75 Jahre AMS: Historischer Fahrbericht
Mercedes SLR McLaren

Der sorgte 2003 für Unruhe im exklusiven Club der Superstarken. Original-Fahrbericht von Götz Leyrer, erschienen in der AMS-Ausgabe 25/2003.

Mercedes SLR McLaren
Foto: Daimler

Drei Komma acht Sekunden. Aus dem Stand auf 100 km/h. Die Autos, die das schaffen, kann man an den Fingern einer Hand abzählen. Jüngstes Mitglied im Club der Superstarken ist der Mercedes SLR mit der Zusatzbezeichnung McLaren. Und der schafft im Gegensatz zu den wenigen Konkurrenten seiner Leistungsklasse den klassischen Spurt mit minimalem fahrerischem Aufwand. Kein gekonntes Einkuppeln, kein professionell schnelles Schalten. Nur Gas geben.

Unsere Highlights

Das Drehmoment fällt über die Hinterräder her wie eine Büffelherde. Ohne die Antriebsschlupfregelung würde sich die Versammlung von Newtonmetern in einer gewaltigen Wolke blauweißen Gummiqualms auflösen. Der Motor brüllt eine Achtzylinder-Melodie, deren hämmerndes Stakkato unverkennbar an die groß- volumigen amerikanischen Stockcar-Boliden erinnert.

Mercedes SLR McLaren
Daimler
Bis zu 334 km/h ist der Sportwagen schnell.

Puristisch wie der Porsche Carrera GT

Die Auspuffrohre münden seitlich ins Freie, wie beim historischen SLR, mit dem einst Stirling Moss die Mille Miglia gewann. Damals waren das offene Rohre, heute müssen auf engem Raum auch Schalldämpfer und Katalysatoren untergebracht werden. Was zunächst wie ein Designer-Gag anmutet, macht technisch Sinn. Die seitlichen Auslässe erlauben den aus aerodynamischer Sicht erwünschten völlig flachen Unterboden.

Auch der Diffusor am Heck entstammt dem Rennwagenbau. Dennoch macht der SLR deutlich, dass in ihm nicht nur McLaren-Know-how, sondern mehr noch Mercedes-Gene stecken. Als Einziger im Kreis der Supersportwagen besitzt der SLR kein Schaltgetriebe, sondern, wie jeder gewöhnliche SL, eine Fünfstufen-Automatik mit Drehmomentwandler. Einen puristischen, auf Rennwagentechnik basierenden Sportwagen wie den Porsche Carrera GT glaubten die Herren der Sterne ihrer komfortverwöhnten Kundschaft nicht zumuten zu können. Also entstand ein Gran Turismo klassischen Konzepts – Motor vorn, Antrieb hinten.

Mercedes SLR McLaren
Daimler
Das Leergewicht des SLR McLaren beträgt 1.768 Kilogramm.

626 PS und rund 1.800 Kilogramm

Und natürlich mit allen Komfort- und Sicherheits-Goodies, auf die vielleicht ein McLaren, auf keinen Fall aber ein Mercedes verzichten kann. ESP also, elektrisch verstellbare Sitze, Telefon, Bose-Soundanlage – um nur einige zu nennen. Der Ausstattungsluxus, der im Cockpit durch feinstes Leder unterstrichen wird, steht, so scheint es, dem Anspruch eines Supersportwagens diametral gegenüber, weil er Gewicht bedeutet. Dieses in Grenzen zu halten, dafür war die britische Formel 1-Dependance McLaren zuständig. Sie entwickelte für den SLR eine vollständig aus Carbon-Werkstoff gebackene Passagierkabine, an die sich vorne mächtige Aluminiumträger zur Aufnahme der Antriebseinheit anschließen.

Trotzdem: Ein Leichtgewicht ist der SLR McLaren nicht geworden. War zu Anfang der Entwicklung noch von 1.500 Kilogramm die Rede, so stehen jetzt fast 1.800 Kilogramm in den technischen Daten. Die Differenz zu den bürgerlichen Mitgliedern der SL-Familie ist also keineswegs so groß, wie es der verschwenderische Einsatz teurer High-Tech-Materialien vermuten lassen könnte. Was soll’s, schließlich stehen 626 PS und 780 Newtonmeter Drehmoment bereit. Sie entstammen einem Triebwerk, das seine Wurzeln im kompressorgeladenen AMG-Achtzylinder hat.

Mercedes SLR McLaren
Daimler
Der 5,5 Liter große V8 erzeugt 626 PS.

Der SLR rennt bis Tempo 334

Für den SLR erhielt der Motor eine Trockensumpfschmierung, die unter extremen Fahrbedingungen eine sichere Ölversorgung gewährleistet und durch den Wegfall der Ölwanne eine tiefere Einbaulage des Motors ermöglicht. Die Kraftentfaltung scheint die klassischen Gesetze der Physik außer Kraft zu setzen, wobei das gewaltige Drehmoment noch eindrucksvoller ist als die absolute Leistung. Bereits bei 1.500 Umdrehungen stehen über 600 Newtonmeter bereit. Bis zur Schaltdrehzahl von 7.000 Umdrehungen baut sich ein riesiger Muskelberg auf, der den SLR mit gnadenlosem Nachdruck Geschwindigkeit aufnehmen lässt.

Zwischen 100 und 200 km/h legt er zu wie übliche Familienautos aus dem Stand, und auch ab 200 km/h zeigt der ballernde V8 kein Zeichen von Schwäche, sondern schiebt scheinbar unaufhaltsam weiter. 300 km/h bedeuten von da an nicht mehr als einen kurzen Zwischenspurt, der, nach Werksangabe, gerade einmal 18 Sekunden in Anspruch nimmt. Spitze: 334 km/h.

Mercedes SLR McLaren
Daimler
Der Heckspoiler stellt sich bei einer harten Bremsung im 65-Grad-Winkel auf und fungiert so als Air Brake.

Beschleunigung wie in einem Dragster

Es ist eine Demonstration von Kraft, die den SLR in eine Reihe stellt mit den Rennpferden Porsche Carrera GT und Ferrari Enzo. Wobei es genügt, die Automatik in D arbeiten zu lassen. Wer noch einen Schuss Sportlichkeit zugeben möchte, kann mit Tasten auf der Rückseite des Lenkrads von Hand schalten.

Das ist nichts Neues – wohl aber zwei große Drehschalter auf der Mittelkonsole, mit denen das Getriebe programmiert werden kann. Einer dient der Wahl zwischen selbsttätigem und manuellem Schalten, der zweite variiert die eigentlichen Schaltvorgänge. In der Normalstellung erfolgen sie so, wie man das von einer komfortablen Mercedes-Automatik gewohnt ist. Eine Stufe weiter macht den Wechsel der Übersetzungen schon spürbar schneller. In Stellung "Race" knallen dann die Gänge so kurz und trocken hinein wie bei einem voll beschleunigten Dragster. Dabei bleibt der Fahrer immer Herr der Lage wie bei einem Schaltgetriebe. Selbstverständlich kann im Manuell-Betrieb bis an den Drehzahlbegrenzer gedreht werden, ohne dass das Getriebe hochschaltet.

Mercedes SLR McLaren im Supertest
Die seitlichen Auspuffendrohre erinnern an den historischen SLR.

435.000 Euro exklusive 19-Zoll-Räder

So kombiniert der SLR das Beste zweier Welten. Er präsentiert sich als noch ausreichend komfortabler Tourer ebenso wie als Sportwagen reinsten Wassers. Enge, kurvige Landstraßen sind allerdings nicht unbedingt sein Ding – allein schon deshalb, weil die ausladende Karosserie mit der nicht enden wollenden Motorhaube höchst unübersichtlich ist. Aber die nahezu ausgeglichene Gewichtsverteilung – erreicht durch den weit hinten eingebauten Motor und die fast schon auf der Hinterachse sitzenden Passagiere – lassen ihn behände und exakt einlenken, wobei der erforderliche Kraftaufwand am fast senkrecht im Cockpit stehenden Lenkrad auf Anhieb überraschend hoch wirkt.

51 Prozent des Gewichts auf der Hinterachse bedeuten nicht nur eine angesichts der extremen Leistung bemerkenswerte gute Traktion der Antriebsräder, sondern dienen auch dem Bremsvermögen, weil viel Bremskraft auf die Hinterräder übertragen werden kann. Dem gleichen Zweck dient die so genannte Air Brake. Bei einer harten Bremsung stellt sich der automatisch ausfahrende Heckspoiler im 65-Grad-Winkel auf. Er sorgt damit für erhöhten Luftwiderstand und mehr Hinterachsbelastung. Die Luftklappe stellt stilistisch eine Reminiszenz an die Rennsportwagen der fünfziger Jahre dar, so wie die nach oben schwingenden Türen an den 300 SL-Flügeltürer erinnern sollen. Damit beschwört Mercedes eifrig die Pflege der Tradition. Da konnte man bei der Aufpreispolitik natürlich keine Ausnahme machen: 18-Zoll-Räder sind Serie, 19-Zöller kosten bei dem 435.000-Euro-Sportwagen Aufpreis.

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