Bentley Continental GTC im Fahrbericht
Der perfekte offene Gran Turismo?

Sechs Liter Hubraum verteilt auf zwölf Zylinder, Hightech-Fahrwerk und ein rotierender Infotainmentbildschirm: Bentley öffnet das Tweed-Verdeck des neuen Continental GTC. Wir springen rein und fahren mit dem Cabrio durch Andalusien.

Bentley Continental GTC 2019
Foto: Richard Pardon - Bentley

Endlich brechen ein paar Sonnenstrahlen durch den wolkenverhangenen Himmel über den andalusischen Bergen nahe Marbella. Sie lassen die flamm-orange Lackhaut des Bentley Continental GTC auflodern. Der grelle Metalliclack setzt jetzt die eleganten Rundungen der stoffbedachen Alu-Karosse perfekt in Szene – Understatement geht definitiv anders.

Wir nehmen etwas Speed raus, maximal Tempo 50 für genau 19 Sekunden. Exakt so lange braucht die Mechanik, bis das schwarze Stoffdach leise sirrend hinter den zwei Fondsitzen verschwindet. Der Sechs-Liter-W12 schaltet derweil die Hälfte seiner Zylinder ab, grummelt aber weiterhin dezent bei rund 1.500/min vor sich hin.

Unsere Highlights

Lenkrad, Armlehne, Sitz und Nackenföhn heizen mit voller Kraft, denn das analoge Außenthermometer zeigt lediglich frühlingshafte sechs Grad Celsius an. Die Massagesitze kümmern sich ausgezeichnet um die verspannte untere Rückenpartie des Fahrers. Dazu umhüllt ihn fein säuberlich gegerbtes Leder, das von 2,8 Kilometern edelstem Zwirn zusammengehalten wird, der sich dabei durch 310.675 Löcher windet. Wer das nachgezählt hat? Bentley spricht augenzwinkernd von einem Kollegen, der sich nach dieser Aufgabe in die Klapsmühle verabschiedet hat. Doch welcher andere Hersteller – außer Rolls-Royce – würde sonst mit solchen Zahlen aufwarten?

Bentley Continental GTC 2019, Innenraum, Cockpit
Richard Pardon - Bentley
Digitale Instrumente animieren stilvoll nicht nur alle relevanten Fahrinfomationen, sondern unterstützen mit zeitgemäßen Assistenten vom adaptiven Tempomaten samt Spurhalter (bis 250 km/h!) bis hin zum Nachtsichtgerät.

Innen überraschend modern aber gewohnt edel

Die Bentley-Designer haben das Cabrio innen gekonnt modernisiert. Digitale Instrumente animieren stilvoll nicht nur alle relevanten Fahrinfomationen, sondern unterstützen mit zeitgemäßen Assistenten vom adaptiven Tempomaten samt Spurhalter (bis 250 km/h!) bis hin zum Nachtsichtgerät. Bedient wird mit diversen verchromten Schaltern, hochglanzpolierten Tasten und Stellrädchen, die nicht nur so aussehen, als wären sie aus einem Stück Edelmetall geschliffen, sondern sich natürlich auch so anfühlen. So wird schon das Bedienen von alltäglichen Funktionen zum Luxusabenteuer.

Das geht weiter, wenn auf Tastendruck der 12,3 Zoll große Infotainment-Bildschirm in der Mitte im Toblerone-Stil nach hinten rotiert. Dann zeigt er entweder das eingangs erwähnte Thermometer nebst analogem Kompass- und einer Stoppuhr, oder auf Hochglanz poliertes Edelholz – wahlweise auch Leder, Alcantara oder was immer sich der Bentley-Kunde bestellt. Grenzen bei der Individualisierung setzt hier nur der Geldbeutel. Aber das war ja schon immer so.

Das Dach ist nun Z-förmig unter der Kofferraumabdeckung verschwunden. Die seitlichen Fensterscheiben fahren wieder hoch. Der Blick fällt durch die doppelverglaste flache Frontscheibe über die lange Haube hinweg auf eine kurvige Straße während der Fahrtwind seicht durch den Innenraum streift. Die Wege hier scheinen wie gemalt für einen leichten, kompakten Sportwagen, sind aber bestimmt kein Terrain für einen 4,85 Meter langen GT, der mehr als 2,4 Tonnen auf die Waage stemmt. Sollte man meinen.

Porsche-Basis dynamisiert den Bentley

Im alten Bentley Continental GTC, der sich noch auf die Phaeton-Basis stützte, hätten wir an dieser Stelle tatsächlich umgedreht und uns eine möglichst gerade Autostrada gesucht, wo wir die jetzt maximal möglichen 333 km/h Topspeed ausgereizt hätten. Doch der Neue trägt Panamera-Gene und damit Technik in sich, die seine Größe und Gewicht gekonnt kaschieren.

Mit einem Dreh am edlen Fahrmodi-Wahlrädchen verlassen wir den Comfort-Modus. Bis hierhin hat uns das Dreikammer-Luftfahrwerk trotz der niederquerschnittigen 22-Zöller so souverän über die Andalusischen Bergstraßen getragen als wären es frisch asphaltierte Bundesautobahnen.

Im Sportmodus spannen sich jetzt elektronisch gesteuerte Adaptivdämpfer und Stabilisatoren an, ohne jedoch übertrieben zu verhärten. Mit der Kraft von 1.300 Nm stemmt sich der 48-Volt-Wankausgleich binnen 0,3 Sekunden wacker gegen aufkommende Fliehkraft-Physik. Die zusätzlichen Versteifungsmaßnahmen, die das fehlende Dach kompensieren, tun ihr Übriges dazu. Zusammen mit der Verdeckkonstruktion bedeutet das aber rund 170 Kilogramm Mehrgewicht gegenüber dem ohnehin schon massigen Coupé.

Die Lenkung spricht deutlich zackiger an, übermittelt aber weiterhin nur das Nötigste an den Fahrer. Trotzdem lässt sich der Conti mit einer solchen Leichtigkeit von Scheitelpunkt zu Scheitelpunkt dirigieren, dass du schnell vergisst, in was für einem dicken Schlitten du hier sitzt.

Die sanfte Gewalt der zwölf Zylinder

Wie im geschlossenen Continental GT wird auch im Cabrio Super Plus sowohl ins Saugrohr, als auch direkt in die zwölf Brennräumen eingespritzt. Die sortieren sich nicht in V-, sondern in W-Form und werden von zwei Twin-Scroll-Turboladern zwangsbeatmet. Akustisch hält sich die Sechs-Liter-Maschine meist zurück, stimmt nur unter Last rauere Töne an. Dann hallt der bassige Donner von den Felswenden zurück und verbindet sich mit dem Pfeifkonzert der beiden Lader zu einem Stück feinster Motoren-Klassik.

Die 635 PS des W12-TSI überfallen dich dabei nie gewaltsam, zumal der Allradantrieb die Kraft in der Regel ausgewogen an alle Räder verteilt. Nur im Sportmodus stemmt er bis zu 83 Prozent auf die Hinterräder. Dann wirbelt der Bentley Continental GTC deutlich agiler durchs Kurvengeschlängel und gript sich dank aktivem Torque-Vectoring sogar in enge Kehren hinein, um anschließend die folgende kurze Gerade in Sekundenbruchteilen niederzuringen.

Der Achtgang-Doppelkuppler schöpft dabei aus den unglaublichen Kraftreserven des Zwölfzylinders. Der punsht bereits bei 1.350/min mit 900 Newtonmetern Drehmoment. Gangwechsel sind schon in „Comfort“ kaum wahrnehmbar. Auch in den schärferen Fahrmodi verteilt das Doppelkupplungsgetriebe nie Nackenschläge und lässt nur sehr selten den Wunsch aufkommen, selbst via Schaltwippen einzugreifen.

Bentley Continental GTC 2019, Stoffverdeck
Richard Pardon - Bentley
Exakt 19 Sekunden braucht die Mechanik, bis das Stoffdach leise sirrend hinter den zwei Fondsitzen verschwindet.

Das fehlende Dach kostet so viel wie ein Kleinwagen

Aus dem Stand benötigt der Continental GTC laut Bentley lediglich 3,7 Sekunden auf Tempo hundert. Durchaus glaubhaft. Nicht nur, weil das Cabrio, nachdem wir es festbremsen mit 4.500/Min vehement aus dem Startblock schnalzt, sondern weil wir das Coupé bereits mit 3,6 Sekunden auf der Teststrecke in Lahr gemessen haben. Umgekehrt stoppen die großen Bremsen den schweren Bentley auch im hügeligen Auf und Ab immer wieder zuverlässig.

Fehlt nur noch der Preis: 192.000 Euro kostet der Bentley Continental GTC mindestens, ohne Steuern. Damit ist das Cabrio rund 20.000 Euro teurer als das Coupé. Der Testwagen in „Orange Flame“ hat dazu noch Extras im Wert von rund 50.000 Euro an Bord.

Fazit

Der neue Bentley Continental GTC bewahrt den GT-Charakter des Vorgängers, der schon ein souveräner Langstreckengleiter mit obszöner Power war. Dank moderner Porsche-Basis und aufwendiger Fahrwerkstechnik zählen nun aber auch kurvige Landstraßen zum erklärten Revier des Cabrios. Bentley schafft es zudem ein modernes Infotainment und allerlei Fahrassistenz stilvoll in ein handgearbeitetes Luxusambiente zu integrieren.

Technische Daten
Bentley Continental GT Convertible W 12
Grundpreis227.128 €
Außenmaße4850 x 1964 x 1399 mm
Kofferraumvolumen235 l
Hubraum / Motor5998 cm³ / 12-Zylinder
Leistung467 kW / 635 PS bei 5000 U/min
Höchstgeschwindigkeit333 km/h
Verbrauch12,4 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten