Bugatti Veyron Grand Sport Vitesse im Fahrbericht
1.200 PS im Heck, aber kein Dach über dem Kopf

Der offene Bugatti Grand Sport Vitesse mit 1.200 PS ist nach dem 431-km/h-Weltrekordler Veyron Super Sport der  Über-Racer der Open-Air-Auftritt zum Ende einer Ära. Wir haben das Über-Cabrio im Fahrbericht.

Bugatti Veyron Grand Sport Vitesse, Frontansicht
Foto: Archiv

Was haben ein gutbürgerlicher Pool und drei Badewannen mit einem Bugatti Veyron Grand Sport Vitesse zu tun? Nun ja, wenn seine 16 Zylinder direkt hinter den Ohren lautstark Sauerstoff einschlürfen wie ein hyperventilierender Tyrannosaurus Rex, taucht unweigerlich das Volumen eines ebensolchen Pools vor dem geistigen Auge auf: 50.000 Liter Luft pro Minute atmet das Turbo-Quartett bei Volllast – was den Inhalt des zweisitzigen Innenraums bei weitem übertrifft, somit kurzzeitig irrationale Atemangst aufbranden und den Fuß feige vom Gaspedal rutschen lässt.

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Keine so gute Idee, denn das 14 Zentner schwere Motor-Monster Bugatti Grand Sport Vitesse schnaubt sogleich frustriert kübelweise Überdruck aus seinen Wastegate-Nüstern. Logisch, er will mit 1.200 PS spielen, da erzeugt Zucken verständlicherweise monströs zwitschernden Unmut. Der übrigens klingt wie damals, als Walter Röhrl die Audi Gruppe B-Boliden linksbremsend ums Eck wuchtete. Die Ur-Quattro hätten längs übrigens keine Chance gehabt, und zu den Badewannen kommen wir gleich.

Piëch wollte mehr Leistung

"Schaut‘s, dass da noch was geht", hatte Quattro-Erfinder und Konzern-Legende Ferdinand Piëch seine Mannen bekannt subtil zu mehr Leistung aufgefordert, um wieder Distanz zwischen dem bisher – ähem – "nur" 1.001 PS starken Veyron und dem Rest der gar so aufmüpfigen Supersportwagen-Welt zu legen. So entstand der Super Sport und jetzt die Roadster-Variante namens Bugatti Grand Sport Vitesse.

Vitesse, also Geschwindigkeit – das klingt so nett und harmlos wie ein Golf GTI-Sondermodell. Dabei packt das Über-Cabrio Bugatti Grand Sport Vitesse mit vergrößerten Turbos und Ladeluftkühlern fast dessen Basisleistung nochmal obendrauf und türmt ein 1.500-Nm-Kraftplateau steil wie die Eiger-Nordwand auf.

Was schon auf dem Datenblatt furchterregend aussieht, kündet sich dem Piloten wie ein Tsunami an. Zuerst zieht sich die Kraft im Vergleich zum Basis-Veyron unter 3.000/min etwas zurück. Nennen wir es Drehmomentschwäche, wohlwissend, dass sie sich immer noch im Rahmen eines Audi RS6 abspielt. Innerhalb eines Wimpernschlags bricht die Welle dann brüllend über den Fahrer herein, klatscht seine Augäpfel zum Touchdown mit ihrer Schädelhöhle und den Bugatti Grand Sport Vitesse wie eine Nussschale gen Horizont.

Im Bugatti Grand Sport Vitesse saugen vier Spritpumpen

Eine zwei Tonnen schwere, allradgetriebene Nussschale, um genau zu sein. Wer jetzt die nächsten 16 Sekunden das Gaspedal tapfer auf den Boden presst, bringt die Leistungsanzeige im Bugatti Grand Sport Vitesse nicht nur zum Vollausschlag, sondern das ganze Brachial-Vehikel auf Tempo 300. So bleibt etwas Zeit, um den Pool durch die erwähnten Badewannen auszutauschen. Die saugen nämlich die vier Spritpumpen (zwei mehr als bisher) innerhalb einer Stunde theoretisch leer. Dabei plumpst das Kohlendioxid pfundweise aus den Endrohren. Bei einer jährlichen Fahrleistung eines Veyron-Besitzers von im Durchschnitt 1.800 Kilometer ökologisch alles halb so schlimm. Hier explodiert automobiler Superlativ nach vorne, und die Daumen dürfen auch heutzutage ruhig nach oben gehen.

Leistungsmäßig erreicht der Bugatti Grand Sport Vitesse sein wahres Maximum jedoch nicht beim Vortrieb. Es bedarf bei Tempo 410 vielmehr eines schlagartigen Wechsels vom rechten zum linken Pedal. Jetzt packen 1.200 PS Luftbremsleistung den Spoiler am Kragen, und die zur Kühlung wie luftansaugende Kreiselpumpen ausgebildeten Keramik-Karbon-Bremsscheiben legen noch mal 2.800 PS drauf. Das ist nicht nur physikalisch sinnvoll, sondern tut auch der tempogepeinigten Seele gut, wenn sich die nächste Kurve heranzoomt wie nach Mausklicks auf Google Earth.

Erfahrene Piloten werden in zarte Aufregung versetzt

Eine Kurve, zwei Tonnen Gewicht und der Blick auf die bis 430 reichende Tachoanzeige sind bei Volllast durchaus dazu geeignet, auch erfahrene Piloten in zarte Aufregung zu versetzen. Die der Bugatti Grand Sport Vitesse ganz locker in Begeisterung auflöst, wenn der Fahrer das alte Allrad-Gesetz beherzigt, dass es etwas langsamer rein, viel schneller wieder rausgeht.

Kaum merklich nickt der noch mal einen Zentimeter tiefer liegende Bugatti Grand Sport Vitesse beim Bremsen ein und schneidet selbst über 200 km/h präzise wie ein Laserskalpell um die Kurve. Das ist ungewohnt, zeigte der Veyron hier bisher doch eine leichte Hochtempo-Nervosität, die ihm die Ingenieure mit einer verbesserten Lenkung und Aerodynamik sowie neuen Stoßdämpfern mit Zusatzvolumen und zweitem Ventil zur besseren Ansprache erfolgreich ausgetrieben haben. Laut Bugatti zentrifugieren einen dann bis zu 1,4 g ums Rund, was sich nicht nur für so einen Trumm ziemlich sensationell anfühlt. Hecklastigere Stabilisatoren und mutigeres ESP erlauben solventen Abenteurern sogar einen rauchenden 1.500-Nm-Drift.

Bugatti Grand Sport Vitesse kostet 2,3 Millionen Euro

An dieser Stelle sollte man durchaus seinen Preis von 2,3 Millionen Euro ins Gespräch bringen. Dafür hat man immerhin die Möglichkeit, das Dach abzunehmen, um sich bei Bedarf offen einen 350-km/h-Scheitel ziehen zu lassen. Was so einfach nicht funktioniert, denn selbst bei diesem Tempo krümmt sich das Haupthaar dank eines neuen, aufsteckbaren Dachkantenspoilers kaum. So erschließt sich die wahre Lufthoheit des Bugatti Grand Sport Vitesse in der Art und Weise, wie er lautstark das uns umgebende Gas verarbeitet: Dieses Schlürfen, Zwitschern, Brüllen und Rauschen entfaltet nur im offenen Veyron ein ungefiltertes, bisher nie gehörtes Extremsound-Bukett.

Nun könnte man aus eher bürgerlichen Gehaltsregionen kleinlich den Aufpreis eines Einfamilienhauses anprangern, den der Bugatti Grand Sport Vitesse mehr zum geschlossenen Super Sport kostet. Doch das wird dem Veyron-Besitzer nur ein Lächeln abringen. Er hat statistisch schon zwei der auf jeweils 300 Stück limitierten Zweisitzer in seiner Garage, und ein dritter sähe neben dem 50-Meter-Pool in Marbella sicherlich auch ganz pittoresk aus.

Bugatti-Technikhirn Wolfgang Schreiber

Es ist der Sommer 2005. Wolfgang Schreiber sitzt völlig entspannt in seinem wohltemperierten Wolfsburger Büro und parliert ruhig und technisch brillant über das Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe des Bugatti Veyron. Seit zwei Jahren ist er damals Chef der Bugatti-Entwicklung, und mit Getrieben kennt sich der Diplom-Ingenieur bestens aus. Schließlich ist er der Vater der VW DSG. "Für den Preis des Ricardo-Getriebes im Bugatti Veyron bekommen Sie auch einen gut ausgestatteten oberen Mittelklassewagen", fügt er mit einem Anflug von Grinsen hinzu.

Schreiber hat jetzt wieder allen Grund für gute Laune, denn die Entwicklung des Veyron, die er von Motorenmann Neumann übernommen hatte, lief nicht ganz reibungslos. Eigentlich hätte der Bugatti Veyron schon 2001 mit einem 18-Zylinder-Motor fertig sein sollen. Ein Aggregat in W-Form, das Ferdinand Piëch bei einem Dinner auf der 1997er Tokio Motor Show mal eben auf eine Serviette zeichnete. Doch thermische Probleme mit den eng zusammenliegenden Zylinderbänken zwangen zu einem milden Downsizing auf 16 Zylinder.

So tingelte der Bugatti Veyron einige Jahre als running gag über die Messen, bevor er dann 2005 endlich in Serie ging. Seit 2012 Jahr ist Schreiber nun sogar Chef von Bugatti und Bentley. Das nächste Entwicklungsziel des Nachfolgers von Wolfgang Dürheimer wird die viertürige Edel-Limousine Galibier sein. Sie soll 2016 mit einem 16-Zylinder-Aggregat und Elektromotor-Unterstützung auf den Markt kommen. Natürlich wieder mit über 1.000 PS.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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