Fahrbericht Bugatti Chiron
Erste Mitfahrt im 1.500-PS-Supersportwagen

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Runter vom Messepodest, rein in die Realität. Der Bugatti Chiron gibt sich für uns exklusiv die Ehre auf der Straße. Am Steuer: Bugatti-Präsident Wolfgang Dürheimer. Wie sind die ersten Fahreindrücke im 1.500 PS starken Übersportwagen.

Bugatti Chiron, Frontansicht
Foto: Daniel Wollstein

Wenn einem im Bugatti Chiron irgendwas den Rücken runterläuft, dann kein kalter Schauer, sondern Tränen der Begeisterung. Sie haben keine Chance, lange übers Gesicht zu kullern, sondern fließen direkt nach hinten. Dazu genügt es, den Achtlitermotor nur mal zart aufzuwecken. Wenn die vier Lader den 16 Kolben noch zärtlich ein Ansauglüftchen zufächeln, die Drehzahlmessernadel irgendwo links unten herumkrebst, starten bereits die ersten Schmetterlinge in den Fußspitzen, um beim festeren Tritt aufs rechte Pedal zu Kopf zu steigen.

Bugatti Chiron, Bremse
Daniel Wollstein
Michelin bleibt der exklusive Reifenpartner.

Mittelmotor mit 1.500 PS

Wir sind unterwegs mit Wolfgang Dürheimer, Präsident von Bugatti. Ingenieur. Entwickler. Ein Autofan, gottlob. Er trägt keinen Maßanzug plus Rahmengenähtes am Fuß, sondern ehrliche Rennschuhe. „Ein Bugatti-Fahrtag ist für mich immer ein besonderer Tag. Der Chiron verlangt beim Schnellfahren eine spezielle Einstellung, die von anderen Autos gewohnten Parameter passen plötzlich nicht mehr.“ Nicht weil dieses Mittelmotor-Supercar besonders zickig wäre, sondern weil es schnell ist. Vor allem schnell schnell. „Da muss man sich erst mal drauf einstellen.“ Ein kräftiger Tritt aufs Gas verzerrt selbst tempogewohnten Profis das Raum-Zeit-Kontinuum.

Hinter dem Nacken beginnt es zu brodeln, zu sirren und zu pfeifen, die größeren Lader mit Registeraufladung kommen in Wallung. Ab 2.000/min steht das volle Drehmoment von 1.600 Newtonmetern parat, bleibt bis zum Zeitpunkt der Spitzenleistung von 1.500 PS bei 6.000/min erhalten. Damit beschleunigt der Chiron von 0 auf 300 km/h in unter 13,6 Sekunden. Nur gut, dass sich beim Neuen gleich 32 Einspritzventile um die Fütterung der Brennräume kümmern, die Abgase durch eine gegendruckreduzierte Anlage strömen. Das ausgedehnte Volllast-Erlebnis müssen wir allerdings noch etwas verschieben, von wegen Tempolimit und so.

Mehr Maximalleistung bei besserer Fahrbarkeit – auch das differenziert den Chiron von seinem bereits nicht unflotten Vorgänger Veyron. „Besonders das Beschleunigungserlebnis zwischen 50 und 300 km/h ist nicht zu fassen. Der Kick ist so gewaltig und der Unterschied so groß, dass der ältere Bruder des Chiron im Rückspiegel auf Briefmarkengröße schrumpft“, verspricht Dürheimer, während wir bei der Ampelphase gelassen ein paar Meter vorrücken.

Bugatti Chiron kann auch ganz normal

Ruckfrei und unspektakulär. Womit wir bei einem weiteren Wunder des Bugatti Chiron wären: Der Supersportwagen kann auch ganz normal. Keine komische Türkonstruktion, kein peinliches Körper-Origami beim Einsteigen. Bugatti-Fahrer können gut auf ausklinkende Rückenwirbel und feixende Passanten verzichten. Nicht aber auf Komfort und Stil. Darauf versteht sich der Chiron vortrefflich, empfängt seine Insassen in geräumigem Ambiente. So genügt die Kopffreiheit ab sofort auch für Fahrten mit Helm, während die bequemen Sportsitze jede Menge Seitenhalt bieten, ohne damit anstrengend zu kokettieren. Zudem platzierte man Lenksäule und Pedalerie genau mittig zum Fahrer, der sich dank einer verbesserten Fußstütze auch bei hohen Querbeschleunigungen wohlfühlen dürfte.

Wir cruisen derweil über die Landstraße, registrieren den selbst auf ungepflegten Pisten akkuraten Abrollkomfort, das treffsicher schaltende Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe (ebenso verstärkt wie die Pleuel des W16) sowie Design und Materialauswahl des Innenraums. Bling Bling überlässt die Designer-Crew um Chef Achim Anscheidt gern anderen, der Chiron wirkt durch Reduktion. Fließende Formen, stramm bezogene Lederflächen, sauber gesetzte Nähte, Sichtcarbon, bei dem jede Faser einzeln gekämmt zu sein scheint. Ach, übliche Soundsysteme sind Ihnen zu fad? Hier stecken Ein-Karat-Diamantmembranen in den vier Hochtönern.

Hochwertiger geht es kaum

Besser zu sehen: die c-förmige Spange in der Mitte der Kabine, die die Passagiere zart separiert und gleich noch Historie zitiert. Regelrecht zierlich wirkt hingegen die Mittelkonsole aus Aluminium mit den darauf montierten Reglern plus integrierten Displays. Hochwertiger geht es kaum. Auch bei den Lenksäulenhebeln, die nicht aus dem Regal, sondern aus exklusiver Fertigung stammen. Bei einem Grundpreis von 2,85 Millionen Euro ist Exklusivität halt Ehrensache.

Kompromisse? Keine. Obwohl man bereits ein steifes Chassis besaß, gingen die Ingenieure im Technikzentrum nahe Wolfsburg noch mal ran. Dürheimer: „Sie müssen sich die Arbeit an diesem Projekt vorstellen wie die Arbeit in einem Rennteam. Eine verschworene Truppe: 297 Köpfe, davon 140 Entwickler. Fixiert auf ihr Ziel, geht sie durch Höhen und Tiefen.“ Starke Charaktere seien dabei, Freaks, die ihr Handwerk verstehen. „Anders können Sie so etwas gar nicht machen“, sagt Dürheimer.

Deutlich neutraler als der Vorgänger Veyron

Etwa die Steifigkeit des Chiron-Chassis auf das Niveau eines LMP1-Rennwagens zu heben. Dazu setzt man zum Beispiel auf Sandwich-Elemente, bestehend aus zwei mit einer dazwischenliegenden Aluminium-Wabenstruktur verklebte Kohlefaserplatten, die etwa am Unterboden und der Firewall zum Tank stecken und dort bis zu 40 Prozent Gewicht gegenüber herkömmlichem CFK einsparen. Carbon-Ansaugtrakt und die Auspuffanlage aus Titan helfen ebenfalls bei der Gewichtsbegrenzung.

Selbst wenn der Bugatti Chiron am Ende nicht leichter geworden sei, präziser als der Veyron fahre er auf jeden Fall. Neben höherer Steifigkeit habe man sich dazu sämtliche Komponenten noch mal vorgenommen, profitiere vom Fortschritt in rund 15 Jahren Entwicklung, etwa bei der Lenkung, so Dürheimer. Insgesamt fährt der Chiron deutlich neutraler als der Veyron – mit weniger Untersteuern, selbst bei landstraßenkonformem Tempo erlebbar. Per Drehrad am Lenkrad kann der Pilot das Fahrverhalten nach Wunsch konditionieren: vom allroundigen, über einen tempoorientierten Autobahn- bis hin zum Handling-Modus.

Letzterer erhöht den Abtrieb mittels angepasster Flügelstellung (hinten rund 300 Kilogramm) und Steuerung der Klappen im Unterboden, justiert Dämpfer, Federbasis sowie Fahrzeughöhe. Nun lässt der allradgetriebene Zweitonner auch Übersteuern zu, präsentiert sich – gemessen am Gewicht – ziemlich handlich. Zum Versuchs- und Freigabeprogramm gehören auch Spurwechsel mit 300 km/h und schneller, „da hat das Reifengummi schon mal aus den Radkästen gequalmt“. Ohne Probleme bei der Fahrstabilität natürlich.

Topspeed? 420 km/h!

Umgekehrt läuft es, sobald ein spezieller Schlüssel, Top-Speed Key genannt, die Höchstgeschwindigkeit freigibt. Statt wie sonst bei 380 km/h überraschend in den Tempo-Begrenzer zu fahren, geht es weiter bis 420 km/h, übrigens ebenfalls limitiert für den Straßenverkehr. Im Gegensatz zum Handling-Modus stellt sich der Chiron für Highspeed auf einen reduzierten Abtrieb ein. „Sobald der Lenkwinkel ein bestimmtes Maß überschreitet oder der Fahrer die Bremse betätigt, gehen wir in den Handling-Modus mit mehr Abtrieb zurück. Bei so hohen Geschwindigkeiten sollte man besonders auf der Hut sein, etwa die Blätter in den Bäumen beobachten, denn eine Windböe genügt, und schon fährt man neben der Ideallinie“, so Dürheimer.

Bugatti Chiron, Frontansicht
Daniel Wollstein
Der Chiron pflügt mit über 400 km/h durch den Wind.

Exklusiver Reifenlieferant bleibe Michelin. Nur von dort kam die Bereitschaft, sich dieser Herausforderung zu stellen und solch hohe Geschwindigkeiten mitzugehen. Überhaupt sei die Intensität der Erprobung in diesem exklusiven Segment einzigartig, ablesbar an den 500.000 Testkilometern und der Erfüllung sämtlicher Crashtests weltweit – Vorteil des Großkonzerns. 500 Exemplare sind geplant, 210 bereits verbindlich vorbestellt. Die entsprechenden Damen und Herren dürften sich genauso auf den ersten Moment hinterm Lenkrad freuen wie wir. Also Freunde, Gas ist rechts!

Technische Daten
Bugatti Chiron 8.0 W16
Grundpreis2.856.000 €
Außenmaße4544 x 2038 x 1212 mm
Hubraum / Motor7993 cm³ / 16-Zylinder
Leistung1.103 kW / 1.500 PS bei 6700 U/min
Höchstgeschwindigkeit420 km/h
Verbrauch22,5 l/100 km