zeit mit dem von ihnen gekauften Produkten nicht albern fühlen. Eine der größten Lotus-Design-Ikonen ist der Esprit. Mit seiner stilistischen Einfachheit sah er damals superfuturistisch aus – und auch heute sieht er noch superfuturistisch aus. Jeder einzelne Designer möchte eine Zukunftsikone erschaffen – die meistern scheitern damit. Man weiß halt nie, wie sich Geschmack und Kultur in Zukunft entwickeln. Das ist eine Sache, die uns in Zukunft noch viel mehr beschäftigen wird: Wie kommt eine Marke noch viel mehr in die Herzen und Gesinnungen der Menschen? Dafür ist der Ansatz von Lotus aus den 1970er-Jahren sehr clever.

Ist der Esprit vom Design her Ihr Lieblingslotus?

Mir gefällt das Concept-Auto zum Esprit am besten. Wenn Sie dieses Auto gesehen haben: Es ist so sauber und pur gezeichnet. Das liegt aber auch an meinem Alter – als Kind der späten 1970er-Jahre sitzt dieses Auto in meinem Verstand. Ich mag einfach den Futurismus der Autos aus den 1970er-Jahren.

Ist es denn heutzutage auch noch möglich, Futurismus in ein Autodesign zu integrieren?

Ich denke, dass das geht. Man muss immer sehen, was die Menschen, die in den 1970er-Jahren Autos designt haben, im Sinn hatten. Was wollten sie erreichen. Wenn man das herausgefunden hat und diese Ziele auch heute verfolgt, dann bekommt man wieder ein zukunftsweisendes Design hin. Das ist allerdings unfassbar kompliziert – dazu gibt es da draußen natürlich unzählige Meinungen. Die besten Designs muss man gar nicht erst erklären. Das schauen sich die meisten Menschen an und verstehen, was das ist. Da schließt sich der Kreis zu Einfachheit – man sollte nicht versuchen, mit Design zu viel zu erklären.

Wird Design heutzutage immer wichtiger?

Ja, das stimmt. Wir leben in einer Zeit des Wandels hin zur Elektrifizierung – die Technologien ändern sich. Nehmen Sie Ihr Smartphone – es ist zugänglich, es ist einfach da. Die Batterien für Elektroautos kommen von einer kleinen Anzahl an Lieferanten und bei elektronischen Antriebssystemen ist das ähnlich. Wir müssen uns differenzieren. Beim Fahrgefühl hilft uns da unser Dynamik-Know-how. Wir leben in einer Zeit, in der jeder eine Autofirma gründen und das richtige Wissen und die richtigen Systeme einkaufen kann. Dabei können Autos von ziemlich guter Qualität und mit ziemlich guter Leistung herauskommen – gerade bei Elektroautos. Deshalb ist der Kaufgrund für die Kunden heute sicherlich mehr denn je Design und Marke. Dabei geht es nicht nur darum, was jemand mit einem Stift macht – es geht darum, wie man die Vergangenheit neu interpretiert. Wenn man ein Erbe hat, gehört das Geschichtenerzählen zur Marke. Design verschiebt sich gerade von der Art eines rein ästhetischen Wertes. Wir müssen technische, wirtschaftliche und Serienproduktions-Faktoren ausbalancieren. Ein schönes Design, das funktional lächerlich ist, wäre nicht clever. Außerdem werden Benutzer-Interaktionen in der digitalen Welt immer wichtiger. Die Interaktion mit ihrer Automarke erfolgt bei vielen jungen Menschen über ihr eigenes mobiles Endgerät. Auch das müssen wir beim Design bedenken. Vor 30 Jahren hast Du bei einem Auto das Äußere und das Innere entworfen und dann beides mit den Fahrzeugentwicklern und dem Marketing ausbalanciert. Heute haben wir wegen der digitalen Möglichkeiten einen viel breiteren Einflussbereich. Ich finde das super interessant.

Wie stark beeinflussen Elektroauto-Antriebsstränge das Autodesign?

Es sind eher gesetzliche Vorschriften, die das Design sehr stark beeinflussen – und Regulierungen sind wichtig. Die Leistung der Fahrzeuge steigt und Sie müssen die Menschen im Auto und außerhalb des Autos schützen. Viele der Regulierungen stammen noch aus der Zeit von Verbrennungsmotor-Autos, die beispielsweise ein anderes Crashverhalten haben als Elektroautos. Aktuell sind auf unseren Straßen Verbrenner und Elektroautos gleichzeitig unterwegs. Es ist also nicht nur die Antriebstechnologie – es sind vor allen Dingen die Vorschriften, die das Design beeinflussen. Sobald sich die Regulierungen den Möglichkeiten von Elektroautos anpassen, haben wir sicher wieder mehr Designfreiheiten. Ein Beispiel für die Komplexität von Vorschriften sind Kamera-Außenspiegel – in einigen Ländern sind sie erlaubt, in anderen nicht. Das müssen wir beim Design natürlich berücksichtigen. Dazu gehört auch, dass viele Leute sagen, das Design der 1960er-Jahre war viel mutiger – heute sähen die Autos alle gleich aus. Aber in den 1960er-Jahren gab es für Designer viel mehr Freiheiten und viel weniger gesetzliche Vorschriften.

Heutzutage müssen Sie eng mit Ihren Ingenieuren zusammenarbeiten?

Permanent. Unsere frühen Studien machen wir zwar ausschließlich im Designteam, aber selbst in diesem Team haben wir schon 15 Prozent Konzept-Ingenieure. Das ist der einzige Weg, den jüngeren Leuten zu helfen, ihre teils seltsam anmutenden Ideen in die Realität zu übersetzen. Wir haben also ein riesiges Ingenieurteam bei Lotus und ein Ingenieurteam in unserer eigenen Designabteilung. Das hilft uns auch dabei, dass uns die Ingenieure später nicht auslachen.

Sie haben schon bei VW, Ford, dem renommierten Londoner Designstudio Makkina, GM, Bugatti und Aston Martin gearbeitet – Sie haben also einen enormen Erfahrungsschatz. Ist bei Lotus etwas anders als bei den anderen Unternehmen, bei denen Sie bisher gearbeitet haben?

Bei Lotus ist es sehr viel anders. Bei Makkina habe ich 13 Jahre und für 25 Marken gearbeitet. Da waren Produkte für etablierte Hersteller genauso dabei wie für Start-ups, von denen Sie noch nie gehört haben. Und bei den anderen Herstellern müssen sie meistens auf vorhandenen Fahrzeugen aufbauen. Wenn Sie beispielsweise einen neuen VW Golf machen sollen, dann bauen Sie auf dem vorhandenen Golf auf. Und Bugatti als die Premium-Marke des Planeten stellt natürlich auch ganz spezielle Anforderungen. Zu Aston Martin bin ich direkt nach meiner Zeit bei Bugatti. Aston Martin ist eine britische Firma mit sehr reichem Erbe und eigenem Ethos – es hat Spaß gemacht, damit zu spielen. Aber nach Bugatti war das ein großer Kontrast – auch wenn beide Firmen preislich ziemlich hoch angesiedelt sind. Bei Lotus ist es so, dass viele Menschen die Marke kennen – auch jüngere Leute. Aber die haben keine Ahnung, was Lotus als Automarke bedeutet. Die Leute haben vielleicht noch das Stichwort "Rennwagen" in ihren Köpfen. Das müssen wir aufgreifen und für die Zukunft relevant machen – und zwar nicht beim Design eines einzigen Autos, sondern beim Aufbau der kompletten Marke. Mir gefällt das: Jedes Mal, wenn Du in einer neuen Firma anfängst, hast Du eine neue Umgebung und neue Herausforderungen. "Richtig oder falsch" kann genauso unterschiedlich sein wie die grundsätzliche Herangehensweise an Probleme. Die Zeitpläne und die Ingenieure – alles ist anders. Es gibt nicht so viele Firmen mit einem reichen Erbe wie Lotus, bei denen man so viel Neues machen und so viel beeinflussen kann. Die Herausforderung ist, die Marken-DNA in Modellen umzusetzen, die Lotus nie hatte – wie mit dem SUV Eletre und dem viertürigen GT Emeya. Einerseits genießt man dabei viele Freiheiten, andererseits hat man eine große Verantwortung. Schließlich haben viele Menschen eine Meinung zu Lotus – basierend auf ihrem Wissen über die Vergangenheit der Marke. Aber wir müssen die Zukunft der Marke sichern.

Und jeder hat schon einen neuen Esprit im Kopf, oder?

Oh ja, jeder hat Vorstellungen zu einem neuen Esprit. Das ist eine Diskussion für einen anderen Tag. Ein neuer Esprit wäre wohl kein SUV mit vier Türen, oder? Ein neuer Esprit wäre eine enorme Herausforderung.

Lotus-Designchef Ben Payne
Gregor Hebermehl

Futuristisches Design muss für Ben Payne auch noch in vielen Jahren gut aussehen: "Die Kunden dürfen sich nach einigen Jahren mit dem Design nicht albern fühlen."

Was waren denn die größten Herausforderungen beim Design des Emeya?

Wir haben uns am meisten mit dem Eletre gestresst – es war ein großer Schritt von einem zweisitzigen Sportwagen mit Verbrennungsmotor hin zu einem großen fünfsitzigen Elektro-SUV. Beim Emeya war es schön, sich etwas zurückziehen zu können. Der Emeya ist ein niedriges Auto mit niedrigem Schwerpunkt, das sofort als Performance-Fahrzeug erkennbar ist. Die größte Herausforderung bestand dann meiner Meinung nach darin, dieses Auto mit einer massiven emotionalen Anziehungskraft und einem wirklich ansprechenden exotischen Design zu versehen. Das Modell muss ein Statement sein, wie man es von einer Sportwagen-Marke mit so viel Tradition erwartet. Außerdem muss das Auto praktisch sein. Ein Dach kann man beispielsweise immer niedriger machen – das bringt aber nichts, wenn man das Fahrzeug dann nicht mehr komfortabel nutzen kann. Etwas so schön wie möglich zu machen, das ist sehr einfach – sicherzustellen, dass es trotzdem noch praktisch ist, das ist die Herausforderung.

Lotus Emeya
Gregor Hebermehl

Auf dem brütend heißen Dach eines New Yorker Parkhauses im September 2023 erstmals gezeigt: der neue Lotus Emeya.

Der Emeya hat auch einen großen aktiven Heckflügel – mögen Sie aktive Heckflügel oder eher statische?

Was ich bei aktiven Systemen mag, ist, dass sie Dir mehr Freiheit beim Design geben. Eine gute Aerodynamik ist bei einem Auto immer richtig. Ein klares Design funktioniert in Sachen niedriger Luftwiderstand – aber nicht in Sachen Abtrieb. Und bei einem aktiven System kann ich gutes Aussehen und eine gute Aerodynamik verschmelzen: Im Stand mit eingefahrenem Flügel habe ich den puren klaren Look und bei höheren Geschwindigkeiten sorgt dann der ausgefahrene Flügel für eine bessere Performance. Würde der Flügel auch im Stand ausgefahren sein, würde dies das Design komplett ändern – und er wird ja gar nicht immer benötigt. Ein weiterer Punkt, der mir bei aktiven Systemen gefällt, ist das Statement, dass sich das Auto transformiert. Wir haben ja auch die beweglichen Lufteinlässe an der Front und den aktiven Diffusor. Das zeigt technologischen Fortschritt und gibt dem Auto einen Charakter. Das ist fast ein bisschen wie bei Menschen und Tieren – die bleiben auch nicht immer gleich. Bewegliche Elemente sorgen bei einem Auto für mehr Drama und eine Persönlichkeit – sie erwecken es noch stärker zum Leben. Außerdem fühlt sich nicht jeder von Hochleistungs-Ästhetik angezogen. Andere Marken haben da eine Art Bandbreite – ich denke zum Beispiel an den Porsche 911. Auf der einen Seite gibt es die cleane Basisversion und auf der anderen Seite den GT3, der einen total anderen Charakter repräsentiert. Ich denke, dass ein auffälliger fest stehender Heckflügel weniger Kunden anzieht als ein aktiver Flügel. Aber vielleicht schauen wir uns in Zukunft extremere Versionen unserer Modelle an, bei denen wir auch in Richtung Hochleistungs-Look gehen können.

Lotus Esprit Turbo
Gregor Hebermehl

Der Lotus Esprit gehört zu den wichtigsten Modellen der bisherigen Lotus-Geschichte.

Wo ist Ihr Arbeitsort als Designchef von Lotus?

Wir haben ein wachsendes Lotus-Netzwerk in Großbritannien. Wir haben unser traditionelles zu Hause in Norwich mit der Sportwagen-Produktion und Entwicklung sowie Design in Hethel. Unser Design-Hauptquartier befindet sich in der Region Birmingham – dort, wo alle englischen Autohersteller sitzen. In London wächst gerade unser Büro für Finanzen und Handel. Ich bin überall und verbringe aktuell etwas mehr Zeit in London. Dort bauen wir auch ein Zentrum für digitales Design auf. Es geht immer darum, wo man die besten Talente für eine bestimmte Aufgabe finden kann – dort gehen wir dann hin. Deshalb ist unser Design-Hauptquartier dort, wo alle englischen Autohersteller sind. Wenn ich Leute brauche, die über das Internet nachdenken, digitales Design machen, sich mit User Experience beschäftigen, Filme schneiden oder Digital Assets erschaffen, dann gehe ich nach London – dort sitzen die britische Film- und Mobile-Phone-Industrie. Wenn wir Kompetenz in der Fahrzeugentwicklung suchen, gehen wir nach Deutschland – schließlich haben wir ein Entwicklungsteam im hessischen Raunheim. Und die Produktion machen wir dort, wo es für uns am besten geeignet ist (zweitürige Sportwagen in England und Viertürer in China, Anm.d.R). Wir sind also global aufgestellt, weshalb ich viel reise. Verschiedene Orte und verschiedene Leute die verschiedene Sachen machen: Das ist ein aufregender Teil unseres Unternehmens – das macht riesig Spaß.

Vielen Dank für das Gespräch.

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