Bentley Continental GT Speed und Mercedes-AMG S 65
Ausfahrt mit den 12-Zylinder Luxus-Cabrios

Was bereichert einen schönen Herbstausflug zum Gardasee? Richtig, 12 Zylinder dargeboten im offenen Mercedes-AMG S 65 und Bentley Continental GT Speed. Wir sind die Power-Cabrios ausgiebig gefahren.

Bentley Continental GT Speed Cabrio, Mercedes-AMG S 65 Cabrio
Foto: Hans-Dieter Seufert

Diese Schizophrenie, meine Güte, die kann einen ziemlich fertigmachen. Es wäre sicher besser gewesen, einfach mal die Literatur links liegen zu lassen. Nur die beiden Automobile wirken zu lassen. Und die Natur drum herum, ein Destillat einschüchternder glazialer Aktivitäten. Doch jetzt spukt Hugo von Hofmannsthal durch die humane CPU, mahnt: „Reife ist, wenn man das Vollkommene nicht im Ungewöhnlichen, sondern im Alltäglichen sucht.“ Super. Wäre Hugo doch lieber in seinem Fin de Siècle hängen geblieben und würde dort den Verfall der Kultur intellektualisieren.

Bentley Continental GT Speed Cabrio, Mercedes-AMG S 65 Cabrio
Hans-Dieter Seufert
Der Mercedes ordnet seine 12 Zylinder im klassischen 90-Grad-V an, der Bentley in einer eigentümlichen 72-Grad-W-Konfiguration.

Wir stehen unterdessen zwischen Bentley Continental GT Speed und Mercedes-AMG S 65, jeweils als Cabrio, na klar, denn am Gardasee scheint ja immer die Sonne. Hieß es, hat es geheißen. Trifft aber erstaunlich häufig zu.

12-Zylinder-Biturbo und 6 Liter Hubraum

Und wir? Sind unreif. Geben uns aber nicht so einfach geschlagen. Schließlich schadet in einem Alter, in dem die Zeitspanne zwischen Führerscheinprüfung und Gegenwart längst in Jahrzehnten beziffert wird, eine gewisse Seriosität nicht.

Also reden wir uns den Gardasee gewöhnlich, gebärden uns, als wären wir Münchener, denn der Münchener an sich annektierte den Gardasee spätestens dann, als der Zeitgeist die Wasseroberfläche mit Windsurfbrettern zupflasterte. Wir verkneifen uns den Surfergruß mit abgespreiztem Daumen und kleinem Finger. Würde uns eh keiner abkaufen. Wirken dafür dann doch zu reif in unserem Ungewöhnlichen, das hier wie dort ein Zwölfzylinder-Biturbo-Triebwerk mit sechs Litern Hubraum motorisiert. Einfach so. Allein daran lässt sich so rein gar nichts Gewöhnliches erkennen. An Motordrehmomenten von 820 und 1.000 Newtonmetern erst recht nicht, höchstens mechanische Dekadenz. Natürlich, lieber Herr von Hofmannsthal, im literarischen, nicht im geschichtsphilosophischen Sinn. Und wenn wir es uns recht überlegen: Zum Teufel mit der Reife!

Klanggewitter aus den Endrohren

Allein der Genuss, die Aggregate anzulassen, wenn der Mercedes schnoddrig-blubbernd startet und Kaskaden reiner Bässe aus den ovalen Endrohren des Bentley rauschen – vollste Befriedigung niederer Instinkte der Fans des Hubkolbenmotors. Zugleich gibt das differente Klangbild einen Hinweis auf die eigenständigen Charaktere der beiden, aber auch auf die unbedingte Überlegenheit ihrer Leistung. Ob nun die 630 PS der S-Klasse oder die 635 des Continental, sie schultern mit größtmöglicher Gleichgültigkeit die fürchterliche Masse ihrer raumgreifenden Karosserien. Über 2,1 Tonnen wiegt der Schwabe, gar mehr als 2,3 der Brite mit den teutonischen Wurzeln.

Dennoch denkst du dir frühmorgens auf der B 179, kurz nach dem Abzweig in Richtung Leermoos, zefix, haben sie den Brenner-Basistunnel gleich noch unter den Fernpass hindurch verlängert. Wer weiß, wo doch heutzutage gerne mal irgendwas vergraben wird, meist milliardenschwer. Jedenfalls fehlt die sonst durchaus präsente Acht-Prozent-Steigung heute irgendwie. Weder im Bentley noch im Mercedes kommt der Verdacht auf, dass sich hier irgendwer oder irgendwas anstrengen müsste. Nur knapp über der Leerlaufdrehzahl wummert der Bentley souverän, lässt seine Kolben in eigentümlicher 72-Grad-W-Konfiguration schwofen.

Im AMG dagegen hält das typisch hemdsärmelige Klanggewitter an, weniger aufbrausend als in den V8-Modellen zwar, aber deutlich zu identifizieren. Die zwei Zylinderbänke des V-Motors stehen sich im klassischen 90-Grad-Winkel gegenüber, zudem begnügt sich der M 279 mit 36 statt 48 Ventilen. Leichter Schneefall deckt allmählich nicht nur die Fahrbahn, sondern auch die Ehrfurcht vor dem immensen Drehmoment zu, das ausschließlich an die Hinterräder weitergereicht wird.

Tolle Beschleunigung und Traktion

Natürlich wissen wir, dass es nicht allein der Fantasie des Herstellers entspringt, spätestens seit wir den S 65 in 4,2 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h haben feuern lassen, nach 11,1 Sekunden erreicht das Cabrio Tempo 180. Schnödes Tester-Gehabe, ein wenig unreif vielleicht, oder einfach verkopft. Was wiederum zum Fin de Siècle passen würde. Nicht abschweifen jetzt.

Bentley Continental GT Speed Cabrio, Mercedes-AMG S 65 Cabrio
Hans-Dieter Seufert
Schnell sind sie beide. Der S 65 fährt 300 Spitze, beim Bentley sind es sogar 327 km/h.

Das eigentlich Bemerkenswerte: Obwohl der S 65 akustisch das Muscle- Car gibt, andererseits schon bei 2.500/min hell sirrend nach Rennmotor klingt – die fantastische Kraft lässt sich überraschend spielerisch dosieren. Selbst ein plötzlicher Streckkrampf im rechten Bein scheint ihn nicht dazu veranlassen zu können, den 285 Millimeter breiten Hinterreifen eins überzubraten. Und der Bentley? Beschleunigt nur unwesentlich langsamer, die bessere Traktion dank Allradantrieb versandet dann aber jenseits von 160 km/h in der höheren Masse.

Jetzt allerdings bestellen wir uns an der Tankstelle in Nassereith ein Einser-Menü, also das Zehn-Tages-Pickerl für Österreich und die Video-Maut für den Brenner. Die Wetter-App des Fotografen verspricht für den Lago einen fast wolkenlosen Himmel und 18 Grad Celsius, da wollen wir hin, endlich die dick gefütterten Textildächer unter die festen Klappen falten. Im Bentley geschieht das per unscheinbar kleinem, aber massiv ausgeführtem Wippschalter auf dem Mitteltunnel, der Mercedes hält gleich ein ganzes Bedien-Center für diverse cabriospezifische Funktionen bereit, versteckt im Ablagefach zwischen den Sitzen. In dessen belederten Deckel wurde das AMG-Wappen eingeprägt, nicht zu unscheinbar, zudem lässt er sich sowohl in Richtung Fahrer als auch Beifahrer öffnen – einer jener Ingenieurskniffe, mit dem sich der letzte Maybach unbedingt über das Gewöhnliche der W-220-S-Klasse erheben wollte.

Bentley: Dynamischer als vermutet

Ein ähnliches Schicksal plagt den Bentley Continental, denn manchmal wohnt allem Anfang kein Zauber, sondern ein VW Phaeton inne. Umso mehr verblüffen die im Vergleich zum Mercedes tiefere Sitzposition sowie die scheinbar an den Körper gegossenen Sportsitze der hauseigenen Individualisierungsabteilung Mulliner. Wenn du jetzt noch den Wählhebel des Automatikgetriebes auf D rückst, ändert der W12-Motor seinen Dialekt von bassig auf zornig, schnoddert sogar rabaukig beim Anbremsen von Kurven. Ein verkannter Sportwagen? Ja, nun – nein. Wie auch. Aber erheblich dynamischer als vermutet, du musst dich eben auf das Gewicht einlassen, langsamer in die Kurve einlenken, dafür früher und umso gewaltiger hinausbeschleunigen – oder es einfach lassen. Geht auch. Sehr gut sogar. Stattdessen das Wissen um die Leistung genießen.

Ebenso die Güte der Handwerkskunst schätzen lernen, die im Bentley offensichtlicher wirkt als im technokratisch-kühlen Mercedes, der seinerseits die Moderne zum Luxus erhebt. Hier muss sich niemand über ein antiquiertes Infotainment ärgern, bei dem du glaubst, dass das Navigationssystem die Routen mit dem Rechenschieber kalkuliert. Am deutlichsten merkst du dem durchaus kontinuierlich modellgepflegten Continental sein Alter beim Bremsen an, wenn das ABS deutlich gröber regelt als das des Mercedes – der wiederum aus Tempo 100 2,7 Meter früher zum Stillstand kommt.

Tolles Interieur samt Massage-Funktion

Das ist leicht zu begreifen. Doch es dauert eine Weile, vollständig virtuelle Instrumente als gleichermaßen hochwertig anzuerkennen wie die zart chromumrandeten Uhren des Continental. So eine Hot-Stone-Massage, während die AMG-Jacht sich aufmacht, auf 160 Kilometern den knapp 370 Quadratkilometer großen See zu umrunden, ach, die begreift jeder leicht. Mithilfe eines weiteren Tastendrucks ließe sich nahezu jede Luftbewegung im gleißend hell belederten Interieur unterbinden. Das allerdings bringt das elegante Cabrio um seine Würde, denn dann fahren hinter den Rücksitzen ein erschreckend hohes Windschott sowie ein Spoiler oben aus dem Rahmen der Frontscheibe aus, der ein Netz abspannt. Sparen Sie sich die Suche, wir haben es nicht fotografiert – das sperrige Windschott des Bentley ebenso wenig, es bleibt im Kofferraum. Übrigens: Auch der Sitz des Conti massiert. Aber nur einfach.

Bentley Continental GT Speed Cabrio, Mercedes-AMG S 65 Cabrio
Hans-Dieter Seufert
Anders als der Mercedes setzt der Bentley noch auf analoge Instrumente und viel Handwerk.

Niemand hat je behauptet, das Leben in der höheren Gesellschaft wäre ein leichtes. Ein sehr angenehmes ist es in jedem Fall, zumal sich auch der S 65 weit mehr in der Rolle des charmant-selbstbewussten Cruisers findet. Einzig die nicht immer angemessen sanften Gangwechsel der Siebenstufenautomatik erinnern an seine Herkunft, die Luftfederung trotz AMG-Abstimmung nicht unbedingt – der Federungskomfort bleibt auf einem hohen Niveau. Das erreicht der Bentley ebenfalls, trotz 21-Zoll-Rädern. Zudem arbeitet seine Achtstufenautomatik jederzeit adäquat sanft.

Mercedes: Etwas agiler als der Bentley

Komm, lassen wir sie noch einmal los, ein bisschen zumindest. Zwischen Riva und Salo warten auf 44 Kilometern Länge 74 Tunnel und 50 Brücken. Derartige Klimmzüge des Straßenbaus müssen doch hin und wieder mit ungewöhnlichen Automobilen gewürdigt werden, das zeugt durchaus von Reife, oder nicht? Bestimmt. Ein bisschen agiler wirkt der Mercedes dabei dann doch, reagiert nicht nur mit der Lenkung, sondern auch mit der Vorderachse fix auf deine Wünsche, verliert sich aber niemals in Hektik. Beide Cabrios vermitteln ein angenehm stringentes Lenkgefühl. Und auch wenn im AMG bei jedem Zurückschalten das helle Sirren und die rohe Gewalt jenseits von 2.000/min, im Bentley dagegen das Talent, bis 6.000/min zu drehen sowie die packenden Sitze zu Albernheiten verführen wollen – es lohnt, der Versuchung zu widerstehen. Sich auf die prächtige Laufkultur zu konzentrieren. Völlige Vibrationsfreiheit? Technisch unmöglich, im Falle der beiden Zwölfzylinder-Motoren aber nur eine Idee entfernt.

Stundenlang lässt du dich am Ufer entlangtreiben, hängst hin und wieder dem abstrusen Begriff der Kryptodepression nach. Klingt, als wäre es behandlungsbedürftig, bezeichnet aber jenen geomorphologischen Gattungsbegriff für Gewässer, deren Boden unterhalb, die Wasseroberfläche aber oberhalb des Meeresspiegels liegt. Der Gardasee zählt zu ihnen. Der Gletscher, der ihn formte, und das Etschtal gleich mit, fühlt sich vermutlich beleidigt, wenn wir den herrlichen Motoren der beiden Cabrios immense Kraft, gar Gewalt bescheinigen, doch der Gletscher musste sich ja längst anderen Gewalten geschlagen geben.

Aber genau das, dass du dich ungeachtet dieser Leistung einfach in diesen Gedanken – oder einfach in der präzisen Rautensteppung der Lederpolster – verirren kannst, zeichnet Bentley wie Mercedes-AMG aus. Nicht Leistung um der Leistung, sondern um des Genusses willen.

Ladedruck von 1,5 bis 1,9 bar

Gut möglich, dass du sie sogar vergisst, speziell am nur wenig kurvenreichen Ostufer, unkonzentriert ein Überholmanöver per Kickdown einleitest und dann schnell, nun, viel zu schnell bist. Dann tobt das Mercedes-Aggregat schmetternd, gleichzeitig donnert das Bentley-Triebwerk wütend. Huch, wie unreif. Obwohl ungewöhnlich. Schnell wieder vom Gas. Auch wenn die Straßen meist leer bleiben – Nebensaison.

Da aber unerschrockene Surfer und furchtlose Mountainbiker speziell das Nordufer ganzjährig, natürlich in schwankender Mannstärke bevölkern, dürfte es ein Leichtes sein, ein geöffnetes Lokal für den Abend zu finden. Übrigens: Die Tatsache, dass sie in Italien beinahe an jeder Tanke den weltbesten Espresso aufbrühen, erleichtert das Leben mit den trinkfesten Cabrios erheblich. Wie auch immer.

Fotograf Hans-Dieter, verzückt vom milden, allmählich schwindenden Sonnenlicht, verliert sich unterdessen in den Details von S-Klasse und Continental. Wir quetschen uns in eine scheinbar wild entsorgte Ape. Würde uns bestimmt auch zum nächsten Caffè bringen. Oder zum Abendessen. Vielleicht lag von Hofmannsthal doch nicht so falsch? Steigen wieder in Bentley und Mercedes-AMG um, lassen die Triebwerke an, animieren sie durch ein paar Gasstöße, gegen die gewaltigen Berge anzubrüllen. Mag sein, dass Hugo recht hatte. Aber wir pfeifen auf die Reife – mit 1,5 (AMG) und 1,9 bar Ladedruck.

Technische Daten
Bentley Continental GT Speed Cabrio 6.0 W12 4WD SpeedMercedes AMG S 65 Cabrio AMG
Grundpreis238.476 €256.177 €
Außenmaße4806 x 1944 x 1393 mm5044 x 1913 x 1430 mm
Kofferraumvolumen260 l350 l
Hubraum / Motor5998 cm³ / 12-Zylinder5980 cm³ / 12-Zylinder
Leistung472 kW / 642 PS bei 6000 U/min463 kW / 630 PS bei 4800 U/min
Höchstgeschwindigkeit331 km/h250 km/h
Verbrauch14,9 l/100 km12,0 l/100 km
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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten